Homiletik in der Übersicht

Wie verstehen eigentlich Praktische Theologen ihre homiletischen Ansätze praktisch? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn Homiletik als reflektierte Betrachtung der Predigtpraxis zielt nicht unbedingt auf die Praxis konkreter Predigtvorbereitung und -performanz. Insofern folgt der Homiletik-Band aus der Reihe „elementar“ bei V&R einer interessanten Konzeption: Vierzehn wichtige Homiletiker der Gegenwart stellen nicht nur ihren Ansatz selbst vor, sie präsentieren auch ein eigenes oder fremdes Predigtmanuskript, in dem sie das eigene Konzept gut wiedererkennen. „Homiletik in der Übersicht“ weiterlesen

Homiletischer Kindergarten

Mit der Post flatterte heute Morgen die aktuelle Ausgabe der idea spektrum (9.2014) als Werbung ins Haus. Die Ausgabe titelt „Wie viel Bibel darf es denn sein?“ und ab Seite 16 dürfen sich Wilhelm Gräb und Helge Stadelmann über die Frage streiten, was eine gute Predigt ausmacht. Leider finden Sie vor lauter Streit zwischen liberaler und evangelikaler Stellung aber keine Zeit, eine angemessene und zeitgemäße, geschweige denn überraschende Antwort zu geben.

Tatsächlich dreht sich das ganze Gespräch weniger um die Frage nach der guten Predigt als darum, welche Aufgabe die Predigt hat und welche Rolle der Bibel darin zukommt. Helge Stadelmann ist Autor der evangelikalen Predigtlehre „Kommunikativ predigen“, die vor der Neuauflage den Titel „Schriftgemäß predigen“ trug. Er macht sich vor allem für die evangelisierende Funktion der Predigt stark und sieht in der Bibel Gottes Wort in menschlicher Sprache, das für die heutigen Leser ausgelegt werden muss. Wilhelm Gräb, Schleiermacher-Experte und Autor der bei V&R erschienenen „Predigtlehre“, versteht Predigt als religiöse Rede, die Menschen auf ihre aktuellen Fragen hin anspricht, und dazu die Bibel kritisch nach Antworten befragt.

Natürlich liegen im unterschiedlichen Verständnis der Bibel fundamentale Differenzen verborgen. Aber längst hat, wie auch Stadelmann betont, ein Dialog zwischen historisch-kritischer und evangelikaler Theologie begonnen, von dem beide Seiten lernen können. So konzediert auch Gräb in dem Gespräch, „dass die historisch-kritische Theologie nicht glaubensproduktiv ist“. Trotzdem ist es schade, dass das Gespräch so wenig konstruktiv verläuft. Die unzweifelhaft bestehenden Differenzen werden erschwerend überlagert durch Vorurteile, gegenseitigen Unterstellungen und Missverständnisse. Ich halte zwar Gräbs Argumentation für besser und überzeugender, aber ich befürchte, das liegt nur daran, dass ich seinen Ansatz im Wesentlichen teile. Leser, die mit Stadelmanns evangelikaler Haltung sympathisieren, werden mit genauso guten Gründen dessen Position für besser vertreten halten.

Zwar ist das gemeinsame Interview als Streitgespräch überschrieben, aber meines Erachtens sollte in einem Streitgespräch die eigene Position scharf profiliert und durch Argumente von einer Gegenposition abgegrenzt werden. Das passiert aber leider kaum. Eher finde ich mich in einem homiletischen Kindergarten wieder: „Du bist schuld!“ – „Nein, du!“ – „Gar nicht wahr!“ – „Doch!“ – „Nein!“ – „Doch!“. Am Ende und sehr unvermittelt kommt die Kindergärtnerin in Gestalt des Moderators Karsten Huhn und sagt: „Habt  ihr beide nicht auch was voneinander gelernt?“ Da erweist sich die  Antwort des evangelikalen Stadelmann als offener als die des liberalen Gräb. Stadelmann hat nämlich gelernt den Alltag genauer zu beobachten und darin nach religiösen Spuren zu suchen. Gräbs Schlusssatz ist dagegen nicht nur peinlich-unterreflektiert, wenn ihm „die Wichtigkeit der Auslegung des Bibeltextes“ klar geworden ist. Am Ende streckt Gräb Stadelmann doch nochmal die Zunge raus. Da sind wir dann wieder zurück im Kindergarten.

Tabu spielen in der Predigt

„Sieben Wochen ohne Große Worte“ ­ die Anregung des Zentrums für Predigtkultur ist zunächst einmal interessant: In der Passionszeit sollen Pfarrerinnen und Pfarrer einmal sieben Wochen auf große Worte verzichten. Eine Liste mit 49 Beispielen kann man sich mit der Post zuschicken lassen. Sie hängt mittlerweile über meinem Schreibtisch. Auf der Internetseite des Predigtzentrums kann man sich die Liste ansehen. Sie enthält viele theologische -ung-, -heit- und -keit-Wörter aber auch Begriffe wie „Gott“, „Christus“ und „Kreuz“. (Nachtrag: Es gibt jetzt eine eigenen Internetseite zur Aktion unter https://www.ohne-grosse-worte.de.)

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Robinsons Phasen der Predigtvorbereitung

Schreibtisch
Die Vorbereitung der Predigt am Schreibtisch

Haddon Wheeler Robinson, 1931 in New York geboren gilt als einflussreicher Homiletiker evangelikaler Prägung. Nach dem Studium war er zunächst Pastor einer Baptistengemeinde und unterrichte dann am konservativ-evangelikalen Dallas Theological Seminary. Nach der Promotion in Philosophie 1964 war er von 1979 bis 1991 Dozent und Rektor am Denver Theological Seminary, wo 1980 sein Buch „Biblical Preaching“ entstand. Seit 1991 hat er eine Homiletik-Professur an einer der größten evangelikalen Ausbildungsstätten der USA inne, dem Gordon-Conwell Theological Seminary.

Obwohl ich Robinsons theologischen Ansatz nicht teile und auch homiletische Einwände zu erheben haben, schätze ich „Biblical Preaching“ (dt.: Predige das Wort). Was mir gefällt ist Robinsons pragmatischer Ansatz: Kern der Predigtarbeit ist danach, sich darüber klar zu werden, was man sagen will, indem man seine Gedanken klar auf eine Kernaussage hin orientiert.

Für die Predigtvorbereitung schlägt Robinson zehn Phasen vor. Ein Schwerpunkt liegt darauf, sich zuerst über Predigtthema und Predigtzweck klar zu werden, bevor eine Gliederung der Predigt entworfen wird. Anschließend wird die Gliederung mit illustrierendem, reflektierendem und erläuterndem Material gefüllt.

Natürlich ergeben sich aus heutiger Sicht gleich zwei grundlegende Einwände. Der erste Einwand ist, dass so eine Schrittfolge zu starr ist. Angemessener erscheint mir heute ein Phasenmodell mit gröberen Schritten, das ein Hin-und-her-Springen zwischen verschiedenen Arbeitsschritten ermöglicht. Der zweite Einwand ist, dass die Illustrationen bloß als Füllmaterial für das Gedankenskelett verstanden werden. Heute gilt es dagegen, mit dem Material zu denken, so dass Gedanken, Geschichten und Illustrationen sich zu einem Gewebe verdichtet. Oder kurz: Die Geschichten sind die Predigt, nicht ihr Füllmaterial.

Stärken treten in diesem Phasenmodell an zwei Punkten hervor: Alle Predigtarbeit dreht sich darum, sich über Predigtthema und Predigtzweck klar zu werden. Und: Die Einleitung und den Schluss der Predigt überlegt man am besten am Ende.

Phase 1 – Auswahl des Predigttextes (43): In Robinsons freikirchlichem Kontext taucht zwar keine Perikopenordnung auf, doch auch eine Perikopenordnung bewahrt nicht vor der Entscheidung, sich rechtzeitig für einen Predigttext zu entscheiden.

Phase 2 – Studium des Bibeltextes (46): Hierunter fallen selbstredend exegetische Überlegungen.

Phase 3 – Erarbeitung des Textthemas (50): Robinson unterscheidet hier zwischen Textgegenstand (wovon der Text handelt) und der Textaussage (Was wird über den Gegenstand ausgesagt) Das Textthema lässt sich formulieren durch eine Verbindung von Textgegenstand und -aussage.

Phase 4 – Analyse des Textthemas mithilfe von drei grundsätzlichen Fragen (59): Was bedeutet diese Aussage (61), ist die Aussage heute noch gültig (63) und welche Konsequenzen ergeben sich daraus (69)?

Phase 6 – Festlegung des Predigtzwecks (86): Aus Text- und Predigtthema als Zusammenfassung der biblischen Botschaft wird als Predigtzweck daraus abgeleitet, wozu diese Botschaft dienen soll.

Phase 7 – Denke darüber nach, wie das Predigtthema am besten entfaltet wird, um den Predigtzweck zu erreichen. (91) Robinson stellt hier knapp fünf Gestaltungsmöglichkeiten von Predigten vor: Erklärung eine Aussage (92), Überprüfung einer Behauptung (95), Anwendung eines Prinzips (97), Erläuterung eines Themas (99) und das Erzählen einer Geschichte (101).

Phase 8 – Nachdem du entschieden hast, wie du das Predigtthema entfaltest, um den Predigtzweck zu erreichen, entwirft eine Predigtgliederung. (106) Für den Prediger zielt die Gliederung darauf, den Zusammenhang der Predigtteile nicht aus dem Blick zu verlieren. Für die Hörer erleichtert eine klare Gliederung, den Gedanken des Predigers zu folgen.

Phase 9 ­ Fülle die Gliederung mit ergänzendem Material, welches die Punkte erklärt, prüft, illustriert oder zur Anwendung bringt. (113) Dazu nennt Robinson sechs Materialformen: Umformulierungen, Definitionen und Erklärungen, Sachinformationen (Tatsachen), Zitate, Erzählungen, Illustrationen

Phase 10 ­ Bereite die Einleitung und den Schluss der Predigt vor. (131)

Robinsons Rat zum Zettelkasten

Zettelkastenreiter

In Haddon Robinsons Buch „Predige das Wort“ (Originaltitel: Biblical Preaching) wird sehr schön der Einsatz von Zettelkästen für Prediger beschrieben. In seinem Kapitel über die lebendige Ausgestaltung eines Predigtentwurfes mit illustrierendem Material schreibt Robinson:

„Das meiste Material findet der Prediger zweifellos in seiner eigenen Sammlung. Deshalb sollte es sich ein gutes Ordnungssystem dafür anlegen. Denn was er dort für seine Predigt findet, hängt völlig davon ab, was und wie er es hinein getan hat. Es gibt viele Systeme, um die Ergebnisse des Studiums und Lebens zuordnen. Normalerweise benötigt man zweierlei Karteien. In die eine Großformatige ordnet man Predigtnotizen, Auszüge und Kopien so, wie sie sind. Sie können eingeteilt sein nach Themen oder nach den Büchern der Bibel.

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Homiletik der Langeweile

Der Mann im Turm
Was Prediger mit ihrer Predigt erreichen wollen, lässt sich nicht allgemein sagen. Dass ein Prediger aber zumindest irgendetwas sagen will, wird normalerweise vorausgesetzt – auch wenn die Botschaft nicht immer ganz klar ist. Es gibt diesen alten Witz: Der Mann kommt vom Gottesdienst nach Hause kommt und sagt: „Heute hat der Pastor über 30 Minuten gepredigt.“ „Worüber denn?“, fragt die Ehefrau. Und der Mann antwortet: „Das hat er nicht gesagt.“ „Homiletik der Langeweile“ weiterlesen

Cartoonale Homiletik

Eine Predigt-Mindmap„Schreib doch mal eine cartoonale Homiletik, über die allmähliche Formulierung der Gedanken beim Zeichnen“, hat Silke vorgeschlagen. Eine schöne Idee. Hätte ich doch mehr Zeit. Das Bild oben zeigt einen Predigtentwurf zu Hiob 14,1-6 – mal gestaltet mit Aquarellfarben, inspiriert von den Überlegungen von Susanne Haun.

Quelle: Redline Verlag http://www.m-vg.de

Wenn es eine cartoonale Homiletik gäbe, sähe sie wahrscheintlich ein bisschen so aus wie Dan Roams „Auf der Serviette erklärt“ (Redline Verlag, München 2009). Das Buch hat zwar weder was mit Homiletik noch mit Cartoons zu tun, aber es demonstriert sehr schön, wie visuelles Denken funktioniert. Es zielt dabei auf grafisches Gestalten bei Vorträgen ab, aber die Grundprinzipien lassen sich auch für die Predigtvorbereitung nutzen.

Dan Roams Grundprinzip ist, das „innere Sehvermögen zu nutzen, …, um Ideen zu entdecken, die sonst unsichtbar sind“ (S.14). Es geht dabei nicht um einen künstlerischen Anspruch, sondern um das Nutzen der Kraft von Bildern, um Ideen so zu entwickeln, dass sie auch anderen schnell und einfach einleuchten.

Ich fand das Buch sehr inspirierend nicht nur für die Predigtvorbereitung, sondern auch für den Einsatz von zeichnendem Erklären und Erläutern im Konfirmandenunterricht und der Erwachsenenbildung. Mittlerweile ist zu dem Buch auch ein Übungsbuch erschienen.

Etwas zu einfach

„So wie ihr wollt, dass euch Gottes Wort verkündigt wird, so verkündigt es auch!“, formuliert Christian Lehmann seinen homiletischen Imperativ (S. 145). Für Lehmann heißt das auf den Punkt gebracht: liebevoll, praktisch und kreativ zu predigen. Sein Buch „Einfach von Gott reden“ enthält dazu neben grundsätzlichen, theologischen Erwägungen zur Predigt und Überlegungen zur Predigtpraxis eine Reihe von Übungen mit Lösungsvorschlägen, auf die aus dem Hauptteil heraus verwiesen wird. Heraus kommt am Ende ein praxisorientiertes Arbeitsbuch zur Predigt, das allerdings nur mit Einschränkung zu empfehlen ist.

„Einfach von Gott reden“ ist durch einen pietistischen Jargon geprägt, dessen altertümelnder Sprachstil zuweilen fragen lässt, ob das Buch vielleicht die Neuausgabe einer älteren Auflage ist. Tatsächlich ist das Arbeitsbuch aber 2012 erstmals erschienen. Der Autor Christian Lehmann stammt ursprünglich aus dem Siegerland, war bis 2010 Studienassistent am Tübinger Albrecht-Bengel-Haus und hat vor kurzem seine erste Pfarrstelle in der Württembergischen Landeskirche angetreten. Seit 2011 ist er zudem Schriftleiter von „Zuversicht und Stärke“, einer Predigthilfe aus der pietistischen „Christusbewegung Lebendige Gemeinde“. Auch wenn Lehmann vor der Predigt in der „Sprache Kanaans“ warnt (S. 65f): Sein Predigtbuch ist davon selbst davon nicht frei. Wer nicht in diesem Jargon zu Hause ist, kann leicht darüber stolpern.

Lehmanns Ansatz ist zunächst einmal sympathisch: Gegen langweilige und blutleere Predigten ist es ihm wichtig „die biblische Botschaft frisch und mutig, klug und klar, lebensrelevant und alltagstauglich weiterzugeben“ (S. 11). Dabei geht er „von der einfachen Grundidee aus, dass die Bibel als Gottes Wort uns nicht nur lehrt, was wir weiterzusagen haben, sondern auch, wie wir das am besten tun“ (ebd.). Deshalb gilt Lehmann auch die Bibel als erstes, kreatives Hilfsmittel (vgl. S. 170f): „Unsere Aufgabe als Verkündiger besteht darin, mit dem Bibeltext zu sprechen, nicht über ihn.“ (S. 65)

Liebevoll predigen heißt für Lehmann, einfach (S. 101ff), verständlich (116ff) und anschaulich (S. 123ff) zu reden. Maßstab sind dabei die Hörerinnen und Hörer. Sie sollen Glauben nicht nur intellektuell verstehen, sondern vor allem praktisch und konkret erfahren – jenseits aller Gesetzlichkeit, die im Tun des Glaubens immer nur ein „Du sollst …“ sieht. Dem stellt Lehmann „Wie-Fragen“ des Glaubens gegenüber: „Wie sind wir gute Eltern, …besiege ich meine Angst, … liebe ich meinen Nachbarn …?“ (vgl. S. 161). Wenn Predigt auf solche konkreten Fragen praktische Antwort gibt, erfüllt sie ihre wichtige Aufgabe, Menschen von heute zu sagen, wie christlicher Glaube praktisch aussieht. Dabei stützt sich Lehmann auf eine Theologie der Vollmacht (S. 44ff), die es ihm ermöglicht, trotz der These, dass alles aktuelle, menschliche Reden von Gott begrenzt ist, dennoch davon auszugehen, dass ein verlässliches und wirkmächtiges Reden von Gott in der Predigt möglich ist.

Lehmanns Anspruch ist ein praktisch orientiertes Buch vorzulegen, kein Lehrbuch der Predigt. Von daher überrascht es allerdings, dass die konkreten Arbeitsschritte der Predigterstellung vage und zum Teil bloß idealistisch bleiben. So gilt für Lehmann die unbestreitbar richtige Faustregel „je mehr Zeit, desto besser“. Was das aber im Pfarralltag bedeutet, lässt Lehmann offen. Er watscht die Pfarrer ab, die offen zugeben, oft unter Zeitdruck vorbereiten zu müssen und präsentiert idealisierend zwei evangelikale Star-Prediger, die nach eigenen Angaben zwei bis vier (!) ganze Tage der Predigtvorbereitung widmen (vgl. S. 38). Jenseits von der Frage, ob das überhaupt realistisch ist, stellt sich zumindest für den Pfarrberuf die Frage, ob so ein Ziel tatsächlich ideal ist.

Die konkrete Predigtvorbereitung geschieht bei Lehmann im Dreischritt von Hören, Ringen und Prüfen. Dazu gibt Lehmann dem Leser zwar eine Reihe von Reflexionsfragen zur Predigtarbeit an die Hand, aber als wirkliches Modell der Predigtvorbereitung bleibt vieles zu unkonkret. Im praktischen Hauptteil gibt es vereinzelte Überlegungen zu Predigtsprache und -aufbau, ein systematisches Modell lässt sich aber nicht erkennen. Lehmann verharrt ganz in der alten Punkte-Predigt und nimmt zum Beispiel Impulse der New Homiletik schlicht nicht zur Kenntnis. Dabei könnte auch die pietistische Predigt durchaus von neuen, homiletischen Ideen profitieren.

Problematisch ist aber vor allem das hermeneutische Textmodell, das dem Ansatz zugrunde liegt. Diese Problematik kommt in Lehmanns Interpretation des homiletischen Dreiecks (S. 94f) besonders gut zum Ausdruck. Zunächst fällt auf, dass in Lehmanns Dreieck „Prediger“ und „Hörer“ nicht mit „Bibeltext“ in Verbindung gesetzt, sondern durch die Schreibweise „Gott/Bibeltext“ Gott und Bibeltext quasi gleichsetzt werden. Expressis verbis: „Wer nicht die ganze Heilige Schrift als Wort des lebendigen Gottes anerkennen will, der bestreitet letztlich ihre ganze Gültigkeit und Autorität.“ (S. 140). Verkündigung ist vor diesem Hintergrund immer nur aktualisierende Rede der einmaligen und grundsätzlichen Rede Gottes im biblischen Text. Das ist vor dem pietistischen Hintergrund Lehmanns nachvollziehbar, dürfte aber zuweilen die Geduld historisch-kritisch geschulter Predigerinnen und Prediger strapazieren. Aber die sind wahrscheinlich auch nicht Zielgruppe von „Einfach von Gott reden“.

Schwieriger ist aber ein zweites Problem, das in Lehmanns Interpretation des homiletischen Dreiecks sichtbar wird: Lehmann reflektiert nur mangelhaft die Rolle des Predigers im Predigtgeschehen. Der Prediger steht nach Lehmann vor der Herausforderung „die Hörenden in der konkreten Situation mit Gottes Wort in Verbindung“ zu bringen (S. 96). Es ist positiv zu würdigen, wie sehr Lehmann die Rolle der Hörerinnen und Hörer im Predigtgeschehen wahrnimmt. Trotzdem fällt auf, dass das Kapitel über die Hörer (S. 94ff) vor allem ein Kapitel über den „liebevollen“ Umgang des Predigers mit den Hörern ist. Ich meine das nicht ironisch: Lehmann grenzt sich ausdrücklich von einem pietistisch-evangelikalen Predigtstil ab, der die Hörerinnen „senkrecht von oben“ mit dem Gotteswort konfrontiert. Aber er sieht die Aufgabe des Predigers darin, den Menschen dieses Gotteswort zu bringen und zu sagen. Ausdrücklich versteht Lehmann den Prediger als „Worttransporter“ (S. 65), der „den alten Inhalt der Bibel in der Sprache von heute weiterzusagen“ hat (ebd.). Der komplexen Situation des Predigtgeschehens wird das aber nicht gerecht.

Im Predigtgeschehen stehen Prediger, Hörer und Bibeltext in wechselseitigen Beziehungen zueinander. Das sieht Lehmann in Ansätzen zwar durchaus, zieht daraus aber nicht die Konsequenz, auch nach den spannungsvollen Wechselwirkungen zu fragen. Trotz allem Bemühen um eine Hörerorientierung bleiben darum die kreativen Potentiale letztlich ungenutzt. So wird die Spannung von biblischer und heutiger Sprache zwar als „Verkündigungsenergie“ (S. 66) erkannt, aber sofort kritisch der geistlichen Prüfung überantwortet, statt in ihr zunächst einmal eine innovative, kreative Kraft zu sehen. Die Überlegungen zum kreativen Predigen erschöpfen sich so lediglich in der Suche nach Alternativen zum „Frontalmonolog“ als Standardform. Als Lösungsmöglichkeiten werden z.B. Lied-, Bild-, Symbol- und Dialogpredigt, Anspiele und Bibliolog, interaktive Elemente und Fragen der Predigtinszenierung angerissen (S. 165ff). Das ist alles anderes als neu. Selbst die gerade für eine biblisch orientierte Predigtlehre interessante Frage nach einer narrativen Predigt wird nur angedeutet und die Antwort erschöpft sich in der Feststellung: „Unsere Verkündigung darf ruhig ‚narrativer’, erzählfreudiger werden.“ (S. 91) Zur Frage der freien Predigt verhält sich Lehmann zurückhaltend, rät allerdings zur Verschriftlichung der Predigt und empfiehlt, nicht spontan vom vorbereiteten Manuskript abzuweichen (vgl. S. 98f; S. 40). In Lehmanns Worttransport-Modell fällt also die Beschreibung des Spannungsfeldes zwischen Prediger, Hörer und Bibeltext weit hinter die aktuellen, homiletischen Diskussionen zurück und auch die Potentiale für eine tatsächlich kreative Predigpraxis bleiben letztlich ungenutzt.

Fazit: „Einfach von Gott reden“ ist kein Lehr-, sondern ein Arbeitsbuch mit pietistischem Hintergrund. Wem das Umfeld sprachlich und theologisch nahe ist, wird in Lehmanns Buch zwar nicht viel Neues erfahren, aber sicherlich Anstöße und Anregungen bekommen, die eigene Predigtpraxis zu bedenken. Da das Buch wenig homiletisches und exegetisches Wissen voraussetzt, kann es sich auch gut für Prädikantinnen und Prädikanten eignen, die an ihrer Predigtpraxis arbeiten möchten; für sie dürften vor allem die praktischen Übungen interessant sein. Homiletisch erreicht das Buch allerdings nicht den aktuellen Diskussionsstand und wer Impulse für eine kreative Predigtvorbereitung und alternative Predigtformen sucht, wird schnell enttäuscht sein.

Christian Lehmann: Einfach von Gott reden. Liebevoll, praktisch und kreativ predigen. SCM R. Brockhaus, Witten, 2012. ISBN 978-3-417-26469-2| 13,95 € | 238 S.

Predigt und Kanzelrede

Sind die Wörter „Predigt“ und Kanzelrede“ eigentlich Synonyme? Wer in die Untertitel der beiden in diesem Jahr erschienenen Bücher „Präsent predigen“ und „Evangelische Predigtkultur“ schaut – beide mitherausgegeben von Alexander Deeg – könnte einen entsprechenden Eindruck gewinnen. Auch in diesem Jahr erschienen ist eine Sammlung von Predigten und Kanzelreden mit Herzen, Mund und Händen (herausgegeben von Kathrin Göring-Eckardt und Gerald Hagmann). Hier wird offenbar unterschieden.

Tatsächlich war im 19. Jahrhundert der Ausdruck „Kanzelrede“ im Sinne von Predigt durchaus verbreitet – wobei der Ausdruck zum Teil auch für Ansprachen im Gottesdienst verwendet wurde, die neben der eigentlichen Predigt gehalten wurden. Soweit ich das überblicke hat es eine wirklich scharfe Trennung nie gegeben. In den letzten Jahren hat sich aber ein bestimmter Wortgebrauch etabliert. Danach sind „Kanzelreden“ Reden auf der Kanzel von nicht-ordinierten Rednern, oft Politikern oder Künstlern.

Hintergrund ist das sogenannte Kanzelrecht, das in den unterschiedlichen Gliedkirchen der EKD zwar unterschiedliche gehandgabt wird, das aber einen Kern hat: Eine eigenständig erabeitete Predigt darf grundsätzlich nur von einer dazu von der Kirche ordinierten Person vorgetragen werden – das sind Pfarrerinnen und Pfarrer, sowie Prädikantinnen und Prädikanten. Soll ein nicht-ordinierter Gast in einem Gottesdienst predigen, bedarf es dazu der Zustimmung des Pfarrers oder des Presbyteriums/Kirchenvorstands (hier sind die Regelungen uneinheitlich). Statt von Predigt wird deshalb von Kanzelrede gesprochen. Diesem Wortgebrauch folgt der Band von Göring-Eckardt und Hagmann, der auf eine besondere Predigtreihe im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 in Bochum zurückgeht. (Für Notfälle, also wenn kein Pfarrer zum Gottesdient erscheinen kann, gibt es sog. Lesepredigten, die z.B. von einem Presbyter vorgetragen werden können.)

„Kanzelrede“ markiert den Ort, von dem aus geredet wird. Das macht Hans Martin Müller in seiner Homiletik deutlich, wenn er – im Rückgriff auf Schleiermacher – betont, dass die (monologische) Predigt auf der Kanzel eine bloß historisch bedingte Erscheinungsform und mithin die Kanzelrede nicht identisch mit der Predigt ist (S. 182f). In vielen Gemeinden wird gar nicht mehr oder nur in besonderen Situationen von der Kanzel geredet: Moderne Kommunikationstechnik macht die ursprünglich aus akkustischen Gründen errichteten Kanzeln eigentlich überflüssig. Es gibt sogar Kirchen, in den denen die Kanzel nur noch zu „Kanzelreden“ verwendet wird – also dann, wenn ein Gastredner spricht.

Die Kanzel ist natürlich ein wichtiger symbolischer Ort. Sie ist symbolischer Ort, weil sie zusammen mit Altar und Taufstein zu den Prinzipalstücken, die seit dem 17. Jahrhundert die meisten evangelische Chorräume prägen – meist am Chorbogen anbebracht. Während die anderen beiden Prinzipalien Abendmahl und Taufe repräsentieren steht die Kanzel für das Wort Gottes. Dabei wurde unterschieden zwischen dem Ambo als Ort der Lesung und der Kanzel aus Ort der vom Prediger zu verantwortenden Auslegung. Wegen dieser symbolischen Bedeutung bleibt die Kanzel in manchen Gemeinden ausschließlich Pfarrern und Prädikanten vorbehalten – Gastredner müssen an den Ambo oder eine besondere Redestelle ausweichen. Liturgisch ist eine solche theologische Überhöhung der Kanzel aber unsinnig.
Die Kanzel ist aber auch in negativer Hinsicht symbolischer Ort für ein pfarrherrliches „von oben herab“ und für ein umgangssprachliche gewordenes „abkanzeln“. Predigerinnen und Prediger nutzen deshalb seit den 1970er Jahren andere Predigtorte, vor allem um auf Augenhöhe mit der Gemeinde zu reden. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass es in vielen neueren Kirchen gar keine Kanzel mehr gibt, sondern nur noch einen Ort für Lesung und Predigt: Ambo und Kanzel verschmelzen gewissermaßen wieder, wie zur Zeit vor der Reformation.

Predigt und Kanzelrede sind also nicht synonym. „Kanzelrede“ kennzeichnet entweder eine Predigt durch den Ort, an dem sie gehalten wird oder sie kennzeichnet eine Rede auf der Kanzel von jemandem, der nicht qua Amt, sondern ausnahmsweise dazu beauftragt ist. Da sich letztes in der Vergangenheit als Sprachgebrauch etabliert hat, spricht manches dafür, den Begriff für solche Formen der Rede von Gastrednern in einer Kirche zu reservieren – selbst wenn es in der Kirche gar keine Kanzel gibt.