Notizen zu einer Theologie der Wahrnehmung

Für ein Pastoralkolleg auf Spiekeroog zur „Theologie der Wahrnehmung“ habe ich ein paar Notizen zusammengestellt. Unter der Überschrift „Kommt und seht“ ging es in dem Pastoralkolleg um eine Theologie, die in die Schule des Sehens geht. Aber auch wenn Seh-Sinn unsere Weltwahrnehmung deutlich dominiert ist „Sehen“ hier umfassender gemeint. „Notizen zu einer Theologie der Wahrnehmung“ weiterlesen

Mit Kunst predigen

Kunst kann in vielfältiger Weise in der Predigt vorkommen. Man kann über ein Kunstwerk predigen oder mit Hilfe eines Kunstwerkes. Man kann mit einem Kunstwerk in Dialog treten oder gegen ein Kunstwerk anpredigen. Man kann ein Kunstwerk auslegen vor dem Hintergrund der Biographie des Künstlers, der Entstehungszeit oder eines künstlerischen Kontextes. Man kann sich schwerpunktmäßig auf das Sujet beziehen, auf Motive oder Symbole. Man kann explizit religiöse Kunst auslegen oder Kunst, die auf den ersten Blick keine religiösen Bezüge aufweist. Man kann über offensichtliche religiöse Motive eines Kunstwerks predigen oder predigend nach verborgenen religiösen Spuren suchen. Man kann ein Kunstwerk in Beziehung setzen zu einem Bibeltext, zu einem Choral, zur eigenen Person, zum Kirchenraum oder es für sich selbst stehen lassen. Noch gar nicht angesprochen ist dabei, was überhaupt unter einem “Kunstwerk” zu verstehen ist und wie es mit Kunst aussieht, die kein „Werk“ vorzuweisen hat. Kurzum: Die Umgangsweisen mit Kunst in der Predigt sind unendlich. „Mit Kunst predigen“ weiterlesen

Notizen zur Kunst der Predigt

Die sieben freien Künster. Kolorierte Federzeichnung (wikimedia)

Ist Predigen eine Kunst? Martin Nicol und Alexander Deeg verstehen das „Predigtmachen als Kunst unter Künsten“ und die Predigt als „Kunstwerk mündlicher Kommunikation“. David Buttrick, dem Nicol und Deeg den für ihren Ansatz zentralen Moves-Begriff verdanken, schreibt hingegen: „preaching is not an art“. Dieser Widerspruch lässt sich quer durch die homiletischen Diskussionen verfolgen, wobei die meisten Homiletiker einer oberflächlichen Schätzung nach eher für den Kunstcharakter der Predigt votieren – entweder explizit, wie in Marcel Martins Rede von der „Predigt als offenem Kunstwerk“, oder implizit in Josuttis Zordnung der Predigt zur Rhetorik, also zu den artes liberales.

Ob Predigen eine Kunst ist oder nicht hängt davon ab, was unter Kunst zu verstehen ist. Leider äußern sich die wenigsten Homiletiker dazu. Buttrick konkretisiert beispielsweise, Predigen sei keine literarische Kunst, sondern Reden („Preaching is not literary art, it is speaking“). Reden im Sinne der Rhetorik gehört aber klassisch zu den sieben freien Künsten. Darauf scheinen Nicol und Deeg anzuspielen, wenn sie Predigt als „Kunst unter Künsten“ sehen. Auch eine lange Listen homiletischen Ansätze und ihres Kunstbezugs könnte die Frage nicht klären, ob Predigt nun Kunst ist oder nicht, denn in jedem einzelnen Fall müsste erst einmal geklärt werden, was denn hier jeweils unter „Kunst“ verstanden wird.

Es gibt das umstrittene Diktum, Kunst komme von Können. Hartnäckig hält sich das Gerücht, es stamme von Goebbels oder Hitler und stünde im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Kampagne gegen eine angeblich „entartete Kunst“. Die Formulierung findet sich aber schon bei Herder. Im Künstler fallen bei Herder Können und Kenntnis zusammen. Wer nur Kenntnisse hat, ist ein reiner Theoretiker, und wer nur kann, ist bloß Handwerker. Für Kunst braucht es nach Herder daher beides: Können und Kenntnis. Aber auch wenn Herders etymologische Herleitung der Kunst von Können durchaus richtig ist, lässt sich das Phänomen der Kunst dadurch nicht umfassend beschreiben. Sonst endet man tatsächlich schnell bei der Diagnose einer Kunst als „entartet“. Die Frage wäre dann: Was ist Kunst über Können und Kennen hinaus?

Vor ein paar Jahren hat Evelyn Finger in der ZEIT darüber geklagt, viele gegenwärtige Prediger hätten sich aus der „großen deutschen Tradition der geistlichen Kunstrede verabschiedet“. Sie nennt als Beispiele für diese Tradition unter anderem Meister Eckhart, Luther, Herder und Schleiermacher. Einerseits sah Finger das der akuten Zeitnot geschuldet, andererseits erkannte sie auch Probleme in neueren homiletischen Ansätzen, die –  wie sie polemisch zuspitzte – zu „rhetorisch aufgemotzt(en)“, an den darstellenden Künsten orientierten und als Event inszenierte Predigten anleiten würden, theologischen Tiefgang aber vermissen ließen. In Fingers Kritik läuft der Widerspruch von Predigt als Kunst und der Kritik an einer Predigt, die kunstvoll sein will, auf seltsame Weise zusammen, weil sie im gleichen Text offenbar mit unterschiedlichen Begriffen von Kunst operiert. Was die Predigt zur Kunst macht scheint bei Finger das Wahre und theologisch Bedeutsame zu sein.

Christoph Menke bestimmt Kunst über eine enge Verbindung zur Freiheit: Kunst bedeutet, sich frei machen zu können von der Bedingtheit menschlichen Existenz. Durch die Einbildungskraft ist der Mensch in der Lage frei Bilder aus sich heraus hervorzubringen. Religiös gewendet könnte man sagen: Kunst transzendiert das Diesseits, in dem der Künstler sich ein Jenseits dieser Welt und ihrer Bedingtheit schafft, allein aus der Kraft seiner Einbildung. Würde man Predigt in diesem Sinne als Kunst verstehen – ein für manche sicher blasphemischer und dennoch reizvoller Gedanke – wäre dies etwas völlig anderes, als das, was Nicol und Deeg behaupten und Buttrick bestreitet.

Ist Predigen eine Kunst? Die Auseinandersetzung mit der Frage ist ein Kampf mit der Hydra, denn mit jedem Versuch einer Klärung taucht ein neuer, ungeklärter Begriff auf: Können und Kenntnis, Wahrheit und Freiheit. Das Problem ist, dass kein einheitlicher Begriff von Kunst vorliegt. Wer sagt oder bestreitet, dass Predigt Kunst sei, muss also eigentlich immer dazu sagen, in welcher Hinsicht er von Kunst spricht. In einer lockeren Folge von Notizen will ich dem in Zukunft etwas nachgehen.