Schreibend denken

Darwin notiert seinen Einfall zur Evolutionstheorie
„I think“ – Darwin notiert seinen Einfall zur Evolutionstheorie

“Ich denke tatsächlich oft mit der Feder”, notierte Wittgenstein einmal. Er ist nicht der einzige, der den Zusammenhang von Schreiben und Denken so oder ähnlich beschreibt. In meiner eigenen Schreiberfahrung finde ich mich darin gut wieder. Ulrike Scheuermann hat diese Erfahrung als Konzept des Schreibdenkes für die Hochschuldidaktik ausgearbeitet. Sie beansprucht damit nicht, etwas völlig Neues in die Schreibdiskussion einzubringen, aber ihr Ansatz gibt gute methodische Hinweise zum Schreibprozess beim Verfassen nicht-fiktionaler Texte. Der Prozess lässt sich auch gut auf die Predigtvorbereitung übertragen.

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Dinge sammeln

Über das Sammeln schreibt Walter Kröber in „Kunst und Technik der geistigen Arbeit“: „Wir sammeln Verstreutes; das bekommen wir unregelmäßig. Das wird im Großen zusammengelegt, wir verzichten fürs erste auf (genauere) Ordnung im einzelnen, bewerten auch noch nicht gleich. Denn: Systematik (Ordnung) und Auswahl (nach Bewertung) ist schon eine höhere Stufe des Sammelns“. Die Technik und das Problem sind schön beschrieben. Die meisten Dinge, die unsere Aufmerksamkeit fesseln, tauchen unregelmäßig auf: E-Mails, Telefonanrufe, ein Predigteinfall, eine Konfi-Anfrage über Facebook, eine interessante Zeitungsmeldung, jemand, der einen Lebensmittelgutschein braucht … Am liebsten möchten alle diese Dinge sofort behandelt werden. Aber dann würde man sich total verzetteln. Also gilt es, die Dinge erstmal zu sammeln. Aus den Augen, aus dem Sinn – und trotzdem sicher verwahrt.

Sammeln ist das erste der insgesamt vier grundlegenden Handlungsmuster (neben Durcharbeiten, Planen und Handeln), die Leo Babauta in Zen to Done behandelt. Seine Empfehlung ist, die Vielzahl der Dinge, die auf uns einströmen, so zu kanalisieren, dass sie in möglichst wenigen Orten aufgefangen werden. Das kann zum Beispiel bedeuten, keine diffenzierte Ablage zu benutzen, sondern nur eine einzige Ablagebox, in der alles gesammelt wird, was herein kommt: Briefe, Liedzettel, Broschüren, Taufanfragen, Rechnungen, Zeitungsartikel … Die Frage, was wohin gehört, stellt sich zunächst einmal nicht. Ordnung und Bewertung sind „höhere Stufen des Sammelns“, wie Kröber sagt, und gehören zum Durcharbeitungsschritt.

Für das Sammeln an wenigen Eingangsorten gibt es drei gute Gründe: Erstens muss man nicht dauernd Entscheidungen treffen, was wohin gehört. So bleibt mehr Zeit und Konzentration für das, was man gerade tut. Zweitens muss man sich nicht alles merken, was gerade reinkommt und noch zu tun ist: man notiert es oder legt es an einer Stelle ab, ohne dauernd das Gefühl zu haben, was wichtiges zu vergessen. Drittens muss man nicht dauernd mehrere Orte kontrollieren, ob dort noch eine vergessene Aufgabe schlummert. Es ist übersichtlicher, und das entlastet.

Ein einfaches Beispiel, das im Prinzip jeder benutzt, ist der Anrufbeantworter oder die Mailbox: Das Telefonklingeln verlangt eine sofortige Reaktion. Ist man aber gerade in einem Trauergespräch, kann man nicht einfach ans Telefon gehen. Also stellt man das Telefon stumm oder aus. Nach dem Gespräch sieht man: es haben sich zwei Anrufe gesammelt (das Abrufen und Beantworten gehört bereits zum Schritt „Durcharbeiten“). Ähnliches gilt z.B. für E-Mails und Facebook. Statt sich dauernd über aktuell eingehende Mails etc. informieren zu lassen ist es besser, E-Mails oder Infos bei Facebook erstmal zu sammeln.

E-Mails stellen ein besonderes Problem dar. Hier hat mir Babautas Vorschlag geholfen, auf einfache Weise mit den vielen E-Mails umzugehen. Während ich mich früher damit beschäftigt habe, ein möglichst effizientes Filtersystem für E-Mails aufzubauen, dass die eingehenden Mails automatisch in bestimmte Unterordner lenkt, landen sie jetzt erstmal in den Eingangsordnern. Babautas Vorschlag, möglichst nur eine E-Mail-Adresse zu verwenden, setzte ich allerdings so nicht um. Thunderbird bietet mit den gruppierten Ordnern eine gute Möglichkeit, alle eingehenden Mails in einem Ordner zusammen zu sehen und trotzdem zu differenzieren. Ein ungelöstes Problem ist die dienstliche Groupwise-Adresse, für man sich extra über ein Web-Interface einloggen muss: die Mails lassen sich nicht automatisch weiterleiten und wegen der eingeschränkten Möglichkeiten von Groupwise (im Vergleich zu Thunderbird oder Outlook) eignet sich das System auch nicht als zentrale Sammelstelle. Eine Benachrichtigungsfunktion gibt es bei Groupwise auch nicht, so dass einem nichts anderes übrig bleibt, als in regelmäßigen Abständen das Konto manuell zu checken. Wie auch immer am Ende das persönliche E-Mail-System aussieht: Es sollte vor allem einfach und übersichtlich sein.

Schreibtischkladde

Eines der mächtigsten Instrumente zum Sammeln sind Notizbücher und Kladden. Auch hier gilt letztlich: lieber nur ein Notizbuch verwenden als ein ausdifferenziertes System. Natürlich kann man eine Vielzahl von Notitzbüchern verwenden, wenn die Zwecke klar sind: ein Tagebuch für persönliche Eintragungen, Arbeitsjournale für aktuelle Projekte etc. Darum geht es aber hier nicht. Ein Notizbuch hat die Funktion, schnell zur Hand zu sein, um zu notieren, was auch immer gerade ansteht, wo auch immer man sich befindet: ein Predigteinfall, ein zu erledigendes Telefonat, Notizen für ein Memo oder etwas für die Einkaufsliste. Neben einem kleinen Notizbuch benutze ich noch eine Schreibtischkladde. Das ist ein Buch im A5-Format, das aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegt und in dem ich z.B. beim Telefonieren Dinge notiere. Während ich früher kleine Notizzettel und Post-its gefüllt habe (und manchmal verzweifelt nach einer Notiz suchen musste) ist so alles an einem Ort versammelt. Mittlerweile hat sich die Schreibtischkladde zum zentralen To-Do-Buch entwickelt.

Schon diese kurze Zusammenstellung zeigt, wie fundamental das Sammeln ist. Wie auch immer man es umsetzt: Entscheidend ist der Vorschlag, die Dinge, die ankommen, an so wenigen Orten wie möglich zu sammeln. Damit ist noch keine Aufgabe erledigt, aber es dafür gesorgt, dass die Dinge erstmal aus dem Blick und aus dem Kopf sind – und am Sammlungsort sicher verwahrt sind, bis sie durchgearbeitet werden. Aber das ist dann der nächste Schritt.

Die Dinge händeln

Notizbücher
Notizbücher als Basis

Es ist eine berechtigte Frage, ob man Zeit managen kann. Vor einiger Zeit hieß es, es gehe eigentlich eher um Selbstmanagement. Und jüngst hat Zeitmanagement-Guru Lothar Seiwert sogar das Ende des Zeitmanagements ausgerufen. Seit Vikariatszeiten sehe ich die Zeitmanagement-Tipp-Produktion zwar kritisch, habe aber trotzdem versucht, für meinen Alltag davon zu lernen. Obwohl oft belächelt: Lothar Seiwert und Tiki Küstenmacher hatten mit ihrem Simplify-Konzept manche guten Ratschlag für mich parat. Aber es war kein funktionierendes System, sondern eine Sammlung guter Einzelhinweise.

Einen wirklich hilfreichen, systematischen Ansatz habe ich bei „Zen to done“ gefunden, ein Modell von Leo Babauta, das wiederum auf „Getting things done“ von David Allen beruht.

Die Vorteile von Zen to done (ZTD) sind:

  • es ist leicht zu verstehen
  • es ist kostengünstig
  • es lässt sich einfach an eigene Bedürfnisse anpassen

ZTD ist leicht zu verstehen: Es geht im Kern (Minimal ZTD) darum, sich vier Handlungsmuster anzugewöhnen, die so zusammenarbeiten, dass man seine Dinge gut händeln kann. Diese vier Handlungsmuster heißen Sammeln, Durcharbeiten, Planen und Handeln. Ich sammle Dinge u.a. in einem Notizbuch: Aufgaben, Einfälle, Besprechungsergebnisse. Zuhause arbeite ich die Notizen durch, in dem ich schaue, ob z.B. aus einem Eintrag eine Aufgabe für mich folgt, die zu erledigen ist. Sofern ich sie nicht gleich erledigen und abhaken kann, plane ich im Kalender, wann ich die Aufgabe angehe. Wenn es soweit ist, versuche ich, so konzentriert wie möglich mich nur dieser Aufgabe zu widmen und sie zügig zu erledigen.

ZTD ist kostengünstig: Das eBook „Zen to done“ kann man sich kostenlos bei imgriff.com in einer deutschen Übersetzung runterladen. Spezielle Werkzeug wie Mappen, Ordner oder spezielle Kalender braucht man nicht. Ich habe mit den Sachen, die ich Zuhause hatte, angefangen.

ZTD lässt sich leicht an eigene Bedürfnisse anpassen: Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass die Zeitmanagement-Ideen nicht meinem Arbeitsalltag entsprachen. Sie waren entweder sehr auf Büroabläufe fixiert oder auf die Bedürfnisse von Freiberuflern. Mit der pastoralen Praxis hat das oft wenig zu tun. Dazu kommen persönliche Vorlieben: Manche Sachen erledige ich am PC oder per PDA (mittlerweile Smartphone), manche Sachen handschriftlich. Es hängt von der Situation und manchmal auch nur von der Stimmung ab. Ich brauche da eine gewissen Flexibilität.

In meinen nächsten Posts, werde ich das System etwas detailiierter darstellen. Als nächstes stelle ich das Sammeln vor.

 

Überarbeitung und Zeitmanagement

Die Überarbeitung ist ein unverzichtbarer, aber zeitaufwändiger Teil des Schreibens. David M. Kaplan meint: „Überarbeiten heißt: denken und überdenken, tippen und neu tippen. Es heißt: zu viel Kaffee trinken und den verzweifelten Wunsch nach irgendeiner Ablenkung verspüren – telefonieren, den Briefträger in eine Gespräch verstricken, ein Buch lesen oder dem plötzlichen Heißhunger auf Croissants nachgeben.“ (Die Überarbeitung, S. 21) Was Kaplan hier beschreibt, nennt man überlicherweise Prokrastination oder Aufschieberitis. Wahrscheinlich ist das Überarbeiten neben der Recherche der zeitintensivste Teil des Schreibens.

Es wundert daher nicht, dass Sondra Wilson Predigtüberarbeitung und Zeitmanagement in einem Kapitel diskutiert (The Write Stuff, S. 103ff), das sie doppeldeutig mit „Time to Revise“ überschreibt: Es kommt eben nicht nur irgendwann die Zeit der Überarbeitung, sondern sie braucht auch Zeit. Das muss entsprechend organisiert werden. Wilson verweist darauf, dass einige Prediger als Zeitbedarf für die Predigtvorbereitung acht Stunden angeben. Und sie erwähnt Harry Fosdick, der sogar forderte, ein Prediger müsse für jede Minute auf der Kanzel eine Stunde Vorbereitungszeit kalkulieren. Dem stehen empirische Studien gegenüber, nach denen Pfarrerinnen und Pfarrern in der Vielfalt ihrer alltäglichen Aufgaben am Ende nur rund drei Stunden übrigbleiben, die sie in die Vorbereitung einer Predigt stecken (vgl. Präsent predigen, S. 116). Predigtvorbereitung, die auf die Phase der Überarbeitung nicht verzichten mag, braucht also ein System des Zeit- und Selbstmanagements.

Leider eignen sich viele Zeitmanagement-Modelle nicht für den Pfarralltag. Viele Ansätze scheinen für Freiberufler optimiert. Wilson gibt nur ein paar Tipps, die kaum als systematisches Modell durchgehen: Große Aufgaben lassen sich in kleinen, überschaubauen Einheiten besser bearbeiten; man darf nicht alles verplanen, sondern muss auch Ruhezeiten einhalten; und bei konkreten Aufgaben kann es helfen, sich mit der Eieruhr-Methode für einen definierten Zeitbereich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Das war’s schon und hilft nur begrenzt weiter. Ich will mal versuchen, in den nächsten Wochen mein Zeitmanagement zu reflektieren. Dass die Predigtvorbereitung dabei nur eine Rolle neben vielen anderen wichtigen Rollen spielt, liegt in der Natur des Pfarralltags.