Predigt — Schreibe oder Rede?
„Eine Rede ist keine Schreibe und eine Schreibe keine Rede“, sagt Georg Lukács. Und der Theologe schlussfolgert: Weil Predigt Rede ist, darf sie also keine Schreibe sein. Wer in der deutschen Homiletik nach Methoden des Predigtschreibens fragt, wird auf die zum Schlagwort reduzierte Aussage Lukács‘ verwiesen. Ende der Diskussion.
De facto ist Predigtarbeit aber in der Regel Schreibarbeit. Selbst wenn frei gepredigt wird, liegt der Rede meistens eine schriftliche Disposition zugrunde. Oft ist auch der Stichwortzettel die nachträgliche Reduktion einer mal mehr, mal weniger vollständigen, schriftlichen Ausarbeitung.
Statt die falsche Alternative von Rede oder Schreibe zu dogmatisieren – so hat es Lukács nämlich nicht gemeint -, wäre es angemessen, Homiletik an den Erfordernissen tatsächlicher Predigtentstehung zu orientieren. Man hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland vor allem den rhetorischen Aspekt des Predigens in den Blick genommen. Die gute und wichtige Entwicklung muss jetzt durch schriftstellerische Aspekte ergänzt werden. Ein Hilfsmittel kann das Kreative Schreiben sein.
Was ist Kreatives Schreiben?
„Kreatives Schreiben“ ist Schreiben mit Methode. Allerdings ist Kreatives Schreiben in Deutschland seit den 1970er Jahren zum Schlagwort für so viele Zusammenhänge und Zwecke geworden, dass es einer kurzen Erläuterung bedarf. Den Hintergrund bildet das pragmatische Konzept des „creative writing“, wie es sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA als Schreibunterricht für ’schreibende Berufe‘ (Journalisten, Schriftsteller etc) entwickelt hat. Es zählt heute zu den methodischen Grundlagen der universitären Ausbildung in den USA.
Nach Deutschland ist ‚creative writing‘ Anfang der 60er Jahre gelangt – und zunächst von Schriftstellern erprobt worden. Schon bald entwickelte sich daraus eine breitere „Schreibbewegung“, die jenseits von kommerziellen oder künstlerischen Verwertungsinteressen das Kreative Schreiben als Weg der Selbstfindung durch Selbstausdruck entdeckte. Die gegenwärtige Literaturlage changiert zwischen diesen beiden Polen: dem Versprechen, methodisch schreiben zu lernen, um beruflich – und vielleicht sogar als Schriftsteller – Erfolg zu haben und dem Versprechen, im kreativen Spiel mit Worten zu sich selbst zu finden.
Dabei ist der Begriff der Kreativität allerdings alles andere als eindeutig – wie das häufig bei Begriffen der Fall ist, die zwar in aller Munde sind, aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit aber alles und nichts bedeuten. Hartmut von Hentig hat sich in einem Essay kritisch mit den „hohen Erwartungen an einen schwachen Begriff“ der Kreativität auseinandergesetzt. Er kritisiert vor allem den Gedanken der Machbarkeit und der Instrumentalisierung von Kreativität und umreißt damgegenüber ein Konzept von Kreativität, das sich von Problemen zu ungewöhnlichen Lösungen mit Mut zum Risko anregen lässt – und zwar jenseits von schon wieder verzweckter ökonomischer Vernunft.
Von Hentigs polemische Analyse beschreibt einen Mangel in allen Kreativitätskonzepten, die schon wieder kreativ produzieren wollen, und durch diese Zwecksetzung einer freien, spielerischen, ungebundenen Tätigkeit Grenzen setzen. Sie betrifft daher auch das „Kreative Schreiben“. Um dem ein wenig entgegen zu kommen, plädiere ich dafür, die hohen Erwartungen an die Kreativität herunter zu holen und „Kreatives Schreiben“ in einem eingeschränkten Sinn zu verstehen und sich dazu an das pragmatische Creative-writing-Konzept anzulehen. Kreatives Schreiben wäre dann methodisch angeleitetes Schreiben.
Kreatives PredigtSchreiben
Für die Predigtarbeit könnte die Aufnahme pragmatischer Schreibtechniken hilfreich sein. Vor allem wenn Predigt mehr sein soll als ein auf Gemeindeebene ‚heruntergebrochener‘ exegetischer oder dogmatischer Vortrag. Predigen sollte ein schöpferischer, sprachprägender und Glaubensbilder formender Akt sein. Damit es das sein kann, sollten in der homiletischen Praxis Techniken des Kreativen Schreibens geprüft werden. Gute, d.h. hilfreiche Techniken können dann in das homiletische Methodenrepertoire aufgenommen werden.
So ein kreatives PredigtSchreiben nützt nicht jedem. Es ist vor allem für jene Predigerinnen und Prediger gedacht, die nicht durch einen kleinen Impuls schon vor Kreativität überschäumen. Es bietet ein methodisches Instrumentarium für jene, die sich mit dem Predigtschreiben plagen, an sich selbst und den eigenen Fähigkeit zweifeln und und angesichts der Predigteinfälle anderer nur noch mehr gehemmt sind, überhaupt noch ein Wort zu schreiben oder zu sagen.
Die Grundthese des Kreativen Schreibens ist: Schreiben ist lernbar. Das gilt für das kreative PredigtSchreiben auch.