Sozialethik und Konsensustheorie der Richtigkeit

Abstract: In dem Aufsatz wird der Versuch unternommen, eine diskusive, christliche Sozialethik zu skizzieren und darzulegen, warum die Diskursethik sich dafür als sozialethisches Verfahren anbietet. Im ersten Teil werden Grundlinien einer christlichen Sozialethik (orientiert an Wendland und Honecker) aufgezeigt und das diskursethische Verfahren vorgestellt. Im zweiten Teil wird danach gefragt, wie eine christliche Sozialethik aussehen würde, die sich nicht an Fragen des „guten Lebens“, sondern am verfahrensethischen Paradigma der Richtigkeit orientiert.

1. Einleitung

„Zu allen Zeiten ist viele und gute Moral gepredigt worden;“ schreibt Schopenhauer (1987, 469), „aber die Begründung derselben hat stets im Argen gelegen.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es gibt nicht nur kein allgemein anerkanntes Begründungsmodell für moralisch „gute“ oder „richtige“ Handlungen, sondern schon die Explikation eines möglichst allgemeinen Begriffs von Moral oder von Ethik gestaltet sich schwierig, da jede Begriffsexplikation bereits Ausdruck eines bestimmten ethischen oder moralischen Programms ist. Eine Grunddifferenz ethischer Argumentation taucht bereits in der antiken Ethik zwischen Platon und seinem Schüler Aristoteles auf: Lassen sich moralische Handlungsregeln im Rekurs auf eine universell gültige Theorie des Guten begründen oder ist der Begriff des Guten bereits an eine sich in Traditionen und Institutionen einer Gesellschaft äußernde „gute Praxis“ gebunden? Folgt man Schwemmer (1980a), dann ziehen sich diese beiden Positionen zusammen mit der epikureischen und stoischen Ethik durch die gesamte Geschichte der abendländischen Ethik. Wenn diese ausgesprochen oberflächlichen Charakterisierungen auch nicht im entferntesten ausreichen, den jeweiligen ethischen Modellen gerecht zu werden, so eignen sie sich zumindest zum Teil zur Systematisierung ethischer Ansätze und lassen sich bis in die gegenwärtige Debatte verfolgen. Kant wäre demnach der platonischen Linie zuzuschreiben, Hegel der aristotelischen, und in deren Gefolge auf der kantischen Seite kognitivistisch-formalistische Ethiken, wie sie Rawls, Schwemmer/Lorenzen, Apel und Habermas vertreten und auf der hegelschen Seite kommunitaristische und neuaristotelische Positionen ebenso wie vernunftkritische Ethiken in der Neueren Französischen Philosophie.

Ein ähnliches Problem stellt sich bei dem Versuch, anzugeben was Sozialethik ist. Waren bei Aristoteles noch beide – heute so genannten – Bereiche von Individual- und Sozialethik untrennbar miteinander verbunden, weil der Mensch in der griechischen Polis immer schon in Gemeinschaft gedacht ist, so ist spätestens bei Kant ein Höhepunkt der ethisch-moralischen Verinnerlichung und damit Individualisierung erreicht: Das aufklärerische Freiheitsideal versteht den Menschen – anders als Aristoteles – als autonomes Subjekt. Daß eine Trennung in Sozial- und Individualethik tatsächlich sinnvoll ist, ist zu Recht bestritten worden. Trotzdem ist Ethik nicht gleich Sozialethik, wenn auch jede Ethik immer mit der Gegenwart eines anderen rechnet.

Die letzte größere Schwierigkeit besteht schließlich in der Frage nach dem Verhältnis von allgemeiner (philosophischer) und theologischer Ethik. Die Rückbindung von Moralität und Ethik an die Religion ist ebenfalls schon in der Antike problematisiert worden, z.B. wenn in Platons „Euthyphron“ Sokrates die Frage aufwirft, ob das Gute deshalb gut ist, weil es die Götter lieben oder ob die Götter das Gute lieben, weil es gut ist. Ich werde zunächst zum ersten und zum dritten Problembereich ein paar erläuternde Vorbemerkungen machen.

1) Einige begriffliche Vorklärungen

Die Tatsache, daß ein einheitliches Begriffsinstrumentarium im Bereich ethischer und moralischer Theoriebildung nicht zur Verfügung steht, wird in dieser Arbeit dort zum Problem, wo das Vorhaben, die Diskursethik als sozialethisches Normbegründungsverfahren probeweise einzuführen, angesichts der notwendigen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansätzen zu einem terminologischen Chaos führt. So nimmt Habermas den Aristotelischen Ethikbegriff auf, wenn er schreibt, die (klassische) Ethik behandele Fragen des guten Lebens und sei letztlich auf eine egozentrische Perspektive verengt. Der Unterschied zwischen ethischen und moralischen Fragen läßt sich bei Habermas auf die knappe Formel bringen, daß erstere lauten „Was soll ich tun?“, während zweitere betonen „Was soll man tun?“. Moralisches Fragen ist darum Fragen nach Normen, die dadurch bestimmt sind, daß sie allgemein gültige Handlungsregeln ausdrücken. Insofern meint Habermas (1992, 7), sei die Diskursethik korrekter als eine „Diskurstheorie der Moral“ zu bestimmen, da sie ein Verfahren zur Prüfung der Allgemeingültigkeit von Handlungsnormen darstellt. Er hält trotzdem an dem Begriff fest, da sich dieser bereits eingebürgert habe.

Auch Trutz Rendtorff nimmt den aristotelischen Begriff auf, wenn er Ethik definiert als „Theorie der menschlichen Lebensführung, welche die durch den Menschen nicht nur zu befolgende, sondern auch zu bestimmende ethische Verbindlichkeit des richtigen und guten Lebens in gegenseitiger Anerkennung der in der Kommunikation miteinander verbundenen Subjekte zum Thema hat“ (Rendtorff, 1990, 31). Im Schlußteil der Begriffsbestimmung bezieht sich Rendtorff explizit auf Habermas und Apel und vermischt so den Begriff der Ethik, den Habermas kritisiert, mit dem Bereich des Moralischen, um den es Habermas geht. Die Diskursethik wird durch Rendtorffs Handhabung zum stumpfen Messer, das das „Gute“ und das „Gerechte“ nicht sauber zerschneidet, sondern zerreißt.

Bei Wendland schließlich fällt das, was bei Habermas „Ethik“ heißt, unter den Begriff der Individualethik (Wendland, 1971, 7), während „Ethik“ von den „Forderungen an das menschliche Handeln und Wegweisungen für das Verhalten des Menschen in der Gesellschaft“ spricht (ebd., 15). Damit ist zwar eine Ethik als Theorie des guten (individuellen) Lebens ausgeschlossen, für Habermas bliebe diese Fragestellung aber zu sehr personalistisch. Zudem ist der Begriff des Moralischen bei Wendland unterbestimmt.

Notwendig wäre also für die erforderlichen Rekonstruktionen eine semantische Propädeutik, die ich an dieser Stelle aber nicht durchführen kann. Ich werde deshalb einige Begriffsbestimmungen vorschlagen, die eher gesetzt als begründet sind. Trotzdem beanspruche ich mit den vorgeschlagenen Begriffsbestimmungen so etwas wie einen common sense in philosophischen wie theologischen Ethik- und Moraldiskussionen wiederzugeben, in dem die Begriffe in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt sind, ohne abgeschlossene Termini zu sein.

a) Ethik, Moral und Moralität. Eine erste wichtige und von Habermas so nicht gemachte Differenzierung betrifft die Begriffe „Moral“, „Moralität“ und das Adjektiv „moralisch“. Unter „Moral“ verstehe ich eine qua Erziehung intuitive resp. vortheoretische Unterscheidung von Handlungen in gute und schlechte oder richtige und falsche. „Intuitiv qua Erziehung“ nenne ich die Unterscheidung deshalb, weil Empfindungen der Moral nicht angeboren sondern anerzogen und damit kulturell bedingt sind. „Moralität“ bezeichnet dagegen einen kritischen Umgang mit den Ansprüchen der Moral, indem sie für die Fähigkeit steht, die in der Moral überkommenen Handlungsanweisungen wiederum zu beurteilen. Der Begriff „Moral“ bei Habermas entspricht dem hier verwendeten Begriff der Moralität. Das Adjektiv moralisch wiederum bezieht sich auf „Moralität“; ein der „Moral“ entsprechendes Adjektiv werde ich in dieser Arbeit nicht verwenden. Beide Begriffe verweisen aufeinander, insofern ein selbstbestimmtes moralisches Urteilen wiederum Eingang finden kann in den Set von Handlungsanweisungen, zu deren Einhaltung beispielsweise ein Kind angewiesen wird.

„Ethik“ läßt sich so bestimmen als die theoretische Auseinandersetzung mit Handlungen und Handlungsanweisungen von moralischer Relevanz. Gegenstand ethischer Reflexion sind somit sowohl Moral als auch Moralität. Darum, weil Ethik sich mit Handlungen und Handlungsanweisungen beschäftigt, ist sie nicht Handlungstheorie, sondern sie setzt vielmehr einen Begriff von Handlung bereits voraus. Ein wichtiges Charakteristikum von Handlungen ist, daß Handlungen Tätigkeiten sind, zu deren Tun aber auch Unterlassen jemand angewiesen oder aufgefordert werden kann.

b) Handlungsanweisungen, Handlungsregeln und Normen. Die Aufforderung zum Tun oder Unterlassen einer Handlung geschieht durch Handlungsanweisungen oder in der Gestalt von Geboten (du sollst), Verboten (du sollst nicht) oder Erlaubnissen (du darfst). Handlungsanweisungen sind in diesem Fall also Aufforderungen zum Tun oder Unterlassen in konkreten Situationen. Aus Handlungsanweisungen werden Regeln, wenn sie kasuistisch eingebunden werden, z.B. in der Form „Immer wenn a, dann sollst du/ sollst du nicht/ darfst du b.“ Normen schließlich sind Handlungsanweisungen und -regeln, die allgemeine Gültigkeit oder Verbindlichkeit beanspruchen können, d.h. wenn aus dem je persönlichen und konkreten du ein allgemeines man wird: „Für alle gilt: …“.

2) Zum Verhältnis von theologischer und philosophischer Ethik

Wenn Ethik verstanden wird als Theorie der Handlungen und Handlungsanweisungen von moralischer Relevanz, hängt der jeweils theologische oder philosophische Zugang zu Fragen der Ethik ab von dem Begriff der Moralität. Und – das ist vor allem im katholischen Bereich gesehen und diskutiert worden – der Begriff der Moralität ist insofern für eine theologische Ethik schwierig, als er eng mit dem Begriff der Autonomie zusammenhängt.

Ethik, wie sie hier verstanden wird, hat mindestens zwei Untersuchungsfelder, a) die Klärung der Bedingungen für moralische Handlungen, b) die Begründung moralischer Handlungsanweisungen, -regeln und -normen. Diesen beiden Aufgaben kann auch eine theologische Ethik sich nicht entziehen. Eine theologische Ethik, die ihren Gegenstand aber nur auf den Bereich heteronomer Moral begrenzt, indem sie z.B. in Klärungs- und Begründungsdiskussionen auf den Willen Gottes als verbindliche Autorität verweist, grenzt sich aus all den gesellschaftlichen Diskussionen aus, in denen der Rekurs auf die göttliche Legitimierungsinstanz als unvollständige wenn nicht gar ungültige Argumention angesehen wird.

Fasse ich das bisher Ausgeführte zusammen, so ergibt sich für den hier vorgeschlagenen Begriff der Ethik, daß er vorrangig methodologisch und somit formal verstanden wird. Gegenstand ethischer Überlegungen sind Moral und Moralität. Eine Trennung von philosophischer und theologischer Ethik erscheint mir dann als problematisch, wenn diese Trennung die Methoden und Gegenstände miteinbezieht. Ich werde „Ethik“ deshalb als Oberbegriff verwenden, unter den theologische wie philosophische Ethik als Spezialformen subsumiert sind. Das heißt, Methoden und Gegenstände werden geteilt, theologische, philosophische aber auch z.B. medizinische Ethiker unterscheiden sich aber durch die je eigene Perspektive, von der aus sie ethische Probleme betrachten.

TEIL I

2. Überlegungen zur Konzeption christlicher Sozialethik

Auf eines der in der Einleitung konstatierten Probleme bin ich nicht eingegangen: Was ist unter Sozialethik zu verstehen? So schwierig es ist, einen allgemeinen Begriff von Ethik zu explizieren, so schwierig ist es, den Begriff der Sozialethik zu bestimmen. Auch die Einschränkung durch Adjektive wie „evangelisch“, „katholisch“, „christlich“ oder „theologisch“ hilft nicht weiter. Mein Vorhaben, Habermas‘ Konzept einer Diskursethik als Grundlage einer „evangelischen“ Sozialethik probeweise einzuführen, kann darum nicht darin bestehen, die Diskurstheorie der Moral in einen bestehenden Entwurf einzubauen. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Frage muß deshalb lauten: Wie sähe eine Sozialethik aus, der ein diskurs- und konsenstheoretisches Verständnis von Moral, Moralität und der Begründung von Richtigkeitsansprüchen zugrunde liegt?

1) Die relative Eigenständigkeit einer Sozialethik

Diese Fragestellung berührt bereits ein grundlegendes Problem: Evangelische Sozialethik als universitäres Unternehmen scheint sich – betrachtet man die Veröffentlichungen der letzten Jahre – vor allem mit Anwendungsfragen zu beschäftigen, während die Diskursethik ein Begründungsprogramm für Fragen der Moralität vorlegt, das Fragen der Anwendung weitgehend ausschließt. Dem formalen Vorgang der Dekontextualisierung von Handlungsnormen in Begründungsdiskursen muß sicherlich eine Rekontextualisierung in Form von Anwendungsdiskursen folgen. Aber eine Sozialethik, die nicht bloße Anwendungs- und Situationsethik sein will – und daß sie das nicht will, ist eine Voraussetzung dieser Arbeit – muß in irgendeiner Form auf begründete resp. begründbare Normen zurückgreifen können. Theologen als Ethiktreibende beschäftigen sich mit Handlungen und Handlungsanweisungen in moralisch relevanten Kontexten, und sie tun dies, indem sie zum einen die Bedingungen und Möglichkeiten moralischen Handelns klären, zum anderen die Begründbarkeit von Handlungsanweisungen untersuchen. Wenn damit eine theologische Ethik umrissen sein soll, bleibt dann der Sozialethik nur noch die Rolle als Situations- und Anwendungsethik?

Bestimmungen des Begriffs „Sozialethik“ enthalten für gewöhnlich zwei Aspekte: Einerseits weisen sie abgrenzend auf den Gegenbegriff der Individual- oder Personalethik hin, andererseits bestimmen sie den Gegenstandsbereich als den der Handlungen in sozialen Kontexten. Nun sind aber alle moralisch relevanten Handlungen des Menschen als eines zoon politikon Handlungen in sozialen Kontexten. Zur Unterscheidung hat es deshalb von verschiedenen Seiten den Vorschlag gegeben, Individualethik als die Theorie zu verstehen, die moralisch relevante Handlungen als personale Handlungen betrachtet, während Sozialethik die Theorie ist, die moralisch relevante Handlungen als Handlungen in Institutionen und Ordnungen einerseits, andererseits als Handlungen gegenüber Institutionen und Ordnungen begreift. Auch hier tut sich aber das Problem auf, wie denn moralisch relevante Handlungen als Handlungen eines einzelnen zu verstehen sind, wenn doch sowohl der Begriff der Moral als auch der der Moralität abhängen von normativen Erwartungen, die per definitionem Erwartungen einer Gesellschaft oder Gemeinschaft sind.

Das hier angerissene Problem findet seinen begrifflichen Ausdruck in der von Hegel gegen Kant geltend gemachten Unterscheidung von „Moralität“ und „Sittlichkeit“. Kern dieses Einwands, mit dem auch Habermas sich auseinandersetzt und der weiter unten noch einmal aufgeriffen werden muß, ist, daß die subjektive Ausrichtung des Moralitätsbegriffs bei Kant zu personalen pflichten- und gesinnungsethischen Implikationen führt, die zum einen die sittliche Verfasstheit (als Sittlichkeit) einer Gesellschaft, wie sie sich in Institutionen und Ordnungen äußert, in den Bereich äußerer Legalität verschiebt (Verrechtlichung) und zum anderen den Umstand einer schon immer normativ geladenen Lebenswelt ignoriert.

Wie weit die Einwände Hegels gegen Kant resp. die Einwände von Ethikern, die sich an Hegel orientieren, gegen Ethiken des kantischen Typs berechtigt sind, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Es lassen sich für den weiteren Gang der Untersuchung aber schon zwei Forderungen an eine evangelische Sozialethik aufstellen: 1. kann eine Sozialethik, sofern sie Sozialethik sein will, in ihrer Theoriebildung die Situation des sozialen Kontextes, in dem Handlungen und Handlungsanweisungen angesiedelt sind und in der immer schon Normen, Institutionen und dadurch normative Erwartungen vorhanden sind, nicht außer acht lassen. 2. muß eine Sozialethik, sofern sie Sozialethik sein will, Handlungen und Handlungsanweisungen auf ihre moralische Relevanz hin untersuchen können.

ad 1) Heinz-Dietrich Wendland kommt das Verdienst zu, die Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften für die Sozialethik aufgewiesen zu haben. Für ihn bildet die „kritische Analyse der faktischen, gesellschaftlichen Verhältnisse“ geradezu eine „Voraussetzung“ für eine Sozialethik in der modernen Gesellschaft (Wendland, 1971, 6). Wenn auch das universal-eschatologische Gesamtprojekt seiner „Theologie der Gesellschaft“ mit der zentralen Ausrichtung auf den Reich-Gottes-Gedanken so heute nicht mehr vermittelbar ist, so bleibt die Erkenntnis nach wie vor wichtig, daß Sozialethik angewiesen ist auf sozialwissenschaftliche Forschung, um sensibel sein zu können gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen, aber auch um einen Maßstab für eine sozialethische Selbstkritik zu haben. Zu dieser Analyse der gesellschaftlichen Realität gehören einerseits Phänomene wie Industrialisierung und Veränderungen in gesellschaftlichen Organisationsstrukturen, andererseits die manchmal unter der Bezeichnung „sozialer Wandel“ zusammengefassten Veränderungen in den normativen und institutionellen Vorstellungen und Erwartungen einer Gesellschaft. Wendland weist darauf hin, daß es viele Aspekte der modernen Gesellschaft in der Geschichte der Kirche gar nicht gegeben hat und sich viele traditionelle (sozial-)ethische Konzepte in anderen gesellschaftlichen Strukturen entwickelt haben.

ad 2) Bei dieser Gesellschaftsanalyse, die notwendig erst einmal deskriptiv und empirisch verfahren muß, kann Sozialethik natürlich nicht stehen bleiben. Als Ethik muß sie darum Kriterien entwickeln, wie die beobachteten Phänomene bewertet werden können. Diese Kriterien können nicht dergestalt sein, daß sie sich ausbilden durch Anpassung an die konkrete Sittlichkeit einer Gesellschaft, denn dies würde bedeuten, daß die Sittlichkeit selbst einer Kritik enthoben ist. Dies führt wieder in das Dilemma der Hegelschen Kantkritik: Es ist ein Kriterium notwendig von außerhalb der konkreten Sittlichkeit, aber jedes Kriterium wie Humanität oder Gerechtigkeit hängt bereits von normativen Setzungen ab, wie sie bereits in einer Gesellschaft gegeben sind. Das universalistische kantische Moralprinzip ist zwar nicht in der gleichen Weise abhängig von faktischen Normen wie ein Gerechtigkeitsprinzip, aber in seiner ihm unterstellten Tendenz, die konkrete Sittlichkeit zu übersehen, bedarf es einer Überarbeitung, die den Hegelschen Einwänden zumindest Rechnung trägt. Habermas schlägt mit seiner Fassung eines Universalisierungsgrundsatzes eine solche Überarbeitung vor. Es wird zu prüfen sein, ob dieser Grundsatz einen Ausweg aus dem angedeuteten Dilemma zeigen kann.

Eine Sozialethik, die beiden Forderungen genügt, kann m.E. eine relative Eigenständigkeit, besonders im Rahmen universitärer Theologie, beanspruchen. Relativ ist diese Eigenständigkeit, weil Sozialethik von zahlreichen weiteren Disziplinen und deren Theorien und Methoden abhängig ist, mit deren Hilfe sie ihre eigene Begrifflichkeit entwickeln kann. Die Situation der Sozialethik ist vergleichbar mit der der Praktischen Theologie, die sich inzwischen von einer Anwendungsdisziplin zu einem eigenständigen Bereich innerhalb des theologischen Fächerkanons emanzipiert hat. Die Sozialethik ist damit aber auch ein Beispiel für die Notwendigkeit der Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Arbeit. Dieser Ausdifferenzierungsprozeß ist in der katholischen Kirche wesentlich weiter gediehen als in der evangelischen, was zum Großteil historisch bedingt ist durch die andere Organisation des Fächerkanons.

2) Evangelische oder christliche Sozialethik?

Dabei ist der Umgang evangelischer Theologen mit katholischen Entwürfen meistens von Vorurteilen bestimmt, die nur zum Teil berechtigt sind. Einerseits hält man der katholischen Moraltheologie eine zu starke Ausrichtung an naturrechtlichen Argumentationen vor, andererseits wird die hierarchische Ausrichtung kritisiert, in der die Kirche den Gläubigen eine verbindliche Morallehre vorlegt, die sie zu akzeptieren haben. Allerdings wird dabei übersehen, daß die ausgereifte Diskussion um eine Grundlegung der Sozialethik und ihrer Theoriebildung interessante Ansätze entwickelt hat, die auch für die Evangelische Theologie eine Bereicherung darstellen könnte. Dies gilt vor allem für Konzeptionen, in denen die katholische Sozialethik Impulse aus der lateinamerikanischen Befreiungstheologie aufnimmt, zum anderen sich explizit bezieht auf die Habermassche Gesellschaftstheorie und der in diesem Kontext entwickelten Diskursethik. Im Rekurs auf die Diskursethik wird die naturrechtliche Argumentation aufgeweicht und mit einem kommunikativen Begründungsdiskurs erweitert. Daß eine streng hierarchische Ausrichtung mit der Diskursethik nahezu unvereinbar ist, wird im Laufe meiner Arbeit deutlich werden.

Angesichts der Tatsache, daß viele Problemfelder der Sozialethik übernationalen Charakter haben, forderte bereits Wendland (1971, 15): „Auch müssen, was die christliche Sozialethik anbetrifft, die landes- und nationalkirchlichen Grenzen des christlichen Denkens durchstoßen werden, und sie muß ökumenischen Charakter annehmen.“ Daß Phänomene wie Umweltverschmutzung, „Unterentwicklung“ der sog. Dritten Welt, Informationstechnologien, Gewalt gegen Frauen, Arbeitslosigkeit und Waffenexporte heute nicht mehr Angelegenheiten von einzelnen Staaten sind, sondern unter einer globalen, überstaatlichen Perspektive behandelt werden müssen, ist in der Gesellschaft heute wesentlich stärker bewußt als vor 20-30 Jahren. Parallel zu diesem wachsenden Problembewußtsein schwindet die Bedeutung der Kirchen wie die Akzeptanz christlich motivierter Argumentationen. In der Notwendigkeit, sozialethische Argumentationen in der modernen säkularen Gesellschaft verständlich zu machen, stehen die protestantischen Kirchen und ihre Gemeinden nicht allein. Weshalb also sollten Christen unterschiedlicher Konfessionen nicht im Dialog miteinander ihre Positionen formulieren? Ich werde deshalb im folgenden statt von evangelischer von christlicher Sozialethik sprechen.

3) Zur christlichen Sozialethik

Was ich bisher zur Konzeption einer christlichen Sozialethik gesagt habe, trifft m.E. für alle Sozialethik zu. Es ist deshalb, bevor ich das Modell der Diskursethik vorstelle, noch darauf einzugehen, was Sozialethik zu einer christlichen Sozialethik macht. Ich greife dazu zunächst auf Vorschläge Wendlands und Honeckers zurück.

Bei Wendland ist die Leitidee christlicher Sozialethik ein „christlicher Humanismus“ (Wendland, 1971, 17ff), der sich vom Humanismus bürgerlicher oder sozialistisch-marxistischer Provenienz dadurch unterscheidet, daß nicht das autonome Subjekt einer utopischen Idealgesellschaft nachjagt, sondern daß Christen, orientiert an den Glaubensartikeln Glaube, Liebe, Hoffnung, in „tätige[r], d.h. dem Menschen dienende[r] Erwartung des Reiches Gottes als der endgültigen Befreiung des Menschen“ handeln (ebd., 25). Der christliche Humanismus ist zugleich realistisch und kritisch, weil er die Situation des Menschen mitbedenkt, der in all seinen profan-humanistischen Bemühungen die Entfremdung von Gott nicht zu überwinden vermag.

Für Honecker trifft die evangelische Sozialethik – in ähnlicher Weise, wie ich es oben dargelegt habe – in ihrem Anliegen zusammen mit einer kritischen Gesellschaftstheorie und Sozialphilosophie. Sie unterscheidet sich aber von der profanen Gesellschaftskritik durch ihren „Bezug auf die Praxis christlicher Gemeinschaft in der Gesellschaft“ (Honecker, 1971, 192), nämlich indem sie Bezug nimmt auf einen „Raum der Kommunikation“ (ebd., 54), in dem die christliche Gemeinde zusammengerufen ist. Die in diese Praxis begründete Sozialethik ist insofern „Sozialethik für die Gesellschaft“ (Wendland), als sie sich im gesellschaftlichen Handeln von Christen gründet. Honeckers Ansatz unterscheidet sich aber von dem Wendlands dadurch, daß Honecker differenziert zwischen einer durch die argumentierende Vernunft vermittelbare Begründung der Sozialethik als einem theoretischen Projekt und der Motivation zu einer christlichen Praxis. Die Reich-Gottes-Idee hat für Honecker motivierende Kraft; Motive sind aber nicht evident, sondern lassen sich allein an der Praxis deuten. Die Universalität von Handlungsanweisungen für Christen wie Nicht-Christen in der säkularen Gesellschaft muß dagegen über die praktische Vernunft aufgewiesen werden.

Beide Konzepte bergen in ihrer je eigenen Orientierung am Paradigma vom Gottesreich Probleme. Das erste Problem, das sich aus Wendlands Ansatz ergeben könnte, besteht darin, daß das Gottesreich zum Ziel des eigenen Handelns werden kann und der Mensch in der Aufgabe steht, die Verwirklichung des schon angebrochenen Gottesreiches herbeizuführen. Das andere Problem, verbunden mit dem Konzept Honeckers, kann tendenziell zu einer dualistisch verkürzten Vorstellung von Gottesreich und weltlicher Herrschaft führen. Um das Bild vom Reich Gottes als spezifisches Element der Rechtfertigung theologischer (Sozial-) Ethik zu retten, müßte gegen die skizzierte Gefahr einer schöpfungstheologischen oder dualistischen Verkürzung der Verheißungscharakter der Botschaft vom Gottesreich betont werden. Sonst besteht die Möglichkeit, wie Rendtorff (1990, 180) vermutet, daß „die Eschatologie nicht zur theologischen Rechtfertigung der Ethik (dient), sondern … selbst unmittelbar an die Stelle von Ethik (tritt).“ Für die „Praxis christlicher Gemeinde in der Gesellschaft“ bedeutet dies, auf den Unterschied von „darstellendem“ und „herstellendem“ Handeln hinzuweisen. Es kann nicht darum gehen, daß die christliche Gemeinde durch ihr Handeln das Reich Gottes herstellt, sondern in ihrem Handeln stellt sie den Glauben an die Verheißung dar. In diesem Sinne verstehe ich auch Honeckers Position: Glaube ist (wie Wissen auch) ein dispositionaler Begriff, dessen Gegenstände zwar in Bekenntnisformeln, Lehrsätzen etc. abfragbar sind, dessen Handlungsrelevanz aber erst in der konkreten Praxis sich erweist.

In welcher Weise Sätzen des Glaubens, d.h. Sätzen des biblischen Kanon und der kirchlichen Tradition, Handlungsrelevanz zukommt, ist damit aber noch nicht ausgesagt. Weder aus dem biblischen Text noch aus dem reichen Fundus der Tradition lassen sich Handlungsanweisungen von moralischer Relevanz direkt entnehmen, will man nicht in biblizistischer oder traditionalistischer Ignoranz sowohl von den Kontexten der Enstehung überkommener Handlungsanweisungen als auch von den Grundlagen und Bedingungen gegenwärtiger Handlungskonflikte absehen. Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen befindet sich darum immer in der Situation, sich über Sätze der Glaubens und ihrer Relevanz für eine christliche Praxis zu verständigen. Christliche Sozialethik wird darum dieses Bild von Kirche als Kommunikationsgemeinschaft in ihrer Theoriebildung aufnehmen müssen.

3. Die Diskursethik im Kontext der Theorie kommunikativen Handelns

Die Diskursethik, wie sie Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel in weiten Teilen gemeinsam entwickelt haben und verstehen, steht für ein Verfahren zur Durchführung praktischer Diskurse, das die „Prüfung der Gültigkeit vorgeschlagener und hypothetisch erwogener Normen“ (Habermas, 1983a, 113) regeln soll. Als solche stellt sie ein Beispiel einer sich explizit auf Kant beziehenden formalen Verfahrensethik dar. Der als Moralprinzip fungierende kantische Kategorische Imperativ wird dabei aufgegriffen und diskursethisch so rekonstruiert, daß die ein allgemeines Wollen ausdrückende Maxime des eigenen Handelns nicht im monologischen Selbsttest oder in einer Expertenrunde als möglicherweise allgemein gewollt überprüft wird, sondern allen möglicherweise Betroffenen zur diskursiven Prüfung vorgelegt werden muß. Erst dann und im Fall einer einvernehmlichen Verständigung kann eine Norm universale Gültigkeit beanspruchen.

Bevor ich den Universalisierungsgrundsatz und den diskursethischen Grundsatz erläutere, will ich auf einige Begriffe eingehen, die dem diskursethischen Entwurf als einer Diskurstheorie der Moral vorausgehen und sie im Kontext der Theorie kommunikativen Handelns verorten. Ich werde zunächst auf den Begriff des kommunikativen Handelns eingehen und dann die Grundannahmen zur Argumentationslogik und zur Analogie von Wahrheits- und Richtigkeitsansprüchen behandeln.

1) Einleitende Erläuterungen zur Diskursethik

(a) Zum Begriff des kommunikativen Handelns

Eine soziologische Handlungstheorie, wie Habermas sie seiner Theorie kommunikativen Handelns zugrundelegt, unterscheidet sich s. E. in drei Punkten von philosophischen Handlungstheorien: 1. lassen sich Handlungen als Realisierungen von Handlungsplänen verstehen, in denen sich Aktoren auf die Deutung von Situationen stützen, 2. verfügen die Aktoren über ein Wissen mit propositionaler Struktur, in denen sich die Situationsdeutung äußern läßt und 3. muß sich dieses Wissen der Aktoren in einigen Bereichen überlappen. Insofern Handlungen Realisierungen von Handlungsplänen sind, sind sie teleologisch orientiert, und zwar auf mindestens zwei Ziele hin: den Erfolg und die Verständigung. Beide Ziele schließen einander aus. Dabei ist zu ergänzen, daß Erfolgsorientierung nicht die gelingende Realisierung eines Handlungsplanes meint, denn natürlich sollen auch verständigungsorientierte Handlungen gelingen. Vielmehr meint „erfolgsorientiert“ jene Realisierungen, in denen ein Aktor unter Absehung der Interessen und Bedürfnisse anderer handelt. In verständigungsorientierten Handlungen versuchen die Aktoren dagegen, ihre Handlungspläne einvernehmlich zu koordinieren. Daraus ergibt sich für soziale Handlungen als Handlungen, in deren Kontext mindestens zwei Personen vorkommen, daß erfolgsorientierte Realisierungen als strategische, verständigungsorientierte als kommunikative Handlungen bezeichnet werden. In kommunikativen Handlungen bemißt sich „das jeweils erzielte Einverständnis an der intersubjektiven Anerkennung von Geltungsansprüchen“ (Habermas, 1983a, 68). In strategischen Handlungen versuchen die Aktoren „ihre Zwecke auf dem Wege der Orientierung an, und der Einflußnahme auf Entscheidungen anderer Aktoren [zu] verwirklichen“ (Habermas, 1988a, 131; Ergänzung von mir).

(b) Zur Logik des Diskurses

Eng verbunden mit dem Begriff des kommunikativen Handelns ist die Theorie der Argumentation, die sich in einer Logik des Diskurses äußert. Die Aktoren kommunikativer Handlungen lassen sich notwendigerweise als Sprecher und Hörer beschreiben, die im Rekurs auf bestimmte Bereiche in der sozialen, objektiven und subjektiven Welt wechselseitig Geltungsansprüche, namentlich der Richtigkeit, der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, erheben, die akzeptiert und bestritten werden können. Beispiele solcher Geltungsansprüche sind etwa die Richtigkeit einer Handlungsanweisung, die Wahrheit einer Behauptung oder die Wahrhaftigkeit eines Ratschlags. Im Diskurs werden problematische (resp. problematisch gewordene) Geltungsansprüche argumentativ auf ihre Berechtigung hin überprüft. Diskurse sind also der Ort, an dem die Berechtigung erhobener aber bestrittener Geltungsansprüche zum Gegenstand werden, während in kommunikativen Handlungen Geltungsansprüche durch Sprechhandlungen erhoben werden.

Während die Formallogik die Regeln gültiger Schlüsse etwa unter dem Aspekt der Beibehaltung von Wahrheitswerten untersucht, richtet die Logik des Diskurses ihr Augenmerk auf „die formalen Eigenschaften von Argumentationszusammenhängen“ (Habermas, 1984a, 162). Zwar analysiert auch die formale Logik Argumentationstrukturen, sie versteht aber unter „Argument“ die Deduktionstruktur aus Prämissen und Conclusio. In der Diskurslogik gilt ein Argument als „die Begründung, die uns motivieren soll, den Geltungsanspruch einer Behauptung oder eines Gebotes … anzuerkennen“ (Habermas, 1984a, 162).

Zur Erläuterung der Struktur eines solchen Arguments greift Habermas auf Toulmin zurück: Die problematisierte Äußerung wird im Diskurs zur Conclusio C, die durch die Angabe einer Ursache D (=data) erklärt bzw. gerechtfertigt wird. Der Begründungszusammenhang „C, weil D“ wird wiederum durch die Angabe einer Schlußregel W (=warrant) legitimiert, welche sich auf angebbare evidente Hintergründe B (=backing) stützt, z.B. naturwissenschaftlich-empirische Beobachtungen oder soziale Beziehungen zwischen Handlungen und Handlungsfolgen. Während Habermas (1984a) zunächst noch wesentlich auf dieses Schema zurückgreift, sieht er später (1988a), daß dieses Modell einer Ergänzung durch eine Theorie der Geltungsansprüche bedarf, da mit Toulmins Modell die aus unterschiedlichen Kontexten hervorgehenden Argumentationsformen nicht hinreichend auf ihre unterschiedlichen Geltungsansprüche hin analysiert werden können. Die notwendige Systematisierung der Geltungsansprüche gelingt in einer verstärkten Orientierung an Sprechakten, für die Habermas den Vorschlag einer Typologisierung macht. Als Kriterium schlägt er die rational motivierte Ja/Nein-Reaktion auf Sprechakte vor.

Das Ja/Nein-Kriterium zeigt an, welcher Geltungsanspruch mit einer Äußerung erhoben und von einem Hörer akzeptiert resp. bestritten werden kann. Nach Searle (1992, 100ff; 1990, 31ff) lassen sich die illokutionären Rollen von Äußerungen jeweils genauen Geltungsansprüchen zuordnen. Habermas erweitert diese Typologie, indem er behauptet, jeder Sprechakt lasse sich unter allen drei Geltungsansprüchen Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit bejahen und verneinen. In Verbindung mit Toulmins Untersuchungen zur Argumentstruktur bedeutet dies, daß das Bestreiten von einem der in einer kommunikativen Handlung erhobenen Geltungsanspruch in einen je eigenen Legitimationsdiskurs führt, der durch eine eigene Argumentationslogik geprägt ist. Das Bestreiten des Wahrheitsanspruchs einer Äußerung führt in einen theoretischen, das Bestreiten des Richtigkeitsanspruchs in einen praktischen Diskurs. Von diesen beiden unterscheidet sich ein bestrittener Wahrhaftigkeitsanspruch dadurch, daß er nicht argumentativ eingelöst, sondern nur aufgezeigt werden kann.

(c) Der Begriff der Begründung: Zur Analogie von deskriptiven und normativen Sätzen

Was theoretische von praktischen Diskursen vor allem unterscheidet ist die Art, wie in ihnen der Wahrheits- resp. Richtigkeitsanspruch einer Äußerung begründet werden kann. Von der Möglichkeit der Begründung von Richtigkeitsansprüchen hängt es ab, ob ein rationaler praktischer Diskurs überhaupt durchgeführt werden kann. Den Weg, den Habermas zum Nachweis dieser Möglichkeit einschlägt, bewegt sich zwischen einer naturrechtlichen Gleichsetzung theoretischer und praktischer Diskurse und einer neupositivistischen völligen Bestreitung der Möglichkeit rationaler praktischer Diskurse. Die dafür zentrale Behauptung ist, „daß sich die Berechtigung des in Empfehlungen sei es von Handlungs- oder von Bewertungsnormen enthaltenen Geltungsanspruchs ebenso diskursiv prüfen läßt, wie die Berechtigung des in Behauptungen implizierten Geltungsanspruchs.“ (1984a, 144f) Hintergrund dieser Behauptung ist Habermas Wahrheitsbegriff, den er in einer Konsensustheorie der Wahrheit vorgelegt hat. Darin knüpft Habermas an die moderne (analytische) Sprachphilosophie an, wonach Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist. Ähnlich den kohärenztheoretischen Modellen und in Abgrenzung zur Korrespondenztheorie wird „Wahrheit“ dabei innerhalb eines Sprachsystems gedacht und kommt nicht Sätzen einer bestimmten syntaktischen Form zu, sondern Sätzen als Äußerungen in Sprechhandlungen. Wahrheitsfähig sind danach jene Sprechakte, in denen eine Proposition behauptet, ausgesagt, festgestellt wird etc., da es zu diesen Sprechakten konstituierend dazugehört, daß eine Sprecherin Beweismittel in Form von Gründen, Beobachtungen etc. vorlegen, die behauptete Proposition also begründen kann. Wollte man nun eine Handlungsanweisung als ebenso wahrheitsfähig betrachten wie assertive Sprechhandlungen, begänge man das, was seit Hume „naturalistischer Fehlschluß“ genannt wird: Man schlösse über W from is to ought.

In Toulmins Argumentmodell hat W die Funktion, die Folgerung von D nach C als gültig auszuweisen. Im Vorfeld des Diskurses kann eine beliebige Äußerung C eines Sprechers durch eine Hörerin bestritten werden. Der Sprecher steht dann in der Pflicht, den Übergang von D nach C im Rekurs auf W zu begründen, was im theoretischen Diskurs die Form einer Erklärung, im praktischen die Form einer Rechtfertigung hat. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Folgerung zu bestreiten, 1. indem W als unangemessene Schlußregel identifiziert wird, die auf den aktuellen Fall gar nicht angewendet werden kann, 2. indem die Gültigkeit der Schlußregel W selbst bestritten wird. Der erste Fall läßt sich dabei vordiskursiv möglicherweise durch eine Klärung der Begriffe lösen. Von Interesse für die Diskurstheorie ist der zweite Fall, denn hier setzt der eigentliche Diskurs an: Im theoretisch-empirischen Diskurs wird nun geprüft, ob der Proponent triftige Argumente vortragen kann, die die Opponentin bewegen können, W, das mit dem Anspruch einer Gesetzeshypothese auftritt, anzuerkennen. Das Prinzip, das den Übergang von B zu W erlaubt, ist das der Induktion. In praktischen Diskursen steht W für eine umstrittene Handlungsnorm, B steht für Folgen und Nebenfolgen, die die Erfüllung der hypothetisch erwogenen Norm hat. Wenn nun die Argumentationsstruktur von theoretischen und praktischen Diskursen in dem Sinne vergleichbar sein soll, daß auch Äußerungen im praktischen Diskurs rational begründbar sind, muß sich ein Prinzip angeben lassen, das die Kluft zwischen B und W zu überbrücken vermag. Diese Aufgabe kommt dem Universalisierungsgrundsatz zu, der bereits mitten in das diskursethische Verfahren hineinführt.

2) Das diskursethische Verfahren

Mit dem bisher Ausgeführten läßt sich das eigentliche diskursethische Verfahren sehr knapp auf den Punkt bringen. Ich werde zunächst die beiden diskursethischen Grundbegriffe beschreiben und anschließend auf den Verfahrenscharakter dieses Ethikkonzeptes eingehen.

(a) Universalisierungsprinzip und diskursethischer Grundsatz

Die Diskursethik macht nicht den Vorschlag eines Verfahrens zur Produktion gerechtfertigter gültiger Normen, sondern sie setzt, wie gerade demonstriert, an der Stelle an, wo die Gültigkeit von Normen und Werturteilen fraglich geworden ist: Ihr Verfahren besteht darin, vorgeschlagene Normen daraufhin zu prüfen, ob sie einen Anspruch auf Gültigkeit haben können. Der mit normativen Aussagen erhobene Geltungsanspruch ist hier aber nicht die Wahrheit, sondern die Richtigkeit der Äußerung.

Der Universalisierungsgrundsatz. Das Prinzip, das den Hintergrund des Verfahrens bildet ist der als Universalisierungsgrundsatz U reformulierte kategorische Imperativ: Normen können nur dann Anspruch auf Gültigkeit erheben, „wenn die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus einer allgemeinen Befolgung der strittigen Norm für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden können“ (Habermas, 1983a, 103). U ist zugleich Moralprinzip und Argumentationsregel im praktischen Diskurs.

Begründet wird U von der Logik der Argumentation her durch das sog. transzendentalpragmatische Argument. Durch präsuppositionsanalytische Untersuchungen zur argumentativen Rede läßt sich aufweisen, daß jeder, der sich auf das Sprachspiel Argumentation einläßt, bereits Zugeständnisse macht in bezug auf Regeln, die das Argumentationspiel bereits voraussetzt und durch die es sich konstituiert. Diese Behauptung ist zugleich die erste Prämisse des Arguments zur Begründung von U.

Die zweite Prämisse besagt, daß wir „mit gerechtfertigten Normen den Sinn verbinden, daß diese gesellschaftliche Materien im gemeinsamen Interesse der möglicherweise Betroffenen regeln“ (Habermas, 1983a, 103). Hieraus schließt Habermas, daß „jeder, der den ernsthaften Versuch unternimmt, normative Geltungsansprüche diskursiv einzulösen, (sich) intuitiv auf Verfahrensbedingungen ein(läßt), die einer impliziten Anerkennung von ‚U‘ gleichkommen“ (ebd.).

Das diskursive Einlösen von Geltungsansprüchen ist allerdings, wie ich bereits angedeutet habe, nicht gleichzusetzen mit der Diskursethik selbst, sondern trifft auf alle die Situationen zu, in denen argumentativ ein Dissens geklärt werden soll, in theoretischen wie praktischen Diskursen. Das Prinzip der Diskursethik ist im diskursethischen Grundsatz ausgedrückt.

Der diskursethische Grundsatz. Während es bei U darum geht, ob Normen überhaupt begründet werden können, setzt der diskursethische Grundsatz D erst an der Stelle an, wo eine solche Begründungsmöglichkeit vorliegt. D setzt also U voraus, wobei D aber nicht logisch notwendig an U gebunden ist: Theoretisch sind auch andere Begründungen denkbar. Der Grundsatz der Diskursethik lautet bei Habermas: „[N]ur die Normen [dürfen] Geltung beanspruchen …, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten).“ (ebd.)

Teilnehmen am Diskurs können alle sprach- und handlungsfähigen Subjekte. Nicht sprach- und handlungsfähige Subjekte sind insofern vom Diskurs ausgeschlossen, als sie nicht selbst, sondern nur über Advokatoren am Diskurs teilnehmen können.

(b) Subsumption des Guten unter das Richtige

Die im Anschluß an den Neupositivismus entstandenen emotivistischen und dezisionistischen Ethiken erklärten den gesamten Bereich des Moralischen zur Privatsache: Praktische Fragen seien nicht theoriefähig. Dagegen versuchen Verfahrensethiken Theorien der Praxis ohne metaphysische Präsuppositionen zu etablieren, wie sie etwa bei Kant noch vorhanden waren. Das wichtigste Kennzeichen verfahrensethischer Entwürfe ist ihre Unterordnung von Fragen des Guten unter die des Richtigen.

Die formale Ausrichtung der eigentlich als Konsensustheorie der Richtigkeit zu bezeichnenden Diskursethik ermöglicht zunächst die Unterscheidung von Fragen der Richtigkeit und Fragen des „guten Lebens“. Fragen des „guten Lebens“ sind abhängig von Traditionen und Konventionen bestimmter Lebensformen. Im diskursethischen Verfahren hingegen stehen Normen zur Disposition, die unabhängig von traditionalen und konventionalen Kontexten Gültigkeit für alle sprach- und handlungsfähigen Subjekte beanspruchen können (oder könnten). Wenn Normen verallgemeinerbare Interessen ausdrücken, dann fallen alle die Normen als nicht diskursfähig heraus, die nur partikulare Interessen ausdrücken und über die somit kein einvernehmlicher Konsens hergestellt werden kann. Der Begriff der Moralität wird damit sehr eng gefasst, weshalb Habermas auch für ein „bescheidenes Selbstverständnis der Moraltheorie“ (Habermas, 1992a, 30) plädiert. Trotzdem ist die Diskursethik nicht kontextlos: Da sie nicht unmotiviert gerechtfertigte Normen produziert, sondern für Situationen, in denen ein normativer Dissens auftritt, ein Prinzip vorschlägt, mit dessen Hilfe die (universale) Gültigkeit einer vorgeschlagenen Norm überprüft werden kann, nimmt sie Bezug auf die konkrete Lebenswelt. Nur hängt es an dem Begriff der universal gültigen Norm, daß sich ihre Gültigkeit unter Absehung von kontingenten Inhalten erweisen lassen muß.

TEIL II

4. Diskursethik und christliche Sozialethik

Nachdem ich im ersten Teil dieser Arbeit erstens Grundlinien einer christlichen Sozialethik, orientiert an Wendland und Honecker, aufgezeigt und zweitens das diskursethische Verfahren vorgestellt habe, kann ich nun daran gehen, die Fragestellung näher ins Auge zu fassen, wie eine christliche Sozialethik aussehen würde, die, absehend von Fragen des „guten Lebens“, sich am Paradigma der Richtigkeit ausbildet. Die drei Kriterien waren 1.) die Aufnahme sozial- und gesellschaftswissenschaftlicher Fragestellungen und Methoden, 2.) die Einführung eines Moralprinzips, das eine rationale Beurteilung und Begründbarkeit von Handlungen und Handlungsanweisungen ermöglicht und schließlich 3.) der Aufbau auf die Praxis der Kirche als einer Kommunikationsgemeinschaft, die sich über Handlungen und Handlungsanweisungen verständigen muß – vor dem Hintergrund der biblischen wie kirchlichen Tradition und dem Paradigma vom Gottesreich.

Im folgenden werde ich zwei Thesen vertreten und versuchen, sie zu begründen: Die erste These lautet, daß die Diskursethik sich in besonderer Weise als ethisches Verfahren eignet, den ersten beiden Kriterien einer christlichen Sozialethik zu genügen. Die zweite These lautet, daß die Diskursethik als sozialethische Basistheorie einer Ergänzung bedarf, um dem dritten Kriterium zu entsprechen. Die zentrale Frage dabei wird sein, wie diese Ergänzung aussehen kann. Einerseits darf diese Ergänzung dem formalen Verfahrenscharakter nicht widersprechen, andererseits muß sie als ekklesiologisch-eschatologisches Spezifikum bestimmte Inhalte präsumieren. Ich werde davon ausgehen, daß diese Präsumptionen nicht innerhalb des Verfahrens ihren Ort haben, sondern an den Stellen Bedeutung erlangen, wo die Diskursethik zur Selbstbeschränkung genötigt ist.

1) Theorie der Gesellschaft als Gesellschaftskritik

Die Diskursethik ist weder Anhängsel noch Zugabe zu Habermas‘ Gesamtprojekt einer Theorie der modernen Gesellschaft, sie geht vielmehr als eine Konsensustheorie der Richtigkeit unmittelbar aus der Gesellschaftstheorie hervor und steht in engem Zusammenhang mit den normativen Grundlagen der Theorie kommunikativen Handelns. Als eine mehr kritische denn deskriptiv-empirische Gesellschaftstheorie ließe sich überspitzt formuliert Habermas‘ Gesamtprojekt als eine ethische Theorie der Moderne auffassen. Dies würde auch das Interesse der universitären Theologie v.a. von Seiten der Praktischen Theologie und der Sozialethik an Habermas erklären : Die oben explizierten Grundlagen einer Sozialethik, Gesellschaftstheorie und rationales Normbegründungsmodell, werden sozusagen im Doppelpack geliefert. Ich kann an dieser Stelle nicht detailliert auf die Habermassche Gesellschaftstheorie eingehen, muß aber noch einige Ergänzungen zur als Rationalisierungsprozeß verstandenen gesellschaftlichen Modernisierung vornehmen, um den Zusammenhang von Gesellschaftstheorie und Diskursethik zu verdeutlichen.

(a) Rationalisierung als Kennzeichen moderner Gesellschaft

Im Anschluß an Max Weber beschreibt Habermas die Entwicklung der Moderne als einen Rationalisierungsprozeß, in dessen Verlauf sich die in vormodernen Gesellschaften noch zusammenhängenden Lebens- und Handlungsbereiche in eigenständige funktional spezifizierte Teilbereiche ausdifferenzieren. Die Leistungen des okzidentalen Rationalismus klassifiziert Habermas mit Hilfe der Zuordnung zu den Ebenen Gesellschaft, Kultur und Persönlichkeit. Auf der Ebene der Gesellschaft führt die Rationalisierung zur Ausbildung des positiven Rechtsverständnisses, auf der Ebene der Persönlichkeit zu einer sich an einer „religiös verankerten prinzipiengeleiteten, universalistischen Gesinnungsethik“ orientierten „methodischen Lebensführung“ (Habermas, 1988a, 234). Die Ebene der Persönlichkeit wird dabei als abhängig von der kulturellen Ebene, um die es mir hier vorrangig geht, verstanden. Die kulturelle Rationalisierung wird unter den Aspekten der modernen Wissenschaften, der Entwicklung einer autonomen Kunst und der Verselbständigung von Recht und Moral als Ablösung von traditionalen Weltbildern beschrieben.

Der Rationalisierungsprozeß vollzieht sich bei Weber in zwei Schüben: 1. kulturell in einer „Rationalisierung von Weltbildern“ (ebd., 239), 2. in einer Institutionalisierung rationaler Weltdeutung als einer „Umsetzung der kulturellen in eine gesellschaftliche Rationalisierung“ (ebd.). Dabei unterscheidet Weber zwischen einer die Weltdeutung betreffenden theoretischen Rationalität, wie sie sich in der Ausbildung eines differenzierten Begriffsinstrumentariums äußert, und einer an Mitteln, Zwecken und Werten orientierten praktischen Rationalität. Im Zuge dieses Rationalisierungsprozesses werden auf der kulturellen Ebene die Bereiche Wissenschaft/Technik, Kunst und Recht/Moral als eigenständige und einer je eigenen Logik folgende Wertsphären ausdifferenziert, was zu Spannungen zwischen diesen Sphären führt. Theoretische wie praktische Rationalität haben in einer jeweils eigenen Form die Beherrschung der Realität zum Ziel: begrifflich oder durch Handeln. Und an dieser Stelle setzt Habermas Kritik an Weber an: Webers Interesse ist, die Institutionalisierung zweckrationalen Handelns in der modernen Gesellschaft zu erklären, und was ihm zunächst gelingt ist eine Beschreibung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem Handlungen zweckrational orientiert sind. Die Erklärung scheitert aber an der Engführung des Rationalitätsbegriffs auf Zweckrationalität.

(b) Paradigmenwechsel zur kommunikativen Rationalität

Die Dialektik des Rationalisierungsprozesses der Moderne besteht bei Weber in dem zunächst universalistisch angelegten Rationalitätsbegriff, der im Zuge der Ausdifferenzierung auf der kulturellen Ebene zu einer „Pluralität von Wertsphären“ sich aufspaltet und schließlich die „eigene Universalität [vernichtet]“ (ebd., 337). Die in vormodernen Gesellschaften religiös gestiftete Einheit zerbricht und es fällt auf der Ebene der Persönlichkeit dem Individuum zu, diese Einheit privat wieder herzustellen. Dies kennzeichnet das moderne Bewußtsein. Hieran sich anschließende subjekt- und bewußtseinsphilosophische Ansätze bleiben aber, indem sie sich am Begriff der Zweckrationalität orientieren, einem Modell verhaftet, daß individuelle Handlungen und Beziehungen nur in einer Subjekt-Objekt-Relation verstehen kann: Das individuierte Subjekt bezieht sich handelnd auf etwas in der objektiven Welt, das vorstell- und bearbeitbar (manipulierbar) ist. Die Aporie, die sich dabei für Habermas auftut, ist, daß auch soziales Handeln nur zweckorientiert als strategisches Handeln beschrieben werden kann. Es ist deshalb ein Paradigmenwechsel notwendig, bei dem sich der „Fokus … verschiebt … von der kognitiv-instrumentellen zur kommunikativen Rationalität“ (ebd., 525). Was erklärt werden soll ist nicht mehr, wie bei Weber, die Institutionalisierung von zweckrationalen Handlungen, sondern wie intersubjektive Verständigung möglich ist.

Diesen Wechsel, den Habermas bereits bei Adorno in den ästhetischen Schriften angedeutet findet, sieht er bei Mead und Durkheim vollzogen. Ziel ist, Webers Theorie der Rationalisierung aufzunehmen in eine Theorie der Gesellschaft, die aufbaut auf eine Kommunikationstheorie (Mead) und einen Begriff gesellschaftlicher Solidarität (Durkheim). Dabei greift Habermas zunächst auf Meads Idee der symbolischen Interaktion zurück. Meads Kommunikationstheorie beschreibt ein System von drei hierarchisch aufgebauten Interaktionsstufen: Auf der ersten Stufe geschieht Verständigung über Gesten, die eine Person ausführt, während eine zweite diese Gesten interpretiert, d.h. ihnen Bedeutung zuschreibt. Diese gestenvermittelte Interaktion wird auf der zweiten Stufe zur symbolischen, indem sich Bedeutungskonventionen ausbilden, auf die beide Partner in gleicher Weise rekurrieren. Auf der dritten Stufe schließlich kommt Mead zu normativ geregelten Handlungen als personalen Handlungen in sozialen Rollen, was Habermas durch Wittgensteins Begriff des Regelfolgens und sprechakttheoretisch durch die Bindungskraft illokutionärer Akte zu explizieren sucht. An dem Übergang von symbolischer zu normengeleiteter Interaktion setzt Habermas Kritik an Mead an: „Mead verfährt zirkulär: für die Erklärung des phylogenetischen Übergangs von der symbolisch vermittelten zur normengeleiteten Interaktion greift er auf eine ontogenetisch eingeführte Instanz zurück, obwohl die Ontogenese dieses ‚verallgemeinerbare Andere‘ ihrerseits nicht ohne Rückgriff auf die Phylogenese erklärt werden kann.“ (Habermas, 1988b, 72) Wie es zu der eigentümlich verbindlichen Sollgeltung von Normen kommt, vermag Mead so nicht ausreichend zu erklären.

Weiterführend ist für Habermas an dieser Stelle der Ansatz Durkheims, der auf die „sakralen Wurzeln der moralischen Autorität gesellschaftlicher Normen“ (ebd., 75) verweist. „Religion ist hier das,“ so faßt Henning Luther Durkheims Position zusammen, „was die egoistische Perspektive des einzelnen transzendiert und ihn in die Gemeinschaft integriert, deren Existenz und Zusammenhalt nicht von der Willkürentscheidung des einzelnen abhängig ist, sondern ‚unverfügbar‘, sakral ist.“ (Luther, 1992, 31) Die personale Identität wird über die Gruppenidentität hergestellt, die sich wiederum ihres identitätsstiftenden normativen Konsenses in der gemeinsamen Praxis vergewissert und (rituell) erneuert. Da Durkheim allerdings das Entstehen gemeinsamer religiöser Symbole nicht thematisiert, ergänzen sich Durkheims und Meads Ansätze wechselseitig.

Die durch die Säkularisierungsthese behauptete Auflösung der einheitsstiftenden Kraft religiös-ritueller Praxis in der modernen Gesellschaft führt aber nicht, wie bei Weber, zum individuierten Subjekt, das sich selbst die Einheit stiften muß, sondern sie „vollzieht sich auf dem Wege einer Versprachlichung des rituell gesicherten normativen Grundeinverständnisses“ (Habermas, 1988b, 119): An die Stelle der Religion tritt bei Habermas das kommunikative Handeln. Weber muß auf Grund seines reduzierten Rationalitätsbegriffs den gesellschaftlichen Modernisierungsprozeß als Verselbständigungsprozeß der kulturellen Bereiche Wissenschaft, Kunst und Moral beschreiben, in dessen Folge der ursprünglich universalistisch gedachte Begriff der Rationalität sich aufspaltet in eine kognitiv-instrumentelle, eine moralisch-praktische und eine ästhetisch-expressive und so seine Universalität verbüßt. Mit dem Paradigmenwechsel zur kommunikativen Rationalität wird der universalistische Anspruch insofern aufrecht erhalten und formalpragmatisch begründet, als die kommunikativ Handelnden unter Verwendung der natürlichen Sprache und im Rückgriff auf kulturell überlieferte Interpretationen in ihren Sprechhandlungen „gleichzeitig auf etwas in der einen objektiven, ihrer gemeinsamen sozialen und jeweils einer subjektiven Welt“ (Habermas, 1988a, 525) Bezug nehmen.

(c) Rationalisierung, Sozialpathologien, Gesellschaftskritik

Mit dem Rationalisierungsprozeß gehen bei Weber bestimmte gesellschaftliche Pathologien einher: Auf Grund der zerstörten ursprünglichen Einheit der „Welt“ und der Ausdifferenzierung in miteinander konkurrierende Wertsphären kommt es zu einem Sinnverlust, auf Grund einer einsetzenden Verrechtlichung und Bürokratisierung sozialer Beziehungen zu einem Freiheitsverlust. Auch hier kritisiert Habermas, daß es nicht zulässig sei, „gesellschaftliche Rationalisierung in allen Lebensbereichen als eine Rationalisierung von Mitteln für Zwecke, die unter partikularen Werten selegiert werden, zu begreifen“ (ebd., 344). Um die pathologischen Erscheinungsformen der Moderne vor dem Hintergrund des Begriffs kommunikativen Handelns explizieren zu können, schlägt Habermas zwei Betrachtungsweisen der Gesellschaft vor: eine Teilnehmer- und eine Beobachterperspektive. Der Begriff der Gesellschaft wird dabei gleichzeitig als System und Lebenswelt konzipiert. Diese zweifache Gesellschaftskonzeption kritisiert implizit einseitige kulturalistische Ansätze wie bei Mead und Durkheim (Teilnehmerperspektive) als auch systemtheoretische Konzeptionen etwa bei Parsons und Luhmann (Beobachterperspektive).

In der Lebenswelt stehen Handlungen in der Gefahr, in zweifacher Hinsicht zu scheitern, einerseits hinsichtlich der Verständigung (Mißverständnis, Dissens), andererseits hinsichtlich der Realisierung von Handlungsplänen (Mißerfolg). Die aus Teilnehmerperspektive betrachtete Lebenswelt erscheint einerseits als „horizontbildender Kontext von Verständigungsprozessen“ (Habermas, 1988b, 205), in der die gelingende Realisierung von Handlungsplänen von einer gelingenden Verständigung abhängen – wenn die Handlungsziele auf kommunikativem Weg erreicht werden sollen. Andererseits läßt sich die Lebenswelt „als sprachlich organisierter Vorrat von Hintergrundannahmen vorstellen, der sich in der Form kultureller Überlieferung reproduziert“ und dafür sorgt, „daß die Kommunikationsteilnehmer den Zusammenhang zwischen objektiver, sozialer und subjektiver Welt bereits inhaltlich interpretiert vorfinden“ (Habermas, 1984b, 591). Um ein Scheitern von Handlungsplänen zu vermeiden, verständigen sich die Aktoren, um so – kommunikativ – ihre Handlungspläne einvernehmlich zu koordinieren.

Aus der Beobachterperspektive erscheint die Gesellschaft als ein System, in dem die Aktoren durch Steuerungsmedien wie Einfluß/Wertbindung als generalisierte Formen der Kommunikation oder Geld/Macht als nicht-kommunikative Mechanismen aufeinander einwirken. Während Einfluß/Wertbindung der Sprache und den lebensweltlichen Zusammenhängen verhaftet bleiben, können sich die Steuerungsmedien Geld/Macht im gesellschaftlichen Differenzierungsprozeß von der Lebenswelt loslösen. Dies beschreibt Habermas unter dem Stichwort „Entkopplung des Systems von der Lebenswelt“ als eine pathologische Entwicklung der Moderne. In einem zweiten Schritt kommt es zu einer „Kolonialisierung der Lebenswelt durch das System“, indem die entsprachlichten Steuerungsmedien an die Stelle kommunikativer Handlungen treten.

Eine kritische Theorie der Gesellschaft, die sich am Paradigma kommunikativer Rationalität orientiert, ist nach Habermas‘ Meinung am ehesten in der Lage, die pathologischen Entwicklungen kapitalistischer Modernisierung zu benennen und Gegenstrategien aufzuzeigen, indem sie die „verschlungenen Pfade, auf denen Wissenschaft, Moral und Kunst auch miteinander kommunizieren“, verfolgt (Habermas, 1988b, 585).

2) Zum Zusammenhang einer Theorie gesellschaftlicher Rationalisierung mit der Diskursethik

Bei Weber führt der Rationalisierungsprozeß im kulturellen Bereich zur Ausbildung formaler Rechtsstrukturen in Form des gesatzten positiven Rechts und zu profanen Gesinnungs- und Verantwortungsethiken. Beschrieben wird dieser Rationalisierungsprozeß als Ablösung von (religiösen) Weltbildern, in denen Recht und Moral zuvor verankert waren. Rechtsnormen werden dabei als konventionale Normen begriffen, die kontingenterweise über das Satzungsprinzip Gültigkeit erlangen. Die Ethiken wirken sich dagegen auf die Ebene der Persönlichkeit aus und werden zu Konzeptionen methodischer Lebensführung. Auf dieser Ebene kommt es dem individuierten Subjekt als Aufgabe zu, die ausdifferenzierten Subsysteme Wissenschaft, Moral und Kunst privatim miteinander zu verbinden und so die zerbrochene Einheit subjektiv wieder herzustellen. Was dies für die Ethik bedeutet, zeigen die nach-neopositivistischen emotivistischen und dezisionistischen Ethiken: Eine Theorie praktischer Fragen wird unmöglich. Habermas greift diese subjekt- und bewußtseinsphilosophischen Beschränkungen kritisch auf und weist nach, in welcher Weise ein reduktionistisches Rationalitätsverständnis in diese Aporie führt.

Mit dem Paradigmenwechsel zur kommunikativen Rationalität rückt die Möglichkeit intersubjektiver Verständigung als erklärungsbedürftiges Phänomen in den Mittelpunkt. Für die Konzeption einer Ethik bedeutet dies, zu klären, wie die Sollgeltung von Normen und Institutionen begründet werden kann, und zwar in bezug nicht auf eine personale und damit bloß privat relevante, sondern auf eine überpersonale Gültigkeit. Was es heißen soll, daß eine Norm oder Institution Gültigkeit beanspruchen kann, versucht Habermas mit der Diskursethik als einer Konsensustheorie der Richtigkeit zu erläutern (s.o.).

Ich spreche von einer „Konsensustheorie der Richtigkeit“, um die Analogie zur Habermasschen Wahrheitstheorie zu unterstreichen. Einem reduktionistischen Vernunftbegriff gelten nur konstative Sprechakte als theoriefähig, normative (wie evaluative) Aussagen entziehen sich dem Bereich wissenschaftlicher Bearbeitung oder sind in Form metaethischer Theorien v.a. der analytischen Ethik Gegenstände, deren Untersuchung allenfalls die Funktion normativer Ausdrücke in moralischer Rede aufzeigen kann. Mit der Verlagerung zum umfassenderen Begriff kommunikativer Rationalität wird dagegen die Einheit theoretischer, praktischer und ästhetischer Diskurse bezüglich einer durch die kommunikative Praxis intersubjektiv geteilten Lebenswelt betont, in die das Individuum hineinwächst. Die Individuierung beschreibt Habermas im Anschluß an Mead als einen Prozeß der Vergesellschaftung, in dem das Individuum durch Sprache gesellschaftlich vorgeprägte Einstellungen zur und Interpretationen der objektiven, sozialen und subjektiven Welt übernimmt, und „[j]e weiter diese Individuierung fortschreitet, um so weiter verstrickt sich das einzelne Subjekt in ein immer dichteres Netz reziproker Schutzlosigkeiten und exponierter Schutzbedürftigkeiten“ (Habermas, 1992a, 15).

„Moral“ wird dabei als eine Vorrichtung verstanden, die sowohl die im Vergesellschaftungsprozeß verletzbar gewordene und gefährdete Identität des individuierten Subjekts als auch die Gemeinschaft stiftenden intersubjektiven Beziehungen schützt. Im diskursethischen Verfahren werden beide Bereiche, auf die sich traditionell einerseits Pflichten-, andererseits Güterethiken spezialisiert haben, zusammengefaßt, indem auf eben jenes Medium rekurriert wird, „dem die vergesellschafteten Subjekte ihre Verletzbarkeit verdanken“ (ebd., 17): sprachlichen Interaktionen. Thematisiert werden im Diskurs problematisierte oder problematisch gewordene Geltungsansprüche, die als Hypothesen behandelt eine Reflexion auf kommunikative Handlungen darstellen. Auf dieser Ebene stellt sich auch das Analogieverhältnis von theoretischen und praktischen Diskursen dar.

3) Diskursethik als Sozialethik

An diesem Punkt komme ich auf das bereits angedeutete Dilemma der Hegelschen Kantkritik zurück, das darin bestand, daß Moralität nicht losgelöst von konkreter Sittlichkeit verstanden werden kann, während Sittlichkeit von etwas außerhalb seiner selbst kritisierbar sein muß, soll nicht das Faktische normative Kraft erlangen. Das im Kategorischen Imperativ ausgedrückte kantische Moralprinzip ist der lebensweltlichen Praxis insofern enthoben, als es von konkreten Handlungen und Handlungsanweisungen abstrahiert und dadurch seinen universalistischen Charakter erlangt. Das individuierte Subjekt prüft den eigenen Handlungsplan, indem es, wie man mit Mead sagen kann, durch eine ideale Rollenübernahme auf ein allgemeines moralisches Wollen abstrahiert, aus dem sich die Richtigkeit einer Handlung oder Handlungsanweisung begründen läßt. Habermas‘ Umformulierung dieses Moralprinzips, wie er sie im Universalisierungsgrundsatz vorgeschlagen hat, versucht dagegen den Spagat, „daß die Interessen eines jeden Einzelnen zum Zuge kommen, ohne das soziale Band zu zerreißen, das jeden mit allen objektiv verknüpft“ (ebd. 18).

Die Kritik an den gesinnungsethischen Implikationen, die eine monologische und an Folgen und Nebenfolgen nicht interessierte Anwendung des Moralprinzips hat, führte schon bei Weber zu einer Ergänzung durch eine Verantwortungsethik. Im Universalisierungsgrundsatz wird dieses Manko des Kategorischen Imperativs explizit ausgeschlossen, da eine Norm nur dann als universalisierbar gilt, wenn alle von der Normanwendung Betroffenen auch die Folgen und Nebenfolgen akzeptieren können. Die Abhängigkeit des Begründungsverfahrens von einer konsensuellen Zustimmung aller schließt hypothetisch erwogene Normen, die keine verallgemeinerbaren Interessen zum Ausdruck bringen, vom Verfahren aus; Handlungskonflikte können in solchen Kontexten nur durch Kompromisse geschlichtet werden.

Daß in der Diskursethik, wie in allen universalistisch ausgerichteten, formalen Verfahrensethiken, von konkreten Kontexten abstrahiert wird, bedeutet aber nicht, daß lebensweltliche Zusammenhänge ausgeblendet sind, denn wie ich bereits dargelegt habe, setzt das diskursethische Verfahren in lebensweltlichen Kontexten an, in denen ein normativer Dissens auftritt: „Praktische Diskurse müssen sich ihre Inhalte geben lassen.“ (Habermas, 1983a, 113) Ohne lebensweltlichen Kontext, in dem Handlungskonflikte entstehen, ist die Durchführung praktischer Diskurse sinnlos. Solche Handlungskonflikte entstehen aber nicht nur an Entscheidungsfragen, d.h. ob ein Aktor eine Handlung ausführen soll oder nicht, oder eine andere Handlung statt dessen, sondern auch, und hier kommt das Problem konkreter Sittlichkeit herein, ob eine überkommene Handlungsanweisung in einer veränderten Welt noch Gültigkeit beanspruchen kann. Erst die durch Abstraktion gewonnene Distanz zu lebensweltlichen Handlungsregeln und -gewohnheiten erlaubt den am Diskurs Teilnehmenden auch einen kritischen Blick auf die konkrete sittliche Praxis einer Gesellschaft, durch den die „normative Kraft des Faktischen erlahmt“ (ebd., 117). Denn auch die sittlichen Vorstellungen vom Guten resp. vom guten Leben sind sprachlich vermittelt, namentlich durch den als Vergesellschaftung begriffenen Prozeß der Individuierung, und bedürfen, wenn sie fraglich werden, der Begründung. Und genau auf dieses Begründungsverfahren sind Ethiken des kantischen Typs spezialisiert.

Aus dem bisher dargelegten ergibt sich, daß die in eine Kommunikations- und Gesellschaftstheorie eingebundene Diskursethik von vornherein auf sozialethische Themen angelegt ist. Gegenstände des diskursethischen Verfahrens sind hypothetisch als gültig erwogene Normen, in denen ein allgemeines d.h. die je persönliche Perspektive transzendierendes Interesse ausgedrückt ist. Moralisch relevante Fragen sind damit Fragen, die auf das Gesamte menschlicher Handlungen innerhalb einer Gesellschaft abzielen. In der Tendenz sind aus diskursethischer Sicht Fragen rein individualethischer Provenienz moralisch irrelevant. „Moralisch irrelevant“ bedeutet allerdings nicht, daß diese Fragen unbedeutend sind, sondern sie können von einem Verfahren, das die Universalisierbarkeit normativer Aussagen im Blick hat, nicht behandelt werden. An dieser Stelle wird das Problem einer Trennung von Individual- und Sozialethik deutlich: Sobald eine individuelle Handlung mit den Interessen auch nur einer anderen Person kollidiert, ist eine eindeutige („reine“) Zuordnung nicht mehr möglich.

5. Diskursive Sozialethik im christlichen Kontext

Honecker stellt in seiner Konzeption einer evangelischen Sozialethik fest, die sozialethische Theoriebildung könne „nur durch die Diskussion aller Betroffenen und Sachkundigen weitergeführt werden. […] Sozialethische Direktiven und Maßstäbe können nur das Ergebnis der Übereinstimmung nach einer Diskussion sein; sie können nicht einfach vorweg der christlichen Tradition entnommen werden.“ (Honecker, 1971, 194; Hervorh. KD). Dafür bieten sich das Erlanger Beratungsmodell, Apels kommunikative und die hier behandelte diskursive Ethik in gleicher Weise an. Was Habermas‘ Ethikentwurf auszeichnet, ist die gesellschaftstheoretische Rückbindung über die Theorie des kommunikativen Handelns, die zugleich über die normativen Grundlagen einer kritischen Theorie der Gesellschaft aufklärt. Damit schlägt Habermas, das habe ich im letzten Abschnitt zu verdeutlichen versucht, einen Weg vor, das Dilemma der Hegelschen Kantkritik zu lösen: Ausgehend von den Interessen des individuierten Subjekts wird die personale Perspektive kommunikationstheoretisch transzendiert, indem, in idealisierender Weise, alle Diskursteilnehmer zu einer idealen Rollenübernahme angehalten sind und so im praktischen Diskurs über die raum-zeitliche Begrenzung, der jeder real durchgeführte Diskurs unterliegt, hinausgehen.

1) Diskursive Sozialethik und christliche Tradition

Daß eine christliche Sozialethik Handlungsorientierungen nicht einfach dem biblischen Kanon und der kirchlichen Tradition entnehmen kann, brauche ich hier nicht ausführlich darzulegen. Bereits Wendland wies, wie oben erwähnt, auf den Umstand hin, daß christlich-traditionale Handlungsanweisungen aus anderen gesellschaftlichen Kontexten stammen und in jeder Epoche mindestens einer Neuinterpretation bedürfen. Wenn Fischer christliche Ethik explizit als Gegenentwurf zur kantischen Ethik entwirft, indem er auf die Indikativ-Imperativ-Struktur christlich-ethischer Rede seit den paulinischen Paränesen verweist, so scheint er zu übersehen, daß die neutestamentlichen Paränesen, wenn sie vom gläubigen „Wir“ der Gemeinde zu konkreten Handlungsanweisungen übergehen, keinerlei Begründungszusammenhang aufweisen. Zwar mag die Indikativ-Imperativ-Struktur, auf die Bultmann als erster aufmerksam machte, das grundlegende Formmerkmal der Paränese sein, die Imperative stehen aber in keinem direkten Zusammenhang mit den Indikativen, sondern greifen vielmehr zurück einerseits auf die Spruchweisheit der jüdischen Tradition andererseits auf die hellenistische Popularphilosophie. Auf Grund dieses fehlenden Zusammenhangs wären die auf der Imperativ-Seite ausgedrückten Handlungsanweisung völlig beliebig, d.h. in letzter Konsequenz, das als „gut“ aufzufassen, was die göttliche oder religiöse Autorität als „gut“ bezeichnet. Das aber steht tatsächlich in krassem Gegensatz zur diskursethischen Auffassung. Wenn, wie ich zu Beginn des 2. Teils dieser Arbeit postuliert habe, das Proprium einer diskursorientierten christlicher Sozialethik nicht den Voraussetzungen der Diskursethik widersprechen darf, ist damit die bloße Berufung auf Autoritäten, in diesem Fall „Christus, als der Grund des Rechtfertigungsglaubens und also der christlichen Identität“, wie es Fischer (ebd., 49) formuliert, als Proprium christlicher Ethik ausgeschlossen.

Trotzdem sieht Fischer m.E. richtig, daß das entscheidende Merkmal christlicher Sozialethik in irgendeiner Form mit dem „Wir“ der christlichen Gemeinde zusammenhängt. Ausgehend von handlungstheoretischen Überlegungen, in denen auf das Verhältnis von Glauben und christlicher Praxis rekurriert wird, versäumt es Fischer, hinreichend scharf zwischen Fragen der Normbegründung und Fragen der Handlungsmotivation zu unterscheiden. Für Fragen der Normbegründung hat Habermas ein für die christliche Ethik interessantes Verfahren vorgeschlagen. Fragen der Anwendung, d.h. der Rekontextualisierung der durch das diskursive Verfahren als gültig sich erwiesenen Normen, oder noch grundlegender die Frage, warum überhaupt jemand moralisch, also moralischen Einsichten gemäß, handeln soll, kann die auf die formale Einnahme des moral point of view spezialisierte Diskursethik (wie vergleichbare Verfahrensethiken auch) nicht klären.

2) Theologische Kritik an Habermas‘ Konzeption

Ich werde, bevor ich im nächsten Abschnitt zu beantworten versuche, welcher Ergänzungen eine diskursethisch orientierte christliche Sozialethik bedarf, mich zunächst beispielhaft mit drei konstruktiven theologischen Einwänden zu Habermas‘ Konzeption befassen.

a) Helmut Peukert. Einer der ersten, der die Kompatibilität von Theologie und Theorie kommunikativen Handelns gesehen hat, war Helmut Peukert. In seinen „Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung“ (Untertitel; 1978) versucht er, die Theorie des kommunikativen Handelns als Basistheorie einer Fundamentaltheologie zu etablieren. Eine wichtige Ergänzung erfährt Habermas‘ Diskurstheorie dabei durch den im Rückgriff auf Chr. Lenhardt eingeführten Begriff der „anamnetischen Solidarität“, durch den die Begrenzung der Diskursteilnehmer auf die sprach- und handlungsfähigen – notwendigerweise noch lebenden – Subjekte kritisiert wird, weil die „Opfer der Geschichte“ (Peukert, 1978, 310), denen die Diskursteilnehmer möglicherweise ihre Freiheit verdanken, vergessen werden. Für Peukert führt die Vorstellung eines herrschaftsfreien Diskurses in ein Paradox, da das Herrscher-Knecht-Verhältnis in diesem Diskurs auf einer anderen Ebene fortgesetzt wird: Die Diskursteilnehmer werden zu Herrschern über die Toten, die für die Befreiung stritten. Die paradoxe Situation läßt sich zwar nicht auflösen, die Toten können aber anamnetisch in den Diskurs hineingeholt werden.

b) Hans-Joachim Höhn. Auch in späteren Diskussionen ist die Frage nach den Diskursteilnehmern ein (nicht nur theologischer) Kritikpunkt gewesen. So befürchtet etwa Höhn (1989, 194f): „In der Frage nach einer gerechten Verteilung der Ansprüche und Bedürfnisse verfängt sich der Diskurs im Widerstreit zwischen Rationalität und Humanität.“ In seiner advokatorischen Ausrichtung droht der ethische Diskurs inhuman zu werden, weil das Kriterium der sich in Sprach- und Handlungsfähigkeit äußernden Rationalität notwendigerweise diejenigen, „deren Mangel an Vernunft nicht zu beheben ist“ (ebd., 196), vom Verfahren ausschließt: notwendigerweise deshalb, weil erst dieser Ausschluß die Bedingung der Möglichkeit rationalen Argumentierens darstellt. Daß die Unvernünftigen im Diskurs (auch advokatorisch) berücksichtigt werden, kann nicht durch Rationalität, sondern nur durch Moral resp. Sittlichkeit eingeholt werden. Aus theologischer Warte verweist Höhn deshalb auf das eschatologische Heilshandeln Gottes, dessen Verheißung Vernünftigen wie Unvernünftigen gleichermaßen gilt.

c) Francis Schüssler Fiorenza. Schüssler Fiorenzas Einwände beziehen sich erstens auf die Rolle, die die Religion in Habermas‘ Theorie einnimmt, zweitens auf das Abdrängen der Fragen der Religion und des guten Lebens in den (kulturellen) Bereich der Persönlichkeit.

Habermas‘ Verständnis von Religion wird nach Schüssler Fiorenza der aktuellen Verfaßtheit von Religion und Theologie nicht gerecht, da er in ihr nur eine evolutionstheoretisch frühere Stufe gesellschaftlicher Entwicklung zu erkennen vermag. Dabei übersieht Habermas, daß Religion nicht einfach als Gegenprojekt zur Aufklärung verstanden werden kann, sondern Theologie und Religion sich in Auseinandersetzung mit aufklärererischen Positionen selbst verändert haben. Zunächst hat sich Theologie in zunehmendem Maße von mythologischen und kosmologischen Weltbildern abgelöst, zum anderen hat sie es aufgegeben, ihre Prinzipien an eine höhere Autorität rückzubinden und sich dem menschlichen Subjekt zugewandt, schließlich, hier laufen die ersten beiden Transformationen zusammen, werden religiöse Symbolsysteme kritisch durch ethische Kriterien reflektiert, die sich von ihrer streng auf Autoritäten ausgerichteten Rückbindung befreit haben. Beispielhaft erläutert Schüssler Fiorenza dies an veränderten eschatologischen Vorstellungen, die sich in ihrer modernen Version als „Bilder von Rassengleichheit, Gerechtigkeit und Frieden“ (Schüssler Fiorenza, 1989, 129) präsentieren und nicht mehr etwa in Form einer hierachischen Feudalordnung.

Neben den nicht hinreichend berücksichtigten Transformationen von Religion und Theologie in der Moderne kritisiert Schüssler Fiorenza – im Anschluß an von feministischer Seite erhobene Einwände – die verkürzende Gleichsetzung der Rationalität mit einem öffentlichen Bereich, der der Privatsphäre entgegengesetzt ist und in einer „falschen Dichotomie zwischen einer unparteiischen öffentlichen und einer privaten familiären Rationalität“ endet (ebd., 131), was letztlich der auch von Habermas in den Blick genommenen Einheit der Lebenswelt zuwiderläuft.

Aus den beiden als Pathologien bezeichneten gesellschaftlichen Entwicklungen, Entkopplung von System und Lebenswelt und der Kolonialisierung der Lebenswelt durch das System, ergibt sich für Schüssler Fiorenza die Frage, wo eigentlich öffentliche Diskurse ihren Ort haben. Er schlägt vor, „daß Kirchen als Interpretationsgemeinschaften des substantiellen normativen Potentials ihrer religiösen Tradition einen solchen Ort bereitstellen können.“ (ebd., 132) In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich diese Diskurse aber von Habermas‘ Konzeption: Statt des von mir oben skizzierten Habermasschen Lösungsvorschlags der dilemmatischen Kantkritik durch Hegel schlägt Schüssler Fiorenza – in Anlehnung an Rawls‘ ‚reflective equilibrium‘ – das Prinzip eines „doppelten reflexiven Äquilibriums“ vor (ebd., 140), das eine „gegenseitige und reziproke Kritik“ (ebd., 141) von normativer (christlicher) Tradition und universalistischen Gerechtigkeitsbegriffen gewährleistet und so beiden Ansprüchen rationaler Moralität und konkreter Sittlichkeit gerecht wird. Dies allerdings, so gibt Schüssler Fiorenza selbst zu, verwischt die scharfe Trennung von Begründungs- und Anwendungsdiskursen.

3) Grenzen der Diskursethik und das Proprium christlicher Sozialethik

Der Bereich dessen, was die Diskursethik bearbeiten kann, ist eng gefaßt und führt Habermas dazu, von ihr ein bescheidenes Selbstverständnis einzufordern. Vorgeschlagene Handlungsnormen, die ein nur partikulares Interesse zum Ausdruck bringen, sind als nicht konsensfähig von vornherein als Gegenstände des Diskurses ausgeschlossen. Die in modernen Gesellschaften zu konstatierende Vielzahl von Lebensformen und die deshalb zu erwartende Menge nicht konsensfähiger Vorschläge führt z.B. bei Lorenzen dazu, seine Ethik von vorneherein als Theorie des politischen Wissens zu entwerfen: „die Vielfalt der Zwecke (die ein Kennzeichen jeder Kultur ist) ist unter der Bedingung der Posttraditionalität in eine Pluralität miteinander verträglicher Lebensformen als oberster Zweck umzudenken.“ (Lorenzen, 1987, 234)

Ich sehe drei Problembereiche, die die Diskursethik nicht abzudecken vermag, mit denen aber eine an der Diskursethik orientierte christliche Sozialethik sich auseinandersetzen müßte.

1. Unhintergehbar ist m. E. die scharfe Trennung von Begründungs- und Anwendungsdiskursen. Begründungsdiskurse setzen nicht unmotiviert an, sondern sie werden dort notwendig, wo in lebensweltlichen Kontexten Handlungskonflikte auftreten, wobei von den jeweils kontingenten Inhalten abstrahiert werden muß. Da aber aus dem diskursethischen Verfahren als gerechtfertigt hervorgegangene Normen nicht ihre Anwendungsregeln implizieren, bedarf es eines dem Begründungsdiskurs angeschlossenen Verfahrens, das die Rekontextualisierung gewährleistet. Dazu genügt es nicht, die Diskursethik verantwortungsethisch zu wenden.

2. Die Diskursethik ist, auch wenn sie durch ihre kommunikative Ausrichtung eine intersubjektive Perspektive einnimmt, dem individuierten Subjekt verhaftet, dem letztlich die Verantwortung der Anwendung zugemutet wird. Sozialethik hat es aber, wenn sie sich beispielsweise wirtschaftsethischen Problemen zuwendet, häufig mit entpersonalisierten gesellschaftlichen Strukturen zu tun. Die Diskursethik scheint „die moderne Industriegesellschaft lediglich aus der Teilnehmerperspektive als Lebenswelt [zu verstehen], die der konsensuellen Gestaltung durch ihre Angehörigen offensteht, darüber aber den, nur aus der Beobachterperspektive erkennbaren, Charakter der Gesellschaft als System übersieht.“ (Kissling, 1993, 449)

3. Das idealisierende Modell ethischer Diskurse stößt auch bezüglich der am Diskurs Teilnehmenden an eine Grenze. Habermas selbst gesteht ein, daß der Einwand Peukerts, die Opfer der Geschichte seien zwangsläufig vom Diskurs ausgeschlossen, seine Berechtigung hat. Ausgeschlossen sind aber auch – notwendigerweise – sprach- und handlungsunfähige Subjekte ebenso wie die zwar belebte aber nicht-sprechende Natur. Und aus pragmatischer Sicht ließe sich einwenden, wie denn ein realer Diskurs organisiert sein soll, zu dem alle von einer Norm Betroffenen zugelassen sind. Vor allem bezüglich des pragmatischen Einwands ist hingegen geltend zu machen, daß der Habermassche Diskursbegriff ein die konkrete Gesprächssituation transzendierendes Moment enthält, indem einerseits der Universalisierungsgrundsatz konjunktivisch erweitert ist, andererseits zwangsläufig oder notwendig Nicht-Teilnehmende advokatorisch vertreten sind.

Fragen der Anwendung müssen zunächst differenziert werden in Fragen der Umsetzung gerechtfertigter Handlungsregeln und Fragen der Motivation einerseits überhaupt moralisch zu handeln, andererseits moralische Einsichten umzusetzen. Schüssler Fiorenzas Vorschlag, Kirchen als Interpretationsgemeinschaften ihrer normativen Tradition zu verstehen, die in der Gesellschaft einen Ort zur Institutionalisierung normativer Diskurse anbieten können, hebt vorwiegend ab auf die Frage der Umsetzung. Durch seinen Vorschlag, in den Diskursen normative Tradition und universalistische Gerechtigkeitsvorstellungen gegenseitig und reziprok kritisieren zu lassen, wird die Trennung von Begründungs- und Anwendungsdiskursen teilweise aufgehoben. Ich schlage dagegen vor, an dem Begründungsmodell der Diskursethik, bei dem die von einer Norm Betroffenen ihre Interessen zum Ausdruck bringen, festzuhalten: Der Rückgriff auf eine normative Tradition kann in diesem Diskurs nicht den Status eines Argumentes erhalten. Da begründete Normen aber ihre eigene Anwendung nicht regeln, kommen in Anwendungsdiskursen als Rekontextualisierungen abstrakter und dadurch universaler Handlungsnormen normative Traditionen als Argumente vor.

Christliche Sozialethik, die auf die Diskursethik als Basistheorie zurückgreift, muß darum Fragen der Umsetzung mit in ihre Theoriebildung aufnehmen. Fragen der Umsetzung dürfen aber in einer christlichen Sozialethik als Sozialethik nicht verantwortungsethisch gewendet und auf dieser Ebene zu einer Art gesellschaftlich erweiterten Individualethik verkürzt werden. Auf Grund der von mir oben aufgewiesenen engen Verbindung von Gesellschaftstheorie und Diskursethik dürfte es keine großen Probleme machen, in einer diskursethisch orientierten Sozialethik stärker, als Habermas es selbst macht, auf eine kritische Gesellschaftstheorie bezug zu nehmen, die pathologische gesellschaftliche Strukturen aufweisbar machen kann. Strukturen als pathologisch zu bezeichnen, ist natürlich ein bewertender Akt, dem normative Aussagen zugrunde liegen. Aus dieser Sicht geht nicht nur die Diskursethik aus der Gesellschaftstheorie hervor, sondern indem die Gesellschaftstheorie kritische Aufgaben hat, ist sie selbst auf eine mit ihr verbundene Diskursethik angewiesen.

Die Frage nach den Diskursteilnehmern und die Fassung des Rationalitätsbegriffs führt schließlich zu der Frage nach dem spezifisch christlichen Beitrag für eine diskursive Sozialethik. Höhn sieht diesen Beitrag darin, daß Theologie „eine Antwort auf das Problem einer möglichen Unvernünftigkeit der Vernunft gibt, indem sie die Rationalität des der Vernunft Unverfügbaren, aber für sie Not-wendigen nachweist“ (Höhn, 1989, 196). Der von Habermas eingeforderte Paradigmenwechsel von einer instrumentellen zur kommunikativen Rationalität bleibt, indem er Rationalität an eine öffentliche Zugänglichkeit bindet, orientiert an einem Bild von Sprache, in der sich nur das sagen läßt, was sich klar und somit vernünftig sagen läßt. Daraus erklärt sich auch, daß Habermas die Ästhetik letztlich im Bereich der Persönlichkeit verorten muß und sie zusammen mit der Religion nur in Zusammenhang mit Fragen des privaten Geschmacks und persönlicher Präferenzen behandeln kann. Damit soll nicht in Frage gestellt werden, daß der Begriff kommunikativen Handelns einen wesentlichen Aspekt jeder menschlichen Gemeinschaft behandelt, eben indem er die Möglichkeit intersubjektiver Verständigung hervorhebt. Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, daß damit wichtige lebensweltliche Bereiche nicht nur getrennt werden, sondern als nicht diskursfähig ausscheiden. In dem christlichen Bild vom Gottesreich steht es der am Glauben als dem Hoffen auf das Heilshandeln Gottes ausgerichteten Sozialethik offen, auf jene „objektive Teleologie“ (Habermas, 1992a, 29) zurückzugreifen, in der die universale Gerechtigkeitsvorstellung auch die miteinbezieht, die als nicht oder nicht mehr sprach- und handlungsfähige Subjekte notwendig oder zwangsläufig von reflexiv gewordenen kommunikativen Handlungen im moralischen Diskurs ausgeschlossen sind.

Dieses eschatologische Moment beeinflußt aber nicht die Inhalte im Begründungs-, sondern im Anwendungsdiskurs, der vorrangig Fragen der Handlungsmotivation behandelt. Was Sozialethik dann zu einer christlichen Sozialethik werden läßt, ist die Frage nach der Beziehung von christlichem Selbstverständnis und der möglichen Realisierung diskursiv gerechtfertigter Handlungsanweisungen. Die Struktur dieser Beziehung mag der Indikativ-Imperativ-Struktur neutestamentlicher Paränese vergleichbar sein, wichtig ist aber zu betonen, daß die Beziehung von Selbstverständnis und Handlungsanweisung keine Begründung der Anweisung im Sinne einer Begründung der Richtigkeit darstellt, sondern die Richtigkeit der Norm ist in diesem Zusammenhang bereits vorrausgesetzt. So verstanden ist christliche Sozialethik keine Spezialethik der christlichen Gemeinde, in der besondere Handlungsanweisungen aus den Beschreibungen des christlichen Selbstverständnisses hergeleitet werden, sondern ein Beitrag der Kirchen und Gemeinden zum gesamtgesellschaftlichen moralischen Diskurs, und zwar in Anerkennung der Notwendigkeit, moralische Argumentationen an Maßstäben der für Christen wie Nicht-Christen gleichermaßen zugänglichen praktischen Vernunft auszurichten.

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