Predigen und Schreiben

Der Prediger am Schreibtisch

Predigen geschieht auf der Kanzel, aber die Predigt entsteht nicht dort. Wie eine Predigt entsteht, ist dabei natürlich von Predigerin zu Prediger sehr unterschiedlich. Nur eines ist sicher: Gänzlich unvorbereitet gehen wohl nur wenige auf die Kanzel. Es gibt Predigerinnen, deren Predigt beim Spazierengehen entsteht, andere haben ihre besten Einfälle beim Joggen, Duschen, auf-der-Couch-liegen, Musikhören. In den meisten Fällen entsteht die Predigt aber am Schreibtisch. Auch wer seine Gedanken bei einem Spaziergang sammelt, wird sich anschließend an den Schreibtisch setzten und Notizen machen. Eine Predigt muss nicht ausformuliert werden, aber ohne Schreiben kommt bei der Predigtentstehung kaum jemand aus.

Schon beim ersten Lesen der Predigtperikope oder ersten Überlegungen zur Gemeindesituation ist es sinnvoll zu schreiben – und seien es Stichworte und kleinere Bemerkungen. Das „kleine“ Schreiben in Form des Notierens, Kritzelns, Hinschmierens scheint so selbstverständlich zu sein, dass man daran keinen Gedanken zu verschwenden braucht. Aber das ist ein Fehler. Es ist ein Fehler, weil es suggeriert, es sei verzichtbar oder zumindest zu vernachlässigen. Mit der Notiz fängt das Schreiben an. Manchem mag das schon genügen: Ein paar Stichworte auf einem Schmierzettel reichen ihm oder ihr aus, um sich hinzusetzen und eine Predigt – vielleicht nur wiederum in Stichworten – nieder zu schreiben und dann zu predigen. Andere benötigen weitere Schritte, um die Gedanken zu entfalten.

Im Bereich des Kreativen Schreibens sind eine ganze Reihe von Schreibmethoden entwickelt worden, die dabei helfen sollen, die eigenen Gedanken schreibend zu entfalten, sich zum Schreiben zu motivieren und zu stimulieren, Einfälle zu bekommen, weiterzuentwickeln und zu überarbeiten. „Auf dem Papier denken!“, heißt das dann. Die Methoden reichen con der einfachen Notiz bis hin zu komplexen Aus- und Überarbeitungsmethoden. Manche Methoden sind recht exotisch, aber die wichtigsten Schreibmethoden gehen auf grundlegende, zum Teil klassische Schreibtischmethoden zurück, die im Zusammenwirken mit anderen Methoden ihre  besondere kreative Kraft entfalten. Von diesen Techniken und Methoden, die in sehr unterschiedlichen, beruflichen Kontexten entwickelt wurden, können Predigerinnen und Prediger profitieren, selbst wenn es nicht darum geht, eine Predigt schriftlich auszuformulieren. Die Methoden zielen darauf, Texte vorzubereiten. Insofern dienen Schreib(tisch)methoden der Predigtvorbereitung.

Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden wie beim Schreiben

Der Grundsatz des Kreativen Schreibens, auf dem Papier zu denken, steht im deutlichen Widerspruch zu dem, was die in Deutschland gängige, akademische Schreibauffassung ist: Zuerst wird gründlich nachgedacht und dann das Erdachte aufgeschrieben. Viele Predigtanleitungen verfahren so: Zunächst werden allerlei vorbereitende Schritte unternommen, bis am Ende das „Schreiben der Predigt“ anliegt.

Kreative Schreibmethoden einzusetzen heißt dagegen, sich darauf einzulassen, dass Schreiben eine Form des Nachdenkens ist, und zwar ein Nachdenken, dass auch ein Sich-treiben-lassen bedeuten kann. So wie Ludwig Wittgenstein in seinen Vermischten Bemerkungen notiert: „Ich denke tatsächlich oft mit der Feder, denn mein Kopf weiß oft nichts von dem, was meine Hand schreibt.“

„Auf dem Papier denken“ heißt, sein Denken lesbar zu machen – ähnlich wie das laute Denken das Denken hörbar macht. Das ist für viele zunächst ungewohnt. Die meisten haben in der Schule gelernt, einen Text direkt aufzuschreiben, sozusagen aus dem Kopf. Noch heute ist der Deutschunterricht davon geprägt, obwohl mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen zeigen, dass ein solches Schreiben „unnatürlich“ ist und regelmäßig zu Schreibblockaden führt: Ich will über etwas schreiben, mit dem ich gedanklich nicht voran komme, soll aber erst dann schreiben, wenn ich den Gedanken klar gefasst habe. Ein Dilemma, das zu einer inneren Blockade führt.

In seinem berühmten Essay „Über die allmählich Verfertigung der Gedanken beim Reden“ spricht Kleist von einem ähnlichen Dilemma. Sein Lösungsvorschlag: Wenn man einmal denkend nicht weiterkommt, solle man doch einfach mit dem Nächstbesten über das Problem zu reden. Zwar hätte man uns einst beigebracht nur über die Dinge zu reden, von denen wir auch etwas verstünden (da haben wir unser Dilemma), aber man könne es, so Kleist, doch vielleicht auch ähnlich halten wie in dem Sprichwort, der Appetit käme beim Essen: „Die Idee kommt beim Sprechen“.

Es gibt dieses seltsame Verständnis von Denken als einer Art Ausbrüten von Gedanken. Stundenlang kann man so am Schreibtisch sitzen, ohne gedanklich einen Schritt weiter zu kommen oder einer Zeile zu schreiben. Kleist glaubt von so manchem großen Redner, dass er noch in dem Augenblick, in dem er zu reden begann, nicht wusste, was er sagen würde: „Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen.“ In diesem Fall würde tatsächlich die Predigt auf der Kanzel entstehen, was wunderbar gelingen, aber natürlich auch schiefgehen kann. Deshalb ist der Rat Kleists (auf einen Prediger bezogen) nicht so zu verstehen, man solle „auf gutes Glück“ oder die Hoffnung, dass der Geist wehen möge, einfach mal auf der Kanzel anfangen zu reden. Es geht Kleist darum, entgegen der Schulweisheit zu wagen auch ins Unreine zu reden – und dabei zu erleben, wie ein zuvor ungedachter Gedanke aus dem Reden entsteht und plötzlich Klarheit bekommt.

Beim Schreiben ist es nicht anders, darum lassen sich Kleist Überlegungen mutatis mutandis problemlos auf das Schreiben übertragen. „Schreibend denken“ heißt ins Unreine schreiben. Es ist nicht so riskant wie ein öffentliches Drauflosreden, aber dennoch ein Wagnis, weil mit dem Beginn des Unternehmens der Ausgang ungewiss ist. Schreibend denken heißt darum: entwerfen und verwerfen, skizzieren und ausradieren, ausprobieren, sich vortasten, herumlaborieren – und dabei langsam und Schritt für Schritt nicht bloß vorankommen, sondern auch Neues, Ungewohntes, Fremdes zu entdecken.

Schreiben und Reden sind kein Widerspruch

Ein Einwand gegen den Einsatz von Schreibtechniken bei der Predigtarbeit lautet, Predigtvorbereitung sei Vorbereitung einer möglichst frei zu haltenden Rede, nicht die Produktion eines geschriebenen Textes. Und das stimmt: Tatsächlich zielt die Predigterarbeitung nicht darauf, dass am Ende ein säuberlich geschriebenes oder ausgedrucktes Manuskript vorliegt, sondern sie zielt auf ein lebendiges Sprechen, fern von jedem Papierrascheln und gestelzter Schriftsprache. Aber das steht ja nicht im Widerspruch dazu, die Predigt als Rede schreibend vorzubereiten und dabei ganz bewusst auf bewährte Schreibmethoden und Arbeitstechniken zurück zu greifen. Auch ein politischer Ghostwriter liefert seinen Redeentwurf schließlich schriftlich ab (er heißt ja auch writer!), und er wird dabei vermeiden, allzu papieren zu klingen.

Der Einwand gegen den Einsatz von Schreibtechniken hat seine berechtigten Gründe. Zum einen kann die Ausformulierung der Predigt am Schreibtisch zum Feilen an einzelnen Formulierungen führen, mit dem Ergebnis, dass am Ende eine schöne Schriftsprache herauskommt, aber keine Rede. Zum anderen besteht die Gefahr, dass eine Predigt, wenn sie erstmal schriftlich vorliegt, auch vorgelesen wird.

a) Die Predigtkunst zeigt sich weder in der Produktion wohlfeiler Texte noch in der Ausarbeitung von druckreifen, theologischen (Predigt-)Vorträgen. Aber das Arbeiten an literarischen oder wissenschaftlichen Prosatexten, an Zeitungsartikeln, Glossen und Essays teilt viele Arbeitschritte mit der Predigtvorbereitung. Schreibmethoden einzusetzen heißt deshalb aber nicht notwendig, jeden Gedanken auszuformulieren oder gar zum Schriftsteller werden. Im Gegenteil: Methoden der Aus- und Überarbeitung von Texten stehen am Ende von Schreibprozessen, und gerade das gilt es zu lernen.

Viele Menschen, die professionell mit Schreiben zu tun haben, machen am Anfang die Erfahrung, dass sie zu früh damit beginnen wollen, den endgültigen Text zu verfassen. Das ist das schon erwähnte Dilemma: Etwas Wohlüberlegtes schreiben zu wollen, was noch gar nicht gedacht ist. Und gerade das hemmt den Schreibfluss. Auch Predigerinnen und Prediger kennen die damit verbundene, typische „Angst vor dem weißen Blatt“ bzw. der „Angst vor dem blinkenden Cursor auf dem leeren Bildschirm“. Das klassische Beispiel der Predigtvorbereitung ist die verzweifelte Suche nach einem originellen Einstieg: Weil wir gelernt haben, dass ein Text mit dem Anfang beginnt, wollen wir auch beim Schreiben mit dem Anfang anfangen. Aber der originelle, witzige, interessante „Abholer“-Einfall will nicht kommen. Und so blinkt der Cursor drohend weiter, während die Uhr tickt und der Druck wächst, endlich etwas aufs Papier zu bekommen.

Das Gegenprogramm des kreativen Schreibens lautet dagegen: „Denke auf dem Papier! Und befrei dich von dem Druck, unmittelbar den perfekten Text zu schreiben.“ Kreative Schreibmethoden wollen diese Befreiung leisten, indem sie deutlich machen, dass Schreibarbeit ein andauernder Prozess der Überarbeitung, des Verwerfens und Auswählens ist. Kreative Schreibmethoden sind Hilfsmittel der Predigtvorbereitung: Sie helfen, Gedanken zu entwickeln, Einfälle zu strukturieren, eine Linie zu entwerfen, der der Redner und die Hörer gemeinsam folgen können. Je nach Arbeitstechnik steht am Ende gerade kein fertiger Text auf dem Papier, sondern es liegt ein Entwurf vor, der eine Live-Ausarbeitung auf der Kanzel ermöglicht.

b) Liegt ein ausformuliertes Manuskript vor, liegt es natürlich nahe, den Text einfach nur abzulesen: Es wird nicht gepredigt, sondern die Predigt wird gehalten. Tatsächlich gibt es Prediger, die deshalb ihre ausformulierte Predigt absichtlich auf dem Schreibtisch liegen lassen, wenn sie zum Gottesdienst gehen. Einen anderen Weg geht die klassische Rhetorik: Zwischen Ausformulierung und Vortrag setzt sie das Memorieren, um den Vortrag möglichst frei gelingen zu lassen. Allerdings heißt memorieren nicht unbedingt, der Vortrag sei dann frei: In der älteren Homiletik ist das Memorieren so missverstanden worden, dass man meinte, eine Predigt müsse vor dem Vortrag auswendig gelernt werden: Das ist dann aber keine freie Rede mehr, sondern eher eine Art ein innerliches Ablesen ohne wirklichen Kontakt zu den Hörerinnen und Hörern. Der Verzicht auf ein Manuskript bedeutet also nicht automatisch freie Rede.

Bei aller Sympathie für die freie Rede ist allerdings auch zu fragen, ob die rhetorische Wende in der Homiletik die freie Rede nicht auch überbewertet: Zuweilen ist zu hören, es sei besser, wenn eine Predigt stockend aber frei vorzutragen wird, statt flüssig abzulesen. Das mag manchmal so sein, aber nicht allgemein gelten. Auch die freie Predigt birgt typische Gefahren: Zum Beispiel die Flucht in Allgemeinplätze und theologische Allerweltssätze, Phrasen und Klischees. Meine Erfahrung als Predigthörer ist, dass ich eindrückliche Vorlesepredigten und schauerliche freie Predigten und umgekehrt gehört habe. Es geht nicht um die freie Rede als solcher, sondern darum in der Rede frei zu sein.

Im Predigen frei sein zu können heißt unter anderem gut vorbereitet zu sein. Und dazu gehören nicht nur exegetische und systematisch-theologische Methoden, sondern auch ganz profane Methoden und Techniken der Textproduktion. Das Schreiben einer Predigt ist eine Form der Predigtvorbereitung. Selbst wenn das Manuskript nicht verwendet wird, weil es auf dem Schreibtisch liegen bleibt oder während der Predigt keines Blickes gewürdigt wird, wirken sich die Schritte zu seiner Entstehung auf den mündlichen Vortrag aus.

Fünf grundlegende Schreibtischmethoden

Viele Methoden des kreativen Schreibens sind weit weniger aufregend als manche vermuten mögen. Wahrscheinlich werden sogar viele in der einen oder anderen Form bereits bestimmte klassische Modelle anwenden. Allerdings sind sich viele Predigerinnen und Prediger gar nicht darüber bewusst, dass sie das, was sie sowieso schon tun, auch methodisch tun können. Insbesondere die klassischen Grundmethoden wie der Schmierzettel oder die Kladde werden vielleicht erstmal überraschen: Was soll daran Methode sein? Nun, Methode, wie es hier verstanden wird, meint ein planvolles, zielorientiertes und schrittweises Vorgehen. Wer methodisch vorgeht weiß, was er mit seinem Vorgehen erreichen kann und was nicht. Wer das methodische seines Vorgehens übersieht, verschenkt dagegen viel Potential, das in einer bewusst genutzten Methodik steckt. Im folgenden stelle ich fünf grundlegende Schreibtischmethoden im Überblick vor: den Schmierzettel, das Clustering, die Kladde, die Mindmap und den Zettelkasten.

Der Schmierzettel

SchmierzettelDer Schmierzettel ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete Methode, Ideen schnell zu notieren. Oft ist es die Rückseite eines schon benutzen Papiers oder ein kleiner Abreißblock, auf dem – neben Notizen beim Telefongespräch, Rumgekritzel und Erinnerungen an zu Erledigendes – Stichworte und ähnliches zur Predigt festgehalten werden. In Blockform spricht man eher vom Notizblock, wie man sie im Laden kaufen kann, aber eigentlich ist ein Notizblock ebenso wenig nötig wie hochwertige Karteikarten: Einen Schmierzettel findet man immer – einen alten Briefumschlag, die Rückseite eines Kassenbons oder Druckerausschuss, den man sogar gezielt sammeln und gegebenenfalls auf das bevorzugte Format zurechtschneiden kann.

Ein echter Schmierzettel ist meistens sinnvoller als extra gekaufte Papiere, denn Schmierzettel dienen nicht für die Ewigkeit. Wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, werden sie weggeschmissen. Der Vorteil des Schmierzettels ist: Man kommt gar nicht erst auf die Idee, die kleine Notiz wäre für die Ewigkeit geschaffen. Sie ist bloß eine Gedächtnisstütze, damit ein Einfall nicht verloren geht. Moderne Varianten des alten Schmierzettels sind neben Post-it-Aufkleber kleine Computerprogramme wie Scribble Papers oder eine auf dem Desktop abgelegte Datei schmierzettel.txt.

Man kann den Schmierzettel als kreatives Grundhandwerkszeug bezeichnen. Die meisten kreativen Methoden nutzen in irgendeiner Form einen Schmierzettel als Sprungbrett für das Schreiben eines Textes. So sind beispielsweise  Gabrielle Ricos Cluster nichts anderes als in einer ganz bestimmten Weise genutzte Schmierzettel. Benutzt man statt eines Abreißblocks einen festen Block oder ein Heft, dann sind wir bei den Kladden, den Schmierheften oder Sudelbüchern. Hebt man die Schmierzettel und kleine Notizen auf, z.B. in einem Karton oder einem Karteikasten, dann handelt es sich um die Grundform eines Zettelkastens.

Zwei Hauptverwendungsweisen sind zu unterscheiden: Ein Schmierblatt für eine Vielzahl von Notizen und ein Schmierblatt für jede Notiz.

a) Die erste Variante ist wahrscheinlich die Üblichste: Auf dem Schreibtisch liegt ein Block, auf dem zahlreiche Informationen notiert werde: Beerdigungsdaten nach telefonischen Infos des Bestatters, Namen von Interessenten am neuen Besuchskreis, wichtige To-Do’s, Rückrufnummern und so weiter. Während eines Telefonats fällt einem plötzlich eine aktuelle Verbindung zum Predigttext auf. Schnell wird sie notiert, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Das ist die entscheidende, methodische Funktion: „damit der Einfall nicht in Vergessenheit gerät“. Schreiblehrer werden nicht müde, an die drei Grundregeln der Kreativität zu erinnern: Aufschreiben, Aufschreiben und Aufschreiben. Auch wenn sich ein Schmierzettel zu diesem Zweck immer findet: Wer die methodische Notwendigkeit des „Sofort-Aufschreibens“ kennt, ist darauf vorbereitet: Durch einen Notizblock, eine Zettelbox oder ähnliches an einem bestimmten Platz.

b) Bei der zweiten Variante ist das Methodische schon offensichtlicher: Viele haben Post-it-Aufkleber in Griffweite. Diese Notizzettel sind so klein, dass nicht mehr als eine Notiz darauf passt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Notizzettel können zum Beispiel an einen anderen Ort gelegt/geklebt werden: Telefonnummern ans Telefon, Predigteinfälle an den Monitor, To-do-Listen in den Taschenkalender Erledigte Notizen werden weggeworfen, noch benötigte können aufbewahrt werden, ohne dass sie vom großen Schmierzettel übertragen werden müssen.

Der größte Vorteil für die Predigtvorbereitung ist die Variabilität: Dadurch können die Notizen arrangiert und montiert werden. Klassischerweise nennt man das, was dabei geschieht, die Disposition: Die Schmierzettel mit den Ideen und Stichworten können sortiert und probeweise neu angeordnet werden. So entsteht allmählich der Entwurf für eine Predigt. Überflüssiges und letztlich vielleicht doch Unpassendes wird an die Seite gelegt, neue Einfälle werden auf neuen Zetteln notiert und eingefügt. Das ist auf dem Schreibtisch möglich oder auf dem Boden oder an der Wand. Echte Post-it’s sind dafür nicht unbedingt nötig: Wer auf die Klebefunktion verzichten kann, schneidet sich aus alten Zetteln kleine Zettel in der erforderlichen Größe, Form und Farbe zurrecht. Hilfreich kann eine Magnettafel sein, auf der Notizen, Bilder, ältere Einfälle aus dem Zettelkasten etc. arrangiert werden können.

Clustering

Das Clustering ist im Grunde eine komplexere Schmierzettelmethode. Es wurde von Gabriele Rico entwickelt, um einen Schreibimpuls künstlich zu initiieren. Da ich an andere Stelle schon eine Einführung ins Clustering geschrieben haben, hier zur Erläuterung nur soviel:

Cluster zur PredigtBeim Clustern werden zu einem Anfangsstichwort, dem so genannten Zentralwort, sämtliche Einfälle notiert, eingekreist und mit dem Ausgangswort verbunden, bis sich allmählich ein dichtes Netz von Verknüpfungen (Cluster) um das Zentralwort herum bildet. Aus dem anfänglichen lockeren Netzwerk entsteht allmählich eine verbindende Idee, die schließlich zu einem ersten Schreibimpuls führt. Genau um diesen Schreibimpuls geht es: Sobald das Bedürfnis da ist, den Einfall niederzuschreiben, wird mit dem Schreiben begonnen. Das Clusterblatt hat damit seine Aufgabe erfüllt.

Anders als bei kleinen Schmierzetteln sollte das Blatt für ein Cluster nicht zu klein sein: Ein Din-A4-Blatt quer genommen sollte es schon sein, unter Umständen ist sogar ein größeres Blatt sinnvoll. Möglich ist der Einsatz von Clustern auch in einer Kladde oder zur Vorbereitung einer Mindmap.

Die Kladde

Die Kladde ist ein Heft oder Buch, in das Notizen „ins Unreine“ geschrieben werden: In der Schule z.B. wurde noch zu meiner Schulzeit in den 1970er Jahren im Deutschunterricht extra ein Heft für das Vorschreiben verwendet. Im Laufe meiner Schulzeit ist dieses Schreiben ins Unreine allmählich unüblich geworden, was eigentlich sehr bedauerlich ist. Erst im Laufe meiner Dissertation habe ich für mein eigenes Arbeiten die Kladde wieder entdeckt.

Die Kladde ist die konsequente Weiterführung des Schmierzettels. Während der Schmierzettel nur eine kurze Haltbarkeit hat und dann möglichst auch entsorgt werden soll, wird die Kladde mit den in ihr notierten Gedanken aufbewahrt. Die elegante Form einer Kladde ist das Journal oder das Tagebuch.

Berühmte Kladdenbenutzer waren Ludwig Wittgenstein und insbesondere Georg Christoph Lichtenberg mit seinen Sudelbüchern. Kladde heißt eigentlich nichts anders als „Sudelbuch“ oder „Schmierbuch“. In Lichtenbergs Sudelbüchern findet man auch eine Notiz zur Kladde als Methode: „Schmierbuch Methode bestens zu empfehlen. Keine Wendung, keinen Ausdruck unaufgeschrieben lassen. Reichthum erwirbt man sich auch durch Ersparung der Pfennigs Wahrheiten.“ (F1209) In dieser Erkenntnis findet sich die kreative Grundweisheit „Aufschreiben!“ wieder.

Schwierig an der Kladde ist die zunehmende Unübersichtlichkeit: Wer Tagebuch führt weiß, dass das Stöbern in den alten Gedanken und Erlebnissen immer neue Impulse auslösen kann. Wer allerdings eine bestimmte Notiz oder Information sucht, muss schon recht genau wissen, in welchem Zeitraum er zu suchen hat. Auch die Notizen in einer Kladde können datiert sein. Viele Kladdenbenutzer nummerieren ihre Einträge dagegen durch. So wird es einfacher, auf bestimmte Einträge quer zu verweisen und ggf. in Verbindung mit einem Zettelkasten bestimmte Notizen schnell und sicher wieder zu finden. Von Wittgenstein ist bekannt, dass er seine Notizbücher zerschnitten und die Notizen in neue Bücher eingeklebt hat, aber diese Methode ist für die allgemeine Predigtvorbereitung wenig zweckmäßig.

Für die Predigtvorbereitung kann eine spezielle Sonntagspredigtkladde hilfreich sein, deren Einträge nach Sonntagen des Kirchenjahres geordnet sind. So lassen sich gegebenfalls Einträge zu einem bestimmten Predigttext leicht durch die Perikopenordnung wieder finden. Allgemeine Predigteinfälle und theologische Gedanken sollten dagegen eher in einem gesonderten Gedankenbuch à la Lichtenberg notiert werden.

Mindmapping

Mind-MapMindmaps dienen der strukturierten Erfassung von Informationen (siehe Einführung Mindmap). Meistens entstehen Mindmaps in einem Zweischritt: In der Anfangsmindmap werden die Notizen eines ersten Brainstormings gesammelt. In einem zweiten Schritt wird die Anfangsmindmap dann zu einer endgültigen Mindmap ausgearbeitet. Oft wird die Mindmap auch bei der nachträglichen Reduktion von Stoff verwendet: Zum Beispiel kann eine Predigt probeweise am Schreibtisch schriftlich ausformuliert und dann in einer Mindmap komprimiert werden.

Während die Anfangsmindmap auf einem Schmierzettel entsteht und einem Cluster ähneln kann, ist die ausgearbeitete Mindmap durchaus zum Aufbewahren gedacht. Sie kann in einem größerem Zettelkasten archiviert und gegebenenfalls erneut verwendet werden: Die Qualität einer Mindmap bemisst sich beinahe – so kann man fast sagen –daran, dass das in ihr strukturierte Wissen auch später noch „lesbar“ ist.

Die Mindmap kommt am stärksten dem Bedürfnis entgegen, eine Schreibmethode anzuwenden, die auf das freie Reden abzielt. Für manche ist das sehr ungewohnt, weil die Mindmap nur strukturierte Stichworte verwendet – angereichert durch farbliche Informationen, Zeichnungen, Querverweise und anderes – aber keine Formulierungen oder gar ganze Sätze. Der endgütige Redetext entsteht so tatsächlich während der Predigt. Die Mindmap lässt sich aber auch als Entwurfsmethode zur Ausformulierung an Schreibtisch verwenden.

Von den hier erwähnten fünf Schreibtischmethoden bedarf die Mindmap der stärksten Einübung, weil die radikale Beschränkung auf das Arbeiten mit Stichworten für die meisten sehr ungewohnt ist. Allerdings kann es durchaus sinnvoll sein, die strengen, echten Mindmapregeln ihres Erfinders Tony Buzan für die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Außerordentlich hilfreich sind Mindmapprogramme für den Computer, besonders weil Konzipieren und Verändern durch einfaches Verschieben ein sehr befreites, kreatives Arbeiten ermöglicht. Viele Mindmapprogramme ermöglichen es außerdem, Notizen zu den einzelnen Stichworten auszuformulieren, die anschließend in die eigene Textverarbeitung übernommen werden können. So lässt sich die Stärke der Reduzierung beim Entwerfen nutzen und gleichzeitig entsteht ein lesbarer Text. Empfehlenswert ist es aber dennoch, es einmal mit einer reinen Mindmap-Predigt zu versuchen.

Der Zettelkasten

Der Zettelkasten dient zur Aufbewahrung von Notizen, Zitaten und sonstigen Fundstücken. In seiner einfachsten Form ist er einfach nur ein Karton, in dem jene Zettel gesammelt werden, die aufbewahrt werden sollen. In seiner komplexen Form ist der Zettelkasten eine umfangreiche Kartei mit Querverweisen und vertiefenden Notizen.

Der Vorteil des Zettelkastens im Vergleich zur Kladde ist, dass die einzelnen Notizen herausgenommen und immer wieder neu angeordnet werden können. So ergeben sich mitunter interessante Zusammenhänge, die unentdeckt geblieben wären, würde alles in seiner alten Ordnung und Reihenfolge bleiben.

In den Zettelkasten können direkt die Schmierzettel wandern, auf denen ein interessanter und deshalb aufbewahrenswert erscheinender Gedanke notiert ist. In der Regel empfiehlt es sich aber, die ursprüngliche Notiz auf einen neuen Zettel „ins Reine“ zu schreiben.

Kiste mit ZettelnEinen einfachen Kasten mit Zetteln aufzubauen ist sehr unaufwendig: ein alter Schuhkarton genügt, um interessante Schmierzettel, Fotos, kleine Geschichten und Zeitungsmeldungen zum späteren Gebrauch zu sammeln. Wie häufig geschieht es bei der morgendlichen Zeitungslektüre, dass einem zu einer kleinen Meldung sofort ein theologischer Bezug einfällt – nur leider passt der Predigttext für den kommenden Sonntag und die Meldung so gar nicht zusammen. Hebt man den Zettel nicht auf, verschwindet der Einfall natürlich bald wieder. Praktisch ist es dann, wenn man während der Predigtarbeit in seinem Zettelkasten stöbern und vielleicht auf interessante, längst wieder vergessene Ideen stoßen kann. Umso umfangreicher die Zettelsammlung, desto größer ist dabei natürlich die Wahrscheinlichkeit, auf einen interessanten Text zu stoßen.

Die "Kattner"-MappeEine interessante Variante zum einfachen Zettelkasten ist die „Kattner-Mappe“, die mir Tanja Bödecker und Jens Teuber vorgestellt haben. Sie hat ihren Namen vom Schriftsteller Heinz Kattner, der in einigen Landeskirchen Schreibkurse für Pfarrerinnen und Pfarrer anbietet. Bei der Kattner-Mappe handelt es sich einfach um eine Klemmmappe, in der Texte wie in einem Buch zum Durchblättern gesammelt werden können. Diese Mappe kann ständig erweitert und verändert werden. Irgendwann erreicht sie natürlich einen Komplexitätsgrad , der ihre Verwendung schwierig macht. Dennoch ist sie gerade zur Verwendung von Gedichten und Geschichten sehr gut geeignet. Hier wird die Notwendigkeit zur Auswahl zur Tugend: Nicht alles wird für ewig aufbewahrt, sondern nur Texte, die mir aktuell besonders viel bedeuten, die mich inspirieren und die ich gerne mit anderen teilen möchte.

Einfacher ZettelkastenMit einer umfangreicher werdenden Zettelsammlung ist natürlich sowohl in einem Kasten wie in einer Klemmmappe die Übersichtlichkeit irgendwann ganz dahin. Selbst wenn sich viele interessante Gedanken finden: Bei mehreren hundert Zetteln kann man unmöglich dauernd alle Notizen durchsehen. Es bleibt dann bei sicher interessanten, aber doch eher zufälligen Funden. Bei steigender Komplexität wird es daher irgendwann nötig ein Ordnungssystem für seinen Zettelkasten zu verwenden. Zitate, Literaturverweise, eigene Notizen, ganze Geschichten und Artikel werden dann nicht nur gesammelt, sondern thematisch, alphabetisch oder numerisch sortiert, verschlagwortet und vernetzt, so dass mit der Zeit eine besondere Form des Gedächtnisses entsteht. Beispielsweise können so Ideen nach theologischen Stichworten (Abendmahl, Buße, Christus, Demut ) sortiert, alphanumerisch eingeordnet (Abendmahl 1, Abendmahl 1.2, Abendmahl 2.1a etc) und so kontinuierlich erweitert werden. Bei der Predigtvorbereitung kann man dann unter einem bestimmten Stichwort gezielt nach Einträgen suchen, die Karte(n) herausnehmen, auf dem Schreibtisch arrangieren und später wieder einsortieren.

Bekannter Zettelkastenverwender in dieser komplexen Form war der Soziologe Niklas Luhmann. Er hat seine Zettel allerdings nicht alphabetisch und nach Stichworten, sondern abstrakt alphanummerisch sortiert (1/1, 1/2a,1/2b 2/13d etc.). Mit Hilfe eines Registers konnte er die Einträge wieder finden. Der Vorteil des abstrakten Vorgehens ist, dass die Begriffe nicht in ein mehr oder minder starres Stichwortraster passen müssen, sondern unter den Einträgen zu „1“ neben Abendmahl auch Notizen zu Sakramente, Essen, Wein und Abschied und so weiter einsortierbar sind. Interessant ist, dass durch die abstrakte Sortierung ein gewisses Chaos entsteht, dass allerdings auch kreativ förderlich sein kann, weil plötzlich Dinge nebeneinander auftauchen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben und auf die man vielleicht nicht kommen würde, stünden sie nicht zufällig nebeneinander oder würden nicht Querverweise kreative Neuverbindungen ermöglichen.

Der systematische Aufbau eines Zettelkastens ist allerdings recht zeitaufwendig, wenngleich der Besitz eines solchen Zettelkastens von unschätzbarem Wert ist. Reichtum erwirbt man sich eben auch durch Ersparung der Pfenningswahrheiten. Eine hilfreiche moderne Variante bietet Computersoftware wie „Zettelkasten“ von Daniel Lüdecke, die die Zettel in einer Datenbank verwaltet. Die Programme unterstützen die Anwender bei der Verschlagwortung und erledigen viele Arbeitsschritte wie die Indexierung automatisch.

Der Zettelkasten ist auf Erweiterung angelegt. Predigerinnen und Prediger, die der Aufbau eines komplexen Zettelkastens abschreckt, können mit einem einfachen Kasten beginnen. Heribert Arens, Franz Richardt und Josef Schulte empfehlen in ihrem Buch „Kreativität und Predigtarbeit“ unbedingt die Einrichtung einer Predigt- bzw. Ideenkartei. Damit ist nichts anderes als ein Zettelkasten gemeint. Wer erfährt, wie hilfreich und entlastend selbst eine kleines Zettelschatzkästchen ist, wird wahrscheinlich über kurz oder lang eine komplexere Sammlungen aufbauen.

Predigtarbeitscluster

Die fünf vorgestellten Schreibtischmethoden zur Predigtvorbereitung sind keine Alternativen, sondern lassen sich miteinander verbinden und kombinieren. So ist der bewusst eingesetzte Schmierzettel eine grundlegende Methode für alle weiteren Schritte, während das Clustering eine spezielle Schmierzettelmethode ist. Ein Cluster kann ein erster Schritt zur Verschriftlichung sein oder eine Vorstufe für eine Mindmap. In der Kladde können Notizen, Cluster und Mindmaps dauerhaft aufbewahrt und zur Fundgrube für Predigteinfälle werden. Besonders wichtige Notizen können aus der Kladde auf Zettel übertragen und in einem Zettelkasten systematisch verwaltet werden. Auf den Zetteln können auch Verweise auf Kladden stehen, um bestimmte, umfangreiche Notizen und Skizzen wieder zu finden. An einer Magnettafel können ausgewählte Zettel aus dem Zettelkasten arrangiert und zu einer Predigtdisposition komponiert werden – zusammen mit neu angefertigten Schmierzetteln. Die Disposition kann wiederum mit Hilfe einer Mindmap verdichtet und als Vorlage für die Predigt verwendet werden.

Neben den Grundmethoden gibt es eine unendliche Vielzahl von Tricks und Techniken, um kreative Impulse zu fördern. Sie können die Grundmethoden ergänzen, nicht aber an ihre Stelle treten. Es ist zuweilen hilfreich, sich aus Methodenbüchern (oder aus der hier veröffentlichten Methodensammlung) eine Idee für ein kleines Schreibspiel zu entnehmen (zum Beispiel die Wörterliste), auf einem Schmierzettel zu notieren, um dann zu einem besonders ansprechenden Stichwort ein Cluster zu erstellen, um zu testen, wie weit die Einfälle tragen. Die meisten der kleineren Methoden sind eher Spielereien für zwischendurch, um die Gedanken einmal durcheinander zu wirbeln und auf spielerische Weise Anregungen für weitere Schritte zu gewinnen.

Jede der Methoden nutzt in der einen oder anderen Weise das Schreiben als Werkzeug zum „Denken auf dem Papier“, aber ohne sich auf bestimmte Formulierungen zu versteifen. Im Gegenteil: Kreatives Arbeiten macht auch frei dazu, das Geschriebene wieder zu verwerfen und nur als einen Weg zu betrachten um sich auf etwas vorzubereiten, was sich endgültig erst auf der Kanzel ereignen wird.