Die Angst vor dem leeren Blatt
Schreiben sollen oder wollen, aber nicht wissen wie und was und womit anfangen – die sprichwörtliche Angst vor dem leeren Blatt. Schreiblehrer erklären diese Angst mit dem Modell des verinnerlichten Kritikers: Orthographie und Ausdruck als bewertbare Kriterien einerseits, überzogene eigene Ansprüche und vermutete Erwartungen beim Leser andererseits führen zu Schreibhemmungen. Die naive Fabulierlierlust weicht der Angst vor Kritik, mit der Folge, dass das Schreiben klischeehaft wird (Rückzug auf bewährte Schreibmuster) und sich oft eine Antipathie gegen das Schreiben entwickelt.
Statt den schulischen Schreibunterricht einer Pauschalkritik zu unterwerfen, sind sich die Schreibforscher weitgehend einig, dass es sich bei dem Verlustprozess um normale Phasen des Schreibenlernens handelt. Um der Antipathie gegen das Schreiben zu begegnen wird allerdings eine Umorientierung empfohlen: Kreative Methoden sollen schon früh den Schreibunterricht ergänzen. Ihr allgemeines Ziel ist es, den verinnerlichten Kritiker während des Schreibprozesses zum Verstummen zu bringen und zu einer neuen Naivität anzuleiten. Erst in der Überarbeitungsphase wird eigene und fremde Kritik am Text zugelassen.
»Kreatives Schreiben« ist in Deutschland seit den 1970er Jahren zum Schlagwort für so viele Zusammenhänge und Zwecke geworden, dass es für keine einheitliche Tätigkeit steht. Den Hintergrund bildet das pragmatische Konzept des »creative writing«, wie es sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA als Schreibunterricht für schreibende Berufe (Journalisten, Schriftsteller etc) entwickelt hat und das heute zu den methodischen Grundlagen der universitären Ausbildung in den USA zählt. Nach Deutschland ist das creative writing Anfang der 60er Jahre gelangt – und zunächst von Schriftstellern erprobt worden. Schon bald entwickelte sich daraus eine breitere »Schreibbewegung«, die jenseits von kommerziellen oder künstlerischen Verwertungsinteressen das Kreative Schreiben als Weg der Selbstfindung durch Selbstausdruck entdeckte. Die gegenwärtige Literaturlage changiert zwischen diesen beiden Polen: dem Versprechen, methodisch schreiben zu lernen, um beruflich – und vielleicht sogar als Schriftsteller – Erfolg zu haben und dem Versprechen, im kreativen Spiel mit Worten zu sich selbst zu finden.
Grundmethoden Cluster und Mindmap
In den 1970er Jahren wurden fast zur gleichen Zeit zwei heute grundlegende Kreativitätsmethoden entwickelt: Ab 1971 hat TONY BUZAN sein Mind Map-Konzept entwickelt und Anfang der 80er Jahre mit „Use your brain“ einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Ebenfalls Anfang der 80er Jahre erschien „Writing the natural way“ von GABRIELE L. RICO, in der sie einen Schreibkursus auf der Grundlage der von ihr entwickelten Clustermethode vorstellte.
Beide Konzepte werden oft verwechselt: Im Zentrum steht jeweils ein umkreister Kernbegriff. Von diesem führen Linien zu weiteren Wörtern. Dabei kann ein weitverzweigtes System von Linien entstehen. Doch trotz mancher Ähnlichkeiten und einer gewissen Verwandtschaft gibt es bereits rein äußerliche Unterschiede. Diese sind unter anderem auf unterschiedliche Zielsetzungen der Methoden zurück zu führen.
Das Mindmap-Verfahren ist sicherlich das bekanntere Verfahren: Von Mindmaps hat fast jeder schon einmal gehört. In einer strengen Variante ist Mind Map® ein eingetragenes Warenzeichen. Verbreiteter ist der unlizensierte Gebrauch. Auch hier ist allgemein von Mindmaps die Rede.
Das Cluster-Verfahren mag dagegen unbekannter sein, wird aber trotzdem im Alltag sehr oft begegnen: Telefonnotizen und andere Mitschriften ähneln häufig eher Clustern als Mindmaps.
Der Grundgedanke beider Methoden ist, das übliche lineare Denken aufzubrechen und durch den Einsatz grafischer Elemente begriffliches und bildliches Denken miteinander zu verbinden.
Vor allem wenn über reine Wort-Mindmaps hinausgegangen wird, ist der Unterschied von Mindmap und Cluster schnell zu erkennen: Die Mindmap ist mehr als ein Sprungbrett für einen zu schreibenden Text. Selbst wenn man TONY BUZAN in seiner Darstellung des Mindmapping als einer Art Schweizer Messer des Denkens nicht folgen mag, zeigt sich, dass sich Mindmaps für viele Zwecke einsetzen lassen: zum Konspizieren längerer Texte oder ganzer Bücher, zum Konzipieren größerer Arbeiten, zum Visualisieren eines Referates in freier Rede oder als Lernhilfe. Alle Bereiche, in denen Kategorisierung, Hierarchisierung und Strukturierung nötig ist, sind prinzipiell mit einer Mindmap bearbeitbar.
Auch Cluster sind vielfältig einsetzbar, werden aber schnell unübersichtlich und sind oft nach kurzer Zeit schon nicht mehr ohne weiteres verständlich: Cluster zielen stärker auf die unmittelbare Weiterverarbeitung der im Cluster aufbereiteten Inhalte. So ist auch das Cluster ein gutes Instrument für Exzerpte und Konspekte – sofern diese unmittelbar in die schriftliche Ausarbeitung münden. Bereiche, in denen es um assoziative Verknüpfungen und die Findung neuer Ideen geht, sind prädestiniert für eine Bearbeitung durch Cluster.
Gleichwohl lassen sich Cluster und Mindmap in der Praxis gut kombinieren:
· Ein Cluster kann sehr gut als Anfangs-Mindmap verwendet werden: In der Nachbearbeitung durch die Erstellung einer Mindmap werden die entwickelten Ideen konzentriert und systematisiert.
· Bei der Verschriftlichung eines durch eine Mindmap vorbereiteten Themas kann das Cluster zu einem Mindmap-Stichwort ein erster Schritt zur Ausformulierung sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Die Stärken der Mindmap liegen bei der Konzipierung.
Die Stärken des Clusters liegen bei der unmittelbaren Schreibvorbereitung.
Kreatives Schreiben im Unterricht
Der Umgang mit Texten im Religions- wie Konfirmandenunterricht birgt einige Problemen. Schon vor der Veröffentlichung der PISA-Studie war den meisten Unterrichtenden klar, dass die Schreib- und Lesekompetenz spürbar nachlässt. Zweifellos gilt: Schreiben und Lesen sind fundamentale Kulturtechniken. Dennoch hat man auf den Einsatz von Textarbeit in RU und KU oft und resignierend verzichtet. Nicht zuletzt, weil die Arbeit mit Texten den Ruf hat, zu „verkopft“ zu sein. Gerade die evangelische Theologie mit ihrem deutlichen Bekenntnis zu Schrift und Evangelium vergibt sich aber ihre ureigenste Basis, wenn sie die Probleme des Umgangs mit Texten an den Deutschunterricht delegiert.
Dort steht auf der einen Seite der schreib- und literaturdidaktische Unterricht, der auf Schreib- und Lesefähigkeit zielt und das Schreiben um des Schreibens willen unterrichtet, auf der anderen Seite das Ziel, durch den Einsatz von kreativen Schreibmethoden persönlichkeitsbildend zu wirken. Relativ jung ist die Einsicht, dass beide Richtungen miteinander vereinbar sind und dass Kreatives Schreiben als Methodengerüst verstanden werden kann, um mit fremden Texten zum Teil spielerisch umzugehen und sie sich auf diese Weise anzueignen.
Das Kreative Schreiben hat sich – zum Teil in expliziter Abgrenzung zum schulischen Unterricht, dem Spaß an Schreiben und Textarbeit verschrieben. Sprechen, Schreiben und Lesen sind Handlungen, und deshalb gilt der kreative Umgang mit Texten als Beispiel handlungsorientierten Unterrichtens (jenseits der Schule). Seit den 1970er Jahren haben Pädagogen versucht, diesen Ansatz auch für den schulischen Unterricht zu nutzen – mit mehr oder minder großem Erfolg. Neue Impulse zog die Schreibbewegung Ende der 1980er und im Verlauf der 1990er Jahre aus der sog. Postmoderne-Bewegung. Dabei wurde entdeckt, dass Schreiben nicht nur ein produktiver sondern auch ein reproduzierender Vorgang ist. Losgelöst von humanistischen Bildungsidealen und strenger historisch-kritischer Methodik wurden alte oder fremde Texte als Steinbrüche für eigenes Schreiben entdeckt. Dabei machte sich die Einsicht breit: Einen Text interpretieren heißt, einen neuen Text zu einem vorliegenden Text zu produzieren. Das übliche Missverständnis, eine Interpretation sei ein Sachtext, wurde zurückgewiesen. Die Alternative lautete: Jeder Text, der sich auf einen anderen bezieht, interpretiert diesen. Bereits ein Zitat ist eine Interpretation, indem eine fremder Text in einen eigenen hineinmontiert wird.
Mag der Postmodernismus in epistemologischer und wissenschaftstheoretischer Hinsicht auch problematisch sein – für den Umgang mit Texten hat er eine neue Diskussionslage geschaffen, von der sich auch RU und KU inspirieren lassen können. Das Oberziel sollte dabei nicht sein, Wissen über Texte zu vermitteln, sondern zu einer Methodenkompetenz anzuleiten, die über den Spaß am spielerisch-kreativen Umgang mit Texten zu selbständiger Textarbeit befähigt.
Grundformen
Verdichten und Entfalten
Der kreative Umgang mit fremden Texten ist im Allgemeinen zwischen zwei Polen gespannt: Auf der einen Seite die Text-Verdichtung, auf der anderen Seite die Text-Entfaltung. Beispiel für Verdichtung ist z.B. die Précis-Methode (eine Wundergeschichte auf 25 Wörter kürzen), Beispiel für Entfaltung wäre z.B. einen Psalmvers zu einer Erzählung oder einem Essay umzuarbeiten. Beide Pole müssen keine Gegensätze bilden. Sie können vielmehr den Anfangs- und den Zielpunkt einer Unterrichtseinheit markieren. Die anfängliche und notwendige Reduktion der Informationsfülle eines Textes in der Verdichtungsphase bereitet den Aneignungsprozess einzelner Aspekte eines Themas in der Entfaltungsphase vor.
Kreatives als gelenktes und als freies Schreiben
Die Methoden des kreativen Schreibens werden unterschieden in gelenkte und in freie Schreibmethoden. Vor allem in der Grundschule und in Sek I werden gelenkte Methoden dominieren, d.h. die Schülerinnnen und Schüler werden Schritt für Schritt zur Produktion eines Textes angeleitet. Das gelenkte kreative Schreiben als Methode der Auseinandersetzung mit gegebenen Texten geschieht prinzipiell in 4-5 Hauptschritten:
1.1 Textbegegnung (Stille Lektüre, lautes Vorlesen etc.)
1.2 Textarbeit (Text unterstreichen, gliedern, löschen)
2. Sammlung und Entwicklung eigener Ideen (Cluster, MindMaps etc.)
3. Textproduktion (Textimitation, schreiben eigener Texte nach Formvorgaben etc.)
4. Textpräsentation („Dichterlesung“ im Klassenzimmer, Veröffentlichung in Schülerzeitung oder Internet)
Das freie Schreiben ist von solchen schrittweisen Anleitungen losgelöst und stellt recht hohe Anforderungen an den Schreiber. Mit dem freien Schreiben sollte nicht zu früh begonnen werden: In den Schulen dominiert seit langem das freie Schreiben (der freie Aufsatz etc.), allerdings ohne dass zuvor in kreative Schreibarbeit eingeführt wurde. Viele Schreibblockaden sind auf einen zu frühen, zu schnellen Übergang zum freien Schreiben zurück zu führen. Wo dies bereits der Fall ist (bei vielen Erwachsenen), sollen kreative Schreibmethoden diese Blockaden auflösen. Am gelenkten Schreiben führt kaum ein Weg vorbei.
Themen finden
Der Mangel an realen Schreibanlässen ist ein Kernproblem des Schreibunterrichts. Deshalb müssen Schreibanlässe fingiert werden, um überhaupt ins Schreiben zu kommen. Eine Methode ist z.B. das Bibelstechen/Buchstechen: mit einem Messer oder einem Brieföffner wird die Bibel geöffnet und eine beliebiger Vers ausgewählt, der nun als Ausgangspunkt für die weiteren Übungen dient. Das Problem stellt sich aber vor allem dann, wenn die Textproduktion Selbstzweck ist. Wird das kreative Schreiben als Unterrichtsmethode eingesetzt, hat der oder die Unterrichtende in der Regel bereits ein Thema gewählt, zu dem gearbeitet wird. Ich verzichte deshalb hier auf eine ausführliche Darstellung von Methoden der Themenfindung und verweise auf die Literatur, z.B. L. von Werders Lehrbuch des kreativen Schreibens.