Predigt über alttestamentliche Texte

Theologische, hermeneutische und homiletische Probleme

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Motto

„Es waren immer die verkappten Feinde des Christentums, von den Gnostikern an bis auf den heutigen Tag, die ihm sein ‘Altes Testament’ nehmen wollten.“

Franz Rosenzweig[1]

1 Einleitung  3
2 Predigt und Altes Testament – Eine erste Annäherung  6
3 Probleme des Umgangs mit dem alttestamentlichen Kanon  16
4 Alttestamentliche Traditionen im christlichen Diskurs  23
5 Altes Testament und Homiletik  31
6 Abbildungen  43
7 Literaturverzeichnis  44

1 Einleitung

(1)               Muß eine Predigerin oder ein Prediger,[2] wenn sie oder er einen Text des Alten Testamentes[3] auslegt, sich in besonderer Weise rechtfertigen? Wenn dies so wäre, würde sich der Umstand leicht erklären lassen, warum fast ausschließlich Alttestamentler sich zum Thema „Predigt und Altes Testament“ geäußert haben. In der praktisch-theologischen Forschung wird die Frage nach der Predigt über atl. Texte eher stiefmütterlich behandelt. Monographische Darstellungen finden sich gar nicht, Aufsätze kaum und auch die Behandlung in homiletischen Lehrbüchern ist entweder knapp oder entfällt. Dabei berührt das gestellte Thema die zentralen Topoi christlicher Theologie. Dieser Umstand macht es nötig, die Frage nach der Predigt über alttestamentliche Texte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, wobei einige Themenkomplexe allenfalls gestreift werden können. An vielen Stellen arbeite ich in Grenzbereichen der theologischen Disziplinen, so etwa dort, wo alt- und neutestamentliche Forschung sich überschneiden, aber auch interdisziplinär, etwa im Rückgriff auf philosophische und sozialwissenschaftliche Kommunikationstheorien.

(2)               Der Umgang mit dem Alten Testament in der Predigt hängt wesentlich von zwei Faktoren ab, dem eigenen Predigtverständnis und dem Verständnis des AT als einem Teil des biblischen Kanon. Diesen beiden Faktoren gilt mein Hauptinteresse. Dabei gehe ich davon aus, daß die Predigt über atl. Texte kein grundsätzliches Problem darstellt, sondern ein Spezialproblem der Frage nach der Predigt über biblische Texte.[4] Ich werde deshalb versuchen, die theologischen und hermeneutischen Besonderheiten des AT herauszuarbeiten und zu homiletischen Fragestellungen in Beziehung zu setzen. Dazu setze ich bei der Predigt an und frage von hier aus nach den speziellen Problemen, die das Alte Testament christlichen Predigern bringt. Dabei ist zunächst nach der Aufgabe der Predigt zu fragen. Bestünde die Aufgabe allein darin, die Christusbotschaft zu verkünden, läge es nahe, entweder die Möglichkeit atl. Texte zu predigen ganz zu bezweifeln oder das AT auf das NT hin zu predigen. Wie Predigt über atl. Texte aussehen könnte, hängt also eng damit zusammen, welches Predigtverständnis zu Grunde gelegt ist. Das heißt aber auch, bereits hier die Verbindung von Homiletik und systematisch-theologischer Reflexion zu betonen, denn die Antwort auf die Frage nach der Aufgabe der Predigt ist untrennbar mit der Frage nach dem Kern der ntl. Botschaft sowie der Frage nach dem Zusammenhang von AT und NT verbunden. Von hier aus gilt es, atl. Hermeneutik und christliche Theologie zu untersuchen und deren Bedeutung für die Homiletik aufzuweisen. Einen wichtigen theoretischen Bezugsrahmen wird dabei die Diskurstheorie J. Habermas’[5] darstellen.

(3)               Daß das AT überhaupt ein Problem für die Theologie und die Predigt darstellen könnte, hängt mit dem Umstand zusammen, daß es zu den Grundschriften zweier Religionen gehört. Dabei ist die Bezeichnung „Altes Testament“ etwas unklar und bedarf einer kurzen Erläuterung.[6] Die Biblia Hebraica ist Gegenstand atl. Forschung und Grundlagentext der Predigt, wobei sie dem jüdischen Tanach (Tora, Nebiim und Ketubim) resp. der „schriftlichen Tora“ entspricht.[7] Die Septuaginta ist nicht einfach die griechische Übersetzung der BH, sondern ein durchaus eigenständiger Kanon, der in Text, Text­anordnung und Umfang abweicht, z.B. indem die einzelnen Bücher nach dem Schema Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft angeordnet und die sog. deuterokanonischen Schriften eingereiht sind. Das AT der Lutherbibel schließlich entspricht in Text und Umfang der BH resp. dem Tanach und trennt die deuterokanonischen Schriften als Apokryphen ab, während die Textanordnung von der Septuaginta übernommen wird. Was also ist mit „AT“ zu bezeichnen: die BH, die LXX, der erste Teil der Lutherbibel? Ich gehe hier davon aus, daß „Altes Testament“ bereits ein hermeneutischer Begriff ist, der einen gesamtbiblischen Kanon, also das Gegenüber von AT und NT voraussetzt.[8] Insofern gilt der Begriff allen drei genannten Versionen, wobei die BH der maßgebliche Text ist und der LXX eine abgeleitete Autorität hat. Die Lutherbibel hat gerade im homiletischen Kontext Bedeutung, weil sie für die Gemeinde die im gottesdienstlichen wie privaten Gebrauch entscheidende Größe darstellt. Wenn darüber hinaus an einigen Stellen dieser Arbeit der Begriff „Hebräische Bibel“ verwendet wird, dann in dem Sinne, daß er den Ausdruck „Biblia Hebraica resp. Tanach“ ersetzt.

(4)               Die Frage nach der Relevanz des AT für den christlichen Glauben und somit für die Predigt gehört schon genealogisch zu den Grundfragen der Theologie.[9] Die „Schrift“ der frühen Christenheit waren Texte unseres heutigen AT, allerdings in unterschiedlichen, kanonischen Fassungen.[10] Sie wurde im Gemeindegottesdienst verwendet und erst allmählich, ebenfalls in gottesdienstlichem Rahmen, um christliches Schrifttum ergänzt. Einer der ersten, der die Relevanz des AT für den christlichen Glauben bestritt, war Marcion, der einen Teil der im christlichen Gottesdienst verwendeten Texte, nämlich einige Paulusbriefe sowie das Lukasevangelium, zusammenstellte und dem AT entgegensetzte, wobei er mit textkritischem Impetus die Texte von angeblichen jüdischen Interpolationen ‘reinigte’. Grundlage war für Marcion die gnostisch beeinflußte Ansicht, daß der Gott des AT nicht identisch sei mit dem Vater Jesu Christi, weil er erkannte, daß die Gottesvorstellungen des AT nicht ohne weiteres mit dem christlichen Gottesbild zu vereinbaren waren. Die christlichen Gemeinden reagierten darauf, indem sie Marcion zum Häretiker erklärten. Zugleich wurde der Prozeß der Kanonisierung christlichen Schrifttums forciert und die Zusammengehörigkeit von AT und entstehendem NT betont.[11] Die hermeneutische Reaktion der Alten Kirche auf die gnostischen und marcionitischen Anfragen bestand in der Entwicklung und dem Ausbau allegorischer und typologischer Modelle, die verbunden mit der dogmatischen Konzeption der Heilsökonomie das Gesamtverständnis des AT bestimmten und bis in die Reformationszeit hinein (und z. T. bis heute) aktuell blieben.[12]

(5)               Die Reformation markiert zugleich einen Wendepunkt auch in der Bewertung des Verhältnisses von AT und NT, etwa in der Entwicklung des an Paulus orientierten Modells von Gesetz und Evangelium.[13] Mit dem Beginn der historisch-kritischen Erforschung des AT[14] bei Semler sowie der Entwicklung es religionsgeschichtlichen Ansatzes bei Wellhausen und seiner Schule, wurde allmählich eine Trennung vom AT wieder zum Thema. Die Erkenntnis, daß das AT in sich hochgradig disparat ist, führte dazu, daß der atl. Kanon unter dem kritischen Blick der Forscher zusehends in Einzelteile zerfiel und die Annahme seiner Einheitlichkeit, sowohl bezüglich des Kanon als auch seiner einzelnen Bücher, aufgegeben werden mußte. Aber auch der Zusammenhang mit dem NT wurde fraglich, weil deutlich wurde, daß der erste Teil der christlichen Bibel ein durchaus eigenständiges Buch ist, dessen Theologien nicht unmittelbar zum Christentum führen und zuweilen im Widerspruch stehen zu ntl. Texten.[15] Mit der Erkenntnis, daß die atl. Texte von ihrem Selbstverständnis her nicht als Verweise auf Jesus von Nazareth verstanden werden können,[16] mußte zwangsläufig die Frage nach der bleibenden Bedeutung des AT gestellt werden. Dies führte dazu, daß etwa Schleiermacher eine Trennung von AT und NT wenn auch nicht für notwendig, so doch für legitim halten[17] und von Harnack fordern konnte, „reinen Tisch“[18] zu machen und die längst fällige Trennung vom AT zu vollziehen. Zu erinnern ist in diesem Kontext aber auch an die sog. Sportpalastkundgebung, bei der ein Teil der als Deutsche Christen zusammengeschlossenen nationalsozialistischen Protestanten forderte, Gottesdienst und Bekenntnis „von allem Undeutschen …, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral“[19] freizumachen.

2 Predigt und Altes Testament – Eine erste Annäherung

(6)               „Es gibt die Predigt,“ schreibt Preuß, “und es gibt christliche Predigt at.licher Texte.“[20] Ob die Predigt über einen atl. Text grundsätzlich ein Problem darstellt, hängt in hohem Maße davon ab, von welchem Predigtverständnis ein Prediger ausgeht. Ich werde deshalb zunächst darlegen, welches Verständnis dieser Arbeit zugrundeliegt. Ich gehe dabei von Beobachtungen und Überlegungen zur gegenwärtigen Predigt aus, nicht von einem systematischen Predigtbegriff. In einem zweiten Schritt gehe ich dann auf die Predigt atl. Texte ein und zwar, indem ich zunächst einen Überblick gebe über atl. Texte in den Perikopenreihen und dann klassische Modelle des christlichen Umgangs mit dem AT vorstelle.

2.1 Überlegungen zum Predigtverständnis

(7)               Eine allgemeine Definition der Predigt und ihrer Aufgabe, d.h. einen common sense darüber, was Predigt ist und sein soll, gibt es nicht.[21] In formaler Hinsicht ist Predigt Rede und als Rede eine sprachliche Handlung.[22] Die Bezeichnung der Predigt als Rede beinhaltet, indem ich sie zum Ausgangspunkt einer Bestimmung der Predigtaufgabe mache, bestimmte Präsuppositionen: Predigt als Rede ist menschliche Rede, sie unterliegt den gleichen Bedingungen, unter denen alle Formen menschlicher sprachlicher Handlungen stehen. Darüber hinaus trägt sie als Handlung die gleichen Kennzeichen wie alle menschlichen Handlungen, d.h. sie ist eine Tätigkeit, die intentional strukturiert ist, zu deren Tun aber auch Unterlassen jemand aufgefordert werden, v.a. aber die gelingen oder scheitern kann. Dieser knappen handlungstheoretischen Explikation ist eine Differenzierung in sprechakttheoretischer Hinsicht hinzuzufügen: Einerseits läßt sich die Predigt selbst als eine sprachliche Handlung verstehen, andererseits gibt es innerhalb einer Predigt verschiedene Sprechakte, die die Predigt erst konstituieren.[23]

2.1.1 Die Vielfalt der Predigt

(8)               Nun ist aber nicht alle Rede – auch nicht alle christliche Rede – Predigt, weshalb zu fragen ist, wodurch sie sich unterscheidet, ob es ein Kriterium gibt, anhand dessen entscheidbar wäre, ob eine Rede ein Predigt ist oder nicht. Wollte man jemandem, der unseren Kulturraum nicht kennt, zeigen, was eine Predigt ist, man würde mit ihm wahrscheinlich in einen Gottesdienst gehen, und sobald die Pfarrerin auf die Kanzel steigt ausrufen: „Jetzt beginnt die Predigt!“ Eine typische Erscheinungsform der Predigt ist also die gottesdienstliche Gemeindepredigt. Aber daneben stehen noch andere Formen der Predigt, klassisch wäre hier die Missionspredigt zu nennen, die den rituellen Rahmen der Gemeindepredigt nicht benötigt, die aber trotzdem als Predigt erkannt werden kann, oder eine Predigt in einer Messehalle während des Kirchentags oder unter freiem Himmel als Einstieg in ein dörfliches Schützenfest. Diese hier nicht einmal ansatzweise ausgeführte Vielfalt der Predigt nötigt dazu, bei der Bestimmung von dem, was Predigt ist, eine möglichst weitgefasste Beschreibung zu geben, die neben formalen auch inhaltliche Kriterien umfaßt.[24] Dafür bietet sich eine kurze Bestimmung Gert Ottos an, von deren Interpretation aus ich das hier vertretene Predigtverständnis darzulegen versuche.

2.1.2 Predigt als Teil des religiösen Diskurses

(9)               Nach Otto geht es der Predigt darum, „auf dem Forum der Kirche öffentlich, verständlich, und wirksam ins Zeitgespräch zu bringen, was christlicher Glaube heute heißt, im gegenwärtigen Gefüge von Zeit, Welt und Gesellschaft“[25]. Ich werde dieser Bestimmung nachgehen und unter vier Aspekten betrachten: den Ort der Predigt, die sprachlichen Voraussetzungen, den spezifischen Gehalt und den Situationsbezug.

2.1.2.1 Die sprachlichen Voraussetzungen

(10)           Ich setzte an mit den sprachlichen Voraussetzungen, weil ich hier an schon Gesagtes anknüpfen kann. Daß die Predigt, wie sie begegnet, öffentlich, verständlich und wirksam sei, läßt sich gewiß nicht – zumindest nicht in dieser Trias – als Beschreibung verstehen, sondern ist – zumindest auch – normativ. Daß eine Predigt verständlich sein sollte, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden, denn das Verständlichkeitskriterium spricht für sich und ist grundlegend für alle Formen verständigungsorientierter  Kommunikation.[26] Anders ist es mit dem Öffentlichkeitskriterium, denn natürlich gibt es Reden, die nur einem bestimmtem Publikum vorbehalten sind. Wäre das für die Predigt ebenfalls denkbar?[27] Anders als bei der Frage nach der Verständlichkeit spielen hier bereits stärker theologische Motive mit, die über den formalen Aspekt des Redecharakters der Predigt hinausgehen, so etwa, wenn die Predigt als Verkündigungsrede verstanden wird. Predigt als Gemeindepredigt ist ebenfalls, da der gottesdienstliche Rahmen öffentlich ist, öffentliche Rede. Es kann hier nicht geklärt werden, ob Öffentlichkeit konstitutiv ist für die Predigt, festgehalten werden kann aber, daß sie es prinzipiell ist.[28] Schließlich die Frage nach der Wirksamkeit: In sprechakttheoretischer Hinsicht gehört zu jeder sprachlichen Handlung der perlokutionäre Akt, was verbunden ist mit der intentionalen Struktur jeder Handlung. Da Predigt als Handlung aber scheitern kann, kann die Predigt natürlich auch in ihrer Wirkabsicht scheitern. Das Kriterium der Wirksamkeit kann deshalb nicht bedeuten, daß Predigt wirksam sein soll, sondern daß sie wirksam sein will. Eine andere Frage ist, wie Predigt wirksam sein will. Hier sind pastoralethische Überlegungen nötig, die ich an dieser Stelle aber zurückstelle. Hinsichtlich der homiletischen Probleme, die die Predigt atl. Texte bringt, wird darauf noch einzugehen sein.[29]

2.1.2.2 Der Ort der Predigt

(11)           Daß die Predigt besonders in einem kirchlichen Gebäude begegnet, war schon bemerkt worden, aber ebenso, daß sie auf das Gebäude z.B. einer Kirche nicht angewiesen ist. Auch ist keine institutionelle Verfasstheit nötig, wenn auch in der Bundesrepublik der (volks-)kirchliche Rahmen sicher am häufigsten begegnet. Es liegt deshalb nahe, den Begriff „Ort“ metaphorisch zu verstehen und den Begriff der Kirche möglichst weit zu fassen, etwa in Anlehnung an CA 7+8 durch die Bezeichnung „Versammlung aller Gläubigen“ als einem corpus permixtum. Predigt findet dann statt innerhalb dieser Versammlung (z.B. als Gemeindepredigt) oder geht aus ihr hervor (z.B. als Missionspredigt).

2.1.2.3 Der Gehalt der Predigt

(12)           Während die bisherigen Ausführungen durchaus kompatibel mit zahlreichen vorliegenden homiletischen Entwürfen und somit konsensfähig sind, stellt sich mit der Frage nach dem Gehalt der Predigt ein Problem, daß hier allein deshalb nur vorläufig angesprochen werden kann, weil es in dieser Arbeit die ganze Zeit im Hintergrund stehen und somit durchgängiges Thema dieser Arbeit sein wird. Unproblematisch scheint der Gegenstand der Predigt zu sein: In den meisten Fällen begegnet Predigt als Textpredigt und zwar im weitesten Sinne in Form der Auslegung eines Bibeltextes. Daneben gibt es aber auch die Formen der Themapredigt sowie der Lied- oder Bildpredigt.

(13)           Wenn Otto die Aufgabe der Predigt darin sieht, ins Zeitgespräch zu bringen, was christlicher Glaube heute heißt, so besteht der Vorteil dieser Funktionsbestimmung darin, daß sie (1.) einen angemessenen Kompromiß bildet zwischen einer formalen und einer inhaltlichen Bestimmung und (2.) die monologe Struktur der üblicherweise begegnenden Predigt nicht schon in ihrer Definition festschreibt.[30] Zugleich wird aber zum Ausdruck gebracht, daß es in der Predigt nicht um beliebige Themen geht, sondern um den christlichen Glauben, dies aber, ohne die Predigerin auf ein Spezifikum dieses Glaubens festzulegen. Was jeweils ins Gespräch gebracht wird, ändert sich je nach Situation und Anlaß, wobei ich davon ausgehe, daß bestimmte Formen der Predigt Affinitäten zu bestimmten Inhalten aufweisen.[31] Daß etwas ins Gespräch gebracht wird impliziert, daß der monologische Charakter der Predigt nicht Gespräch abschließt, sondern eröffnet oder weitertreibt.[32]

2.1.2.4 Der Situationsbezug und die Predigt als Teil des christlichen Interpretationsdiskurses

(14)           „Ins Zeitgespräch bringen“ heißt aber auch, Bezug zu nehmen auf die Alltagswelt der Hörenden, wobei diese Bezugnahme vielfältig sein kann und in unterschiedlicher Weise für die Predigt relevant ist. Die homiletische Trias Text – Hörer – Prediger läßt sich nicht gradlinig auffassen, wobei der Prediger das Bindeglied zwischen Text und Adressaten bildet, sondern eher als ein mehrstufiges Modell gegenseitiger Einwirkung.[33]

(15)           Wenn die Predigt die Aufgabe hat, an der Frage mitzuarbeiten, was christlicher Glaube heute heißt, dann steht sie in der Spannung zwischen den Aussagen der Tradition, sei es der biblische Text oder seine Rezeptionsgeschichte, und den Anforderung der aktuellen Situation. F. Schüssler Fiorenza hat in anderem Kontext[34] versucht, diese Spannung mit dem Begriff der Interpretationsgemeinschaft zu bearbeiten. Kirche wird dabei insofern als Interpretationsgemeinschaft verstanden, als sie durch die kritisch-rekonstruktive Interpretation ihrer normativen religiösen und sittlichen Traditionen eine Beziehung herstellt zur gesellschaftlichen und politischen Praxis.[35] Tradition und Situation werden hierin zu wechselseitigen Kritikerinnen, was Schüssler Fiorenza etwas umständlich ausdrückt als doppelt reflexives Äquilibrium.[36] Ich nehme diesen Gedanken auf und führe ihn weiter zum Verständnis der Kirche als einer Diskursgemeinschaft.[37] Predigt wird verstanden als Teil dieses Diskurses. Eine Diskursgemeinschaft läßt sich im Anschluß an J. Habermas als Gemeinschaft von Sprechern und Hörern beschreiben, die im Rekurs auf bestimmte Bereiche in der sozialen, objektiven und subjektiven Welt wechselseitig Geltungsansprüche, namentlich der Richtigkeit, der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, erheben, die akzeptiert und bestritten werden können.[38] Im Diskurs werden problematische (resp. problematisch gewordene) Geltungsansprüche argumentativ auf ihre Berechtigung hin überprüft. Eine Gemeinschaft, trivial gesagt, ist eine Gruppe von Menschen, die etwas gemein hat. Das ist im Falle der Interpretationsgemeinschaft ein gemeinsamer Traditionsbestand, im Falle der Diskursgemeinschaft der gemeinsame Bestand an Ausdrucksmöglichkeiten und Diskursregel. Die Notwendigkeit, einen Interpretationsdiskurs zu führen, resultiert einerseits aus dem Anspruch der gemeinsamen Tradition, bleibend Gültiges auszusagen, andererseits aus dem mit Texten grundlegend verbundenen Problem, daß der Textsinn immer erst erhoben werden muß und zwei Leser/Hörer aus dem gleichen Text zwei unterschiedliche Bedeutungen herauslesen/-hören können. Wenn nun Diskurse als jene Orte aufgefaßt werden, an denen die Gültigkeit von in Sprechhandlungen erhobenen Geltungsansprüchen geprüft wird, dann ist ein Interpretationsdiskurs zu verstehen als Erörterung der Gültigkeit der von Mitgliedern einer Interpretationsgemeinschaft hervorgebrachten Interpretationen.

2.2 Das Alte Testament als Gegenstand der Predigt

2.2.1 Das Alte Testament in den Perikopenreihen

(16)           Schon mehrfach war angeklungen, daß Predigt häufig als Gemeindepredigt und hier bezogen auf die normalen Gottesdienste des Kirchenjahres mit den eingebundenen Festtagen als Textpredigt begegnet. Es scheint mir deshalb ratsam, zunächst einen Blick zu werfen auf die Texte der Perikopenreihen, um zu sehen, wie hier AT vorkommt.[39] Die atl. Lesetexte lasse ich unberücksichtigt und betrachte allein die zur Predigt vorgeschlagenen Texte.[40]

(17)           Von den insgesamt über 850 Textvorschlägen[41] sind 33% dem AT entnommen, 3% den deuterokanonischen Schriften des AT. Damit sieht es so aus, als ob rein statistisch jede dritte Predigt einen atl. Text zur Grundlage hätte, was bereits angesichts des Textverhältnisse von AT und NT letztlich ungleichgewichtig ist. Tatsächlich führen aber atl. Texte in noch größerem Maße ein ‘Marginaldasein’, denn ohne die Marginaltexte, die atl. Continua und die Psalmenreihe beträgt der atl. Anteil nur knapp ein Fünftel. Auch in eine andere Richtung befragt, nämlich im Blick auf die 73 Sonn- und Festtage des Kirchenjahres als den ‘normalen’ Gottesdiensten beträgt der AT-Anteil etwa ein Fünftel. Läßt sich auch festhalten, daß im Vergleich zur Perikopenordnung von 1958 die Revision von 1977 insgesamt eine leichte Anhebung des AT-Anteils gebracht hat, bleibt der Schnitt aber bei etwa einem Viertel.[42] Auch die Verteilung innerhalb des AT ist sehr ungleichgewichtig.[43] 52 mal werden Jesajatexte angeboten, das sind mehr als ein Viertel aller AT-Texte. Das am zweithäufigsten vorkommende Buch, Genesis, kommt auf nur ein Zehntel. Den vier am häufigsten zu predigenden Büchern der sechs Predigtreihen (Jes, Gen, Ex und Jer) sind mehr als die Hälfte der atl. Perikopen entnommen.[44] Wenn man davon ausgeht, daß die Bibel als Ganzes Gottes Wort ist, kann man nicht anders, als zu urteilen, daß die OPT dieses Wort stark und zu Ungunsten des AT reduziert.[45]

2.2.2 Das Problem schematischer Reduktion alttestamentlicher Pluralität in der Predigt

(18)           Das Verständnis von Texten setzt immer schon Vorkenntnisse voraus. Deshalb ist es wichtig für die exegetische Arbeit am Text, die Grundlage einer Textpredigt ist, sich diese Vorkenntnisse und das damit verbundene Vorverständnis klarzumachen. Die christliche Tradition hat schon früh Modelle entwickelt, die den Umgang mit atl. Texten prägen. In diesem Abschnitt wird es deshalb darum gehen, klassische Modelle vorzustellen, die z.T. schon im NT begegnen. Ich bezeichne diese Modelle als schematische Reduktionen, weil sie tendenziell bestimmte Elemente, die in der Reflexion über die Beziehung beider Testamente hervortreten, zu hermeneutischen Universalprinzipien erheben, mittels derer jeder Text eingeordnet werden kann. So berechtigt und plausibel jedes dieser Modelle auch sein mag, besteht gerade für die Predigt die Gefahr darin, daß die Eigenart eines einzelnen atl. Textes als Predigtperikope aufgrund einer unreflektierten hermeneutisch-theologischen Vorentscheidung nicht mehr gesehen wird. Dies ist die den folgenden Erwägungen zugrundeliegende These. Zur Darstellung greife ich auf die von Preuß[46] herausgearbeiteten Typen zurück, wobei ich hier allerdings weniger die einzelnen Abschnitte referieren, als vielmehr den jeweiligen Kern herausstellen werde. Ich beginne dabei mit drei der ältesten, schon ntl. belegten Modelle, die besonders durch von Rads einflußreichem Entwurf einer Theologie des AT[47] eine entscheidende Neubewertung erfahren haben.

2.2.2.1 Das Schema ‘Verheißung und Erfüllung’

(19)           Das Schema „Verheißung-Erfüllung“ greift bereits auf atl. Traditionen zurück, wobei die ntl. Verwendung nicht einheitlich ist.[48] Die sich als das wahre Israel verstehende Urgemeinde konnte bei ihrer Ausbildung des Christusverständnisses mit Hilfe dieses Schemas die Kontinuität von atl. Tradition und christlichem Glauben ausdrücken. Wenn von Rad dieses Schema aufnimmt, so ist dies v.a. im Kontext seines geschichtlichen Grundmodells zu verstehen, und somit durchaus im Anschluß an den heilsgeschichtlichen Aspekt der paulinischen Theologie. Das Problem, das mit diesem Ansatz verbunden ist, läßt sich bei von Rad daran festmachen, daß er behauptet, das Alte Testament lasse sich „nicht anders lesen als das Buch einer ständig wachsenden Erwartung“[49]. Daß Jesus als der Christus verstanden werden konnte, ist sicherlich vor dem atl. bereits angelegten Erwartungshorizont zu verstehen, aber dieser Erwartungshorizont beruht auf nur einem Teil der atl. Traditionen.[50] Mag also das Schema bei einzelnen Texten seine Berechtigung haben, kann es doch nicht als Prinzip des ganzen atl. Kanons verstanden werden, denn die meisten Texten handeln nicht von einer Erwartung.

2.2.2.2 Heils- und Universalgeschichtliche Auslegung

(20)           Besteht auch eine gewisse Affinität des Verheißung-Erfüllung-Schemas zur heilsgeschichtlichen Konzeption, so sind beide Modelle aber nicht notwendig aufeinander bezogen. Ihre grundlegende Gemeinsamkeit besteht in der Bedeutung der Geschichte, wie sie sich im JHWH-Glauben schon in der Exo­dustradition äußert: JHWH ist ein in der Geschichte handelnder Gott. Der schon bei von Rad auszumachende, über Vatke vermittelte Einfluß der Hegelschen Geschichtsphilosophie auf die Konzeption einer Heilsgeschichte wird bei Pannenberg besonders deutlich, zumal Pannenberg das heilsgeschichtliche Modell in ein universalgeschichtliches transformiert. Verbunden ist das heilsgeschichtliche Modell mit eschatologischen und d.h. teleologischen Konzeptionen, was bei Pannenberg dazu führt, im eschatologischen Heil den Zielpunkt des Schöpfungshandelns zu sehen und zwar als einer „kosmischen Erneuerung der Welt“[51]. Hierauf richtet sich die christliche Hoffnung vom Kommen des Reiches Gottes. Damit integriert Pannenberg stärker als von Rad auch das Verheißungs-Erfüllungsschema als ein bleibendes Modell, denn während von Rad im Christusereignis die Erfüllung atl. Verheißung sieht, betont Pannenberg, daß auch die Christen in Erwartung der künftigen Erfüllung als Vollendung der Schöpfung stehen und das AT von dieser Erwartung her sehen. Wenn das Chris­tusereignis selbst aber nicht Endpunkt der Heilsgeschichte ist, stellt sich die Frage, was damit gemeint sein soll, daß er in heilsgeschichtlicher Perspektive die Erfüllung atl. Verheißung sein soll.

2.2.2.3 Typologie

(21)           Von Rads Lösungsversuch besteht m.E. darin, daß im Kern seiner heilsgeschichtlichen Konzeption eine Repristinierung der Typologese, die wie die anderen Schemata Anhalt bereits im NT hat, vorgenommen aber entscheidend modifiziert wird. Während die ntl. Typologie, auch in der Form von Typos und Antitypos, die atl. Personen und Ereignisse in einer vorbildenden Funktion begreift,[52] ist der moderne Typologiebegriff etwa bei von Rad dadurch geprägt, daß er nach typischen Strukturen fragt, an denen sich Analogien auch zwischentes­tamentlich aufzeigen lassen.[53] In epistemologischer Hinsicht hat deshalb die Typologie eine ähnliche Funktion wie ein Vergleich. Der Unterschied zur Allegorese besteht darin, daß die Typologese offen erkennbare Vergleichspunkte sucht, also eine Strukturanalogie aufzeigen will, während die Allegorese einen verborgenen Sinn hinter dem Wortsinn sucht.

2.2.2.4 Antithese von Gesetz und Evangelium

(22)           Während das Verheißungs-Erfüllungs-Schema besonders die Kontinuität bedenkt, konzentrieren sich die antithetischen Modelle auf die Gegensätze der beiden Bibelteile. An herausragender Stelle ist dabei die als Gegensatz aufgefaßte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu nennen, wie sie anknüpfend an die reformatorische Rekonstruktion der paulinischen Rechtfertigungslehre besonders in der lutherischen Tradition begegnet. Mit aller Deutlichkeit kommt dies bei E. Hirsch zum Ausdruck, der im Kontext der Auseinandersetzung um das AT bei den Deutschen Christen die Notwendigkeit hervorhebt, das AT als Teil der christlichen Bibel zu bewahren, um „als ewiges Bild der im Evangelium verneinten Gesetzesreligion dem christlichen Selbstverständnis als Stachel zu dienen“[54]. Zwar ist Hirsch bewußt, daß im atl. Text zahlreiche unterschiedliche Traditionen vorliegen, trotzdem plädiert er dafür, von einem „Gesamtsinn“ auszugehen, wie er sich von der nachexilischen Entwicklung her, und das heißt für Hirsch die Entwicklung zur Gesetzesreligion, erschließt.[55] Was Hirsch übersieht, ist, daß die dialektische Beziehung der beiden Begriffe, wie Barth sie bekanntlich durch die Umkehrung zu Evangelium und Gesetz ausgedrückt hat, nicht antithetisch sondern als positiv aufeinander bezogen zu verstehen ist.[56] Diese gerade die paulinischen Briefe prägende Indikativ-Imperativ-Struktur findet sich schon im AT, so daß etwa W.H. Schmidt in einer Untersuchung zu Gesetz und Evangelium im AT zu dem Ergebnis kommt, es bestünde in dieser Frage „kein echter Gegensatz“ zwischen AT und NT[57]. Gesetz und Evangelium erweisen sich so eher als etwas die beiden Testamente Verbindendes.[58]

2.2.2.5 Christologische Auslegung und Allegorese

(23)           Die christologische Auslegung steht in direktem Gegensatz zum antithetischen Verständnis des AT, indem das AT insgesamt als Verweis auf Christus verstanden wird und in vielen Einzeltexten Christus bereits gemeint sein soll. Klassisch stellt sich dies z.B. dort dar, wo der deuterojesajanische Gottesknecht bereits als der ntl. Christus identifiziert oder Christus als Beter einiger Psalmen verstanden wird. Dieser Umgang mit atl. Texten findet sich in Ansätzen bereits im NT, wurde aber v.a. in der frühen Kirche durch die Entwicklung der allegorischen Methode entfaltet. Wenn W. Vischer schreibt, das AT sage was, das NT wer Christus ist,[59] so deutet sich hier bereits das Problem an, daß die im AT enthaltene messianische Tradition zum Proprium atl. Hermeneutik wird.[60]

2.2.2.6 Theokratische Auslegung

(24)           Van Rulers theokratischer Ansatz sieht den Kern atl. Hermeneutik in der Frage nach dem Reich Gottes, das für ihn der zentrale Punkte der atl. Botschaft ist.[61] Im NT nimmt er eine starke Spiritualisierung wahr, die von den sozialen und politischen Impulsen der v.a. eschatologisch gedachten Gottesherrschaft abweicht, obwohl deren Anbruch doch Mittelpunkt der Verkündigung Jesu war. Grundsätzlich rechnet van Ruler zwar mit der geschichtlichen Ausrichtung des AT,[62] wendet sich aber gegen deren typologisch-heilsgeschichtliche Ausrichtung bei von Rad[63], weil diese zu sehr vom NT her lese.[64] Van Ruler will das dialektische Verhältnis beider Bücher betonen, wodurch er deutlich in die Nähe neuerer gesamtbiblischer Theologien rückt. Dabei steht im Kern die Christuspredigt. Da diese aber verkürzend ist, muß heutige Predigt auch Reichs­predigt sein. So interessant die provokante Argumentation van Rulers ist, sie hat einen Schwachpunkt: Hier wird die einseitige Dominanz des NT umgedreht zugunsten des AT. Das NT sei nicht eine bloße Verlängerung des AT, sondern seine legitime Auslegung, ja van Ruler geht sogar soweit, daß er behauptet, ausschließlich die christliche Kirche könne mit dem AT wirklich etwas anfangen[65]. Wenn auch in der jesuanischen Verkündigung das Reich Gottes eine wichtige Rolle spielt und dabei an theokratische Traditionen des AT anknüpft, so reicht dies als Argument nicht aus, hierin das zentrale Anliegen atl. Texte zu sehen.[66]

3 Probleme des Umgangs mit dem alttestamentlichen Kanon

(25)           Wer über biblische Texte predigt, ist mit einer Reihe von exegetisch-philologischen Problemen konfrontiert, die ich hier nicht eingehend zu behandeln brauche.[67] Was hier aber thematisiert werden muß, ist der Umgang mit dem AT als einem Kanon, der einen Teil der christlichen Bibel ausmacht. Die Frage nach der atl. Pluralität innerhalb eines kanonischen Werkes sowie die Frage nach dem Zusammenhang von AT und NT stellen nach wie vor zwei Grundprobleme atl. Hermeneutik dar. Hinter die Erkenntnis inneratl. wie gesamtbiblischer Disparität führt m.E. ebensowenig ein Weg zurück, wie hinter die sie aufzeigende historisch-kritische Methode. Ist der Umgang mit dem AT heute nicht mehr so möglich, wie es in den Urgemeinden oder der frühen Kirche der Fall war, und können die schematisch reduzierenden Modelle immer nur einem Teil der Texte gerecht werden, so ist dem auch in der Predigt Rechnung zu tragen, nämlich indem eine Predigerin sich Rechenschaft darüber ablegen muß, wie sie diesen Fragen begegnet. Es gibt in der gegenwärtigen deutschsprachigen Forschung, soweit ich sie überblicke, zwei Wege, mit diesen Grundproblemen umzugehen: Der erste Weg führt über eine Theologie des AT,[68] der zweite über die Religionsgeschichte,[69] wobei ersterer in der deutschsprachigen Theologie der z.Z. dominierende sein dürfte.[70]

3.1 (Biblische) Theologie des alten Testaments oder …

(26)           Dies hängt in nicht unerheblichem Maß mit von Rads einflußreichem Entwurf einer atl. Theologie zusammen, in der die älteren hermeneutischen Schemata wieder aufgegriffen, aber unter Einbeziehung der historisch-kritischen Ergebnisse neu rekonstruiert werden.[71] Der expliziten Ablehnung der dogmatischen Inanspruchnahme der älteren Biblischen Theologie wird die Forderung nach einer Biblischen Theologie gegenübergestellt, „in der der Dualismus je einer sich eigensinnig abgrenzenden Theologie des Alten und des Neuen Testaments überwunden wäre“[72]. Dabei soll bei von Rad die verloren gegangene Einheit durch die Konstruktion einer geschichtlichen Kontinuität wiederhergestellt werden, und zwar einerseits inneratl. durch das Kontinuum der Offenbarung JHWHs in der Geschichte Israels, andererseits zwischen den Testamenten durch die Aufnahme des heilsgeschichtlichen Schemas. Beide Aspekte sind dadurch miteinander verbunden, daß von Rad das Offenbarungshandeln JHWHs je gebunden sieht an eine konkrete Zeit und einen konkreten Ort, was den Glauben an die Treue JHWHs lebendig hält, namentlich indem die überkommene Tradition immer neu angeeignet und umgedeutet werden muß. In der nachexilischen Situation nun kommt es zu einem Stillstand, das „Gesetz wird zu einer absoluten Größe von voraussetzungsloser, von zeit- und geschichtsloser Gültigkeit“[73], ja die Heilsgeschichte selbst kommt zum Stillstand[74] und erst mit dem Christusereignis geschieht eine neue Anbindung an die heilsgeschichtliche Linie, weil Menschen durch Aneignung und Umdeutung der Überlieferung die „Erscheinung Christi in einen geschichtlichen Zusammenhang mit Israel“[75] stellen.

(27)           Die hier sich bereits andeutende gesamtbiblische Perspektive findet bei A. H. J. Gunneweg und B. S. Childs pointierte Weiterentwicklungen.[76]  Während bei von Rad das NT eher in einer Fluchtlinie des AT gesehen werden kann und somit eine Fortführung der atl. Tradition bedeutet,[77] dreht Gunneweg die Blickrichtung um: Eine gesamtbiblische Theologie kann „als christliche … nur vom Neuen Testament her entworfen werden“[78]. Die Betonung liegt hierbei auf „gesamtbiblisch“, denn natürlich hat die atl. Wissenschaft die Aufgabe, nach der Eigenart der atl. Texte zu fragen. Dabei aber wird deutlich, daß das AT keine christliche Schrift ist. In welcher Weise es kanonische Geltung beanspruchen kann, ist nur vom NT her beantwortbar. Das „daß“ der Kanonizität, das Gunneweg als Kriterium ablehnt, wird dagegen bei Childs zum entscheidenden Kennzeichen atl. wie ntl. Texte. Die diachrone Betrachtung, so berechtigt sie als philologische Untersuchung des Textes sein mag, tritt dabei hinter die synchrone Analyse des vorliegenden Textes zurück. Die Hauptaufgabe der Textkritik ist nicht die Sicherung einer wie auch immer zu verstehenden ursprünglichen Form, sondern der kanonischen Fassung. Dadurch ist Childs bei der Ausbildung seiner gesamtbiblischen Theologie in der Lage, AT und NT als Kanon gleichberechtigt miteinander stehen zu lassen mit der Folge, daß AT und NT sich gegenseitig kritisieren können.

(28)           Die komplexen Versuche, eine (Biblische) Theologie des AT zu schreiben stehen, trotz aller Faszination, die von ihnen sicherlich ausgeht, m.E. immer in der Gefahr, einen Holzweg einzuschlagen. Dieser Holzweg endet gewöhnlich an einem Ort, der sich „Mitte des AT“ nennt.[79] Gunneweg hat deshalb zu Recht angemahnt, daß die „Sammlung von israelitischen und jüdischen Schriften sich nicht auf einen Nenner bringen und mit Hilfe eines hermeneutischen Generalbegriffs bewältigen läßt“[80]. Allerdings hat Gunnewegs Vorschlag, daß AT allein vom NT her zu lesen, eine entscheidende Schwäche: Es scheint, als sei Gunneweg die Glaubensaussage des NT klarer, als die des AT, d.h. als gebe es im NT jene Einheit, die im AT nicht gefunden werden kann. Dabei ist auch das NT eine Sammlung unterschiedlicher, früher christlicher Positionen, deren Differenzen z.B. allein am höchst unterschiedlichen Umgang mit dem AT verdeutlicht werden kann.[81] Ich stelle die Frage nach dem ntl. Umgang mit dem AT aber zunächst zurück.

3.2 … Religionsgeschichte Israels?

(29)           Den oben erwähnten zweiten Weg eines religionsgeschichtlichen Zugangs hat R. Albertz[82] einschlagen. Albertz versteht sich nicht als reinen Historiker, der das AT als Dokument einer fremden Religion untersucht, wie dies z.T. in der Religionsgeschichtlichen Schule der Fall war, sondern er ist sich bewußt, daß er als Theologe theologische Interessen in seine geschichtliche Darstellung mit hineinbringt.[83] Das darf aber nicht bedeuten, daß „heimlich oder offen … dogmatische Gliederungs- und Auswahlprinzipien“[84] eingeführt werden.[85] Gegenüber von Rad aber auch der älteren Religionsgeschichte, deren Geschichtsverständnis stark geistes- und ideengeschichtlich geprägt ist, geht Albertz, im Anschluß an den gegenwärtig sich abzeichnenden Umbruch in der atl. Forschung, von einer sozialgeschichtlich rekonstruierten Situation des israelitischen Menschen und der israelitischen Gesellschaft aus. Hierbei zeigt sich, wiederum im Unterschied zu von Rad, daß sich der Entwicklungsprozeß der israelitischen Religion nicht allein in einer kontinuierlichen Aneignung und Umdeutung der überkommenen Tradition verstehen läßt, sondern, indem konsequent nach den gesellschaftlichen Trägergruppen religiöser Überlieferung gefragt wird, daß zeitgleich mehrere Überlieferungstraditionen und traditionale Deutungsmuster miteinander konkurrieren und in der geschichtlichen Entwicklung auf vielfältige Weise kombiniert werden können. Die hiermit verbundene, auch religionssoziologisch informierte Erkenntnis, daß die Ebene offizieller Religiosität niemals deckungsgleich ist mit den zahlreichen Erscheinungsformen regional geprägter aber auch familiärer und individueller Religiosität,[86] wird ausgedrückt in dem für Albertz wichtigen Begriff des „religionsinterne[n] Pluralismus“[87]. Dabei bilden die unterschiedlichen Ebenen keine abgeschlossenen Einheiten, sondern sie sind hochgradig perforativ, und dies sowohl intern, d.h. bezogen auf die nationale Größe Israel resp. Juda, als auch nach außen hin.[88]

(30)           Die Aufgabe einer Religionsgeschichte bestimmt Albertz als „Beschreibung eines fortlaufenden Diskurses unterschiedlicher israelitischer Gruppierungen darüber, wie bestimmte geschichtliche Entwicklungen von Gott her zu deuten seien und was angesichts dieser Herausforderungen nach seinem Willen zu tun sei“[89]. Gerade diese formale Bestimmung des inneratl. Zusammenhangs als eines fortlaufenden Diskurses macht es möglich, die Einheit der im atl. Kanon vertretenen Positionen trotz aller Differenzen zu sehen, ohne die Texte zu vereinheitlichen und auf einen theologischen Nenner, eine „Mitte“ bringen zu müssen.[90] Zugleich kann die in der frühhellenistischen Zeit sich ausbildende Torafrömmigkeit angemessen gewürdigt werden, ohne mit von Rad eine gesetzliche Erstarrung zu konstatieren.[91] Allerdings, und das liegt in der Natur einer Religionsgeschichte Israels, muß bei Albertz der Zusammenhang von AT und NT in den Hintergrund treten. Er wird nur einleitend gestreift.

3.3 Die Einheit des Kanon und die Vielfalt der Traditionen

(31)           Eine religionsgeschichtliche Betrachtung, wie sie sich bei Albertz darstellt, muß also nicht notwendig dazu führen, daß das, was zunächst als Kanon einheitlich begegnet, in eine Vielzahl zusammenhangsloser Theologien und Traditionen zerfallen muß, weil die kanonische Gestalt, so könnte man sagen, die Traditionen miteinander ins Gespräch bringt. Es stellt sich aber die Frage, ob eine Trennung von Theologie des AT und Religionsgeschichte Israels eine wirkliche Alternative darstellt.[92] Schmidt hebt das wechselseitige Verhältnis beider Darstellungsarten hervor, wenn er schreibt, daß „eine exegetisch bestimmte ‘Theologie’ nicht denkbar [ist] ohne Blick auf die Religionsgeschichte, wie umgekehrt eine ‘Religionsgeschichte’ nach den theologischen Intentionen des Alten Testaments zu fragen hat“.[93] Der Vorteil einer Theologie des AT ist ebenso wie der einer Biblische Theologie, daß in ihr der Kontext des NT implizit bereits mitgesetzt ist. Dies ist aber zugleich ihr größter Nachteil, denn sie steht, wie Gunneweg gezeigt hat, einerseits in der Gefahr, die atl. Vielfalt auf einen Nenner bringen, andererseits aus einem nicht-christlichen Buch ein christliches machen zu wollen.[94]

3.3.1 Das Alte Testament als Interpretationsbasis

(32)           Der Sachverhalt, daß das AT als Hebräische Bibel zu den Grundlagenschriften zweier Religionen gehört, legt nahe, die Hebräische Bibel weder dem Judentum noch dem Christentum jeweils allein zuzuschreiben, sondern beiden berechtigten Anspruch auf ihre Auslegung des Textes zuzugestehen.[95] Daß aus der Vielfalt von Positionen in der Hebräischen Bibel zwei Religionen hervorgehen konnten, ist dabei im hebräischen Text ebenso angelegt, wie die Vielzahl der christlichen Konfessionen, die sich auf den einen ntl. Kanon berufen.[96] Ich möchte deshalb hier auf den bereits eingeführten Begriff der Diskursgemeinschaft zurückgreifen und mit Albertz’ Rede vom „fortlaufenden Diskurs“ zusammenbringen. Bezogen auf die altisraelitische Gesellschaft umfaßt dieser Begriff dann jene Gruppierungen, deren Diskurs uns im atl. Kanon in geronnener Form vorliegt. Damit lassen sich Juden wie Christen, soweit sie als Interpreten des ihnen vorgegebenen Kanons auftreten, als Interpretationsgemeinschaften bezeichnen.[97]

(33)           Was ist mit diesen Begriffen gewonnen? Zum einen tragen sie dem Umstand Rechnung, daß die Hebräische Bibel, wie R. Rendtorff zutreffend betont hat, eine doppelte Nachgeschichte hat,[98] die damit beginnt, daß innerhalb der jüdischen Interpretationsgemeinschaft ein neuer Interpretationsdiskurs entsteht, der letztlich zur Trennung von Gemeinde und Synagoge führt. Zum andern wird die räumliche und zeitliche Distanz mitberücksichtigt: Wir können uns heute dem altisraelitischen Diskurs nur noch interpretierend nähern, teilnehmen können wir nicht mehr. Genauso wenig können die Autoren und Redaktoren in unseren heutigen Diskurs eingreifen.[99]

3.3.2 Altestamentliche Pluralität und christliche Anknüpfung

(34)           Daß das AT als eine der Grundlagenschriften des Christentums selbst nicht christlichen Ursprungs ist, sondern dem Christentum und dem zweiten Teil seines Kanons vorausgeht bedeutet nicht, daß es eine allein jüdische Schrift ist. Wenn H. Wolff fordert, „den Juden ihr Altes Testament als ihr Eigentum, das es immer war,“ [100] zurückzugeben, so übergeht sie nicht nur aus m.E. dogmatischen Gründen den komplexen Entstehungsprozeß des christlichen AT, sondern verkennt zugleich die hohe Bedeutung mindestens der LXX für die urchristliche und frühkirchliche Interpretationsgemeinschaft und damit für die christliche Verkündigung überhaupt. Sicherlich ist es zu kurz gegriffen, mit von Rad eine geschichtliche Kontinuität durch alle Diskontinuität hindurch anzunehmen, indem die jesuanische Verkündigung an die angeblich ursprünglichen Intentionen der atl. Verkündigung anknüpft und so die gesetzliche Erstarrung des Judentums überwindet. Gunneweg beklagt deshalb zu Recht eine zu einseitige hermeneutische Vereinnahmung und theologische Vereinheitlichung: Das geschichtliche Faktum der Trennung von Gemeinde und Synagoge kann nur schwerlich übersehen werden. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie dieser Bruch in eine christliche Perspektive des AT integriert und ob das AT wirklich nur vom NT her gelesen werden kann. Dieser Frage wird im nächsten Kapitel nachzugehen sein.

(35)           Bisher läßt sich zusammenfassend sagen, daß das AT zwar in einer kanonischen Gestalt begegnet, aber zahlreiche z.T. disparate theologische und weltanschauliche Konzeptionen aufweist, die sich einem substantiellen Einheitsbegriff entziehen. Gerade die religionsgeschichtliche Analyse von Albertz weist hier, indem die unterschiedlichen Traditionslinien innerhalb der Hebräischen Bibel offengelegt werden, darauf hin, daß in der hellenistischen Zeit neben der sich entwickelnden Torafrömmigkeit auch andere jüdische Konzeptionen Platz haben, die sich ebenfalls auf den Traditionsbestand berufen, und die, dokumentiert in den deuterokanonischen Schriften, die „Fortentwicklung der Jahwereligion von einer geschichtlichen Befreiungsreligion zu einer eschatologischen Erlösungsreligion“[101] betreiben. So erweist sich gerade die Vielfalt der Positionen als Anknüpfungspunkt für die Predigt, um einerseits die Einheit des AT als Diskursdokument, andererseits aus christlicher Sicht die Zusammengehörigkeit von AT und NT zu begründen, ohne auf einen substantiellen Einheitsbegriff zurückgreifen zu müssen.[102]

4 Alttestamentliche Traditionen im christlichen Diskurs

(36)           Ich komme damit zu der Frage, wie es möglich sein kann, vom NT her eine Theologie des AT zu entwickeln, wie es Gunneweg fordert. Eine Möglichkeit bestünde sicherlich darin, jene Linien, die aus dem AT heraus im NT ihre Fortsetzung finden, zu untersuchen und zu sehen, wie die ntl. Autoren, die die Quelle für den christlichen Glauben bilden, selbst mit dem AT umgegangen sind.[103] Aber das Ergebnis einer solchen Untersuchung kann heute nicht mehr Maßstab eines Predigers im Umgangs mit atl. Texten sein, weil so die Hebräische Bibel christlich vereinheitlicht und vereinnahmt wird, ohne die Eigenständigkeit des atl. Textes zu berücksichtigen.[104] Ich schlage deshalb hier einen anderen Weg ein. Das Problem, daß die Hebräische Bibel in ihrer Eigenständigkeit Grundschrift zweier Religionen ist, läßt sich weiterleiten zu der These, daß sie zwar offen ist für eine christliche Weiterführung, aber nicht auf eine solche angewiesen ist, während das NT notwendig der atl. Basis bedarf. Was das für die Predigt atl. Texte bedeutet, wird im Folgenden zu überlegenden sein.

4.1 Die Abhängigkeit der Christuspredigt vom Alten Testament

(37)           „Die urgemeindliche Predigt war weitgehend Predigt mit Hilfe alttestamentlicher Texte und doch mehr und anderes als nur Auslegung von Texten, wie es die jüdischen Schriftgelehrten taten; sie war Wort, das von Christus herkommt, ihre Worte jedoch entnahm sie dem Text.“[105] Was hier bei Gunneweg anklingt ist die manchmal in der Dogmatik begegnende Unterscheidung von Gehalt und Gestalt,[106] d.h. der Unterscheidung von Inhalt (die ‘christliche Botschaft’ oder ‘das Evangelium’) und seiner kontingenten Erscheinungsform (die uns im NT überlieferte, kontextabhängige Sprach- und Denkweise). Der propositionale Gehalt einer Aussage läßt sich vielgestaltig transportieren,[107] das dürfte außer Frage stehen, problematisch ist das Verständnis der Beziehung von Inhalt und Form. Auf den Punkt gebracht: Wie weit läßt sich die Christusverkündigung des NT von ihrer aus dem AT gewonnenen sprachlichen Gestalt lösen? Das zentrale Argument zur Stützung der These, daß die ntl. Botschaft der atl. Grundlage bedarf, besteht darin, daß die Ausbildung des Christusglaubens ein sprachliches Ereignis ist, nämlich eine Neuinterpretation atl. Traditionen.

4.1.1 Die Konstitution des Christusglaubens als Sprachereignis

(38)           Sicherlich hat die nachösterliche Gemeinde von ihrem Auferstehungsglauben her ihr Verständnis des AT ausgebildet, aber dieser Auferstehungsglaube entstand nicht ex nihilo, sondern in einer jüdisch-hellenistisch geprägten Umwelt, deren Sprache und Weltverständnis z.B. die Vorstellung einer Auferstehung ermöglichte.[108] Dem voraus ging die Identifikation Jesu mit dem atl. Messias resp. dem Christus der Septuaginta.[109] So waren denn auch die beiden frühesten Bekenntnisse der Urgemeinde „Jesus ist auferstanden“ und „Jesus ist der Christus/Messias“.[110] Es dürfte vor allem dieser zweite Satz gewesen sein, der die Spannung der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem zum sie umgebenden Judentum ausmachte. Soweit sich die Position der Judenchristen überhaupt rekonstruieren läßt, kann man von ihr sagen, daß sie sich „nicht als neue Religionsgesellschaft, sondern als der jüdischen Religionsgemeinschaft zugehörig, ja als das wahre Judentum“[111] verstand. Kern ihrer an Juden gerichteten Botschaft war, daß mit Jesus als dem Christus die eschatologische Heilszeit angebrochen ist, was aber nicht bedeutete, daß die Tora damit ihre Gültigkeit verlor. Anders die liberaleren hellenistischen Judenchristen: Für sie verlor einerseits vornehmlich das Kultgesetz an Bedeutung, andererseits war ihre Mission, wenn auch zunächst ausgehend von den hellenistischen Synagogen, offen auch für die Heiden außerhalb Judäas und Galiläas.[112] Für beide aber gilt, daß sie als Juden in einer religiösen Sprachwelt sowohl ihre Sprache am AT ausbildeten, indem sie ihnen traditional vorgegebene Wörter und Begriffe weiter- aber auch anders verwendeten, als auch mit dieser veränderten Verwendungsweise wieder das AT lasen.

(39)           Daß Jesus als der atl. Messias verstanden werden konnte, setzt sprachlich die Öffnung des atl.-theokratischen Messiasbegriffs voraus, was sich spätestens in der persischen Zeit belegen läßt, andererseits aber bestand ein messianischer Erwartungshorizont, in den die Jünger Jesus hineinstellen konnten.[113] Allerdings scheitert Jesus am Kreuz: „Das war in der alttestamentlichen Messiaserwartung nicht vorgesehen. Wie kann es sein, daß einer wie Jesus so sterben muß, und wie kann einer, der so stirbt, der Messias sein?“[114] Mit dieser Frage H.H. Schmids scheint die Bruchstelle von ntl. Christusglauben und atl. Begriffstradition angedeutet. Aber die Frage, die auch die Frage der Jüngergemeinde gewesen sein mag, wird nicht mit völlig neuen Begriffen bearbeitet, sondern ebenfalls im Rückgriff auf atl. Motive beantwortet.[115]

(40)           Es läßt sich also festhalten, daß die ersten Christen, indem sie das Schicksal des als Messias verstandenen Jesus auf der Basis atl. Traditionen deuteten, diese Traditionen christologisch, d.h. auf Christus hin bündelten. Die sprachliche Konstituierung des Christusglaubens aus dem AT, die im Bekenntnis zu Jesus als dem Christus Israels und seiner Auferweckung auf den Punkt gebracht wird, und das Wieder-Lesen des AT von diesem Glauben aus lassen sich mit Vielhauer verstehen als „Selbstbestätigung des christlichen Glaubens“[116]. Zugleich ging es aber darum, der nicht an Jesus als dem Christus glaubenden Umwelt auf der Basis der gemeinsamen Tradition die Wahrheit ihres Bekenntnisses aufzuzeigen, was ntl. v.a. mit den Schemata Verheißung/Erfüllung und der heilsgeschichtlichen Betrachtung geschah. Von dieser Perspektive aus, die Kraus als „messianischen Christus-Glauben“ bezeichnet hat,[117] ergeben sich Probleme für den heutigen Prediger. Zum einen stellt sich die Frage, was es heute noch bedeuten soll, daß Jesus der Messias JHWHs ist, zumal der Messiastitel im Namen „Jesus Christus“ zum Eigennamen geworden ist. Zum andern stehen wir in der Situation, eine von der Glaubens- und Traditionsgeschichte Israels weitgehend losgelöste Geschichte des christlichen Glaubens hinter uns zu haben, deren Grundlage ein heidenchristlich dominiertes NT ist.[118]

4.1.2 Das Neue Testament als Fragment des frühchristlichen Interpretationsdiskurses

(41)           Christen stehen heute nach wie vor vor der Aufgabe, ihr jeweiliges Selbstverständnis zu klären, dies aber auf der Grundlage der christlichen Tradition, zu der neben AT und NT auch die kirchliche Bekenntnisentwicklung gehört. Damit ist der Kernpunkt des Problems einer atl. Hermeneutik vom NT her angesprochen. Denn wenn im NT bestimmte Traditionen christologisch gebündelt vorliegen, und diese Tradition deshalb christologisch gebündelt sind, weil sie in einer Zeit einerseits der Ausbildung der christlichen Diskursgemeinschaft, anderseits der Auseinandersetzung innerhalb der auf die atl. Traditionen bezogenen Interpretationsgemeinschaft entstehen, dann stellt sich der Blick auf das AT durch das NT wie ein Blick durch eine Linse dar, die einige Traditionen bündelt und so klar und deutlich hervortreten läßt, während andere unscharf werden oder aus dem Blickfeld geraten. Dazu ist zu berücksichtigen, daß die Autoren des NT offensichtlich nicht beabsichtigt haben, ein NT zu verfassen und schon gar kein NT, das an die Stelle des AT treten sollte. Ihnen galten Gesetz und Propheten als die Schrift, mit der sie selbstverständlich umgingen, die sie als Teilnehmer am Interpretationsdiskurs souverän und legitim verwendeten und die die zentrale Legitimierungsinstanz des christlichen Bekenntnisses war. Die uns vorliegenden ntl. Texte lassen sich so, wie das AT, als geronnener Diskurs, nämlich der urchristlichen Gemeinde verstehen. Daß es so verstanden werden kann, ergibt sich von daher, daß auch im NT unterschiedliche theologische Konzeptionen vorliegen und daß z.B. in den Evangelien unterschiedliche mündliche und schriftliche Traditionen verarbeitet sind, die ein höchst vielfältiges Bild der Diskurspositionen vermittelt.[119] Allerdings liegt uns dieser Diskurs nur noch fragmentarisch vor.[120] Dominierend ist die heidenchristliche Perspektive, die hellenistisch-judenchristliche liegt in Jak vor und in Teilen in Mt,[121] aber auch als Gegnerposition in den paulinischen Briefen. Darüber hinaus liefern z.B. die Evangelien unterschiedliche christologische Entwürfe, die unmittelbar in die frühkirchlichen christologischen Streitigkeiten weiterführen.[122]

(42)           Wer heute predigt, kann nicht mehr hinter diese Situation zurück. Aber durch das Faktum heidenchristlicher Dominanz wird das AT nicht überflüssig. Vielmehr bedürfen die in der heutigen Gemeinde weiterhin verwendeten Begriffe wie „Herr“, „Sohn Gottes“, „Christus“ und „Erlöser“ gerade der Reflexion auf ihre atl. Grundlagen, um sie heute neu und als immer noch gültig aussagen zu können. Durch den Blick vom AT auf das NT kann deutlich werden, daß im Gespräch darüber, was christlicher Glaube heute heißt, die kirchliche Tradition von der Einheit des biblischen Textes her immer wieder neu zu reflektieren und möglicherweise zu kritisieren ist.[123] Dies ist gerade eine Stärke der protestantischen Tradition, da sie durch die Einführung der Prinzipien sola Christus und sola scriptura traditionskritische Elemente in ihrer Tradition installiert hat.

4.2 Die christologische Bündelung alttestamentlicher Traditionen und der Überschuß des Alten Testaments

(43)           Auch wenn das AT den sprachlichen Hintergrund des NT bildet und damit auch die Sprache der Christusbotschaft[124], ist für Preuß das NT der Ausgangspunkt, von dem aus ins AT zurückgefragt wird. Hier zeigt sich eine entscheidende Differenz zwischen Preuß und Gunneweg: Kann Preuß von einer christlichen Auslegung des AT in dem Sinne sprechen, als das AT im Kontext des NT christlich reden kann[125], so hält Gunneweg christliche Auslegung des AT für falsche Auslegung, weil was „nicht christlich ist, … auch nicht christlich ausgelegt werden“ kann[126]. Der Geltungsanspruch atl. Texte muß sich bei Gunneweg am Kriterium des Christlichen messen lassen, wobei unklar bleibt, wie dieses Kriterium aussehen soll, während Preuß von einer Korrelation beider Testamente ausgeht: „Das NT allein reicht nicht aus, um die Sache der Bibel voll auszusagen. Das AT allein darf nicht ausreichen, um die Sache des Christentums voll auszusagen.“[127] Es gibt einen Überschuß des AT gegenüber dem NT, der durch die christologische Bündelung aus dem Blick zu geraten droht, weil dieser Überschuß im NT zumindest nicht explizit auftaucht. Dadurch scheint der Überschuß zu etwas Überflüssigem zu werden, das Christen nicht mehr brauchen. Übersehen wird dabei, daß der christliche Glaube in seinen Anfängen die bleibende Gültigkeit nicht nur implizit voraussetzt, sondern seine eigene Sache, das Neue des NT, nämlich den Christusglauben, aus dem AT heraus legitimiert. Dies ist mein erster Einwand, den ich bereits im letzten Abschnitt behandelt habe. Diese Sicht alleine könnte aber dazu verleiten, im AT eine bloße Vorgeschichte des christlichen Glaubens zu sehen, die notwendig ist, um Begriffe wie „Christus“, „Erlöser“ etc. verstehen zu können. Deshalb ist ein weiterer Einwand zu formulieren, daß nämlich der Überschuß des AT gegenüber dem NT insofern nicht überflüssig ist, als in ihm theologische, anthropologische oder normative Aussagen gemacht werden, die den ntl. Autoren selbstverständlich waren, ohne daß sie expliziert werden mußten. Da das Neue des NT als geronnener, fragmentarischer Interpretationsdiskurs vorliegt, kann das NT seine Botschaft auch in diesem Sinne nur im Kontext des AT entfalten.[128] Das bedeutet allerdings nicht, daß es nicht auch eine Kritik des AT vom NT her gibt, geben kann und zuweilen geben muß. Kritik kann aber auch umgekehrt geäußert werden, nämlich vom AT her. In der schematischen Reduktion der hermeneutischen Modelle wie in der theologischen Konstruktion substantieller Einheitsbegriffe können immer nur Teilaspekte zum Vorschein kommen. Preuß hat mit dem Modell der Strukturanalogie ein Verfahren vorgeschlagen, daß die berechtigten Anliegen der schematisch reduzierenden Modelle aufnehmen und ihre Mängel überwinden soll. Zugleich soll der Überschuß des AT Berücksichtigung finden.

4.2.1 Strukturanalogie und Existenztypologie als Lösungsvorschlag

(44)           Während bei von Rad ‘Strukturanalogie’ analoge Denk- und Glaubensstrukturen auf der Textebene bezeichnet,[129] wird bei Preuß der Begriff existenztypologisch erweitert,[130] so daß der Begriff neben dem Verständnis von Rads auch analoge Grundstrukturen menschlicher Existenz meint.[131] Dabei geht Preuß davon aus, daß das AT als Glaubenszeugnis Aussagen macht über die Beziehung zwischen Gott und Mensch, die auch für den heutigen Menschen von Bedeutung sind, aber auch Aussagen über Gott und den Menschen, die grundlegend sind für das ntl. Gottes- und Menschenverständnis. Im Verhältnis zu den reduzierenden Schemata vermag die Strukturanalogie als hermeneutisches Prinzip deren zum Teil berechtigte Anliegen aufzunehmen, ohne sie zu universalisieren, und dies v.a. deshalb, weil zunächst die Frage nach der Aussage des jeweiligen Textes in seinem Kontext im Mittelpunkt steht und so die Pluralität atl. Aussagen und Textsorten erkannt und für die christliche Rede fruchtbar gemacht werden kann.

(45)           Ein Kernpunkt der strukturanalogen Beziehung beider Testamente ist die Indikativ-Imperativ-Struktur. Dies hat das antithetische Schema der Diastase von Gesetz und Evangelium stets übersehen.[132] Gottes Heilshandeln geht der Forderung nach konkretem Handeln voraus. Dieses Handeln Gottes ist geschichtliches Handeln, in dem sich Gott offenbart, auch hierin sind AT und NT strukturanalog. Wenn Christen glauben, daß sich in Christus Gott offenbart hat, so glauben sie daran als an ein konkretes Ereignis, und verstehen es nicht abstrakt als Teil eines kosmischen Dramas, wie es der gnostische Erlösermythos erzählt. Hierin liegt auch das berechtigte Anliegen der heilsgeschichtlichen Konzeption begründet, das die Kontinuität des Handelns Gottes betont und zugleich die Identität des Schöpfergottes mit dem Gott Jesu behauptet.

(46)           Dieser zunächst auf der Text- und Erzählebene aufweisbaren strukturellen Verwandtschaft ist die Analogie der Glaubensstrukturen beizustellen, die Preuß und Gunneweg mit dem Begriff der Existenztypologie ausdrücken. Gottes Handeln ist Handeln am Menschen und es wird vom glaubenden Menschen als ein solches erkannt: Gott wird als ein befreiender Gott erfahren. Diese Erfahrung, die im AT v.a. durch die Exodustradition vermittelt wird, setzt sich im NT fort im Kerygma vom Erlösungswerk Christi.[133] Dazu kommt der kultische Aspekt, der in der Form des Tempelkultes etwa von Hirsch kritisiert wird,[134] wobei Hirsch unterschlägt, daß die Jerusalemer Gemeinde ganz selbstverständlich am Tempeldienst festhielt. Gewichtiger ist aber, wie Preuß deutlich macht, die Erinnerung und Vergegenwärtigung des Heilshandelns als einem sakramentalen Handeln Gottes am Menschen, wie es sich in der Festtradition widerspiegelt, wobei vorrangig an die Passahfeier zu erinnern ist, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abendmahl steht.[135] Schließlich bleibt noch daran zu erinnern, daß in vielen Texten des AT unmittelbar menschliche Erfahrung als Erfahrung des Menschen vor Gott ausgedrückt wird, wie dies z.B. in den Psalmen oder im Hiobbuch zum Ausdruck kommt.

4.2.2 Strukturanalogie und Interpretationsdiskurs

(47)           Strukturanalogie ist ein unscharfer Begriff, aber das ist seine Stärke. Zum einen bezeichnet Strukturanalogie die  textimmanente theologische wie sprachliche Verwandtschaft beider Testamente, wobei m. E. an erster Stelle die Indikativ-Imperativ-Struktur zu nennen ist. Dazu gehören aber auch jene Aspekte, die die reduktionistischen Schemata zu Recht benennen, die sie aber ungerechtfertigterweise universalisieren. Zum zweiten bezeichnet der Begriff Ähnlichkeiten des heutigen Menschen mit den Menschen in der Welt des AT und des NT. Hier sind anthropologische Konstanten gemeint wie Freude, Leid, Sexualität, Rivalität, Religiosität etc., Erfahrungen alltäglicher Kontingenzen also, für deren Bearbeitung gerade das AT einen großen Fundus an Ausdrucks- und Identifikationsmöglichkeiten bietet.

(48)           Neben den textimmanenten und existentialen Analogien lassen sich auch auf einer Metaebene strukturanaloge Elemente ausmachen. Da wäre als erstes mit Zimmerli[136] der Anrufcharakter zu nennen, der sich im Verkündigungshandeln der Urchristenheit ebenso äußert wie in der Schriftprophetie, der atl. Geschichtskonzeption und der Weisheitsliteratur. Daß in diesen Texten Gott als Ansprechender und sich darin Offenbarender verstanden wird, ist die Grundlage dafür, in den Schriften des AT und NT Gottes Wort zu sehen. Gleichzeitig ist es aber Menschenwort, menschliche Rede, von Menschen für Menschen verfaßt und damit strukturanalog zur Situation der Predigt heute, die ebenfalls menschliche Rede ist. Die traditions- und überlieferungsgeschichtlichen Linien, die sich durch das AT ziehen und das NT an das AT binden, zeigen, damit komme ich zum zweiten Punkt, daß die in Texten vorliegenden geronnenen altisraelitischen und frühchristlichen Diskurse eine Analogie darstellen zum lebendigen Diskurs der heutigen Christenheit. Diese Analogie besteht in dem interpretierenden Rückbezug auf traditional vorgegebene Sprach- und Denkmuster, die sich in der je aktuellen Situation bewähren müssen, und dies dadurch, daß sich zeigt, daß die Begriffe verwendbar bleiben können. In dem Prozess der Konstituierung des Christusglaubens als Sprachereignis habe ich oben eine Parallele gesehen zu der von von Rad im AT ausgemachten ständigen Aneignung und Umdeutung der Tradition. Hatte sich die frühe Christenheit dabei auf den atl. Kanon in seiner damaligen Gestalt gestützt, so ist uns heute ein um das NT erweiterter Kanon vorgegeben, dessen Gesamtgestalt Grundlage des heutigen Diskurses ist, der wiederum als ständige Aneignung und Umdeutung, d.h. als Interpretationsdiskurs, verstanden werden kann.

5 Altes Testament und Homiletik

(49)           In diesem Sinne wird es nun um die heutige christliche Predigt als Teil des aktuellen Interpretationsdiskurses gehen. Dabei verfolge ich zwei Interessen: Zum einen möchte ich auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen Möglichkeiten aufzeigen, über atl. Texte zu predigen. Zum anderen werde ich versuchen, Auswirkungen der Überlegungen für die Homiletik aufzuzeigen. Das AT, so hatte sich gezeigt, entzieht sich einem substantiell vereinheitlichenden theologischen und hermeneutischen Zugriff. Informiert durch diesen Befund kann die Frage deshalb nicht nur sein, welcher Umgang mit dem AT sich bezüglich der homiletischen Praxis empfiehlt: Es ist zu vermuten, daß ein einheitliches homiletisches Verfahren den Anliegen atl. Texte nicht gerecht zu werden vermag. Die Frage muß deshalb auch sein, ob nicht die Homiletik aus den Ansprüchen des biblischen und damit atl. Textes etwas für ihre Praxis erfahren kann.

5.1 Kirche als Diskurs- und Interpretationsgemeinschaft

(50)           Ich habe oben den Ort der Predigt, die Kirche im weiteren Sinne, nur vage bestimmt, nämlich in Anlehnung an CA 7 als Versammlung der Gläubigen, wobei CA 7 sogar soweit geht, die Predigt neben den Sakramenten zu den Konstitutionsbedingungen der Kirche zu machen: „das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche“. Dies korreliert mit der Feststellung, daß die Konstitution des Christusglaubens auf einem Sprach­ereignis basiert, nämlich der Ausbildung christlicher Sprache und christlichem Selbstverständnisses durch die bündelnde Neuinterpretation atl. Traditionen. Ist die frühe Christenheit als Interpretationsgemeinschaft bezeichnet, so gilt dies in analoger Weise für die heutige Kirche, wobei sich die heutige kirchliche Gemeinschaft dadurch unterscheidet, daß sie auf einen um das NT erweiterten Kanon als Interpretationsbasis zurückgreift. Da Neuinterpretationen, daß zeigt der Blick auf die Religions- wie Kirchengeschichte, ihre Gültigkeit immer erst erweisen müssen und also eine Anerkennung der in ihnen erhobenen Geltungsansprüche nicht unmittelbar gegeben ist, müssen sie gemeinschaftlich erörtert werden, weshalb Kirche auch als Diskursgemeinschaft zu verstehen ist, deren Grundlage ein gemeinsames Sprach- und Symbolsystem ist. Wenn Albertz von einem fortlaufenden Diskurs spricht, der im AT dokumentiert ist, so läßt sich dies für die heutige Situation erweitern zu der These, daß der im AT gründende christliche Diskurs ebenfalls grundsätzlich unabschließbar ist.[137] Dafür spricht zum einen der Wachstumsprozeß des AT selbst, die bündelnde Neuinterpretation des NT und schließlich auch die kirchliche Bekenntnisentwicklung. Als geronnene Diskursdokumente gehen sie ein in die jeweils aktuelle Diskurssituation und werden zu Teilen des zu interpretierenden Traditionsbestandes.[138]

5.1.1 Predigt als Teil des Interpretationsdiskurses

(51)           Wenn hier behauptet wird, daß die Predigt Teil dieser so beschriebenen Interpretationsdiskurses ist, so ist zu klären, wie sie daran Teil hat. Dabei frage ich zunächst nach dem Verhältnis von Gemeinschaftlichkeit und kirchlicher Einheit. Die Offenheit der Hebräischen Bibel begründet ihre zweifache Nachgeschichte als Grundschrift zweier Religionsgemeinschaften, was äquivalent ist zur Begründung der Vielfalt christlicher Konfessionen aus der Einheit des ntl. Kanons. Um das Evangelium ‘rein’ zu predigen (CA 7), ist der Rückbezug auf den biblischen Text unerläßlich, das gehört zum Grundbestand evangelischen Glaubens. Das Faktum aber, daß es keine christliche Kirche sondern Kirchen gibt, verweist auf das Problem der Interpretationsbedürftigkeit der textlichen Grundlagen. Nun predigt und glaubt aber nicht die Kirche oder Gemeinde, das ist abstrahierende Rede, sondern es predigt und glaubt ein einzelner Mensch, der, indem er sich mit anderen Menschen auf einen gemeinsamen Traditionsbestand interpretierend bezieht und also Teil einer Interpretationsgemeinschaft ist, seinen Glauben äußert und damit performativ einen Geltungsanspruch erhebt, der freilich bestritten werden kann.[139] Gerade indem der Blick auf den einzelnen konzentriert wird, dürfte deutlich werden, daß die Gemeinschaft der Glaubenden ebensowenig eine Einheit bildet wie die Kirchen. Damit gilt aber für die heutige Situation christlicher Kirchen und Gemeinden, was Albertz im Blick auf die atl. Diskursgemeinschaft sagt, daß es innerhalb der Glaubensgemeinschaft einen religionsinternen Pluralismus gibt, der anknüpfend an unterschiedliche biblische wie kirchliche Traditionen die Ausbildung verschiedener Frömmigkeitsstile ermöglicht.[140]

5.1.2 Pluralität der Frömmigkeitsstile

(52)           Die Pluralität der Frömmigkeitsstile, wie sie v.a. die Kirchen als Volkskirchen kennzeichnet, läßt sich dabei im Zusammenhang sehen mit der Struktur religiöser Organisation auf offizieller, lokaler und familiärer Ebene.[141] Auch hier läßt sich eine Analogie zur atl. Situation aufweisen. Auf der offiziellen Ebene zeigt sich die Kirche als Organisation, die Verträge eingehen, in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Stellung beziehen und im Interpretationsdiskurs orientierungsstiftende Aussagen machen kann. Zugleich begegnet Kirche aber auf lokaler Ebene als Gemeinde, die als selbständige Einheit von der landeskirchlichen Position abrücken kann, z.B. aufgrund von spezifischen gemeindlichen Frömmigkeitstraditionen. Der örtlichen Gemeinde schließlich begegnet man in einzelnen Personen, die eine eigene, häufig mit der Familie verbundene Frömmigkeitsgeschichte haben. Eine Predigerin steht diesen Personen nicht nur gegenüber, etwa als Vermittlerin landeskirchlicher oder gemeindlicher Positionen, sondern sie ist selbst Person. Dies wirft nun Licht auf das Verständnis der Predigt als Teil der Diskurs- und Interpretationsgemeinschaft, nach dem ich oben gefragt habe. Denn die Predigerin, indem sie predigt und dabei interpretierend zurückgreift auf die biblische und kirchliche Tradition, erhebt den Geltungsanspruch, daß das, was sie sagt wahr, richtig oder wahrhaftig ist. Sie knüpft dabei an die aktuelle Diskurssituation auf offizieller, lokaler oder familiär-persönlicher Ebene an und bringt so ins Zeitgespräch, was christlicher Glaube heute sein kann. Gleichzeitig können die erhobenen Geltungsansprüche von den Hörern bestritten werden.

5.1.3 Das Alte Testament und die christliche Gemeinde

(53)           Dabei vermute ich, daß der Zusammenhang der beiden Testamente und der Umgang zumindest mit einem Teil der atl. Traditionen in der Gemeinde selbstverständlicher zu sein scheint, als den theologischen Fachleuten.[142] Dies hängt sicherlich in hohem Maße mit der einheitlichen sprachlichen Gestalt etwa der Lutherbibel[143] zusammen. Gleichwohl begegnet in der Bibel eine fremde und zuweilen befremdliche Welt, die Anstoß findet z.B. in der Differenz zum heute selbstverständlichen, naturwissenschaftlich orientierten Weltverständnis, aber auch in moralischer Hinsicht.[144]

(54)           Es ist sicherlich nicht überraschend, daß in Umfragen zur Begegnung mit dem biblischen Text[145] noch vor Gottesdienst und Predigt die Befragten typische Familienfeiern nennen, also Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung, bei denen sie Umgang mit biblischen Texten haben. Dies steht natürlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tatsache, daß Gottesdienste im Kontext familiärer Anlässe besser besucht sind, als der normale Sonntagsgottesdienst.[146] Die persönliche Bibellektüre führt hierbei ein Randdasein.[147] Trotzdem läßt sich sagen, daß es einen „lebendigen Umgang des Christen mit dem Alten Testament“[148] gibt, der besonders geprägt ist von seelsorgerlichen Aspekten und weniger achtet auf den einstigen religiösen Kontext der Texte. Die persönliche Verbindung mit einem im Kontext einer Kasualhandlung vermittelten und oft selbstgewähltem einzelnen Vers, auch wenn seine individuelle Auslegung außerhalb des exegetisch ‘Richtigen’ liegt, sollte nicht unterschätzt oder gar abqualifiziert werden.[149]

(55)           Darüber hinaus besteht dieser Umgang in der alltagssprachlichen Verwendung biblischer Namen und Ereignisse, aber auch von Sprichwörtern und Wortfetzen. Hierin zeigt sich, daß die Bibel, in Deutschland v.a. in der Lutherübersetzung, nicht nur ein religiöses, sondern auch ein kulturhistorisch wichtiges Buch ist. W. Killy hat im Kontext der letzten Lutherbibelrevision auf diesen Umstand hingewiesen und deshalb für eine behutsame Revision plädiert. Biblische Personen und Ereignisse sind in die Umgangssprache eingewandert, weil sie „elementare menschliche Möglichkeiten“ bezeichnen[150], und es ist sicher kein Zufall, daß Killys Beispiele sämtlich dem AT entnommen ist, ist doch das AT in seinen Geschichten ‘weltlicher’ als das NT.[151] „In diesen Geschichten kann der Mensch sich selber begreifen, noch ehe er verstanden hat, daß sie die Kapitel sind einer einzigen großen Heils-Geschichte.“[152] Neben diesem Identifikationspotential biblischer Geschichten stellt aber das AT auch eine Sprache bereit, die alltägliche Kontingenzerfahrungen bearbeitbar macht, wie dies z.B. in der Gebetssprache der Psalmen geschieht.

5.1.4 Glaube, Tat und Hoffnung als Inhalt der Predigt

(56)           Die funktionale Bestimmung der Aufgabe der Predigt ist nun um einige inhaltliche Überlegungen zu erweitern. Wenn die Predigt ins Zeitgespräch bringt, was christlicher Glaube heute heißt, so kann sie dies mit unterschiedlichen Schwerpunkten tun, die ich in Anlehnung an 1Kor 13 so formulieren möchte: Was können wir glauben? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Sicherlich kann Predigt Missionspredigt sein, sie kann Verkündigung des Evangeliums und Christuspredigt sein. Aber sie kann nicht nur dies sein. Mag auch das Zentrum christlichen Glaubens die Rechtfertigung durch das Heilshandeln Gottes im Christusereignis sein, so ist christlicher Glaube doch mehr als das, denn der Satz „Er ist auferstanden“ (Mk 16,6) allein ist unverständlich ohne den Kontext der Geschichte, die zu ihm führt, und er ist unvollständig ohne die Nachgeschichte, die er hat. Der Auferstehungsglaube wird zum Interpretament der Vorgeschichte, die im Rekurs auf atl. Traditionen erzählt wird, und er wird in den entstehenden Gemeinden, die sich – die Parusie bleibt aus – in der Welt einrichten, zur Grundlage der Frage, was nun zu tun ist: Beschneidung oder nicht, Speiseregeln oder nicht. Auch der Diskurs über die Handlungsoptionen, der strukturiert ist durch Zuordnung von Indikativ und Imperativ, wird im Rekurs auf atl. Traditionen geführt. Gleichzeitig stehen die Fragen nach dem, was wir glauben können und was wir tun sollen in der Erwartung des endgültig kommenden Gottesreiches.[153]

5.1.5 Predigtgestalt und Hörerbezug

(57)           Nimmt die Predigt Stellung zu den Fragen, was wir glauben können, tun sollen und hoffen dürfen, und sind diese Fragen die Grundfragen des christlichen Interpretationsdiskurses, deren Teil die Predigt ist, dann kann jeder Diskursteilnehmer, sprich jedes Glied der christlichen Gemeinde, diese Fragen auch an die Predigt stellen.[154] Predigt als Sprechhandlung im Kontext eines Interpretationsdiskurses sollte eine kommunikative, keine strategische Handlung sein, d.h. sie sollte auf eine Verständigung mit den Hörern abzielen und nicht eine trickreiche Überrumplung derselben wollen.[155] Dies sind pastoralethische, also normative Aussagen, die an die Verantwortung der Predigerin appellieren. Die Rede von der Priesterschaft aller Gläubigen ist gute, protestantische Tradition, aber sie kann dazu verleiten, das Symbol der Kanzel zu übersehen. Selbst wenn die Pfarrerin hinunter steigt, um nicht von oben herab zu sprechen, hat sie im Gottesdienst wie im Gemeindealltag eine herausgehobene Position, die dazu verleiten kann, implizit ein Interpretationsmonopol zu beanspruchen, durch das das Gespräch in der Gemeinde gehemmt und nicht eröffnet oder weitergeführt wird.[156]

(58)           Dies hat aber nun Auswirkungen auf die Gestalt der Predigt. Es ist ein Unterschied, ob ein Pfarrer im direkten Gespräch seine Meinung äußert oder ob er dies in der Rolle des Predigers auf oder unter der Kanzel tut, denn wenn die Predigt das Gespräch eröffnen oder weiterführen soll, hängt das Gelingen dieses Vorhabens auch mit der Form der Predigt zusammen und d.h. mit der Art und Weise, wie Geltungsansprüche erhebt. Die erste Möglichkeit besteht darin, den Text auf eine bestimmte Sicht festzulegen und möglichst alle Aspekte eines Textes anzusprechen und einzuordnen. W. Engemann hat dies in einer pointierten Aufnahme eines Begriffes aus der Medizin und Chemie die „obturierte Predigt“ genannt. [157] Eine Predigt, die unreflektiert reduktionistische Schemata einsetzt, steht in der Gefahr, das Interpretationspotential eines Textes zu begrenzen und das Gespräch mit den Hörern zu beenden, statt zu eröffnen oder weiterzuführen, indem er nämlich versucht, den Hörern die Arbeit abzunehmen. Ihnen bleibt letztlich nur noch, Ja und Amen zu sagen oder das Gespräch ohne den Prediger weiterzuführen. Damit komme ich zur zweiten Möglichkeit, nämlich unterschiedliche Zugänge zum Text zu eröffnen. Für die Textpredigt heißt das natürlich, den Text nicht von vornherein auf eine Interpretation festzulegen, sondern mehrere Perspektiven zu erlauben.[158]

(59)           Engemann[159] plädiert für eine offene, multiperspektivische Predigtform, die er ambiguitäre Predigt nennt. Die Pointe seines Ansatzes besteht darin, daß es der obturierten Predigt, so sehr sie sich auch um Abschluß bemüht, faktisch nicht gelingt, ein geschlossenes Textuniversum vorzulegen, weshalb auch die obturierte Predigt faktisch ambiguitär sei. Zu Recht macht Engemann darauf aufmerksam, daß die Hörer immer schon mitarbeiten, indem sie die Predigt hören und (möglicherweise anders als vom Prediger beabsichtigt) verstehen.[160] Anders als Engemann würde ich aber den Kommunikationsprozeß nicht semiotisch, sondern sprechakt- und diskurstheoretisch beschreiben. Der Prediger legt den Hörern kein offenes Kunstwerk vor, mit dem diese machen können, was sie wollen, sondern indem er predigt, handelt er, und zwar mit einer Wirkabsicht, die er sich und seinen Hörern deutlich machen muß. Er behauptet, tröstet, warnt, fordert auf. Aber als sprechend handelnder Diskursteilnehmer muß er einerseits damit rechnen, daß die von ihm erhobenen Geltungsansprüche zurückgewiesen werden, andererseits muß er damit rechnen, daß seine sprachlichen Handlungen, wie alle Handlungen scheitern können. Die Predigt offen zu halten kann m.E. nicht darin bestehen, vieldeutig zu sprechen wie ein Zungenredner, sondern darin, offen zu bleiben für andere Interpretationen.

5.2 Zum Umgang mit dem alttestamentlichen Text

(60)           Dabei ist zu berücksichtigen, in welchem Verhältnis Tradition und Situation gesehen werden. Ist die Tradition etwas, daß unbedingt bleibende Gültigkeit hat und also für die jeweilige Situation aktualisiert werden muß? Hier kann m.E. einerseits das Verhältnis von AT und NT, andererseits das Faktum der Pluralität theologischer Traditionen im AT Vorbild sein, um eine Antwort zu geben. Die religionsgeschichtliche Betrachtung des AT kann darüber informieren, daß der Prozess ständiger Aneignung und Umdeutung des traditionalen Bestandes, der hier als Interpretationsdiskurs aufgefaßt wurde, nicht linear verläuft, sondern daß mehrere Interpretationen zeitgleich vorkommen. Diese Interpretationen richten sich zwar auf den gemeinsamen Traditionsbestand, aber da es eine Vielzahl einander zum Teil widersprechender Traditionen gibt, können verschiedene Aneignungs- und Umdeutungsprozesse nebeneinander bestehen. Zugleich ist aber eine Kritik und kritische Überarbeitung der Tradition möglich und zuweilen nötig.[161]

5.2.1 Die Vielfalt der Traditionen in der Predigt

(61)           Der Sinn der Perikopenordnung, trotz ihrer die Auswahl einschränkenden Auswirkungen, ist, die Vielfalt christlicher, und das heißt atl. und ntl. Traditionen für die gottesdienstliche Predigt zu sichern. Bewahrt dies davor, daß ein Prediger immer nur über einen bestimmten Teil der biblischen Tradition, z.B. ausschließlich über ntl. Texte zu predigen, so kann die schematische Reduktion als eine hermeneutische Vorentscheidung dieses Anliegen problemlos konterkarieren. Gehört es allgemein zur Aufgabe der Predigtvorbereitung, sich über die eigenen Vorurteile gegenüber einem Text bewußt zu werden, so ist bezüglich atl. Texte eine Reflexion auf die hermeneutischen Schemata unumgänglich, will man sich und seine Hörer nicht des großen Potentials atl. Texte schon von vorneherein berauben.[162] Eine Predigerin, die Jes 35,3-10 (2. Adv.) von Mt 11,5 her liest als in Christus bereits erfüllte Verheißung, könnte übersehen, daß dieser Text bleibender Ausdruck des christlichen Hoffens sein kann, wie überhaupt das Vorverständnis der atl. Propheten als Vorhersager künftiger, eschatologischer Ereignisse ihnen ihre innerweltliche, sozialkritische Kraft nimmt. Den atl. Text christlich lesen kann m.E. nicht heißen, den Text auf Christus hin zu lesen, sondern als Christen den Text in seinem ursprünglichen Kontext zu lesen und neu zu sehen, was aufgrund der Sprache und Deutungsmuster des Textes sich aussagen läßt über christlichen Glauben, christliches Handeln und christliche Hoffnung.[163]

(62)           Hier ist aber auch an die Möglichkeit zu erinnern, sich von dem Einzeltext zu lösen und die Schrift als Ganzheit zur Grundlage zu machen oder auch einzelne Bücher. Dies kann im Anschluß an eine konkrete Perikope geschehen, aber auch ganz losgelöst davon in Form einer Themapredigt.[164] Und dies kann schließlich auch darin bestehen, ntl. Texte in ihrem atl. Kontext zu behandeln.[165] Hier sehe ich auch die Chance für eine historisierende Predigt, also die Einbeziehung exegetischer und religionsgeschichtlicher Erkenntnisse.[166] Dies könnte z.B. bei sog. messianischen Texten wie Jes 61,1-3(4.9)11.10 (2. n. Weihnachten) so aussehen, daß der Kontext des Textes in Form einer Geschichte erzählt wird, die der Offenheit des AT für eine doppelte Nachgeschichte gerecht wird. Das kann heißen, daß einige Hörer sehen: Der Glaube an Jesus als den Christus Gottes geht nicht aus dem Text selber hervor, sondern setzt die pneumatisch vermittelte Begegnung mit dem als auferstanden Verkündigten voraus. Das kann heißen, daß andere Hörer sehen: Die Liebe Gottes zu den Elenden, Gefangenen, Gebundenen fordert mich wie den Propheten zum Handeln auf. Und das kann heißen, daß wieder andere sehen: Die Hoffnung auf das Kommen des Messias verbindet uns mit der jüdischen Interpretations- und Diskursgemeinschaft,[167] weil die Welt, in der wir leben, immer noch ungerecht ist, immer noch Unterdrückung herrscht, immer noch Menschen unter Menschen leiden und die Offenbarung Gottes in dem Juden Jesus daran nichts geändert hat.

5.2.2 Die Frage nach der Aktualisierung

(63)           Was ist die Grundlage dieser Interpretationsprozesse? Eine erste mögliche Antwort ist, daß die Form der Botschaft zeitbedingt ist, die Botschaft aber bleibende Gültigkeit hat, weshalb sie ihrer zeitbedingten Form entkleidet werden muß, um das Bleibende neu aussagen zu können. Der problematische Kern dieser Antwort ist die Prämisse, daß die Botschaft bleibende Gültigkeit hat. Hier ist zugleich homiletisches Grundproblem berührt: Was ist, wenn mir der Text einfach nichts sagt? Ich verstehe seine Botschaft, ich kann den historischen Kontext erläutern, aber was der Text sagt hat keinen Bezug mehr zur aktuellen Situation. Vielleicht ist es sogar so, daß der Text etwas sagt, dem ich widersprechen muß. Die zweite, mögliche Antwort ist, daß der Text funktional bezogen ist auf die Gemeinschaft, nämlich indem er die Gemeinschaft konstituiert. Grundprämisse dieser Antwort ist, daß jede Gemeinschaft etwas gemeinsames braucht, auf das sie sich bezieht. Der Text steht dabei nicht allein, sondern in seinem kanonischen Kontext, der als Ganzes konstituierend wirkt, indem er die Basis gemeinsamer Sprache und Deutungsmuster darstellt. Für die Predigt heißt das, daß sie nicht den einzelnen Text aktualisiert, sondern indem sie auf den Text rekurriert und über ihn spricht aktualisiert sie den Konstituierungsprozeß der Gemeinschaft.

(64)           Hierin liegt die Legitimation christlicher Predigt über atl. Texte begründet, denn wenn die Predigt Teil der Aktualisierung des christlichen Konstituierungsprozesses und die Konstitution des Christusglaubens als Sprachereignis Ergebnis des frühchristlichen Interpretationsdiskurses auf atl. Basis ist, dann aktualisiert die Predigt die frühchristliche Interpretation atl. Traditionen. Ohne das AT könnte niemand sagen, was es heißen soll, daß Jesus der Christus ist. Das kann aber nun nicht heißen, daß das AT nur die Vorgeschichte und der Hintergrund des NT ist, denn das AT bietet mehr als seine christologische Bündelung hervorbringt.[168] Der Überschuß des AT begleitet die christliche Predigt als Aktualisierungshandlung, ohne daß damit jeder Teil angesprochen werden muß.[169]

(65)           Der biblische Text als Diskursdokument ist von Menschen in einer konkreten Situation produzierter Text. Der Exegese kommt die Aufgabe zu, die ursprüngliche Aussageintention zu rekonstruieren. Preuß legt Wert darauf, daß Predigt nicht Predigt über einen Text, sondern Predigt des Textes ist.[170] Das Modell, das bei Preuß im Hintergrund steht, geht von der Aufgabe aus, in der Predigt die Botschaft zu aktualisieren, d.h. der rekonstruierten ursprünglichen Aussageintention neu Ausdruck zu verleihen. Dem kann ich mich nicht anschließen. Die Möglichkeit, einen Text zu predigen, will ich damit nicht bestreiten: Ein Text kann so erfahren werden, als wäre er für die aktuelle Situation geschrieben. Das ist der berechtigte Kern des nach Strukturanalogien fragenden, exis­tenztypologischen Ansatzes. Wenn aber Predigt als Aktualisierung der Gemeinschaftskonstituierung verstanden wird, und dies bedeutet, immer wieder neu in einen Interpretationsdiskurs einzutreten, dann ist Predigt Arbeit an und mit dem Text,[171] und zwar orientiert an den Fragen: Kann ich das glauben? Soll ich das tun? Darf ich das hoffen? Dies impliziert kritische Distanz zum Text, manchmal – was über die Arbeit hinausgeht – ein Ringen mit dem Text und – weil der Text als Gotteswort verstanden wird – ein Ringen mit Gott, was durchaus auf die Gelenke gehen kann, aber am Ende doch segensreich ist.

5.2.3 Ringen mit dem Text – Eine Predigt H. Luthers

(66)           H. Luther gibt ein Beispiel für ein solches Ringen mit dem Text, und zwar in einer Predigt über Mal 3,19-21, die Luther als Boxkampf über 4 Runden inszeniert.[172] Der Text ist durchaus das, was man manchmal einen „schwierigen Text“ nennt, eine Gerichtsandrohung für die Gottlosen, die den Adressaten („die ihr meinen Namen fürchtet“) verheißt, sie würden die Gottlosen zertreten. Der Prediger glaubt, leichtes Spiel zu haben, weil die Schwächen des Textes offensichtlich waren: „krasser Dualismus“, „primitive, attavistische Denkmuster“, „Cowboy-Mentalität“. „Aber der Text parierte.“ Er hält dem Prediger den Spiegel vor und entschärft so die Argumente, aber entkräftet sie nicht. Der Text holt erneut aus und trifft: Wer sagt denn, daß die Adressaten die Gottesfürchtigen und nicht vielmehr die Gottlosen selbst sind, die es für nutzlos halten, Gottes Gebote zu halten. „So lachten schon immer die, die sich ihren Platz an der Sonne erobert hatten“. Die Gottlosen als Gewinner und Zyniker, die von der Ungerechtigkeit profitieren, gilt ihnen das Mitleid des Predigers mehr als denen, die unter der Ungerechtigkeit zu leiden haben? Das Argument trifft und der Prediger konzediert dem Text ein gewisses Recht, aber nicht ohne Gegenwehr, denn daß die „schiefen Verhältnisse zurechtgerückt werden“, „geht das nur um den Preis neuer Gewalt, neuer Verachtung, neuen Spotts, neuer Grausamkeit“? Der Kampf endet unentschieden.

(67)           Fast unmerklich arbeitet Luther den historischen Kontext des Textes heraus, ohne auf die exegetischen Einzelheiten explizit einzugehen, er läßt tatsächlich den Text sein eigenes Wort sagen und stellt heraus, was an dem Text heute noch richtig ist. Gleichzeitig ist er aber in der Lage, wichtige Fragen an den Text zu stellen, die die Probleme heraustreten lassen, ohne sie christlich zu harmonisieren. Dabei macht er auch auf Strukturanalogien aufmerksam, aber auch auf Unterschiede: Damals wie heute gibt es soziale Ungerechtigkeit, die anzuklagen ist, was der Prophet auch tut, und dieser Klage schließt sich der Prediger an, aber es ist die Frage, ob unsere Hoffnung heute sich auf das Zertreten dieser Gottlosen richten kann. Der Boxkampf endet nicht mit einem Sieger; obwohl man dem Text nicht unterlegen war bleibt ein gelähmtes Hüftgelenk zurück. Eine weitere Möglichkeit wäre, explizit auf den religions- und sozialgeschichtlichen Kontext bei Maleachi einzugehen, z.B. in Form einer Rahmengeschichte.

(68)           Da Texte Bedeutung nur in einem Verwendungszusammenhang haben, muß man diesen Zusammenhang herstellen, um Deutemöglichkeiten zu erschließen. Dabei muß die Rahmenerzählung den Text nicht mit unseren Vorstellungen harmonisieren, sie kann im Gegenteil den Text auch noch schärfer kritisieren. Das AT zeigt hier selbst Ansatzpunkte, z.B. das Hiobbuch, in dem der Gerechte leiden muß und in seinem Leiden keine Hoffnung sieht. Die Möglichkeit der Klage gegen den Text und gegen Gott, wie dies z.B. Hiob[173] und die Klagepsalmen demonstrieren, gehören zweifellos zum Überschuß des AT, der in der ntl. Bündelung aus dem Blick zu geraten droht. JHWH ist in den biblischen Geschichten ein Gott mit Geschichte. Und er ist es deshalb, weil es Menschen sind, die diese Geschichten erzählen. Der Gott des AT ist ein Gott in der Welt, der auch kritisierbar ist, mit dem man streiten, ringen und sogar handeln kann. Hier tun sich nicht nur Möglichkeiten für die Predigt über atl. Texte aufgrund von Strukturanalogien auf, hier kann der Prediger selbst etwas lernen für die Art und Weise seiner Predigt.

5.3 Zusammenfassung und Schluß

(69)           Ich habe mit der vorliegenden Arbeit aufzuzeigen versucht, daß Predigt über atl. Texte Predigt über einen Teil christlicher Tradition ist. Predigt war dabei aufgefaßt worden als Teil der christlichen Interpretations- und Diskursgemeinschaft, die in der je aktuellen Situation durch den interpretierenden Rückbezug auf die biblischen und kirchlichen Traditionen ihr Selbstverständnis reflektiert und dadurch sich immer wieder neu konstituiert. Grunddatum der Konstitution des Christusglaubens ist die christologisch bündelnde Neuinterpretation einiger atl. Traditionen durch die frühchristliche Diskursgemeinschaft, deren Interpretationsdiskurs im NT fragmentarisch dokumentiert ist. Heutige Predigt über atl. Texte macht verständlich, was es heute bedeuten kann, daß Jesus der Christus, der Gottessohn, der Erlöser ist. Damit ist aber nur eine Aufgabe der Predigt über atl. Texte bezeichnet. Es gibt einen Überschuß des AT gegenüber dem NT, der nicht dadurch überflüssig wird, weil er im NT nicht expliziert wird. Das atl. Gottes- und Menschenverständnis, die normativen und sozialkritischen Elemente des AT waren nicht nur den ersten Christen selbstverständlich, sondern in ihnen kommen Strukturen zum Ausdruck, die der Situation der Christen heute analog sind. Hierin besteht die zweite Möglichkeit und Aufgabe der Predigt über atl. Texte.

(70)           Sowenig der christliche Glaube auf die Botschaft des AT verzichten kann, sowenig kann dies die Predigt, deren Aufgabe hier bestimmt wurde, auszusagen, was christlicher Glaube, christliches Handeln und Hoffen heute sein kann. Predigt in der Spannung von Tradition und Situation ist aber dem Text nicht ausgeliefert, sondern sie kann aus der heutigen Situation heraus dem atl. wie ntl. Text kritisch begegnen. Hierfür findet sie im AT selbst bereits Vorbilder. Predigt über atl. Texte erweist sich so nicht als Problem für die christliche Predigerin, sondern als Chance und Aufgabe, das Ganze des Wortes Gottes im christlichen Diskurs zur Sprache zu bringen.

6 Abbildungen

Erläuterungen:

Röm. Zahlen I-VI             =     Predigtreihen I-VI

M                                     =     Marginaltexte

DtKan                              =     Deuterokanonische Schriften des AT

C+Ps                                =     Continua- und Psalmenreihen

Verteilung der Perikopen
Abbildung 1: Verteilung der NT und AT Perikopen

Perikopenverteilung_AT

Abbildung 2: Verteilung der atl. Perikopen

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[1] Rosenzweig (1976, 460).

[2] Da geschlechtsspezifische Fragen in dieser Arbeit keine Rolle spielen, werde ich in dieser Arbeit mal von Predigern, mal Predigerinnen sprechen, meine aber jeweils Frauen wie Männer.

[3] Ich werde im Folgenden „Altes Testament“ sowie „alttestamentlich“ mit „AT“ und „atl.“ abkürzen. Das gleiche gilt m.m. für „Neues Testament“ resp. „neutestamentlich“.

[4] Eine Alternative wäre, in der Predigt über atl. Texte ein besonderes Problem zu sehen, das im atl. Text oder seinen theologischen Konzeptionen begründet ist. Als Vertreter dieser Richtung wären E. Hirsch (1936) und H.M. Müller (1996, bes. 222ff) zu nennen.

[5] Habermas (1984; 1988a; 1988b).

[6] Wie unklar die Bezeichnung ist, hat jüngst Moltmann (1997, 482) – für ihn unbewußt – verdeutlicht. Moltmann wendet sich gegen in letzter Zeit vorgeschlagene alternative Bezeichnungen wie „Erstes Testament“ oder „Hebräische Bibel“, offenbart dabei aber eine eklatante Unkenntnis. So behauptet er etwa, die begriffliche Unterscheidung AT und NT stamme von Marcion (sie kommt aber als Bezeichnung der kanonischen Sammlungen erst bei Clemens von Alexandrien vor, obwohl die Begriffe selbst auch schon atl. und ntl. belegt sind: 2Kor 3,14; Jer 31,31ff). Desweiteren behauptet Moltmann, die Bezeichnung Hebräische Bibel leite sich ab von Biblia Hebraica, bei der es sich um nichts anderes als um unser christliches AT auf Hebräisch handele, Auswahl und Anordnung seien die gleichen, während die jüdische Bibel der Tanach sei (was ja wohl bedeuten soll, daß BH und Tanach nicht identisch sind). Dies ist in dieser Form schlicht falsch. Vgl. dazu auch Brocke (1990, 582).

[7] Und zwar als masoretischer Text in Form des Codex Leningradensis, der die einzige vollständig erhaltene Hebräische Bibel als einer Abschrift des (nicht mehr vollständig erhaltenen) Kodex von Aleppo darstellt (vgl. Würthwein 1988, 43f).

[8] „Alt“ bedeutet dabei nicht „veraltet“ (vgl. dazu Evangelische Kirche von Westfalen 1991, 146, 2.4), sondern verweist auf den schon Jer 31,31ff belegten Dual von alter und neuer Berith. Zugegeben: Die Bezeichnung „Erstes Testament“ beinhaltet die Gefahr dieses Mißverständnisses nicht, aber wie Zenger (1995, 15) schreibt, der für die Verwendung von „Erstes Testament“ eintritt, „(kann) die Bezeichnung ‘Altes Testament’ durchaus richtig verstanden werden“. Dieses Verständnis zu fördern ist m.E. auch eine homiletische und religionspädagogische Aufgabe.

[9] Für Gunneweg (1988, 7) ist es sogar „das Problem christlicher Theologie“, weil „von dessen Lösung so oder so alle anderen theologischen Fragen berührt“ würden. Die ersten Auseinandersetzungen sowohl in der Urgemeinde als auch in der frühen Kirche gingen um die Frage nach der Gültigkeit des nomos, dem Verhältnis von Septuaginta und neuem christlichen Schriftum sowie dem Problem des atl. Monotheismus im Verhältnis zu Jesus als dem Christus. Seit Origenes’ erstem Versuch einer christlichen Systematik gehört es zum Grundbestand jeder Dogmatik, Antworten auf diese Fragen zu geben.

[10] Zentrale Bedeutung hatten für das palästinische Judentum Tora und Nebiim in hebräischer und aramäischer Sprache, sowie für die Hellenisten die Septuaginta. Die heute dem AT zugrunde liegende Hebräische Bibel ist ein Produkt synagogaler Abgrenzung von der frühchristlichen Gemeinde und steht somit im Kontext der Trennung von Synagoge und Gemeinde, die sich im 1. Jahrhundert vornehmlich auf LXX stützte.

[11] Profilierter Kritiker des Marcionismus wie des in mancher Hinsicht verwandten älteren Gnostizismus war Origenes, der in der Entwicklung seiner Theologie bereits auf eine Vorstufe des gesamtbiblischen Kanon zurückgreifen konnte und der fast alle Bücher des NT wie des AT kommentierte. Auch in seiner Tätigkeit als Prediger setzte Origenes die Einheit von AT und NT voraus, wobei ihm die von Philo übernommene Allegorese Grundlage war für die Ausbildung seiner eigenen gesamtbiblischen Hermeneutik, die z.T. bis heute wirkmächtig ist.

[12] Bezüglich der kurzen kirchengeschichtlichen Einführung verweise ich auf die Darstellungen in Hauschild (1995, bes. 18-21; 63-84) und Moeller (1996, 42-62).

[13] „Gesetz“ und „Evangelium“ sind allerdings als theologische Begriffe zu verstehen, die sich nicht direkt auf AT und NT beziehen lassen (vgl. Gunneweg 1988, 49).

[14] In der folgenden forschungsgeschichtlichen Skizze kann ich nicht die komplexe Entwicklung atl. Forschung wiedergeben, sondern konzentriere mich auf die für die atl. Theologie und Religionsgeschichte m.E. relevanten Punkte. Ich stütze mich hierbei v.a. auf Kaiser (1984, 15-25) und Albertz (1996, 17-43).

[15] Begründet war der vorkritische Umgang mit atl. Texten bereits im NT, in dem z.B. das ganze AT, v.a. aber die sog. messianischen Texte, als Verweis und Verheißung auf Christus hin gedeutet wurden, wie dies etwa im heilsgeschichtlichen Schema des lk Doppelwerkes grundgelegt ist oder in den sog. Reflexionszitaten bei Mt.

[16] Vgl. Preuß (1984, 137); Kaiser (1989, 1f).

[17] Vgl. dazu Schleiermacher (1993, 47, § 115).

[18] Harnack (1996, 222).

[19] Zitiert nach Preuß (1984, 70).

[20] Preuß (1984, 167).

[21] Vgl. dazu die knappe Zusammenstellung von Predigtdefinitionen in Nembach (1996, 124-129).

[22] Vgl. dazu grundsätzlich Otto (1976), Luther (1989) und Daiber (1991, 199-272).

[23] Vgl. dazu Luther (1989, 226f).

[24] Vgl. auch Bohren (1980, 52), der das Problem der Predigtdefinition etwas blumig mit der Schwierigkeit vergleicht, die Liebe zu definieren.

[25] Otto (1983, 135).

[26] Daß es auch andere Formen der Kommunikation geben mag, wird hier nicht bestritten. Bekanntlich war in Korinth das sog. Reden in Zungen besonders hoch angesehen, aber Paulus führt 1Kor 14,1-25 bereits aus, daß die weissagende Rede mehr wert sei, weil sie verständliche, nämlich dem Verstand zugängliche Rede ist.

[27] Man könnte hierbei z.B. an eine Beerdigungsansprache denken, die nur vor einem engen Kreis von Angehörigen gehalten wird. Wäre es für eine solche Predigt denkbar, daß über beispielsweise seelsorgerliche Gründe hinaus Öffentlichkeit ausgeschlossen wird?

[28] Vgl. Müller (1995, 183).

[29] Vgl. dazu aber grundsätzlich Luther (1989, 229ff).

[30] Deutlich wird dies, wenn man einmal den Ausdruck „ins Zeitgespräch bringen“ ersetzt durch sonst verwendete Begriffe wie „Verkündigung“, „Vermittlung“ oder „Zeugnis“.

[31] Ein Missionspredigt z.B. wird wahrscheinlich stärker als „Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus“ verstanden werden können, während eine Trauansprache eher „Zuspruch der begleitenden Nähe Gottes“ sein wird oder eine Sonntagspredigt „Vermittlung biblischer Überlieferung und kirchlicher Tradition“ sein kann.

[32] Vgl. dazu auch Daiber (1991, 95) und Müller (1995, 182f). Zum Gespräch und zur Gesprächsbereitschaft über den Glauben vgl. Gollwitzer in Gollwitzer/Weischedel (o.J., 90-108).

[33] Indem ich hier den Ausdruck „mehrstufig“ verwende, nehme ich explizit Bezug auf Henning Luthers Stufenmodell der Predigtvorbereitung (Luther 1982; siehe bes. die Grafik S. 67).

[34] Schüssler Fiorenza (1989) versucht hier im Zusammenhang einer politischen Theologie die Habermas’sche Diskursethik zusammenzubringen mit der für eine theologische Ethik wichtigen hermeneutischen Rekonstruktion normativer Traditionen.

[35] Ebd., 116.

[36] Ebd. und ebd., 135. Die Begriffswahl zeigt eine deutliche Anlehnung an Rawls reflective equilibrium.

[37] Dabei wird es notwendig sein, den gedanklichen Bezugsrahmen seines ethischen Kontextes zu entkleiden, was dadurch möglich ist, daß der Problemhorizont, nämlich die Spannung von Tradition und Situation, der gleiche bleibt.

[38] Vgl. Habermas (1984, 588). Beispiele solcher Geltungsansprüche sind etwa die Richtigkeit einer Handlungsanweisung, die Wahrheit einer Behauptung oder die Wahrhaftigkeit eines Ratschlags, wobei für Habermas eine Äußerung auf jeder dieser Ebenen bestritten werden kann, d.h. z.B. die Aussage eines Sprechers kann zwar wahr sein, eine Hörerin kann aber ihre Richtigkeit bezweifeln („Es war falsch, dies hier und jetzt zu sagen!“) und dem Sprecher Wahrhaftigkeit absprechen („Das glaubst du nicht wirklich!“).

[39] Die Auswertung in Preuß (1989, 125) ist – da es sich bei dem Text um einen Vortrag aus dem Jahr 1968 handelt – veraltet und die Behandlung in Preuß (1984, 178) fällt sehr knapp aus. In meiner Auswertung stütze ich mich auf das Perikopenbuch (1995) der LLK, das die reformierte Ordnung der Predigttexte von 1977 dokumentiert. Da es sich bei den Zahlen um eine eigene Auswertung handelt, möchte ich die Zahlenangaben als Annäherungswerte verstanden wissen, wobei es mir hier v.a. um die Zahlenverhältnisse und nicht um absolute Zahlen geht. Zum Überblick vgl. Abbildung 1: Verteilung der NT und AT Perikopen und Abbildung 2: Verteilung der atl. Perikopen im Anhang S. 43.

[40] Siehe Abbildung 1 S. 43.

[41] Und zwar in allen Reihen, d.h. in den Predigtreihen I-VI, den Marginaltexten (M), den Continuatexten (C) sowie der Psalmenreihe in allen vier Hauptabschnitten.

[42] Vgl. dazu auch Schade (1977).

[43] Siehe Abbildung 2 S.43.

[44] Inklusive den deuterokanonischen Schriften aber ohne die selbständige Psalmenreihe.

[45] Vgl. dazu auch die Kritik von Bohren (1980, 118f): „Der Geist verlor die Freiheit, durch die Schrift zu reden, wo es ihm gefiel. Die Kirche setzte sich über den Kanon.“ Sicherlich erfüllt die OPT auch wichtige Funktionen: sie schützt z.B. den Prediger und die Gemeinde davor, immer nur die eigenen Lieblingsstücke zu behandeln und sie trägt dem Umstand Rechnung, daß anders als noch in der Reformationszeit heute nicht mehr täglich mehrere Gottesdienste angeboten werden, sondern nur noch an Sonn- und Feiertagen. Eine lectio continua würde sich von daher schwierig gestalten. Eine Alternative wäre die stärkere Verwendung von Themapredigten.

[46] Preuß (1984, 61-120). Eine grobere Typologie nimmt Gunneweg 1988, 10.85-182) vor, der neben dem heilgeschichtlichen Modell das Verständnis des AT als Gesetz und Bundesurkunde und das AT als Dokument einer Fremdreligion herausarbeitet. Zenger (1995, 16f) spricht wieder anders vom Kontrast-, vom Relativierungs- und vom Evolutionsmodell, während Bernhardt (1995, 229f), konzentriert auf das Problemzentrum Christologie vom Substitutions-, Erfüllungs- und Stimmgabelmodell ausgeht.

[47] Von Rad (1992; 1993).

[48] Die eine Verwendungsweise begegnet etwa bei Paulus, wenn er die Abrahamsverheißung (Gen 12,3b) als von Anfang an auf das Christusgeschehen bezogen deutet (Gal 3,5ff) und so das Schema eng mit einer heilsgeschichtlichen Konzeption verknüpft. Vergleichbar ist das paulinische Verständnis mit dem Hebräerbrief, mit dem wichtigen Unterschied, das hier die endgültige Erfüllung noch aussteht (Hebr 3,11; 11,39f). Die zweite Verwendungsweise, sie herrscht in den Evangelien und der Apostelgeschichte vor, bringt den Verheißungsbegriff in die Nähe einer Weissagung (Vgl. Mt 1,22; 2,15 u.ö.; Joh 12,38; 18,9 u.ö. Im AT v.a. im Chronistischen Geschichtswerk 2Chr 36,21f; Esr 1,1). Das allgemeine „die Schrift erfüllen“ (1Kor 15,3ff) kann beide Aspekte ausdrücken.

[49] Von Rad (1993, 339).

[50] Das AT insgesamt als auf ein zukünftiges Ereignis gerichtetes Buch zu verstehen, hängt in der christlichen Tradition mit dem Aufbau von LXX zusammen, in der die prophetischen Bücher am Schluß stehen (vgl. dazu den Schluß von LXX Mal 3,22ff mit dem Schluß der BH 2Chr 36,22f). BH und LXX, die beide von Juden gestaltet wurden, weisen als zwei Diskursergebnisse auf die unterschiedlichen theologischen Konzeption zwischen dem 1. vor- und dem 1. nachchristlichen Jahrhundert hin.

[51] Pannenberg (1993, 630).

[52] Vgl. 1Kor 10,6.11.

[53] Vgl. von Rad (1993, 386ff).

[54] Hirsch (1936, 83).

[55] Vgl. ebd., 72f;76. Weitere Gegensätze, die Hirsch herausstellt sind der Tempelkult, der Gedanke der Erwählung Israels, sowie der fehlende Glaube an ein ewiges Leben, die aber allesamt unter dem Gesetzesbegriff subsumiert sind. Indem Hirsch die Konstruktion eines Gesamtsinns einfordert, zeigt er zugleich, daß er diesen Gesamtsinn deshalb braucht, um das AT als Ganzes abzulehnen. Hier wird m.E. nicht mehr nur einfach „übersehen“, sondern aus nationalchristlichen Gründen das Übersehen zum Programm.

[56] Vgl. dazu Hirsch (1936, 13), wo deutlich wird, daß Hirsch nicht vom NT sondern von der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre her und also von einem Aspekt des lutherischen Verständnisses des NT her argumentiert. Dies wird verbunden mit    deutschnationalem Gedankengut: „Sowohl die Theologie der Barthianer mit ihrem unlutherischen Verständnis der Eschatologie, als das Eindringen der englisch-amerikanischen Lehre von einem auf Erden sich verwirklichenden Gottesreich aus den geistlichen Kräften der christlichen Liebe, als endlich der Mißbrauch der christlichen Lehre vom Gottesreich gegen den jungen nationalen Erneuerungswillen zwangen hier dazu, die klare christliche Abgrenzung gegen das alttestamentlich-jüdische Verständnis der Gottesherrschaft zu vollziehen. Die Bewahrung der Eigenart deutschen lutherischen Christentums hing daran.“ (ebd., 14).

[57] Schmidt (1987, 111). Zwar taucht das Begriffspaar im AT selbst nicht auf, aber Schmidt arbeitet diese Struktur an den Begriffen „Werk Gottes“ und „Tun des Menschen“ heraus.

[58] Der Position Hirschs hier ähnlich ist R. Bultmann (vgl. dazu Preuß 1984, 73ff), der im AT eine Geschichte des Scheiterns sieht. Auch bei Bultmann verbindet sich, obwohl seine Position vielschichtiger ist, als ich es hier darstellen kann, die antithetische Tendenz mit den Begriffen Gesetz und Evangelium, wobei Bultmann aber das dialektische Verhältnis beider Begriffe klar sieht.

[59] Vgl. Preuß (1984, 86).

[60] Auch Barth ist hier zu nennen, der in reformierter Tradition stehend quasi von Haus aus ein anderes, nämlich positiveres Verhältnis zum AT hat, als der Lutheraner Hirsch, wobei sein Umgang mit dem AT, wie Preuß es darstellt, vielschichtig ist und sich in seiner theologischen Entwicklung verändert (vgl. Preuß 1984, 90ff; Reventlow (1983, 63ff).

[61] Van Ruler (1955); Preuß (1984, 94-98) legt dazu eine exzerptartige Zusammenfassung vor. Vgl. auch Reventlow (1983, 56ff)

[62] Vgl. van Ruler (1955, 23).

[63] Ebd., 58ff.

[64] Das gleiche gilt für die Ablehnung der Allegorese und der dem christologisch-typologischen Ansatz Barths.

[65] Van Ruler (1955, 73). Hier schießt van Ruler über das Ziel hinaus. Das berechtigte Anliegen, das Plus des AT gegenüber dem NT herauszustellen und mit dem Plus des NT gegenüber dem AT, nämlich der Gottheit Jesu, zu verbinden (vgl. ebd., 71), darf m.E. nicht dazu führen, implizit den legitimen Umgang des Judentums mit dem AT zu bestreiten.

[66] Zudem ist zu erwähnen, daß van Ruler traditionsgeschichtlich betrachtet mindestens zwei Stränge durcheinander wirft: den prophetischen Sozialimpuls und das priesterlich-chronistische Theokratie-Modell, für das es zwar schon vorexilische Grundlagen gibt, das aber erst nachexilisch in die Gestaltung des Kanons eingebaut wird.

[67] Dazu gehört, daß die Texte in einer fremden Sprache vorliegen, für die es keine kompetenten Sprecher mehr gibt. Abfassungszweck, -zeit und -ort sowie Verfasser und Adressaten sind meistens unbekannt und dem Text nicht unmittelbar zu entnehmen und die Texte selbst liegen in unterschiedlicher Gestalt vor. Diese Probleme begegnen bei atl. und ntl. Texten in vergleichbarer Weise.

[68] Hier können v.a. Gabler und Vatke als Ahnherren genannt werden. Entscheidend für die neuere Diskussion besonders seit dem 2. Weltkrieg ist von Rads Theologie des AT, auf die im folgenden noch einzugehen ist. Einen guten Überblick über die aktuelle Diskussion zur Biblischen Theologie bietet Dohmen/Söding (1995).

[69] Einen wichtigen Anstoß dazu gab Wellhausen und die sich auf ihn berufende Religionsgeschichtliche Schule. Unter dieser Perspektive kamen stärker die Unterschiedlichkeit theologisch-religiöser Ansätze innerhalb des AT und die Differenz von AT und NT in den Blick, mit dem bereits erwähnten Nebeneffekt, daß das AT seine Relevanz für den christlichen Glauben zu verlieren schien. Durch die Krise der Liberalen Theologie nach dem 1. Weltkrieg geriet auch die Religionsgeschichtliche Schule unter heftige Kritik v.a. seitens der Dialektischen Theologie, viele Alttestamentler schlossen sich der neuen theologischen Bewegung an. Ich werde unten (S. 19) nur auf den für diese Arbeit wichtigen, neueren religionsgeschichtlichen Entwurf von Albertz (1996; 1992) eingehen.

[70] So Albertz (1996,18f).

[71] Oeming (1987) hat in m. E. überzeugender Weise versucht, die unterschiedlichen Modelle, die von Rad verbindet, auseinander zu dividieren (ebd., 20-32). Ich werde mich hier allerdings nur mit den beiden Aspekten der Geschichte und der Offenbarung beschäftigen, da die Aufnahme der Differenzierungen Oemings den Gang meiner Überlegungen nicht weiterbringen, sondern hier nur retardierend wirken würden. Zudem habe ich im letzten Kapitel bereits auf drei der integrierten Modelle aufmerksam gemacht.

[72] Von Rad (1993, 447).

[73] Von Rad (1992, 104).

[74] Ebd., 105.

[75] Von Rad (1993, 372).

[76] Gunneweg und Childs sind natürlich nicht die einzigen, die an von Rad anknüpfen, aber ich kann hier die Entwicklung nicht detailliert nachzeichnen. Es sei deshalb verwiesen an Oeming (1987), der anhand der oben erwähnten Differenzierungen (s. Anm. 71) die auf von Rad folgende Forschung ausführlich darstellt.

[77] Vgl. dazu auch Preuß (1984, 63f), der Wert darauf legt zu betonen, daß hierbei die Zeitumstände berücksichtigt werden müssen, findet doch der Ansatz von Rads seine Grundlage 1934 in der Auseinandersetzung mit deutschchristlichen Bestrebungen, das AT vom NT zu trennen (s.o. S. 6).

[78] Gunneweg (1988, 187). Eine ähnliche Position vertritt Preuß (1984, 21): „Das AT ist … für den Christen als Teil seiner Bibel durch das NT mitgesetzt. Es hat eine abgeleitete Autorität.“

[79] Bereits von Rad hat sich gegen eine „Mitte“ des AT ausgesprochen (s. von Rad 1993, 386). Zu den zahlreichen Vorschlägen, was diese „Mitte“ des Alten Testaments sein könnte siehe Preuß (1991, 25f), der selber nach einer Mitte zu fragen geneigt ist (ebd., 27). Vgl. auch Albertz (1996, 36, Anm. 63).

[80] Gunneweg (1988, 184; vgl. auch ebd., 119f).

[81] Erwähnen möchte ich hier nur die unterschiedliche Stellung zum Gesetz bei Mt und Jak gegenüber Paulus (wenngleich sich v.a. im anglo-amerikanischen Sprachraum ein Umbruch in der Paulusexegese abzeichnet, der deutlich von den Ansätzen einer gesamtbiblischen Theologie beeinflußt ist; vgl. z.B. Sanders (1985)). Ein weiteres Beispiel sind die Differenzen zwischen Juden- und Heidenchristen. Der Umstand, daß von der Katastrophe des Jahres 70 n.Chr. auch das Judenchristentum betroffen war, mit der Folge, daß seine Stimme im christlichen Diskurs verstummte, zeigt, daß auch die Kirchengeschichte eine Geschichte der Sieger ist (vgl. auch Käsemann 1986, 90).

[82] Albertz (1996; 1992).

[83] Vgl. Albertz (1996, 33). Albertz qualifiziert damit seine Arbeit nicht als subjektiv, sondern zeigt an, daß es, wie in aller wissenschaftlichen Forschung, erkenntnisleitende Interessen gibt.

[84] Albertz (1996, 30).

[85] Damit wendet sich Albertz u.a. gegen W.H. Schmidt, dessen zwischen Theologie des AT und Religionsgeschichte angesiedeltes Werk von der Frage nach dem atl. Gottesverständnis bestimmt ist (vgl. Schmidt 1996, X; 1-22). Vgl. dazu auch Albertz (1996, 28f).

[86] Wie nötig eine solche differenzierte Betrachtung religiöser Erscheinungsformen ist, zeigt ganz aktuell der Umgang mit dem Islam. Zum einen wird der Koran als Grundlagenschrift herangezogen, um etwa zu zeigen, wie intolerant und z.T. brutal der Islam schon von seinem Ursprung her ist, ohne zu berücksichtigen, daß Islam wie Juden- und Christentum unterschiedliche Auslegungstraditionen nicht nur kennen, sondern als auf Schriften bezogene Religionen auch notwendig brauchen. Zum anderen dienen bestimmte Erscheinungsformen, etwa im Iran, dazu, eine spezifische Form der Konkretisierung als allgemeinen Ausdruck einer grundlegenden Haltung zu etablieren, ohne ein wichtiges Indiz zur Kenntnis zu nehmen, daß nämlich im Iran (vor der Revolution) oder in Algerien große soziale Unterschiede in der Gesellschaft in nicht unerheblichem Maße Rekrutierungspotentiale für den radikalen Fundamentalismus bereitstellen.

[87] Albertz (1996, 41).

[88] Als Beispiel mag hier die sog. Exodusgruppe mit ihrem Gott JHWH und ihrer Befreiungstradition dienen, die in Kanaan auf die El-Gottheit und die Vätertradition stieß, wobei letztere zunächst auf der familiären Ebene dominierte, aber schon bald mit dem JHWH-Kult der Exodusgruppe verbunden wurde (vgl. ebd., 53ff.73ff). Zum Ausdruck kommt diese Verbindung im entstehenden Polyjahwismus, den die dtn/dtr Bewegung später mit Kultzentralisation und radikalem Monotheismus zu bekämpfen sucht (vgl. ebd., 128). Siehe auch die Abbildung ebd., 43.

[89] Ebd., 31.

[90] In Ermangelung eines besseren Begriffs gehe ich von der Doppeldeutigkeit des Einheitsbegriffs aus, nämlich einerseits funktional als Einheit des Kanons und andererseits substantiell als einer Einheit, die sich auf einen inhaltlichen Begriff bringen läßt.

[91] Vgl. Albertz (1992, 623-633). Auf den Prozeß der Kanonisierung gehe ich hier nicht ein, schon allein aus dem Grund, weil dies unmittelbar in die aktuelle Datierungsdebatte führt, in der sich bisher soweit ich sehe kein Konsens andeutet.

[92] Vgl. dazu die Diskussion zwischen Albertz (1995) und Crüsemann (1995).

[93] Schmidt (1996, IX).

[94] Bezeichnenderweise trägt denn auch Gunnewegs posthum veröffentlichte Biblische Theologie des AT den Untertitel „Eine Religionsgeschichte Israels in biblisch-theologischer Sicht“ (Gunneweg 1993).

[95] Indem ich „legt nahe“ schreibe, wende ich mich gegen Rendtorffs Formulierung, daß aus der Beschreibung dieses Sachverhalts irgend etwas mit Notwendigkeit folgt (vgl. Rendtorff 1995, 99).

[96] Vgl. Käsemann 1986, bes. 93.

[97] Beide Begriffe sind als perspektivische Begriffe zu verstehen, denn natürlich ist einerseits die christliche Interpretationsgemeinschaft selbst wiederum eine Diskursgemeinschaft, insofern sie ihre Interpretation diskursiv betreibt, und die altisraelitische Diskursgemeinschaft ist zugleich eine Interpretationsgemeinschaft, insofern sie in ihrem Diskurs interpretierend auf ältere Traditionen zurückgreift.

[98] Vgl. dazu das Gespräch zwischen Rendtorff und Gollwitzer in Gollwitzer/Rendtorff/Levinson (1978, bes. 28f).

[99] Interessant hierzu ist auch der Beitrag S. Kreuzers (1987, bes. 372), der diesen Interpretationsdiskurs im Dtn als Rückgriff auf ältere Traditionen offenlegt und mit heutiger Predigt parallelisiert. Dahingestellt sei hier, inwieweit Kreuzer Recht hat mit der im Anschluß an Braulik geäußerten These, das Dtn sei eine (gepredigte) Interpretation des Dekalogs.

[100] Zitiert nach Preuß (1984, 82); vgl. zur Position Wolffs ebd., 81f.

[101] Albertz (1992, 634).

[102] Waschke (1992, 339f) möchte lieber den Begriff des Zusammenhangs verwenden, als den der Einheit; er versteht die „Vielfalt der Überlieferung“ sogar als „Plädoyer für die Vielgestaltigkeit der Theologie“ überhaupt. Vgl. dazu auch Gese (1986, bes. 47ff), für den sich dieser Zusammenhang des atl. Kanon v.a. traditionsgeschichtlich erschließt. Oeming (1985, 226) fordert, „aus der unvermeidlichen Not des Pluralismus eine Tugend“ zu machen, indem die „Vielfalt und Positionalität prinzipiell bejaht und in ein Modell integriert“ wird.

[103] Dieses Projekt verfolgt Hübner (1990) in seinen Prolegomena zur Biblischen Theologie des NT.

[104] Vgl. Gunneweg (1988, 186).

[105] Ebd., 37f.

[106] Vgl. dazu z.B. Härle (1995, 84ff).

[107] Sprechakttheoretisch ausgedrückt gibt es viele lokutionäre Gestaltungsweisen der Illokution „aussagen“. Ob eine Äußerung als eine bestimmte Illokution verstanden wird hängt nicht an ihrer sprachlichen Ausgestaltung, sondern an den Regeln, die Sprecherin und Hörer zur Verfügung stehen.

[108] Vgl. dazu Marxsen (1968, 17ff); Conzelmann (1992, 49ff); Kaiser (1993, 24.32ff).

[109] Die Verwendung von Xristo/j ist in LXX mit xy#$m in BHS identisch, d.h. es kommt nicht zu einer semantischen Überlagerung des hebräischen durch die Besonderheiten des griechischen Begriffs (wobei Xristo/j nur in LXX und der christlichen Literatur, nicht in anderen griechischen Texten begegnet; vgl. dazu Hahn 1992, 1164).

[110] Vgl. Conzelmann (1992, 178).

[111] Conzelmann (1992, 34).

[112] Vgl. Conzelmann/Lindemann (1995, 517f).

[113] Ich kann hier nicht die Forschungsergebnisse detailliert wiedergegeben, weshalb ich den Entwicklungsprozeß nur grob umreiße: Aus x#$m ‘salben’, das in kultischen wie säkularen Zusammenhängen verwendet werden konnte, wurde über den speziellen Kontext ‘eine Person salben’ der Messiasbegriff ausgebildet, der in LXX durchgängig mit Xristo/j (resp. seinem verbalem Stamm) wiedergegeben wurde. Dieser „Gesalbte“ konnte der König sein, ein Hohepriester oder ein Prophet, wodurch ‘salben’ zu einem Funktionsbegriff wurde (d.h. durch die Salbung wurde eine Person in ein Würdenamt eingesetzt), auf den sich die drei wichtigsten messianischen Traditionslinien, die theokratische, die hohepriesterliche und die prophetische, zurückführen lassen. Die vorexilische Messianologie war v.a. gebunden an die Jerusalemer Königstheologie, die z.B. in Ps 2,7 den Messiastitel mit dem Gottessohnprädikat versehen konnte (vgl. Albertz 1996, 176ff; Schmid 1991, 35ff), während in der nachexilischen Zeit mit der Ausbildung des Frühjudentums unterschiedliche Messiaskonzeptionen entstanden, die alle drei Traditionslinien fortführten und zusammenbanden mit der Vorstellung einer eschatologischen Heilszeit, deren Bringer der Messias sein sollte (Vgl. Albert 1992, 621f; 638f; Schmid 1991, 37; insges. zu dem Ausgeführten vgl. Hahn 1992, 1149-1153). Aufgrund seiner antisemitischen Grundeinstellung kommt Hirsch dazu, im jüdischen Messianismus den Versucher der Versuchungsgeschichte zu sehen (vgl. Hirsch 1936, 11).

[114] Schmid (1991, 38).

[115] Dies sind v.a. das die Passionsgeschichte strukturierende Motiv vom leidenden Gerechten, dessen Auferweckung zum ewigen Leben (Dan 12,1b-3) das endgültige Ins-Recht-Setzen durch Gott signalisiert, und das Motiv des Sühnetods, in dessen Hintergrund die altorientalische Vorstellung steht, ein Vergehen schaffe ein (kosmisches) Ungleichgewicht, das durch ein Sühneopfer wiederhergestellt werden muß (vgl. dazu Schmid 1991, 38-43).

[116] Vielhauer (1978, 780).

[117] Vgl. Kraus (1991b, 148 u.ö.)

[118] Dies steht nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem christlichen Synkretismus, der sich als folgenreich für die weitere Entwicklung zeigen sollte. Dieser Synkretismus besteht in erster Linie darin, daß die atl.-jüdische Terminologie mit dem griechischen Denken zusammentraf. Dieser Vorgang begegnet nicht erst bei Paulus, sondern schon Paulus liegen hier erste Traditionsbildungen vor (vgl. Conzelmann/Lindemann (1995, 524ff).

[119] So macht z.B. Schweizer darauf aufmerksam, daß es vor der Verschriftlichung ein Nebeneinander von kerygmatischen Traditionen auf der einen, und historisierenden Jesustraditionen (als Erzählungen und als Spruchsammlungen) auf der anderen Seite gab. V.a. die Evangelien lassen sich als Versuch verstehen, einer Entweltlichung Jesu entgegenzutreten (Vgl. Schweizer 1989, 46-52).

[120] Vgl. Käsemann (1986, 90): „… uns [sind] im Kanon nur Fetzen des in der Urchristenheit geführten Gesprächs erhalten geblieben … und … die Variabilität des urchristlichen Kerygmas [muß] noch sehr viel größer gewesen sein …, als die Beobachtung des im Kanon erhaltenen Tatbestandes wahrnehmen läßt“.

[121] Vgl. Schnelle (1996, 449).

[122] So etwa die johanneische Logoschristologie oder der in Mk in Ansätzen vorzufindende Adoptianismus. Die hellenistische Dominanz aber auch die Überlagerung atl. Traditionen durch ein hellenistisch-heidenchristliches Verständnis macht sich gerade in der Logoschristologie bemerkbar, namentlich indem die atl.-weisheitliche sophia-Tradition durch den griechischen Logosbegriff interpretiert wird. Ein weiteres Beispiel ist die Transformation der atl. Gottessohnvorstellung in das griechische Modell des Gottmenschen, die im 3. Jh. die Grundlage bilden für die trinitarischen Streitigkeiten. Das Problem der ‘Vergöttlichung’ Jesu läßt sich auch zeigen anhand der Verwendung des kyrios im NT. War in LXX kyrios die Übersetzung von JHWH, so wird im NT zunehmend Jesus selbst als der kyrios bezeichnet. Hier ergibt sich eine Spannung zwischen dem rad. Monotheismus der atl. Theologie seit dem Deuteronomismus und der Christologie, die dem frühen Christentum den Vorwurf der Vielgötterei einbrachte (vgl. Gunneweg 1988, 191f; Hauschild 1995, 6ff).

[123] Bernhardt (1995, 231) expliziert die hier angedeutete kritische Reflexion als Aufforderung zu einer „Rückübersetzung der [ntl.-christologischen; KD] Aussageintentionen in jenen judenchristlichen Bezugsrahmen, dessen Kategorien uns heute näher liegen als die Substanzontologie der hellenistischen Philosophie“. Vgl. auch Bohren (1980, 114f).

[124] Preuß hat dafür die schöne Formulierung gefunden, daß die atl. Sprache die Sprache ist, „in die hinein Christus sich inkarniert“ (Preuß 1984, 125).

[125] Vgl. ebd.

[126] Gunneweg (1988, 186).

[127] Preuß (1984, 130).

[128] Vgl. ebd., 30ff; Mildenberger (1984, 98.101ff).

[129] Vgl. von Rad (1993, 387).

[130] Für Preuß besteht dies darin, die unaufgebbare historisch-kritische Exegese mit der existentialen Interpretation zusammenzudenken (vgl. Preuß 1984, 121). Als Kernfrage kann dabei gelten: „Inwieweit zeigt der at.liche Text einen Modellfall auf für meine/unsere glaubende Existenz auf meinem/unserem Weg zu und mit Christus?“ (ebd., 131).

[131] Von einem „gleichzeitig werden“ des heutigen Menschen spricht dagegen H.M. Müller (1996, 226), wobei er seinen Leser aber sowohl mit der Frage allein läßt, was das heißen soll, als auch, warum Preuß’ Begriff der Strukturanalogie unglücklich gewählt sein soll (ebd., Fußnote 394). Tatsächlich ist aber die Verwendung der Begriffe „Strukturanalogie“ und „Existenztypologie“ wenig scharf. An einigen Stellen scheint Preuß die Begriffe synonym zu verstehen, an anderen bezeichnen sie unterschiedliche Sachverhalte. Ich verstehe die Begriff so, daß „Existenztypologie“ ein Unterbegriff von „Strukturanalogie“ ist.

[132] Vgl. Preuß (1984, 128); Kaiser (1989, 11).

[133] Vgl. dazu Kaiser (ebd., 15), der auch auf diese Verwandtschaft aufmerksam macht, sie aber in erster Linie unter der Opposition alt/neu betrachtet. So kommt Kaiser zu der Aussage, daß das Erlösungswerk an die Stelle der Exodustradition tritt. Ich würde dagegen stärker von einer traditionsgeschichtlichen Verwandtschaft ausgehen, weil so die Zusammengehörigkeit des innerweltlichen wie des soteriologisch-eschatologischen Befreiungshandelns Gottes deutlich wird. Deutlich wird diese Verwandtschaft schon begrifflich an der Opposition von Befreiung und Knechtschaft resp. Sklaverei (vgl. z.B. Gal. 5,1).

[134] Hirsch (1936, 72f).

[135] Vgl. Preuß (1984, 128).

[136] Vgl. Zimmerli (1979, 186).

[137] Vgl. dazu auch Oeming (1987, 238), der in der christlichen Kanonisierung des AT eine Institutionalisierung der Dauerreflexion und einen „heilsamen Zwang zur permanenten Geltungsreflexion“ sieht.

[138] Die Faktizität des Einflusses kirchlicher Traditionen hat die katholische Kirche immer deutlicher gesehen als die Protestanten. Auf das Problem des Verhältnisses von biblischer Grundschrift und kirchlicher Tradition hat die protestantische Lehrentwicklung bekanntlich mit der Konzeption der Unterscheidung von norma normans und norma normata reagiert. Zugleich stützen sich die kirchlichen Traditionen auf die biblische Basis, hieraus gewinnen sie ihre Sprache und ihre Deutungsmuster. Man könnte deshalb auch von Interpretations­traditionen sprechen, zu denen auch die reduktionistischen Schemata gehören.

[139] Theißen (1994,57ff) stellt die Beziehung von Text, Interpret und Interpretationsgemeinschaft als ein Dreieck dar, in dem die einzelnen Elemente unterschiedlich aufeinander einwirken.

[140] Theissen (1994, 30ff) nennt 12 Grundmotive, die zum Basisbestand biblischer Rede in der Gemeinde gehören, auf die sich die Sprecher beziehen können. Dazu gehören u.a. das Schöpfungsmotiv, das Hoffnungsmotiv, das Umkehrmotiv und das Exodusmotiv. Diese Motive bilden „kein strenges System – eher ein loses Regelgefüge mit Überschneidungen und Berührungen, einem Mobile vergleichbar“ (ebd., 30). Unterschiedliche Frömmigkeitsstile können von daher als unterschiedliche Kombinationen biblischer Grundmotive verstanden werden.

[141] Vgl. Daiber (1995, 14).

(1)               [142] Meines Wissens liegen keine empirischen Untersuchungen vor, die den Umgang der Gemeinde mit dem AT dokumentieren. Ich werde deshalb ausgehend von Untersuchungen zum Bibelgebrauch allgemein ein paar Vermutungen dazu äußern, mit welchen Voraussetzungen ein Prediger zu rechnen haben wird, wenn er über einen atl. Text predigt.

[143] Vgl das Zitat von H. Grass in Daiber/Lukatis (1991, 51).

[144] Vgl. Daiber/Lukatis (1991, 115, Schaubild 18). H. Hirschler (1988, 198f)  beschreibt die Begegnung der Gemeinde mit atl. Texten in der Spannung zwischen Verstörung und Faszination.

[145] Vgl. Daiber/Lukatis/Lukatis (1994, 101.117).

[146] In der EKD-Umfrage über Kirchenmitgliedschaft (Fremde Heimat Kirche 1993, 30), gab die größte Gruppe, nämlich 30% der Befragten, an, daß sie Gottesdienste nur anläßlich familiärer Angelegenheiten besuchten.

[147] Die wenigsten der Befragten in der EKD-Umfrage (ebd., 28) sind der Meinung, daß die Bibellektüre unbedingt zum Evangelisch-sein gehört. Dies bestätigt sich auch in der Bibellesepraxis: Nach der Untersuchung von Daiber/Lukatis/Lukatis (1994, 97.115) lesen über 60% der West-Protestanten nie in der Bibel und nur etwa 5% geben eine häufige Lektüre an (Vgl. auch ausführlicher Daiber/Lukatis (1991, 79ff).

[148] Kaiser (1989, 2).

[149] Als Beispiel mag hier der beliebte Trauspruch Rut 1,16 gelten, bei dem es völlig unerheblich zu sein scheint, daß der Satz nicht von zwei Liebenden, sondern von einer Schwiegertochter zu ihrer Schwiegermutter gesagt wird. Vgl. auch Daiber/Lukatis (1991, 49). Als Beispiel für eine Abqualifizierung sei E. Hirsch (1936, 6f) angeführt, dessen distanziertes Verhältnis zum AT schon angesprochen wurde (s.u. S. 14). Er berichtet von einem Erlebnis am Krankenbett einer Frau, der er aus den Psalmen vorliest und die daraus – ihr Sohn ist im Krieg – neue Hoffnung schöpft, weil sie, wie Hirsch sagt, den Spruch als „persönliches Orakel“ auffaßt. Für Hirsch führt dies dazu, den Psalter nicht mehr in der Seelsorge zu verwenden, obwohl er der Frau zugesteht, daß sie den Psalm aus seinem Kontext richtig gelesen hat. Aber die neue Hoffnung dieser Frau sei „kein christliches Gottvertrauen“ (ebd., 7). Hier steht Hirsch sein Dogmatismus, daß das AT nur eine Negativfolie des NT ist, im Weg, um die religiöse Kraft des AT für Christen zu sehen.

[150] Killy (1982, 28).

[151] Vgl. Preuß (1984, 30).

[152] Killy (1982, 29). Dahingestellt sei hier die Selbstverständlichkeit, mit der Killy den heilsgeschichtlichen Kontext erwähnt.

[153] Ganz anders sieht dies Müller (1996). Für ihn ist der „Rückgriff des Evangeliums auf das Alte Testament … nur da richtig verstanden, wo zugleich die darin enthaltene Entgegensetzung vor Augen tritt“ (ebd., 224). Das AT wird zur Vorgeschichte des NT, und wie bei Hirsch, auf den sich Müller mehrfach beruft, zum notwendigen Gegenstück, vor dessen Hintergrund die Botschaft des NT erst verstanden werden kann. Auch die Erwähnung der jesuanischen Verkündigung wie der paulinischen Missionspredigt (ebd., 223) steht letztlich unter diesem Vorzeichen. Daß ich Müller nicht folgen kann, dürfte aus meiner Arbeit bisher deutlich geworden sein. Positives billigt Müller der existenztypologischen Betrachtung zu.

[154] Vgl. dazu Luther (1989, 230): „Ich darf als Prediger nicht so weit gehen, zu wollen, daß die Zuhörer sich meinen Vorstellungen anpassen. Ich kann es vielleicht wünschen, aber angesichts der eigenen Fehlbarkeit nicht bedingungslos wollen. Was ich erreichen will, kann nicht mein Werk sein, sondern kann nur der Hörer selber realisieren. Er muß entscheiden dürfen, ob das, was ich verspreche, wirklich erstrebenswert ist, ob das, was ich androhe, wirklich zu fürchten ist, etc.“ R. Bohren, der Predigt und Gespräch nicht, wie hier vertreten, als Einheit, d.h. Predigt als Teil des Gesprächs sieht, sondern ein Gegenüber von Predigt und Gespräch, betont trotzdem den dialogischen Charakter der Predigt, die sich Zwischenruf und Zwischenfrage gefallen lassen muß (Bohren 1980, 521f).

[155] Vgl. Luther (1989, 231).

(2)               [156] Dies hat nichts zu tun mit einer „Auflösung der Amtsautorität“ wie sie H.M. Müller (1989, 180) beklagt und die er zurückführt auf eine „Auflösung der allgemein anerkannten Basis der kirchlichen Verkündigung zugunsten eines Pluralismus der Meinungen“. Abgesehen davon, daß hier ein flaches Zerrbild der modernen Gesellschaft zum Ausdruck kommt, übersieht Müller die religions- wie kirchengeschichtliche Faktizität pluraler theologischer Konzeptionen seit der Grundlegung unseres Interpretationsdiskurses in der altisraelitischen Gesellschaft. Was Müller als „Auflösung“ beklagt, ist für mich ein normaler Prozess, der die ganze Religions- und Kirchengeschichte diachron durchzieht, der aber auch synchron mehrere Konzeptionen nebeneinander erlaubt. Am ehesten faßbar ist dieses Problem mit dem Begriff des sozialen Wandels, in dem trotz aller situativ notwendigen Veränderungen immer auch Invarianzen zum Vorschein kommen (vgl. dazu aus soziologischer Perspektive besonders Jetzkowitz 1996, 31ff). Der Prediger hat nach wie vor Autorität, nach wie vor sind an die Rolle des Pfarrers Erwartungen und Verpflichtungen geknüpft, aber die Hemmschwelle der Gemeinde, Kritik und Mißfallen zu äußern, mag heute niedriger sein als noch vor 50 Jahren. Das ist gut und richtig so, weil die ständige Aktualisierung der Gemeinschaftskonstitution ein Akt der Gemeinschaft und nicht eines einzelnen ist.

[157] Engemann (1993, 107ff). „Obturation“ bezeichnet dabei das Abschließen und Verstopfen von Zugängen.

[158] Dabei muß ich zugeben, daß dies ein äußerst schwieriges und für Prediger wie Gemeinde anspruchsvolles Unterfangen ist. Die einzige Predigt, die ich bisher vor einer Gemeinde gehalten habe, ist daran kläglich gescheitert, weil, wie im Predigtnachgespräch herauskam, die Gemeinde anderes, nämlich Abschließendes erwartet hat.

[159] Vgl. Engemann (1993, z.B. 154).

[160] Vgl. ebd., 91ff.

[161] Crüsemann (1992) hat dies anhand des Entstehungsprozesses des Pentateuch verdeutlicht, die mit der Formulierung des Bundesbuches einen Anfang nimmt und über die kritische Aneignung im Deuteronomium und der Priesterschrift schließlich zur nachexilischen Gesamtkonzeption der Tora führt.

[162] Anders wiederum Hirsch (1936, 77f): Gerade da, wo sich Analogien ergeben, soll sich der Prediger mit Hilfe einer Vormeditation den Glaubensunterschied zwischen AT und NT klar machen, wahrscheinlich damit er nicht in Versuchung kommt, im AT ein bleibendes Gotteswort zu sehen.

[163] Oeming (1987, 239) betont, der Eigenwert des AT liege „in der Explikation des Christlichen (nicht der Christologie)“.

[164] Gerade die Themapredigt bietet m.E. vielfältige Möglichkeiten, atl. Traditionen in der Predigt zu bearbeiten und so neu ins Gespräch zu bringen. Dazu könnte die kritische Behandlung reduktionistischer Schemata gehören, aber auch messianische Christologie, die Exodustradition, das AT in Liturgie und Liedern (Liedpredigt), schließlich aber auch ntl. Umgang mit dem AT oder das Problem des latenten ntl. Antisemitismus. Themapredigten könnten auch das Defizit der OPT bezüglich atl. Texte auffangen.

[165] Vgl. dazu auch Bohrens (1980, 120) Bemerkung zur Predigt ntl. Texte „als gäbe es kein Altes Testament“.

[166] Tracy (1993, 103) weist auf Ähnliches hin und verwendet dafür den Begriff der „historischen Ambiguität“. Gerade das Erzählen von Geschichten ist für mich ein Weg, Deutungsmöglichkeiten eines Textes anzubieten, ohne sie als verbindlich für den Hörer zu betrachten. Zur Rolle des Geschichtenerzählens vgl. Schapp (1976, bes. 190ff).

[167] Vgl. dazu Bohren (1980, 121).

[168] Vgl. Oeming (1987, 240).

[169] Dazu zwei Beispiele: Ein Prediger, der über Gen 1 spricht (3. n. Ostern), kann über Gott als den Schöpfer sprechen, ohne Christus zu erwähnen. Mitgesetzt ist aber für die christliche Interpretationsgemeinschaft, daß dieser Schöpfergott der Gott Jesu ist und zu dem Jesus „Abba“ sagte. Eine Predigerin, die über Gal 2,16-21 (11. n. Trin) spricht, kann dies tun, ohne die positive Rolle des Gesetzes anzusprechen. Mitgesetzt ist aber für die christliche Interpretationsgemeinschaft, daß der atl. Dekalog ein bleibendes Element christlicher Ethik ist.

[170] Vgl. Preuß (1984, 123.173 u.ö.).

[171] So auch Theißen (1994, 74).

[172] Luther (1991, 95-100).

[173] Überhaupt kann das Hiobbuch Vorbild sein für den christlichen Diskurs: Unterschiedliche Personen treten auf und führen ein Gespräch über Gott. Hiob, der ‘Held’, ist nicht der, der recht hat, die anderen sind keine Schießbudenfiguren, die offensichtlich unrecht haben. Die Situation ist ein Typos der Diskursgemeinschaft: trotz unterschiedlicher Positionen können sie über Interpretationen der Situation streiten, weil sie auf eine gemeinsame Sprache und Tradition zurückgreifen.