Schreibend denken

Darwin notiert seinen Einfall zur Evolutionstheorie
„I think“ – Darwin notiert seinen Einfall zur Evolutionstheorie

“Ich denke tatsächlich oft mit der Feder”, notierte Wittgenstein einmal. Er ist nicht der einzige, der den Zusammenhang von Schreiben und Denken so oder ähnlich beschreibt. In meiner eigenen Schreiberfahrung finde ich mich darin gut wieder. Ulrike Scheuermann hat diese Erfahrung als Konzept des Schreibdenkes für die Hochschuldidaktik ausgearbeitet. Sie beansprucht damit nicht, etwas völlig Neues in die Schreibdiskussion einzubringen, aber ihr Ansatz gibt gute methodische Hinweise zum Schreibprozess beim Verfassen nicht-fiktionaler Texte. Der Prozess lässt sich auch gut auf die Predigtvorbereitung übertragen.

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Steve Jobs als Prediger

Steve Jobs
Steve Jobs

Kann die öffentliche Rede von evangelischer Predigtkultur wichtige Impulse erwarten? Thomas Klie hat diese Erwartung an die Predigt und die Unterrichtenden in der Homiletik durchscheinen lassen. Sein Argument: Die Kirche sei die „einzig verbliebene gesellschaftliche Großinstanz, die sich noch professionell mit der Redekunst befasst“ (Der Beitrag der Kanzelrede zur rhetorischen Kultur unserer Gesellschaft, in: Evangelische Predigtkultur, S. 33).
Angesichts der neulich von der FAZ aufgeworfenen Frage, ob nicht mittlerweile andere Instanzen die Aufgabe der Predigt in unserer Gesellschaft übernommen haben, ein interessantes Dilemma: Theologische Fakultäten und Predigerseminare befassen sich als letzte Verbliebenen um professionelles Reden – dabei wird längst außerhalb der Kirchen zuweilen eindrucksvoller gepredigt als auf den Kanzeln. Dafür bietet nicht nur das Feuilleton gute Beispiele.
Eine zweifellos spannende Rede war die Ansprache von Apple-Gründer Steve Jobs bei der Abschlußfeier der Stanford University 2005. Im Zusammenhang mit Jobs Tod wird davon wieder berichtet, weil Jobs sehr eindrucksvoll über den Umgang mit Krankheit und Sterben sprach. Natürlich ist die Rede keine Predigt. Diesen Anspruch hätte Jobs sicher selbst nicht gehabt. Aber sie zeigt auf beeindruckende Weise, wie eine Rede von 15 min Dauer elementare Fragen des Lebens und Glaubens authentisch zur Sprache bringen kann. Was könnte Predigt sein, wenn sie davon lernen und sich inspirieren lassen würde?

In der ZDF-Mediathek findet sich aktuell eine Fassung mit deutschen Text, die das Anschauen lohnt.
[Link zur Rede von Steve Jobs in der ZDF-Mediathek]

Der Text der  Rede ist auf der Homepage der Stanford University zu finden. Eine einfache, deutsche Übersetzung findet sich im Blog humanity. Eine weitere, etwas elegantere im Blog macversus.

Ist das Feuilleton die Predigt von heute?

„Kann es nicht sein,“ stellt die FAZ die interessante Frage, „dass ganz einfach andere Institutionen [als die Kirchen; KD] die Aufgaben der Predigt übernommen haben? Die ‚Zeit‘ zum Beispiel. Am Ende sogar wir hier? Das Feuilleton [der FAZ; KD]?“

Peter Richter, Kulturredakteur bei der FAZ, richtet die Frage an den Münchener Systematiker Friedrich Wilhelm Graf [Link zum FAZ-Interview]. Dabei will sich Richter aber sicher nicht zu der These versteigen, Feuilletonisten hätten die Aufgabe der Verkündigung übernommen. Doch das, was evangelische Predigt in liberaler Perspektive einmal war, nämlich eine Reflexionsinstanz im Medium der religiösen Rede,scheint sich zugunsten anderer Schwerpunktsetzungen aufgelöst zu haben: Graf jedenfalls macht eine Tendenz zu Infantilisierung, Psycho-Jargon und zunehmender Moralisierung der Predigt aus. Aber es ist weniger Analyse als Provokation.

Aufgabe der Predigt wäre nach Graf, elementare, existenzielle Spannungen und die Widersprüche des Lebens religiös zu deuten – aber dieser Aufgabe stellt sich die Predigt nicht, weil sie den Menschen diese Spannungen nicht zumuten will. Sie flüchtet in „Wohlfühlrhetorik“. Und genau da setzt die implizite These von Peter Richter an: Es sind andere Instanzen, die diese Aufgabe übernommen haben. Dabei geht es nicht um existentielle Fragen allein: Spätestens mit der Zeitrubrik „Glauben und Wissen“ wagt sich das Feuilleton tatsächlich in religiöse Deutungsgefilde vor. Und sie macht das nicht schlecht: Bei Robert Leicht beispielsweise, dem langjährigen Chefredakteur der ZEIT, habe ich in den vergangen Jahren mit die besten Lesepredigten gefunden, die zu aktuellen religösen Fragestellungen zu finden sind.

Man muss nicht in den kulturpessimistischen Tonfall Grafs einstimmen, um die Probleme gegenwärtiger Predigtpraxis zu sehen: Theologisch anspruchsvolle Predigten kranken oft daran, dass sie zu akademisch sind. Einfache, theologische Antworten driften oft ins fundamentalistisch-frömmlerische ab. Und wer sich dazwischen bewegt, findet sich schnell auf dem Niveau von Lebenshilferatgebern wieder.

Vielleicht könnte eine Lösung darin bestehen, die Methoden des Feuilletons für die Predigtpraxis zu nutzen.

Mich erinnert das an mein altes Anliegen, meine alten Überlegungen zum Esssay als Predigtform endlich mal weiter zu spinnen. Die Idee stammt noch aus einer Seminararbeit von 1993.

Wen’s interessiert – hier ist der alte Text (ohne wissenschaftlichen Apparat):

„Bereits im Verlauf meiner exegetischen Vorarbeiten habe ich über die Art und Weise der Darstellung dieser Ergebnisse in der Predigt nachgedacht. Durch die Beschäftigung mit der Textgattung Essay habe ich mich schließlich entschlossen, meine Predigt an die Essayform anzulehnen. Eine Vorentscheidung war, daß ich der Gemeinde gegenüber nicht mit dem Anspruch auftreten wollte, mit meiner Predigt nun ‚entscheidende Wahrheit‘ mitzuteilen. Meine Predigt soll ein Deutungsangebot sein, dies soll sich in der Form der Predigt ausdrücken.

Wenn ich an dieser Stelle von Form spreche, so gebrauche ich diesen Begriff nicht als einen etwaigen Hinweis auf eine bestimmte äußere Gestalt, die meine Predigt auch hat, sondern vielmehr als Bezeichnung der Vorgehensweise. Auch in Adornos Aufsatz „Der Essay als Form“ bezieht sich der Formbegriff nicht auf die äußere, literarische Gestalt sondern meint die Methode. Im Essay als Form, so schreibt Adorno, werde das Bedürfnis angemeldet, „die theoretisch überholten Ansprüche der Vollständigkeit und Kontinuität auch in der konkreten Verfahrensweise des Geistes zu annullieren“. Die Kritik richtet sich gegen die Vorstellung, daß ein „Gegenstand in lückenlosem Deduktionszusammenhang sich darstellen“ ließe. Dem Vorwurf, der Essay behandele seinen Gegenstand nicht erschöpfend, wird entgegnet, daß bei der Auswahl der Aspekte, die zur Darstellung eines Gegenstandes herangezogen werden, doch „nichts anderes entscheidet als die Intention des Erkennenden“.

Der „Gedanke der traditionellen Idee von der Wahrheit“, so konstatiert Adorno entledige sich im „emphatischen Essay“. Die Methodik beruht darauf, daß der Essay „in Freiheit […]zusammen [denkt], was sich zusammenfindet in dem frei gewählten Gegenstand“; Tiefe gewinnt er darin, wie tief er in den Gegenstand den er behandelt, einzudringen vermag, und nicht darin, wie stark die einzelnen Teile auf etwas anderes außerhalb des Behandelten zurückgeführt werden. Deshalb fängt er „nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe“. Die Freiheit des Essayisten, zusammenzudenken, was sich zusammenfindet, verweist auf den experimentellen Charakter des Essay, für den nach Adorno „Glück und Spiel […] wesentlich“ sind. Damit ordnet sich der Essay der traditionellen wissenschaftlichen Abhandlung aber nicht als bloße Spielerei unter, vielmehr fordert er sie heraus, indem er ernst macht mit den Bedingungen auch des wissenschaftlichen Arbeitens, nämlich der Sprache, als Grundlage des Verstehens. Der Essay, indem er mit durchaus künstlerischen Impetus auftritt, kritisiert ein Modell von Wissenschaft, das „die begrifflichen Ordnungsschemata und die Struktur des Seins einander gleichsetzt“ ; ja er ist „die kritische Form par excellance“, indem er selbst die eigene dargestellte Meinung relativiert, wenn nicht gar liquiditiert.

„Essayistisch schreibt“, so zitiert Adorno Max Bense,“wer experimentierend verfaßt, wer also seinen Gegenstand hin und her wälzt, befragt, betastet, prüft, durchreflektiert, wer von verschiedenen Seiten auf ihn losgeht und in seinem Geistesblick sammelt, was er sieht, und verantwortet, was der Gegenstand unter den im Schreiben geschaffenen Bedingungen sehen läßt“.

Meine Predigt, vor allem die im Anhang abgedruckte Version für die Studierenden des Homiletikseminares, stellt einen solchen »Versuch« dar. Die zentralen Gedanken der Predigt gehen von Beobachtungen im Text aus, indem ich, im Gegensatz zu den herangezogenen Exegeten, für meine Predigt die Unstimmigkeiten nicht als Hinweise auf verschiedene Entstehungsstufen des Textes lese, sondern als bewußt eingesetzte Stilmittel, die die Hörerinnen und Hörer der Geschichte aufhorchen lassen sollen. Dazu gehört auch, wie im exegetischen Teil ausgeführt, daß ich den Text nicht allegorisch auslege.

Dabei gehe ich aber nicht beliebig vor, wie man mir vorwerfen könnte; auch der Essay „gehorcht […] logischen Kriterien insofern, als die Gesamtheit seiner Sätze sich stimmig zusammenfügen muß“ . Nun gilt für Predigten sicher nicht, daß sie im allgemeinen nach den Regeln der Logik funktionieren, sie folgen aber häufig jenen „Ansprüche[n] der Vollständigkeit und Kontinuität“, die „tendentiell schon die Stimmigkeit im Gegenstand“ präjudizieren (ebd.). Dagegen steht mit Henning Luther die Forderung, daß „der Text des Predigers möglichst wenig in der scheinhaften Gestalt eines abgeschlossenen Ganzen präsentiert werden [darf], das es nur zu übernehmen gilt, sondern in der zur Weiterarbeit (Weiterinterpretation) einladenden Gestalt des Fragments“.

Adornos Essay- und Luthers Fragmentbegriff sind über weite Teile kommensurabel. Nur nur, daß Adorno auch auf das Fragment anspielt, auch die Bedeutung des Differenzbegriffes und die Kritik an bestimmten Identitätsmodellen sind für beide Positionen konstitutiv.

Bezeichnet der Essay bei Adorno vor allem eine Methode, so setzt die Arbeit an der Predigt als Essay nicht erst bei der Formulierung der Predigt ein, sondern schon bei der Exegese. Wenn die „Differenz zwischen Text und Auslegung die Grundsituation aller Hermeneutik bestimmt“ (Jauß) und mit Luther „gerade nicht von der Identität zwischen Zeichen und Bedeutung“ auszugehen ist, dann bedeutet das für die Predigt, daß sie nicht in der Lage ist, zu predigen, was mit einem Text gemeint sei, sondern vielmehr in einen offenen Interpretationsprozess eintritt. Der Essay als Predigtform meint dann nichts anderes, als die Hörerinnen und Hörer in diesen Interpretationsprozess mithineinzunehmen.“