Ein Gespräch mit sich selbst

Olaf Georg Klein über das Tagebuchschreiben

„Wenn man ein Tagebuch noch einmal durchliest”, schrieb einmal Truman Capote in einem Reisebericht, „dann meistens die weniger ehrgeizigen Eintragungen jene beiläufigen Zufallsnotizen, die jedoch immer eine tiefe Furche durch die Erinnerung ziehen.“ Es liegt vermutlich an dem, was man heute „Authentizität” nennt, dass gerade nicht die kunstvoll gedrechselten Worte, sondern die eher beiläufigen und noch rohen Notate viel eindrücklicher wirken. Sie erzeugen zumindest den Eindruck, dass sie die unmittelbare Situation der Niederschrift doch irgendwie mittelbar machen.

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Mit Fingerübungen beginnen

„Aller Anfang ist schwer“ oder „Anfangen ist leicht“ – Sprichwörter transportieren oft sehr gegensätzliche Erfahrungen. In der Tat: Den einen fällt es leicht, etwas Neues anzufangen, nur haben sie Schwierigkeiten, dabei zu bleiben. Andere warten auf einen entscheidenden Impuls um anzufangen und schieben den Start vor sich her. Diese Erfahrungen machen auch Menschen, die schreiben. Die einen haben die Schublade voller vielversprechender Anfänge, die anderen den Kopf voller Ideen, aber das Blatt bleibt leer. „Mit Fingerübungen beginnen“ weiterlesen

Über mich selbst schreiben

Notizbuch
(c) Günther Gumhold / pixelio.de

„Ich könnte ein Buch schreiben“, sagen Menschen häufig, wenn sie aus ihrem Leben erzählen. Doch obwohl viele Menschen gern von ihren Erlebnissen erzählen, gehen die wenigsten den nächsten Schritt, tatsächlich ihr Leben niederzuschreiben. Ratgeberliteratur zum Thema Autobiographie gibt es reichlich. Es scheint also Bedarf zu geben. Nun hat sich Hanns-Josef Ortheil als Autor und Herausgeber der DUDEN-Reihe Kreatives Schreiben des Themas angenommen: „Schreiben über mich selbst“ versteht Ortheil aber „nicht nur [als] eine beliebige, literarische Praxis unter vielen anderen, sondern [als] Teil einer umfassenderen ‚Lebenskunst‘ “, bei der es darum geht, „die eigene Existenz zu beobachten, zu reflektieren und zu durchdringen“ (S. 147). „Über mich selbst schreiben“ weiterlesen

Himmlische Buchführung

Am Reformationstag 1985 – in einer Lebenskrise – nimmt sich Dorothee Sölle vor, Tagebuch zu schreiben. Ich weiß nicht, wie regelmäßig Dorothee Sölle schon vorher ein Tagebuch geführt hat: aus verschiedenen Notizen wird ersichtlich, dass sie zumindest als Jugendliche tägliche Notizen gemacht hat. In ihrer Zeit in New York – Sölle lehrte dort von 1975 bis 1987 am Union Theological Seminary – fängt sie mit dem Tagebuch zumindest bewusst neu an „obwohl viel dagegenspricht“, wie sie schreibt: sie hält den Akt selbst für eitel und sieht in der Notwendigkeit, auszuwählen, was sie niederschreibt, „eine Art von Lügen“. Und wagt es trotzdem:

„Ich lebe immer noch mit der alten Verrücktheit, jeden Tag drei Gründe zu finden, für die ich Gott loben kann. Eine himmlische Buchführung endlich lernen. Ein paar Regeln:
– Heute von heute schreiben, das Manna nicht aufheben, es stinkt morgen.
– Jeden Tag schreiben – das Graue, Armselige aushalten.
– Die niedrigen, demütigenden Empfindungen – die Reflexe der Bourgeoisie in mir – nicht verleugnen; das, was die ollen Mystiker die ‚Regungen des Fleisches‘ nennen – die Realität wahrhaben.
-Das Glück, auch das kleine, lieben! Nennen! Es gibt einen Punkt jenseits von Arroganz und Selbstverachtung, den ich erreichen will.“

[Dorothee Sölle, Ein New Yorker Tagebuch, in: Gesammelte Werke Bd. 9, S. 338f.]

Täglich Schreiben

Tagebuch schreiben scheint einfach und voraussetzungslos: eine Kladde und ein Stift genügen, um mit täglichen Aufzeichnungen aus dem eigenen Leben zu beginnen. Probleme scheint es allenfalls damit zu geben, wirklich regelmäßig zu schreiben. Aber stimmt dieser Eindruck? Wie schon in Ortheils „Schreiben dicht am Leben“ stellt Christian Schärf im zweiten Band der Duden-Reihe „Kreatives Schreiben“ an konkreten Beispielen Möglichkeiten des Tagebuchschreibens vor. „Täglich Schreiben“ weiterlesen

Erich Mühsams Tagebücher im Netz

Wer ein Tagebuch führt, wirft wahrscheinlich oft auch einen interessierten Blick in veröffentlichte Tagebücher. Meistens sind diese allerdings literarisch stark bearbeitet, wie beispielsweise die Tagebücher Max Frischs. Spannender sind da schon die Alltagsbetrachtungen eines Samuel Pepys (kürzlich bei 2001 in einer tollen Edition erschienen, gibts aber auch als Blog-Projekt im Netz).

Ein besonders spannendes Projekt ist die Digitalisierung des Tagebuchs von Erich Mühsam, dass Chris Hirte und Conrad Piens vorantreiben (zusammen mit dem Verbrecher-Verlag). Mühsam war Schriftsteller und Anarchist und eines der ersten Opfer der Nazi-Verfolgung: Bereits 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet.
Bis 2018 sollen die erhaltenen Tagebücher vollständig zur Verfügung stehen.
Die vorbildlich editierte Seite bietet nicht nur den Zugriff auf den Text des Tagebuches in Abschrift und als fotografische Abbildung, sondern auch ein Register sowie Links auf Hintergrundinformationen. Das Beste aber sind natürlich die Texte Mühsams: ehrliche, ungekünstelte Tagesbetrachtungen, die faszinieren – persönlich wie sprachlich.

Notizbuchblog

Notizbuch und iPhoneComputer oder Handschrift – das ist hier die Frage? Nicht nur in diversen Produktivitätsblogs, auch bei Pastoren begegnen einem beide konträre Auffassungen. Im Rahmen von Simplify-Tendenzen wird dabei zunehmend die Stärke von Papier und Stift wieder entdeckt. Eine nicht unwichtige Sache ist dabei der Kult schönen Materials: Kolbenfüller, Moleskine-Notizbücher, elegante Papiere …

Ich selbst fahre disbezüglich auch zweigleisig: Die Grundausstattung ist ein einfaches Notizbuch mit befestigtem Stift und mein iPhone (das an die Stelle des heißgeliebten Palm getreten ist). Weil die Stifthalter oft entweder nicht dran sind oder nur für bestimmte Stifte, mache ich meinen Stifthalter selbst: ein Gummiband wird einfach festgetackert (geht natürlich nur mit einem stabilen Tacker). So kann ich im Prinzip überall Notizen und Predigteinfälle festhalten.

Stifthalter - self-madeWas die Notizbücher angeht, bin ich nicht wählerisch. Am liebsten unliniert, aber das gibt es nicht immer. Sehr inspirierend ist da das bei Notizbuchblog von Christian Mähler – über „Notizbücher und die ganze Welt drumherum“. Exquisites Notizschreibzeug, das ohne Akku auskommt.

Für mich hat sich das Notizbuch auch als Filter und Fundgrube entwickelt: alles, was wichtig erscheint, wird abgetippt und in den Zettelkasten eingefügt. Manchmal zeigt sich da schon am Abend, dass ein Gedanke nur wenige Stunden lang wirklich interessant bleibt. Andererseits finde ich manchmal nach Monaten oder sogar Jahren in einem alten Notizbuch, das dann wie ein Tagebuch wirkt, alte Gedanken und Beobachtungen, die erst durch die zeitliche Distanz interessant werden – und manchmal Eingang finden in eine neue Predigt.

Tagebuch-Hack

In Bud Caddell’s Blog „What consumes me“ findet sich die kleine Idee eines Moleskine-Hacks: Ein Tagebuch-Eintrag enthält drei Bereiche: eine Liste der Dinge, die man am Tag getan hat, persönliche Gedanken und ein Glück-o-Meter. Vor allem die abgetrennte Ereignisliste finde ich eine gute Idee. Oft möchte ich einfach nur in einer Notiz festhalten, was war. Das unterbricht aber oft den Gedankenfluß – oder passt einfach nicht dazu.