Das rote Notizbuch

Eines meiner Lieblingsweihnachtsbücher ist „Wirklich wahre Weihnachtsgeschichten“ von Margret Rettich, das in meiner Ausgabe noch in einen leuchtendroten Umschlag eingebunden ist. Sind die Geschichten wirklich wahr? – „Solange auch nur ein Mensch daran glaubt, gibt es keine Geschichte, die nicht wahr sein kann“, sagt der Ich-Erzähler in Paul Austers kleiner Erzählung „Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte“. Im Film „Smoke“ stellt Harvey Keitel diesen Auggie Wren dar und er erzählt auch eine Geschichte, von der unklar ist, ob sie wirklich wahr ist. Aber was heißt das schon? Paul Auster hat in einem „roten Notizbuch“ höchst unwahrscheinliche, von merkwürdigen Zufällen geprägte, wirklich wahre Geschichten gesammelt.

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Als freier Sätzemacher sein Handwerk verstehen

Mitte November wurden im dlf-Philosophiemagazin „Sein und Streit“ drei Gespräche mit Peter Sloterdijk gesendet.  Simone Miller und Armen Avanessian sprachen mit Sloterdijk über die zentralen Stichworte der Französischen Revolution, „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“. Im Rahmen der Gespräche kamen die Moderatoren auch auf das Schreiben zu sprechen. „Als freier Sätzemacher sein Handwerk verstehen“ weiterlesen

Vision der Predigt

Paul Gauguin: La Vision du sermon (1888), National Gallery of Scotland, Edinburgh
Paul Gauguin, La Vision du sermon, National Gallery of Scotland, Edinburgh

Eine Herausforderung des Predigens ist, zu versuchen mit Worten anschaulich zu machen, was nicht unmittelbar wahrzunehmen ist: „in Szenen unserer Welt“ Wahrheit aufscheinen zu lassen (Henning Luther[1]). 1888 drückte Paul Gauguin in seinem Gemälde „Die Vision der Predigt“ einen ähnlichen Gedanken aus. Das Bild ist kunsthistorisch von großer Bedeutung, kann aber auch für die Homiletik von Interesse sein. „Vision der Predigt“ weiterlesen

Scapple – bald auch für Windows?

Die Macher von Scrivener haben eine Clustering-Software entwickelt – für die Mac-Welt schon erhältlich, für Windows noch im Beta-Stadium

Notizblatt zu "Tradition und Verfahren"
Notizblatt zu „Tradition und Verfahren“

Ich hab es schon gemacht, als ich noch kein Wort dafür kannte: Clustering. Bei Mitschriften an der Uni und als Entwurfstechnik für Seminararbeiten und der späteren Dissertation habe ich kurze Notizen einkreist oder mit Wolken und Kästchen umgeben und durch Striche mit anderen Notizen verbunden. OK, es waren keine Cluster in Gabriele Ricos Sinne, aber es war ein intuitiver Versuch, Struktur in die Notizen zu bringen und Zusammenhänge für das Schreiben sichtbar zu machen.

Literature & Latte, die Macher der Autorensoftware Scrivener, die ich seit einiger Zeit benutze, haben eine Software entwickelt, mit der man am Recher in gleicher Weise arbeiten kann: Scapple. Wer sich mit den Methoden nicht so gut auskennt, könnte meinen, das müsste auch mit Mindmapping-Software gehen. Ich benutze den Mindmanager und Freemind und kann sagen: Es geht nicht. Mindmap und Cluster sind völlig verschiedene Werkzeuge. Insofern ist das Erscheinungen von Scapple mehr als erfreulich. Mac-Nutzer können das Programm bereits kaufen – Windows-Nutzer müssen sich noch etwas gedulden. Bislang liegt nur eine Beta-Fassung vor. Aber die lässt aufmerken.

In Scapple können Notizen frei platziert, verschoben und mit anderen Notizen verknüpft werden. Zudem lassen sich Scapple und Scrivener miteinander verbinden: Per drag&drop können Notizen von Scapple zu Scrivener und umgekehrt verschoben werden. Anders als beim Mindmapping gibt es keine Hierarchien der Notizen. Wer Scapple als alternative Mindmapping-Software betrachtet, wird damit ebenso unzufrieden sein wie jemand, der versucht mit Mindmaps zu clustern. Ein Video auf youtube veranschaulicht die Verwendung.

Die aktuelle Windows-Beta lässt sich noch bis zum 15. Oktober verwenden. Wann eine Verkaufsversion erscheint, steht noch nicht fest. Bei Scrivener konnte man die Windows-Testversion mehrfach verlängern, bis die Release-Version erschien.

Erich Mühsams Tagebücher im Netz

Wer ein Tagebuch führt, wirft wahrscheinlich oft auch einen interessierten Blick in veröffentlichte Tagebücher. Meistens sind diese allerdings literarisch stark bearbeitet, wie beispielsweise die Tagebücher Max Frischs. Spannender sind da schon die Alltagsbetrachtungen eines Samuel Pepys (kürzlich bei 2001 in einer tollen Edition erschienen, gibts aber auch als Blog-Projekt im Netz).

Ein besonders spannendes Projekt ist die Digitalisierung des Tagebuchs von Erich Mühsam, dass Chris Hirte und Conrad Piens vorantreiben (zusammen mit dem Verbrecher-Verlag). Mühsam war Schriftsteller und Anarchist und eines der ersten Opfer der Nazi-Verfolgung: Bereits 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet.
Bis 2018 sollen die erhaltenen Tagebücher vollständig zur Verfügung stehen.
Die vorbildlich editierte Seite bietet nicht nur den Zugriff auf den Text des Tagebuches in Abschrift und als fotografische Abbildung, sondern auch ein Register sowie Links auf Hintergrundinformationen. Das Beste aber sind natürlich die Texte Mühsams: ehrliche, ungekünstelte Tagesbetrachtungen, die faszinieren – persönlich wie sprachlich.

Kierkegaards Notizbücher

Zugegeben: 139,35€ sind ein ziemlich happiger Preis – schon für ein gebundenes Buch, aber erst recht als ebook. Aber De Gruyter ist ja jetzt auch nicht gerade für seine gute Preispolitik bekannt. Dennoch wäre es sicher spannend, die 15 Notizbücher Kierkegaards, verfasst zwischen 1835 und 1849, mal genauer zu studieren.

Mir erscheinen gerade Notizbücher zunehmend als besonders spannende Lektüre: Es ist ein bisschen wie bei Skizzen und fertigen Gemälden. Meistens finde ich die Studien interessanter, als die Ausführung selbst. Die Notiz ist grober, unmittelbarer, unausgewogener, angreifbarer. Aber gerade darin liegt die Stärke.
Bis das Buch mal in einer auch für den Hausgebrauch finanzierbaren Form vorliegt, werde ich wahrscheinlich ein Greis sein. Schade drum. Aber vielleicht schaffe ich es ja mal wieder in eine Uni-Bibliothek.
[Info-Link zu De Gruyter]

Fünf Schritte zum Essay

Kennzeichnend für den Essay ist, dass er eine Antwort auf eine neue Frage versucht. Eine schon altbekannte oder bloß rhetorisch gestellte Frage taugt nicht für einen interessanten Essay. Und das gilt letztlich auch für die Predigt: Sie versucht die Antwort auf eine Frage, die sich wirklich (und nicht nur rhetorisch) stellt.

Zwar wird oft darauf hingewiesen, dass der europäische und der anglo-amerikanische Essay sich formell unterscheiden – der anglo-amerikanische Essay entspricht oft dem, was wir im Deutschen „Aufsatz“ nennen – aber zum einen ist die Unterscheidung oft akademisch, zum anderen lässt sich viel von anglo-amerikanischen Ansatz lernen, bei dem das Essay-Schreiben Teil des wissenschaftlichen, kreativen Schreibens ist.

Ein gute Zusammenfassung liefert James (Nachname unbekannt) auf der Englisch-Lern-Seite engvid.com (das Video ist auf englisch). James geht es um einen effektiven Essay. Das heißt: Der Essay soll nicht bloß gut geschrieben sein, sondern Leser sollen verstehen, worum es dem Autor geht.

James fasst den Prozess des Essayschreibens in fünf Schritte

  1. Stell eine Frage
  2. Stell eine These auf (keine Larfari-These, sondern eine, die etwas aussagt)
  3. Schreib eine Einführung, die deine These enthält
  4. Gib drei Gründe für die Wahrheit deiner These an (Hauptgründe und unterstützende Überlegungen)
  5. Schreib eine Schlussfolgerung

Ein kleines Grundmodell für den Essay als Predigtform. Das ist zwar nicht sonderlich elaboriert, aber ausreichend als Grundmodell. Man könnte es „aussageorientiertes Predigen“ nennen. Denn auch dem Prediger sollte es doch darum gehen, nicht nur salbungsvolle, schöne Worte zu äußern, sondern in seinem Anliegen verstanden zu werden.

Predigt und Plagiat

Nicht erst seit Guttenberg und Koch-Mehrin wird über Plagiate diskutiert – auch bezüglich der Predigt. Auch wenn viele die Nase darüber rümpfen: Abgeschrieben haben Prediger schon immer. „Im Himmelreich gibt es kein Copyright!“, lautet die schmunzelnde Rechtfertigung.
Kein Geringer als Homiletik-Nestor Rudolf Bohren hat mit seinem Votum einst die Plagiate in der Predigt geadelt: Besser ein unbegabter Prediger schreibt eine gute Predigt ab, als dass er eine eigene Schlechte hält, lautet sein Argument.
Alexander Deeg, Praktischer Theologe an der Uni Leipzig und  Mitbegründer der Dramaturgischen Homiletik, wendet sich gegen Bohren: „Predigt soll ja nicht irgendetwas Passendes über einen biblischen Text sagen und möglichst allgemeingültige Lebensweisheiten vorlegen, sondern als Ereignis lebendiger Kommunikation Wirkung entfalten“, heißt es in einem Beitrag in der evangelischen Wochenzeitung Die Kirche [Link zum Artikel].
Was vor einigen Jahrzehnten noch ein homiletisches Problem war – das Ich-Sagen auf der Kanzel – wird bei Deeg zum homiletischen Programm. Ähnlich wie Guttenbergs Getrickse seine Glaubwürdigkeit zum Einsturz brachte, ist der Prediger, der ein falsches „Ich“ in der Predigt benutzt, nicht authentisch und wird fragwürdig.
Was mir an Deegs Einwurf gefällt ist, dass nicht unrealistische Forderungen an den Prediger gestellt werden (wie es manche alte Predigtlehre macht), sondern auch das kleine, bescheidene Predigtwort zu seinem Recht kommen lässt. Muss Predigt wirklich 15-20 Minuten dauern, fragt Deeg: „Wäre es eigentlich so schlimm, wenn auch einmal nur fünf Minuten gepredigt würde – und das Gesagte dafür pointiert und konkret wäre, aus dem Leben geboren und auf das Leben der Gemeinde bezogen? Wäre es so schlimm, wenn eine Predigt einmal mehr Fragen stellen, als Antworten geben würde?“
Auf diese natürlich bloß rhetorisch gestellten Fragen gibt Deeg die erwartete Antwort: Nein! Entscheidend ist, dass in der Predigt etwas zwischen Prediger und Gemeinde geschieht. Deeg lehnt damit nicht automatisch Internetquellen für die eigene Predigtarbeit ab. Predigten im Netz können zu einer Inspirationsquelle für die eigene Predigt werden. Aber das fremde Material muss eigenen Predigt werden.
Letztlich gilt auch hier, dass Predigerinnen und Prediger sich endlich vom alten Predigt-Paradigma der akademischen Rede lösen und sich mehr den Gesprächs- und Diskussionsbeitrag zum Vorbild nehmen. Da kann man gerne jemanden zitieren, aber sagen muss man’s selbst.

Notizbuchblog

Notizbuch und iPhoneComputer oder Handschrift – das ist hier die Frage? Nicht nur in diversen Produktivitätsblogs, auch bei Pastoren begegnen einem beide konträre Auffassungen. Im Rahmen von Simplify-Tendenzen wird dabei zunehmend die Stärke von Papier und Stift wieder entdeckt. Eine nicht unwichtige Sache ist dabei der Kult schönen Materials: Kolbenfüller, Moleskine-Notizbücher, elegante Papiere …

Ich selbst fahre disbezüglich auch zweigleisig: Die Grundausstattung ist ein einfaches Notizbuch mit befestigtem Stift und mein iPhone (das an die Stelle des heißgeliebten Palm getreten ist). Weil die Stifthalter oft entweder nicht dran sind oder nur für bestimmte Stifte, mache ich meinen Stifthalter selbst: ein Gummiband wird einfach festgetackert (geht natürlich nur mit einem stabilen Tacker). So kann ich im Prinzip überall Notizen und Predigteinfälle festhalten.

Stifthalter - self-madeWas die Notizbücher angeht, bin ich nicht wählerisch. Am liebsten unliniert, aber das gibt es nicht immer. Sehr inspirierend ist da das bei Notizbuchblog von Christian Mähler – über „Notizbücher und die ganze Welt drumherum“. Exquisites Notizschreibzeug, das ohne Akku auskommt.

Für mich hat sich das Notizbuch auch als Filter und Fundgrube entwickelt: alles, was wichtig erscheint, wird abgetippt und in den Zettelkasten eingefügt. Manchmal zeigt sich da schon am Abend, dass ein Gedanke nur wenige Stunden lang wirklich interessant bleibt. Andererseits finde ich manchmal nach Monaten oder sogar Jahren in einem alten Notizbuch, das dann wie ein Tagebuch wirkt, alte Gedanken und Beobachtungen, die erst durch die zeitliche Distanz interessant werden – und manchmal Eingang finden in eine neue Predigt.