Die Kunst des Zettelkastens

Der Titel „Short Story. Die amerikanische Kunst, Geschichten zu schreiben“ von Jack Bickham führt in die Irre. Allerdings ist auch der Originaltitel nicht besser: „Writing the Short Story. A Hands-On Program“. Denn die praktische Anleitung erweist sich sehr sperrig: Zwar liefert das Buch ein ausführliches Schritt-für-Schritt-Programm, doch bis man ins Schreiben kommt, vergeht viel Zeit, während der sich zwar der eigene Zettelkasten füllt. Der Spaß am Schreiben kann einem aber unterwegs verloren gehen. Anders als die meisten Schreibbücher vermittelt Bickham vor allem den Ernst und die Mühen des Schreibens. Da wundert es nicht, dass Bickham unablässig zu aufmunternden Worten greift: „Verlieren Sie nicht den Mut!“ – Am Ende, so Bickhams Versprechen, zahlt sich die Mühe aus.

Bickhams Methode beruht auf dem guten, alten Zettelkasten. Da Bickham davon ausgeht, dass eine angehende SchriftstellerIn über keinen prallen Zettelkasten verfügt, besteht der erste Teil des Buches vor allem mit Aufforderungen, Karteikarten zu beschriften: 5 Karten hierzu, 10 dazu, 20 zu noch etwas anderem. Wer sich darauf einlässt, verfügt am Ende des Programms über einen ansehnlichen Grundstock für seinen neuen Zettelkasten.

Bickham zeigt, wie dieser Zettelkasten zum Einsatz kommen kann: Bei der Figurenentwicklung, der Ortsbeschreibung, der allgemeinen Recherche und dem Entwurf einer Grundstruktur für eine Geschichte (Plotting). Auch hierbei weicht Bickham von vielen anderen Kreativitätsbüchern ab: Erst wenn eine solide Vorarbeit und das Gründgerüst der Geschichte steht, sollte man mit dem Schreiben beginnen, lautet im Kern sein schriftstellerisches Credo. Die am Anfang mit Mühe erstellten Karteikarten helfen am Ende, eine Geschichte detailliert zu konzipieren und auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Beim Schreiben selber hilft dies, den roten Faden im Auge zu behalten.

Dabei ist es am Ende unwichtig, ob man eine Short Story oder einen Roman schreibt. Das ist letztlich auch der Grund, warum der Titel irreführend ist: Es geht dem Autor nicht um eine praktische Einführung in die Kunst der amerikanischen Short Story, sondern um einen pragmatischen Weg zum Schreiben, der immer wieder deutlich macht, dass Schreiben Arbeit ist. Aber eine lernbare Arbeit.

Das Buch ist kein Buch für Anfänger. Es ist vielmehr ein Buch für jene Menschen, die an ihren bisherigen Schreiberfahrungen gescheitert sind. Ihnen zeigt Bickham einen gangbaren, aber steinigen Weg zur ersten längeren Geschichte. Dass Bickham dennoch eine Reihe von Grundfragen der Figurenentwicklung, des Plottings etc. anspricht, gehört zu den Schwächen des Buches: Für Anfänger sind die Hinweise zu oberflächlich, die Beispiele zu wenig anschaulich; wer hingegen mit den Grundbegriffen schon vertraut ist, liest darüber schnell hinweg. Mit der Konzentration auf eine Lesergruppe und einer pointierteren Darstellung der Karteikartenmethode hätte das Buch deutlich gewonnen.

Diese Beurteilung wirkt sich auch auf die Einschätzung aus, dass Predigerinnen und Prediger nur begrenzt von einer Lektüre profitieren werden: Wer nicht mit einem Zettelkasten arbeitet und eigentlich auch gar nicht weiß, was das ist und wozu er nützt, bekommt seine Einsatzmöglichkeiten am Beispiel fiktionaler Geschichten vorgeführt; es wird nicht schwer fallen, die Methode auf die homiletische Praxis zu übertragen. Wer den Zettelkasten kennt und damit arbeitet – selbst in seinen rudimentärsten Formen – wird nur dann und wann einen inspirierenden Hinweis finden.

Fazit

Bickhams Buch ist eine praktische Anleitung zur Entwicklung und zum Gebrauch des Zettelkastens als schriftstellerische Methode. Eine spezielle Einführung ins Schreiben amerikanischer Short Stories ist es weniger. Hilfreich dürfte das Buch besonders für jene sein, die über das impulsive Schreiben nicht hinauskommen und nach einer systematischen Schreibmethode suchen. Für PredigerInnen ist das Buch zumindest als Anleitung für den Gebrauch eines Zettelkastens interessant.

Bickham, Jack M.: Short Story. Die amerikanische Kunst, Geschichten zu erzählen, Frankfurt a.M. 2002. ISBN 3-86150-462-6 (nur bei zweitausendeins) | € 12,75 / 221 Seiten