Erich Mühsams Tagebücher im Netz

Wer ein Tagebuch führt, wirft wahrscheinlich oft auch einen interessierten Blick in veröffentlichte Tagebücher. Meistens sind diese allerdings literarisch stark bearbeitet, wie beispielsweise die Tagebücher Max Frischs. Spannender sind da schon die Alltagsbetrachtungen eines Samuel Pepys (kürzlich bei 2001 in einer tollen Edition erschienen, gibts aber auch als Blog-Projekt im Netz).

Ein besonders spannendes Projekt ist die Digitalisierung des Tagebuchs von Erich Mühsam, dass Chris Hirte und Conrad Piens vorantreiben (zusammen mit dem Verbrecher-Verlag). Mühsam war Schriftsteller und Anarchist und eines der ersten Opfer der Nazi-Verfolgung: Bereits 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet.
Bis 2018 sollen die erhaltenen Tagebücher vollständig zur Verfügung stehen.
Die vorbildlich editierte Seite bietet nicht nur den Zugriff auf den Text des Tagebuches in Abschrift und als fotografische Abbildung, sondern auch ein Register sowie Links auf Hintergrundinformationen. Das Beste aber sind natürlich die Texte Mühsams: ehrliche, ungekünstelte Tagesbetrachtungen, die faszinieren – persönlich wie sprachlich.

Luhmanns Zettelkasten wird erforscht

Johannes Schmidt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Soziologie der Uni Bielefeld, ist beauftragt, Luhmanns Zettelkasten zu erforschen, zu sichern und zu digitalisieren. Bei geschätzt 70.000 Zetteln ein sicher Jahre währendes Unterfangen.

Nachdem Mitte Juni bekannt gegeben wurde, dass die Uni Bielefeld ein Luhmann-Archiv aus dem Nachlass errichten wird [Presse-Meldung], haben in den letzten Tagen verschiedene Zeitungen über Schmidt und seinen Forschungsauftrag berichtet.
Im Deutschlandfunk hat Kathrin Hondl mit Schmidt über das Archiv und die Arbeitsweise von Luhmann gesprochen [Zum Interview].

Kierkegaards Notizbücher

Zugegeben: 139,35€ sind ein ziemlich happiger Preis – schon für ein gebundenes Buch, aber erst recht als ebook. Aber De Gruyter ist ja jetzt auch nicht gerade für seine gute Preispolitik bekannt. Dennoch wäre es sicher spannend, die 15 Notizbücher Kierkegaards, verfasst zwischen 1835 und 1849, mal genauer zu studieren.

Mir erscheinen gerade Notizbücher zunehmend als besonders spannende Lektüre: Es ist ein bisschen wie bei Skizzen und fertigen Gemälden. Meistens finde ich die Studien interessanter, als die Ausführung selbst. Die Notiz ist grober, unmittelbarer, unausgewogener, angreifbarer. Aber gerade darin liegt die Stärke.
Bis das Buch mal in einer auch für den Hausgebrauch finanzierbaren Form vorliegt, werde ich wahrscheinlich ein Greis sein. Schade drum. Aber vielleicht schaffe ich es ja mal wieder in eine Uni-Bibliothek.
[Info-Link zu De Gruyter]

Fünf Schritte zum Essay

Kennzeichnend für den Essay ist, dass er eine Antwort auf eine neue Frage versucht. Eine schon altbekannte oder bloß rhetorisch gestellte Frage taugt nicht für einen interessanten Essay. Und das gilt letztlich auch für die Predigt: Sie versucht die Antwort auf eine Frage, die sich wirklich (und nicht nur rhetorisch) stellt.

Zwar wird oft darauf hingewiesen, dass der europäische und der anglo-amerikanische Essay sich formell unterscheiden – der anglo-amerikanische Essay entspricht oft dem, was wir im Deutschen „Aufsatz“ nennen – aber zum einen ist die Unterscheidung oft akademisch, zum anderen lässt sich viel von anglo-amerikanischen Ansatz lernen, bei dem das Essay-Schreiben Teil des wissenschaftlichen, kreativen Schreibens ist.

Ein gute Zusammenfassung liefert James (Nachname unbekannt) auf der Englisch-Lern-Seite engvid.com (das Video ist auf englisch). James geht es um einen effektiven Essay. Das heißt: Der Essay soll nicht bloß gut geschrieben sein, sondern Leser sollen verstehen, worum es dem Autor geht.

James fasst den Prozess des Essayschreibens in fünf Schritte

  1. Stell eine Frage
  2. Stell eine These auf (keine Larfari-These, sondern eine, die etwas aussagt)
  3. Schreib eine Einführung, die deine These enthält
  4. Gib drei Gründe für die Wahrheit deiner These an (Hauptgründe und unterstützende Überlegungen)
  5. Schreib eine Schlussfolgerung

Ein kleines Grundmodell für den Essay als Predigtform. Das ist zwar nicht sonderlich elaboriert, aber ausreichend als Grundmodell. Man könnte es „aussageorientiertes Predigen“ nennen. Denn auch dem Prediger sollte es doch darum gehen, nicht nur salbungsvolle, schöne Worte zu äußern, sondern in seinem Anliegen verstanden zu werden.

Ist das Feuilleton die Predigt von heute?

„Kann es nicht sein,“ stellt die FAZ die interessante Frage, „dass ganz einfach andere Institutionen [als die Kirchen; KD] die Aufgaben der Predigt übernommen haben? Die ‚Zeit‘ zum Beispiel. Am Ende sogar wir hier? Das Feuilleton [der FAZ; KD]?“

Peter Richter, Kulturredakteur bei der FAZ, richtet die Frage an den Münchener Systematiker Friedrich Wilhelm Graf [Link zum FAZ-Interview]. Dabei will sich Richter aber sicher nicht zu der These versteigen, Feuilletonisten hätten die Aufgabe der Verkündigung übernommen. Doch das, was evangelische Predigt in liberaler Perspektive einmal war, nämlich eine Reflexionsinstanz im Medium der religiösen Rede,scheint sich zugunsten anderer Schwerpunktsetzungen aufgelöst zu haben: Graf jedenfalls macht eine Tendenz zu Infantilisierung, Psycho-Jargon und zunehmender Moralisierung der Predigt aus. Aber es ist weniger Analyse als Provokation.

Aufgabe der Predigt wäre nach Graf, elementare, existenzielle Spannungen und die Widersprüche des Lebens religiös zu deuten – aber dieser Aufgabe stellt sich die Predigt nicht, weil sie den Menschen diese Spannungen nicht zumuten will. Sie flüchtet in „Wohlfühlrhetorik“. Und genau da setzt die implizite These von Peter Richter an: Es sind andere Instanzen, die diese Aufgabe übernommen haben. Dabei geht es nicht um existentielle Fragen allein: Spätestens mit der Zeitrubrik „Glauben und Wissen“ wagt sich das Feuilleton tatsächlich in religiöse Deutungsgefilde vor. Und sie macht das nicht schlecht: Bei Robert Leicht beispielsweise, dem langjährigen Chefredakteur der ZEIT, habe ich in den vergangen Jahren mit die besten Lesepredigten gefunden, die zu aktuellen religösen Fragestellungen zu finden sind.

Man muss nicht in den kulturpessimistischen Tonfall Grafs einstimmen, um die Probleme gegenwärtiger Predigtpraxis zu sehen: Theologisch anspruchsvolle Predigten kranken oft daran, dass sie zu akademisch sind. Einfache, theologische Antworten driften oft ins fundamentalistisch-frömmlerische ab. Und wer sich dazwischen bewegt, findet sich schnell auf dem Niveau von Lebenshilferatgebern wieder.

Vielleicht könnte eine Lösung darin bestehen, die Methoden des Feuilletons für die Predigtpraxis zu nutzen.

Mich erinnert das an mein altes Anliegen, meine alten Überlegungen zum Esssay als Predigtform endlich mal weiter zu spinnen. Die Idee stammt noch aus einer Seminararbeit von 1993.

Wen’s interessiert – hier ist der alte Text (ohne wissenschaftlichen Apparat):

„Bereits im Verlauf meiner exegetischen Vorarbeiten habe ich über die Art und Weise der Darstellung dieser Ergebnisse in der Predigt nachgedacht. Durch die Beschäftigung mit der Textgattung Essay habe ich mich schließlich entschlossen, meine Predigt an die Essayform anzulehnen. Eine Vorentscheidung war, daß ich der Gemeinde gegenüber nicht mit dem Anspruch auftreten wollte, mit meiner Predigt nun ‚entscheidende Wahrheit‘ mitzuteilen. Meine Predigt soll ein Deutungsangebot sein, dies soll sich in der Form der Predigt ausdrücken.

Wenn ich an dieser Stelle von Form spreche, so gebrauche ich diesen Begriff nicht als einen etwaigen Hinweis auf eine bestimmte äußere Gestalt, die meine Predigt auch hat, sondern vielmehr als Bezeichnung der Vorgehensweise. Auch in Adornos Aufsatz „Der Essay als Form“ bezieht sich der Formbegriff nicht auf die äußere, literarische Gestalt sondern meint die Methode. Im Essay als Form, so schreibt Adorno, werde das Bedürfnis angemeldet, „die theoretisch überholten Ansprüche der Vollständigkeit und Kontinuität auch in der konkreten Verfahrensweise des Geistes zu annullieren“. Die Kritik richtet sich gegen die Vorstellung, daß ein „Gegenstand in lückenlosem Deduktionszusammenhang sich darstellen“ ließe. Dem Vorwurf, der Essay behandele seinen Gegenstand nicht erschöpfend, wird entgegnet, daß bei der Auswahl der Aspekte, die zur Darstellung eines Gegenstandes herangezogen werden, doch „nichts anderes entscheidet als die Intention des Erkennenden“.

Der „Gedanke der traditionellen Idee von der Wahrheit“, so konstatiert Adorno entledige sich im „emphatischen Essay“. Die Methodik beruht darauf, daß der Essay „in Freiheit […]zusammen [denkt], was sich zusammenfindet in dem frei gewählten Gegenstand“; Tiefe gewinnt er darin, wie tief er in den Gegenstand den er behandelt, einzudringen vermag, und nicht darin, wie stark die einzelnen Teile auf etwas anderes außerhalb des Behandelten zurückgeführt werden. Deshalb fängt er „nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe“. Die Freiheit des Essayisten, zusammenzudenken, was sich zusammenfindet, verweist auf den experimentellen Charakter des Essay, für den nach Adorno „Glück und Spiel […] wesentlich“ sind. Damit ordnet sich der Essay der traditionellen wissenschaftlichen Abhandlung aber nicht als bloße Spielerei unter, vielmehr fordert er sie heraus, indem er ernst macht mit den Bedingungen auch des wissenschaftlichen Arbeitens, nämlich der Sprache, als Grundlage des Verstehens. Der Essay, indem er mit durchaus künstlerischen Impetus auftritt, kritisiert ein Modell von Wissenschaft, das „die begrifflichen Ordnungsschemata und die Struktur des Seins einander gleichsetzt“ ; ja er ist „die kritische Form par excellance“, indem er selbst die eigene dargestellte Meinung relativiert, wenn nicht gar liquiditiert.

„Essayistisch schreibt“, so zitiert Adorno Max Bense,“wer experimentierend verfaßt, wer also seinen Gegenstand hin und her wälzt, befragt, betastet, prüft, durchreflektiert, wer von verschiedenen Seiten auf ihn losgeht und in seinem Geistesblick sammelt, was er sieht, und verantwortet, was der Gegenstand unter den im Schreiben geschaffenen Bedingungen sehen läßt“.

Meine Predigt, vor allem die im Anhang abgedruckte Version für die Studierenden des Homiletikseminares, stellt einen solchen »Versuch« dar. Die zentralen Gedanken der Predigt gehen von Beobachtungen im Text aus, indem ich, im Gegensatz zu den herangezogenen Exegeten, für meine Predigt die Unstimmigkeiten nicht als Hinweise auf verschiedene Entstehungsstufen des Textes lese, sondern als bewußt eingesetzte Stilmittel, die die Hörerinnen und Hörer der Geschichte aufhorchen lassen sollen. Dazu gehört auch, wie im exegetischen Teil ausgeführt, daß ich den Text nicht allegorisch auslege.

Dabei gehe ich aber nicht beliebig vor, wie man mir vorwerfen könnte; auch der Essay „gehorcht […] logischen Kriterien insofern, als die Gesamtheit seiner Sätze sich stimmig zusammenfügen muß“ . Nun gilt für Predigten sicher nicht, daß sie im allgemeinen nach den Regeln der Logik funktionieren, sie folgen aber häufig jenen „Ansprüche[n] der Vollständigkeit und Kontinuität“, die „tendentiell schon die Stimmigkeit im Gegenstand“ präjudizieren (ebd.). Dagegen steht mit Henning Luther die Forderung, daß „der Text des Predigers möglichst wenig in der scheinhaften Gestalt eines abgeschlossenen Ganzen präsentiert werden [darf], das es nur zu übernehmen gilt, sondern in der zur Weiterarbeit (Weiterinterpretation) einladenden Gestalt des Fragments“.

Adornos Essay- und Luthers Fragmentbegriff sind über weite Teile kommensurabel. Nur nur, daß Adorno auch auf das Fragment anspielt, auch die Bedeutung des Differenzbegriffes und die Kritik an bestimmten Identitätsmodellen sind für beide Positionen konstitutiv.

Bezeichnet der Essay bei Adorno vor allem eine Methode, so setzt die Arbeit an der Predigt als Essay nicht erst bei der Formulierung der Predigt ein, sondern schon bei der Exegese. Wenn die „Differenz zwischen Text und Auslegung die Grundsituation aller Hermeneutik bestimmt“ (Jauß) und mit Luther „gerade nicht von der Identität zwischen Zeichen und Bedeutung“ auszugehen ist, dann bedeutet das für die Predigt, daß sie nicht in der Lage ist, zu predigen, was mit einem Text gemeint sei, sondern vielmehr in einen offenen Interpretationsprozess eintritt. Der Essay als Predigtform meint dann nichts anderes, als die Hörerinnen und Hörer in diesen Interpretationsprozess mithineinzunehmen.“

Predigt und Plagiat

Nicht erst seit Guttenberg und Koch-Mehrin wird über Plagiate diskutiert – auch bezüglich der Predigt. Auch wenn viele die Nase darüber rümpfen: Abgeschrieben haben Prediger schon immer. „Im Himmelreich gibt es kein Copyright!“, lautet die schmunzelnde Rechtfertigung.
Kein Geringer als Homiletik-Nestor Rudolf Bohren hat mit seinem Votum einst die Plagiate in der Predigt geadelt: Besser ein unbegabter Prediger schreibt eine gute Predigt ab, als dass er eine eigene Schlechte hält, lautet sein Argument.
Alexander Deeg, Praktischer Theologe an der Uni Leipzig und  Mitbegründer der Dramaturgischen Homiletik, wendet sich gegen Bohren: „Predigt soll ja nicht irgendetwas Passendes über einen biblischen Text sagen und möglichst allgemeingültige Lebensweisheiten vorlegen, sondern als Ereignis lebendiger Kommunikation Wirkung entfalten“, heißt es in einem Beitrag in der evangelischen Wochenzeitung Die Kirche [Link zum Artikel].
Was vor einigen Jahrzehnten noch ein homiletisches Problem war – das Ich-Sagen auf der Kanzel – wird bei Deeg zum homiletischen Programm. Ähnlich wie Guttenbergs Getrickse seine Glaubwürdigkeit zum Einsturz brachte, ist der Prediger, der ein falsches „Ich“ in der Predigt benutzt, nicht authentisch und wird fragwürdig.
Was mir an Deegs Einwurf gefällt ist, dass nicht unrealistische Forderungen an den Prediger gestellt werden (wie es manche alte Predigtlehre macht), sondern auch das kleine, bescheidene Predigtwort zu seinem Recht kommen lässt. Muss Predigt wirklich 15-20 Minuten dauern, fragt Deeg: „Wäre es eigentlich so schlimm, wenn auch einmal nur fünf Minuten gepredigt würde – und das Gesagte dafür pointiert und konkret wäre, aus dem Leben geboren und auf das Leben der Gemeinde bezogen? Wäre es so schlimm, wenn eine Predigt einmal mehr Fragen stellen, als Antworten geben würde?“
Auf diese natürlich bloß rhetorisch gestellten Fragen gibt Deeg die erwartete Antwort: Nein! Entscheidend ist, dass in der Predigt etwas zwischen Prediger und Gemeinde geschieht. Deeg lehnt damit nicht automatisch Internetquellen für die eigene Predigtarbeit ab. Predigten im Netz können zu einer Inspirationsquelle für die eigene Predigt werden. Aber das fremde Material muss eigenen Predigt werden.
Letztlich gilt auch hier, dass Predigerinnen und Prediger sich endlich vom alten Predigt-Paradigma der akademischen Rede lösen und sich mehr den Gesprächs- und Diskussionsbeitrag zum Vorbild nehmen. Da kann man gerne jemanden zitieren, aber sagen muss man’s selbst.

Notizbuchblog

Notizbuch und iPhoneComputer oder Handschrift – das ist hier die Frage? Nicht nur in diversen Produktivitätsblogs, auch bei Pastoren begegnen einem beide konträre Auffassungen. Im Rahmen von Simplify-Tendenzen wird dabei zunehmend die Stärke von Papier und Stift wieder entdeckt. Eine nicht unwichtige Sache ist dabei der Kult schönen Materials: Kolbenfüller, Moleskine-Notizbücher, elegante Papiere …

Ich selbst fahre disbezüglich auch zweigleisig: Die Grundausstattung ist ein einfaches Notizbuch mit befestigtem Stift und mein iPhone (das an die Stelle des heißgeliebten Palm getreten ist). Weil die Stifthalter oft entweder nicht dran sind oder nur für bestimmte Stifte, mache ich meinen Stifthalter selbst: ein Gummiband wird einfach festgetackert (geht natürlich nur mit einem stabilen Tacker). So kann ich im Prinzip überall Notizen und Predigteinfälle festhalten.

Stifthalter - self-madeWas die Notizbücher angeht, bin ich nicht wählerisch. Am liebsten unliniert, aber das gibt es nicht immer. Sehr inspirierend ist da das bei Notizbuchblog von Christian Mähler – über „Notizbücher und die ganze Welt drumherum“. Exquisites Notizschreibzeug, das ohne Akku auskommt.

Für mich hat sich das Notizbuch auch als Filter und Fundgrube entwickelt: alles, was wichtig erscheint, wird abgetippt und in den Zettelkasten eingefügt. Manchmal zeigt sich da schon am Abend, dass ein Gedanke nur wenige Stunden lang wirklich interessant bleibt. Andererseits finde ich manchmal nach Monaten oder sogar Jahren in einem alten Notizbuch, das dann wie ein Tagebuch wirkt, alte Gedanken und Beobachtungen, die erst durch die zeitliche Distanz interessant werden – und manchmal Eingang finden in eine neue Predigt.

iPredigtuhr

EieruhrKeine Frage: Predigten können ganz schön lang(weilig) sein. Das hat man schon in der Reformationszeit erkannt und die immer länger werdenden Predigten mit Predigtsanduhren zu begrenzen versucht. Pfr.em Thomas Ter-Nedden hat davon eine schöne Foto-Sammlung unter zuerich-reformiert.ch ins Netz gestellt.
Die Predigtdauer konnte damals durchaus eine Stunde sein. Orientiert am klassischen Rhetorik-Schema von Einleitung, Durchführung, Anwendung und Schluss gab es Predigtuhren mit bis zu vier Gläsern, jeweils mit einer Durchlaufzeit von 15 min.
Mir ist so eine Predigtuhr erstmals im Elsass begegnet – in einer alten Kirche als Museumsstück. Geschichte und Funktionsweise solcher Uhren hat Dorothee Reimann auf der Seite der Deutschen Stiftung Denkmalschutz beschrieben.

Heute sind die Predigtzeiten in der Regel (zum Glück) deutlich kürzer. Am Anfang meiner Predigtpraxis habe ich ausformulierte Predigten am Schreibtisch so lange vorgetragen und gekürzt, bis eine Predigtlänge von 12min erreicht war – in der Kirche war ich dann in der Regel 2-3min länger. Mit zunehmender Sicherheit und dem Zutrauen, auch mit Stichworten und Mindmaps zu predigen, wurden die Predigten lebendiger, die Sätze kürzer und die Kommunikation mit den Hörerinnen und Hörern besser – aber im Eifer des Gefechts auch manche Predigt länger. Also habe ich begonnen, meine Taschen- oder Armbanduhr auf die Kanzel zu legen – mit mäßigem Erfolg, weil man entweder dauernd überlegen muss: Wann habe ich angefangen, wo bin ich jetzt, wann sollte ich aufhören? Die Erfahrung war, dass ich mit der Zeit kaum noch auf die Uhr geschaut habe.
Der nächste Versuch war eine Stoppuhr, was deutlich besser ging, aber wegen großer Nachteile bald wieder aufgegeben wurde: Zum einen war es recht auffällig, zu Beginn der Predigt eine Stoppuhr zu starten. Zum anderen habe ich die Stoppuhr oft zuhause vergessen. Schnell bin ich dann doch wieder bei der Uhr gelandet, die ich sowieso dabei hatte.

iPod mit StoppuhrfunktionNatürlich achtet man mit der Zeit zunehmend auf Signale der Predigthörerinnen und -hörer, wie Husten, Räuspern, Knarren der Bänke: Die Aufmerksamkeit ist langsam weg, ich sollte zum Ende kommen. Sensibilität in dieser Beziehung ist gut und wichtig, objektive Zeitkontrolle als Ergänzung aber besser. Ein echter Quantensprung war da die Entdeckung der Stoppuhr auf dem iPod. Die Zeit lässt sich wunderbar ablesen. Die Bedienung ist denkbar einfach und unauffällig. Man muss vor dem Start nur dran denken, die automatische Abschaltung der Beleuchtung zu deaktivieren. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn auch das Problem bestand, dass ich des öfteren den iPod zuhause vergessen habe.

Das vorläufige Endstadium der Selbstversuche ist das iPhone. Auch hier gibt es eine Stoppuhr (bei der ebenfalls die automatische Ausschaltung des Displays deaktiviert werden sollte). Diese Lösung bringt das iPhone bereits mit. Vorteil: Man hat es meistens sowieso dabei. Nachteil: Es ist deutlich größer als ein iPod.

iPhone-App "Discourse"Richtig professionell wird es dann mit der App „Discourse“ (App-Store-Link). Der „Redezeit-Manager“ ist schlicht und ohne große Einstellmöglichkeiten, aber er erfüllt wunderbar seine Aufgabe. Zunächst wird die zur Verfügung stehende Redezeit (grün) eingegeben (und optional noch eine Warnzeit (gelb) und eine Alarmzeit (rot). Die Startübersicht zeigt die Aufteilung nach Minuten und nach der aktuellen Uhrzeit an. Nach dem Klick auf Start wird die Uhrzeit sowie die verbleibende Restzeit angezeigt.
Der Farbcode zeigt an, wann man den „grünen Bereich“ verlässt: „Gelb“ sagt in meinem Beispiel: „nach gut vier Minuten“, „rot“ bedeutet „Achtung“ In zwei Minuten sollte Schluss sein!“. Zum Ende der Redezeit erscheint eine Stopphand, die Zeit läuft aber weiter, und zeigt, wieviel man überschritten hat.

Berührt man während der Rede das Display, erscheint ein Warnhinweis, ob man eine Pause einlegen möchte. Man muss mit dies mit „Ja“ bestätigen. Mit dem Klick auf „continue“ läuft die Uhr anschließend weiter. Das funktioniert am Schreibtisch ganz gut, aber für die Redepraxis wäre es hilfreich, wenn der Pause-Dialog etwas länger angezeigt würde und das Bestätigungsfeld größer wäre: Im Eifer der echten Rede tippt man schnell daneben und kommt bei mehren Versuchen aus dem Konzept. Optimal wären dafür zwei große, farbige Tasten im unteren Displaybereich. Ob man die Unterbrechungsfunktion für die Predigt braucht, sei dahingestellt, aber wer sich erstmal an den Rede-Manager gewöhnt hat, wird ihn möglicherweise auch in anderen Bereichen einsetzten: bei Vorträgen in Gemeindegruppen oder beim Konfirmandenunterricht.

Der Bildschirm-Wechsel im Laufe der Anwendung: Die Redezeit lässt sich unterbrechen. Die Farben helfen, sich zeitlich zu orientieren.

Tagebuch-Hack

In Bud Caddell’s Blog „What consumes me“ findet sich die kleine Idee eines Moleskine-Hacks: Ein Tagebuch-Eintrag enthält drei Bereiche: eine Liste der Dinge, die man am Tag getan hat, persönliche Gedanken und ein Glück-o-Meter. Vor allem die abgetrennte Ereignisliste finde ich eine gute Idee. Oft möchte ich einfach nur in einer Notiz festhalten, was war. Das unterbricht aber oft den Gedankenfluß – oder passt einfach nicht dazu.