Tag 47: Das kannst du abschreiben

Zahlen sind nicht gerade meine große Leidenschaft. Ich arbeite lieber mit Buchstaben und Wörtern. Deshalb habe ich auch Theologie studiert und nicht Mathe oder BWL. Allerdings haben spätestens mit dem Entsendungdienst gemerkt, dass der Pfarrdienst leider nicht darin aufgeht Predigten vorzubereiten, seelsorgliche Gespräche zu führen und mit Konfis zu arbeiten. Eine Kirchengemeinde ist auch ein kleines Unternehmen in einer großen Unternehmensgruppe. Das kirchliche Finanzmanagement stellt daher eine hohe Anforderungen für einen kleinen Pastor wie mich dar und ich bin immer noch nicht sicher, ob ich wirklich verstanden habe, was „AfA“ bedeutet. Ich habe deshalb im Kreiskirchenamt nochmal nachgefragt. Münster ist ja immerhin Pilotkirchenkreis bei der Einführung von „NKF“ und einen Schritt weiter als mein alter Kirchenkreis Gütersloh. Ich versuche mal auf den Punkt zu bringen, wie die „Doppik“ bisher verstanden habe.

Vorweg ein Geständnis: Das Gespräch mit Frank Arndt vom Kreiskirchenamt habe ich schon gestern geführt, insofern ist der Eintrag sowas wie Tag 46 1/2. Allerdings habe ich heute nochmal ein bisschen nachgelesen und diesen Text verfasst, also werte ich das mal insgesamt als Tag 47. Das Folgende ist harter, dröger Stoff. Viel Text. Keine Bilder. Aber da müssen wir jetzt durch.

Ich fange mal ganz vorne an. Zuhause benutze ich für’s Online-Banking eine Software, mit der ich Girokonto, Sparbuch, Versicherung etc. verwalte. Wenn ich das Programm aufrufe sehe ich, ob ich Geld bekommen habe, z.B. mein Gehalt und das Kindergeld. Und ich sehe, was ich ausgegeben habe. Damit habe ich eine ganz gute Übersicht, wieviel ich zur Verfügung habe. Das ist ein ganz simple Form von Buchführung: „was reinkommt“ MINUS „was rausgeht“ GLEICH „was übrigbleibt“. Die Kirche hat seit Jahrhunderten im Prinzip genauso gerechnet. Als etwas spitzfindiger Buchführungstechnik nennt man das „Kameralistik“. Nach diesem Verfahren hat nicht nur die Kirche ihr Geld verwaltet, sondern auch die „Kämmerer“ in Staat und Kommunen.

Große Unternehmen rechnen anders: Sie wollen sehen, wie ihr Vermögen strukturiert ist und ob ihr unternehmerisches Handeln am Ende erfolgreich ist und das Vermögen vergrößert. Dazu gilt es, nicht nur zu sehen, wieviel Geld gerade zur Verfügung steht, sondern auch, wo es herkommt und wie es angelegt ist. Wenn ich persönliche Geld ausgebe, ist es weg. Der Unternehmer entgegnet: „Das stimmt ja nicht. Du hast Geld ausgegeben und dafür ein neues Tablet, ein paar Schuhe oder eine Eintrittskarte ins Kino bekommen.“ Ein Unternehmer schreibt also auf, woher er Geld nimmt und in was er das Geld verwandelt. Jeder Ausgabe hat also zwei Seiten: wo das Geld angelegt wird und wo es hergenommen wird. Deshalb spricht man doppelter Buchführung und der Vorgang ist eine Buchung.

Wenn eine Gemeinde zum Beispiel eine Kirche oder ein Gemeindehaus baut, dann ist das Geld ja nicht weg, sondern es steht da in Form eines Gebäudes. Das Geld vom Konto wurde gewissermaßen in Form eines Gebäudes angelegt. Weil man das Gebäude nicht ohne weiteres wieder in Geld zurückverwandeln kann, spricht man von „Anlagevermögen“, im Unterschied zum Bankkonto, das zum „Umlaufvermögen“ gezählt wird.

Woher das Geld für die Kirche oder das Gemeindehaus kommt, ist damit noch gar nicht gesagt. Eine Kirchengemeinde verfügt natürlich über Geldmittel. Das sind zum Beispiel die Einnahmen aus der Kirchensteuer, angesparte Rücklagen und Spenden. Kapitalrücklagen und Überschüsse werden dabei als „Eigenkapital“ ausgezeichnet. Natürlich ist es super, wenn eine Gemeinde über soviel finanzielle Power verfügt, dass sie eine neue Kirche aus eigenen Mitteln finanzieren kann. In den meisten Fällen wird das nicht der Fall sein und die Gemeinde leiht sich Geld, zum Beispiel beim Kirchenkreis und einer Bank, benötigt also „Fremdkapital“.

Es gibt also zwei Seiten: Wo steckt das Geld, und wo kommt es her. Die buchhalterische Bezeichnung für diese beiden Seiten sind „Aktiva“ und „Passiva“. Da auf beiden Seiten immer gleich gebucht wird muss logischerweise unter dem Strich auf beiden Seiten die gleichen Summen stehen. Ganz platt gesprochen kann man sagen: Eigenkapital ist das, was übrig bleibt, wenn man von der Summe des Anlage- und Umlaufvermögens das Fremdkapitel, also die Schulden, abzieht. (Fachleute mögen mir die Vereinfachung nachsehen: Ich bin eben Pastor, kein Betriebswirtschaftler. Es geht nur ums Prinzip).

AktivaPassiva
Anlagevermögen
Gemeindehaus 500.000 €
Eigenkapital
Kirchensteuer 200.000€
Rücklagen 100.000€
Spenden 10.000€
Umlaufvermögen
Bankkonto: 50.000€
Fremdkapital
Kredit Kirchenkreis 100.000€
Kredit Bank 90.000€
= 550.000€= 550.000€
Eine ganz simple Buchführung

Weil die doppelte Buchführung viel genauer Auskunft darüber gibt, wie hoch das Vermögen eigentlich aktuell ist und wie es strukturiert ist, sind Staat und Kommunen dazu übergegangen, die Methoden der doppelten Buchführung für ihre eigene Finanzverwaltung zu übernehmen. Und auch die Kirchen haben in den letzten zehn Jahren die Verwaltung ihrer Finanzen umgestellt. In Anlehnung an die Bezeichnung „doppelte Buchführung“ und „Kameralistik“ nennt man die Methodik „Doppik“. Das Kunstwort steht für „Doppelte Buchführung in Konten“. Manche sage auch „in Kommunen“ oder „in Kirchen“, weil das „ik“ auf beides passt und die Buchung in Konten sowieso zur doppelten Buchführung gehört. Das ganze nennt sich dann „Neues kommunales bzw. kirchliches Finanzmanagement“, kurz: NKF.

Die Krux ist nun, dass die Methode nicht nur zeigt, wieviel Geld man gerade hat, sondern auch, wieviel man verliert: Eine Gemeinde hat zum Beispiel durch den Bau eines Gemeindehauses eigenes und fremdes Geld in ein Gebäude verwandelt, aber schon ein Jahr später ist das Gebäude nicht mehr soviel wert wie im Jahr das Neubaus. Jedes Jahr verliert das Gemeindehaus an Wert, genauso wie ein Computer oder ein Auto. Ohne das die Gemeinde einen Pfennig ausgibt verringert sich das Vermögen der Gemeinde, bloß dadurch, dass das Haus da steht und benutzt wird. Weil man natürlich nicht sagen kann, wie hoch der Wertverlust genau ist, geht man hin und setzt einen fiktiven Wert fest. Man rechnet zum Beispiel, dass das Haus in 50 Jahren seinen Wert vollständig eingebüsst hat und sagt: Das Gebäude verliert jedes Jahr 500.000€/50=6250€ an Wert. Nach zehn Jahren ist das Gemeindehaus also nur noch 437.500€ Wert. Da beide Seiten der Buchführung immer das gleiche Ergebnis ausweisen, würde sich das Eigenkapital der Gemeinde von Jahr zu Jahr reduzieren. Den Wertverlust kann man im Handelsrecht als „Abschreibung“ abbilden, im Steuerrecht wird er als „Absetzung für Abnutzung“, kurz „AfA“, geltend gemacht.

Bei einem Unternehmen ist das natürlich genauso: Auch eine neue Fabrikhalle verliert Jahr für Jahr an Wert. Da die Fabrikhalle zur Produktion benötigt wird, kann das Unternehmen in seiner Steuererklärung die AfA als Aufwand angeben. Sie ist sozusagen Teil der Produktionskosten und kann die Steuerlast des Unternehmens mindern. In der Kirche ist das anders. Das Gemeindehaus dient nicht zur Produktion und die AfA kann nicht steuerlich geltend gemacht werden. Aber natürlich kommt es auch bei der Kirche Jahr für Jahr zu einem Wertverlust, der nur auf zwei Arten ausgeglichen werden kann: Entweder wird mehr Geld erwirtschaftet oder das Eigenkapital sinkt. Um das zu verhindern, wird auf der Passiva-Seite im Bereich des Eigenkapitals zum einen eine Substanzerhaltungsrücklage (SERL) aufgebaut, zum anderen wird hier die „Absetzung für Abnutzung“ gebucht (merkwürdigerweise spricht die Landeskirche davon, die AfA würde „angespart“, aber wenn ich es richtig verstehe, bildet die AfA ja nur den Wertverlust ab, der gewissermaßen durch eine Art AfA-Ausgleichskonto aufgefangen werden soll).

Das sind zwar rein rechnerische Vorgänge, weil nicht wirklich Geld fließt, denn es wird nur Geld innerhalb der Eigenkapitalkonten umgebucht, damit der Wertverlust abgebildet werden kann. Aber das hat natürlich Folgen, denn indem Geld in Höhe der AfA zurückgelegt wird, damit die Abschreibung das Vermögen der Kirchengemeinde nicht mindert, reduzieren sich die frei verfügbaren Mittel für eine Gemeinde gewaltig. Zwar hat die Landeskirche ein Spezial-Instrument hinzugefügt, nämlich einen Puffer names „Fünf-Jahres-AfA“, der es ermöglicht, im Fall einer zu hohen AfA-Belastung die Kosten zu rechnerisch zu senken. Allerdings bleibt es ja bei einem faktischen Wertverlust und irgendwann ist der Puffer aufgebraucht. Im Prinzip ist die Gemeinde dann pleite. Weil eine Gemeinde (wie eine Kommune) aber nicht pleite gehen kann, kommt sie in die Haushaltssicherung: d.h. ein übergeordnetes Gremium übernimmt dann die Geschäfte und sorgt mit radikalen Maßnahmen für einen ausgeglichenen Haushalt.

Man kann jetzt fragen: Ist das sinnvoll, dass Kirchen und Kommunen wie Wirtschaftsunternehmen rechnen? Es geht doch schließlich nicht darum, dass Kirchen Gewinne erwirtschaften. Die übliche Antwort darauf finde ich erstmal grundsätzlich überzeugend: Es geht nicht darum, Erträge zu erwirtschaften, sondern es geht darum, verantwortlich mit den finanziellen Mitteln umzugehen. Dazu gehört letztlich auch, nachvollziehbar zu zeigen, dass man gut und nachhaltig gewirtschaftet hat. Hinzu kommen noch ganz praktische Dinge: Auf die Kirche kommen in Zukunft z.B. neue steuerliche Vorgaben zu wie die Anwendung einer Umsatzsteuer; davon waren die Kirchen bislang befreit. NKF bietet bessere Möglichkeiten, diese Aufwendungen zu berücksichtigen. Und da auf dem Arbeitsmarkt viele Leute in kaufmännischer, doppelter Buchführung ausgebildet werden und nur wenige in kommunaler, einfacher Kameralistik, ist auch in dieser Hinsicht eine Umstellung durchaus sinnvoll.

Von einer ethischen Diskussion sehe ich an dieser Stelle mal ab. Grundsätzlich scheint mir das Instrument „Doppik“ durchaus vertretbar. Die Frage ist, ob das Instrument richtig angewendet wird (siehe die sog. „AfA-Ansparung“, also einen Ausgleich der Wertverlustes durch eine Kapitalbindung). Die zweite Frage ist, ob ich das überhaupt alles richtig verstanden habe. Leider sind die Einlassungen meiner Landeskirche dazu wenig aussagekräftig, manchmal merkwürdig schimmernd und oft widersprüchlich. Andere Landeskirchen wie die EKHN oder die EKiR haben deutlich besseres Material veröffentlicht. Sehr hilfreich ist eine fast vierstündige, kostenpflichtige Videoreihe „Doppik verstehen“ von Hans Peter Rühl auf vimeo. Ich befürchte nur, die Materialien lassen sich nicht einfach auf die EKvW übertragen. Grobe Orientierung liefert das NKF-Wiki. Wenn ich was falsch sehe, scheuen Sie sich nicht, mich eines Besseren zu belehren.

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