Suche und halte Blickkontakt. Die Begegnung zweier Augenpaare ist ein kommunikatives Ereignis, das bei großen Gruppen unter besonderen Bedingungen stattfindet. Blickkontakt ist für die Liturgin oder den Prediger deshalb wichtig, weil sie so den Wunsch signalisieren, mit der Gemeinde in Verbindung zu treten und ihre Aufmerksamkeit zu fordern. Umgekehrt nehmen Hörerinnen und Hörer, die den Blick auffangen, die Kontaktaufnahme an und signalisieren, dem Liturgen oder der Predigerin Aufmerksamkeit zu schenken. Die Besonderheit in der Kommunikation mit großen Gruppen ist: Das Gegenüber des Redners ist die Gruppe als Ganzes, es sind nicht die vielen Einzelnen. In der Kommunikation mit einer Gruppe wandert deshalb der Blick, verweilt einen Augenblick, wenn sich die Augenpaare treffen und bewegt sich dann weiter. Auch wenn nicht alle einen Blick erheischen entsteht doch der Eindruck in der Gruppe, gesehen und wahrgenommen zu werden.
Zwar kann der Blickkontakt ganz ohne Worte auskommen, für den Gottesdienst ist aber sein Zusammenhang mit Worten und Gesten sowie mit der jeweiligen gottesdienstlichen Rolle von Bedeutung. Während für die Predigerin der Blickkontakt unverzichtbar ist, ist er für den Liturgen an einigen Stellen völlig unpassend. Das Grundprinzip ist: Blickkontakt ist immer dann wichtig, wenn Sprecher und Hörer direkt miteinander kommunizieren. Kommt mit Gott oder dem biblischen Text ein dritter Kommunikationspartner ins Spiel, wird der Blickkontakt bewusst reduziert. Auch wenn es wie das Natürlichste der Welt erscheint: Den Blickkontakt bewusst suchen und halten oder aber reduzieren bedarf einiger Übung, um natürlich zu wirken.
Eindeutige Beispiele für den Blickkontakte bei direkter Kommunikation sind natürlich Predigt und Ansprache, weil hier der Prediger sich persönlich und direkt an die Gemeinde wendet. Je mehr ein Prediger sich vom Papier lösen kann, desto stärker kann er seine Worten und Gesten mit Blicken unterstützen und verstärken. Auch in der liturgischen Wechselrede ist Blickkontakt wichtig, weil Liturgin und Gemeinde direkt miteinander kommunizieren. Zwar bedient die Liturgin sich etwa beim Eingangsvotum und dem liturgischen Gruß geprägter Sprache, spricht aber die Gemeinde an. Ihr Blick unterstreicht, dass die Gemeinde die Angesprochene ist und die Worte nicht ins Leere gesprochen werden. Aus dem Eingangsvotum „Im Namen des Vaters …“ wird durch den gesuchten Blick der Gemeinde die unausgesprochene Aufforderung „Lasst uns gemeinsam Gottesdienst feiern.“ Ähnlich ist es bei Einleitungen zu Gebet und Lesung wie „Lasst uns beten …“ oder „Die Lesung für den Sonntag XY steht bei …“.
Unpassend ist der Blickkontakt, wenn nicht die Gemeinde angesprochen wird, sondern Gott. Auch wenn viele in der Schule gelernt haben, beim Vorlesen aufzublicken: Wer im Gottesdienst beispielsweise bei der Fürbitte den Blick immer wieder hebt, macht aus dem Gebet eine Art Gedichtvortrag. In Schulgottesdiensten wird dieser Vortrag deshalb oft statt eines „Amen“ entsprechend durch Applaus gewürdigt. Auch bei der biblischen Lesung selbst sollte der Blickkontakt eingeschränkt oder eingestellt werden. Anders ist es bei biblischen Voten, die als Zuspruch gesprochen werden. Beim Gnadenspruch oder beim Sendungswort unterstreicht der Liturg durch den Blickkontakt den Zuwendungscharakter des biblisches Verses, wobei er als Botschafter auf den eigentlichen Sprecher verweist („Christus spricht: ‚Kommt her zu mir, …’“).