Eine Zusammenfassung von David Buttricks kleiner Theologie der Predigt
Warum predigen Predigerinnen und Prediger? Am Ende seiner Homiletik skizziert David Buttrick eine kleine Theologie der Predigt, indem er sie in fünf Thesen zur Predigt als „Wort Gottes“ bündelt.
„1. Unsere Predigt setzt die Predigt von Jesus Christus fort. Seine Auferstehung gibt uns dazu den Auftrag.“
Jesus predigte das nahe Gottesreich und rief zu Buße und Glaube auf. Seine Predigt formte eine Gruppe von Jüngern, die diesen predigenden Jesus Christus in ihrer Gemeinschaft verkörperten. Jesu Tod setzte dieser Verkündigung kein Ende, sondern seine Auferstehung bestätigte im Gegenteil die Verkündigung Jesu und machte Jesus als „lebendiges Symbol“ zum Teil der Botschaft: „Die Gemeinschaft verstand sich als Zeugin der Auferstehung, die beauftragt war, die Predigt Christi in der Welt zu auszubreiten.“ Die Gemeinschaft sah sich als mitgetötet, mitbegraben und mitauferstanden als eine neue Menschheit, die das Evangelium lebte, das sie predigte. In der Auferstehung wurzelt für Buttrick der Predigtauftrag: „Wir setzen die Predigt von Jesus Christus als Zeugen der Auferstehung fort.“
„2. In unserem Predigen spricht Christus weiterhin zur Kirche und durch die Kirche zur Welt. In dieser Hinsicht ist Predigen Gnade: ‚Ich rede, doch nun nicht ich, sondern Christus spricht durch mich.‘“
Dinge, die sich ereignen, drängen zur Sprache und erhalten sich in der Sprache, selbst wenn das ursprüngliche Ereignis längst vergangen ist. Dass das Evangelium nach wie vor gepredigt wird, wertet Buttrick als Hinweis darauf, dass das Gerettet-sein nach wie vor lebendige Wirklichkeit ist. Durch unser Predigen eröffnet Jesus Christus den Weg zu einem neuen, geheilten Leben und enthüllt die Wirklichkeit eines Gott-für-uns. Letzten Endes zielt die Predigt genau darauf, und nicht etwa auf das Gewinnen neuer Mitglieder und das Überleben der Kirche. Buttrick sieht die Aufgabe von Predigerinnen und Prediger darin, Christus die besten ihrer eigenen Worte anzubieten, damit er sie zur Erlösung und zum Heil einsetzen kann.
„3. Ziel der Predigt ist, worauf Gott in Christus zielt: die Versöhnung der Welt.“
„Predigt ist Befreiung.“ Erlösung zielt allerdings nicht auf einen Optimismus sozialen Fortschritt, der vergisst, dass Gott es ist, der rettet und befreit. Andererseits wird die biblische Verstellung von Erlösung und Heil für Buttrick oft individualistisch verkürzt: „Der Gedanke der Versöhnung widersetzt sich aber … jeder Predigt, die aus Lust an der Rechtgläubigkeit spaltet und nicht die Hoffnung auf eine volle menschliche Gemeinschaft mit Gott verkündet.“ Die Befreiung des Einzelnen und gesellschaftliche Befreiung stehen in einem Zusammenhang. Predigt, die getragen ist vom Gedanken, dass Gott die Welt mit sich selbst versöhnt, kann nicht anders als ein befreiendes Wort zu sein.
„4. Die Predigt ruft eine Antwort hervor: Auf die Predigt antworten heißt Christus antworten. Glaube und Buße sind die angemessene Weise der Antwort.“
Jesus hat in seiner Predigt dazu aufgerufen, Buße zu tun und an das Evangelium zu glauben. Dieser Aufruf beschreibt keine Reihenfolge, sondern einen wechselseitigen Zusammenhang. Auch die individuelle und die gesellschaftliche Dimension von Buße und Glaube gehören zusammen: „Glaube wird am besten verstanden als Eingang in eine neue Lebensordnung und als gleichzeitige Abkehr von einer alten Ordnung (Buße) durch Jesus Christus“. Für Buttrick kann eine solche Predigt keinesfalls auf manipulative Techniken zurückgreifen, sondern bleibt eine gute Botschaft, die zur Freiheit befreit – auch die Freiheit, das Evangelium und die damit verbundene Infragestellung der etablierten Ordnung abzulehnen. In gewisser Weise ruft die Predigt zwar zu einer Entscheidung, aber der Begriff der Entscheidung darf nicht als Vorbedingung der Gnade missverstanden werden. Nehmen Menschen hingegen das befreiende Wort der Predigt für sich an, so ist dies kein Verdienst von Predigerinnen und Predigern, denn diese bekräftigen ja nichts weiter als „die Gnade unseres Herrn Jesus Christus“.
„5. Predigt ist „Wort Gottes“, insofern sie Gottes Ziel teilt, von Christus angestoßen wurde und durch den Geist von einer Gemeinschaft in der Welt getragen wird.“
Predigt als „Wort Gottes“ zu bezeichnen, kann in verschiedenen Hinsichten missverständlich sein. Zunächst einmal betont Buttric, dass die Stimme von der Kanzel natürlich nicht identisch ist mit der Stimme Gottes: „Predigen muss als menschliches Handeln beschrieben werden, das sich auf menschliches Verstehen stützt und menschliche, homiletische Fähigkeiten einsetzt, die man lernen kann.“ Allerdings würde es zum zweiten auch wieder zu kurz greifen, Predigten als menschliche Kunstwerke und Ausdruck unserer Wortgewandtheit zu betrachten: „Christus überträgt uns das Predigen und gibt Gnade zu unserem Reden, so dass unsere Predigten, so seltsam es auch sein mag, Wort Gottes an die menschlichen Gemeinschaften sind.“
Die Rückbindung von Predigerinnen und Predigern an die Gemeinschaft hilft auch dabei, einem spiritualistischen Missverständnisses auszuweichen, der Geist gäbe unserm Geist Worte zu sprechen ein, denn das Wirken des Geistes ist eine Sache des „homiletischen Glaubens“: „Wo immer an Jesus Christus geglaubt wird, ist der Geist mit der Gemeinschaft und mit denen, die zur Gemeinschaft sprechen. Während der Geist homiletische Begabung, Mut, Weisheit und der Predigt sogar eine gewisse Geistesklarheit geben kann, können wir den Geist nicht mit besonderer Rhetorik oder besonderen Momenten in der Predigt gleichsetzen. (…) Wie Paulus vorschlug, ist die Prüfung des Geistes in Verbindung mit der Predigt die Erbauung und der Aufbau christlicher Gemeinschaft.“
Die vierte Gefahr ist ein biblischer Fundamentalismus, der Predigt beschränken will auf die Wiedergabe biblischer Texte und ihrer gründlichen Interpretation. Es besteht für Buttrick kein Zweifel, dass die Bibel ein wesentlicher Bezugspunkt für Predigerinnen und Prediger ist, aber wenn „die Schrift zum Gesetz der Predigt wird, dann wird die Predigt nicht länger Gottes Wort sein“. Das fünfte Missverständnis schließlich sieht die Predigt als „Wort Gottes“ in der Lebensführung von Predigerinnen und Predigern: „Das Evangelium ist jedenfalls immer größer als die Verkünder des Evangeliums – Gott sei Dank.“
Von diesen fünf Missverständnissen der Rede von der Predigt als „Wort Gottes“ plädiert David Buttrick für ein bescheidenes und zugleich selbstbewusstes Selbstverständnis von Predigerinnen und Predigern: „Unsere Worte sind menschlich, und sie werden nicht aufhören, menschlich zu sein; wir werden an ihnen arbeiten, so wie wir an vielen menschlichen Tätigkeiten arbeiten, mit Freude am Handwerk und im Rückgriff auf die Intelligenz. Und wir werden unsere Hausaufgaben machen wie gute Kinder Gottes. Dennoch sind unsere Worte Wort Gottes, sofern sie von Jesus Christus angestoßen sind, der heilbringenden Absicht Gottes dienen und vom Geist bestätigt werden durch eine gerettete Gemeinschaft.
Warum also predigen Predigerinnen und Prediger? „Wir sprechen“, so Buttrick, „weil wir in den Geheimnissen der Gnade leben.“
Quelle: David Buttrick, Homiletic. Moves and Structures, Philadelphia: Fortress Press 1987, S. 449-459.