Wir leben in einer unversöhnten Welt – das merkt man vor allem daran, dass Menschen einander die Pest an den Hals wünschen. Petra Bahr, Regionalbischöfin in Hannover hat neulich getwittert: „Die, die mir wortreich erklären, warum die Pandemie eine Strafe Gottes ist, zählen sich nie zu denen, die eine Strafe treffen sollte.“ In der Tat gibt es die dubiosesten Erklärung von bestimmten Christen im Internet: Die Pandemie sei eine Strafe für Feminismus, für Homosexualität, oder gleich die ganze liberale westliche Welt. Warum die meisten Opfer ältere Männer sind, warum Corana weltumspannend wütet und warum es mehrere besonders fromme Kirchen und Gemeinden traf, wird nicht erklärt. Die einfache Antwort: Weil Corona eben keine Strafe Gottes ist.
Die Tücke ist: Wenn wir von Gott reden, reden wir immer auch von uns selbst. Wir reden über das, was uns ärgert und wütend macht. Wir reden aber auch über das, was uns hoffnungsfroh stimmt. Wir leben in einer unversöhnten Welt. Oft ist Gott der verlängerte Arm unseres Ärgers, unserer Wut, unseres Zorns. Aber in Gott liegt auch unsere Hoffnung auf Versöhnung.
„Wer ist Gott wie du?“, fragt der Prophet Micha. Denn Micha denkt sich Gott zwar auch zornig, aber gleichzeitig als Kraft der Versöhnung. Micha lebte ca. 700 Jahre vor Jesus. Er prangert die soziale Ungerechtigkeit und das religiöses Fehlverhalten seiner Zeit an und drohte mit Gottes Strafe: dem Untergang Jerusalems. Als rund 100 Jahre später Jerusalem tatsächlich zerstört wurde, merkte man: Micha hatte Recht gehabt. Aber nun vollzog sich eine Wende: Jemand fügt Michas Worte zu einem Buch zusammen und schrieb mitten in der Verzweiflung der damaligen Zeit einen hoffnungsvollen Schluss für das Prophetenbuch.
Wer ist Gott wie du? Schuld vergebend dem Rest des Gottesvolkes, vorübergehend an dessen Verfehlung! Gott hält nicht für immer fest am Zorn, denn Wohlgefallen an Güte hat Gott.
MiCHA 7,18–20 (Bibel in gerechter Sprache)
Gott wird sich wieder über uns erbarmen, wird unsere Schandtaten niedertreten, und du wirst in die Tiefen des Meeres werfen all ihre Sünden. Du wirst Jakob Treue erweisen und Abraham Güte, wie du unsern Vorfahren geschworen hast seit den Tagen der Frühzeit.
„Wer ist Gott wie du?“ fragt Micha. Sein Gedanke ist: Gott ist unvergleichlich. Mir fällt ein Satz von Richard Rohr dazu ein: „Gott ist größer als unsere Schubladen“. Menschliche Eigenschaften wie „lieb“, „streng“, „zornig“ passen nur eingeschränkt auf den Gott der Bibel: „Wer ist Gott wie du?“
In den letzten Wochen gab es in den Medien reichlich Kritik an Kirchen und Kirchenleitungen (z.B. in ZEIT und FAZ): „Warum schweigt ihr zur Pandemie? Gibt es keine christliche Deutung für das, was hier passiert?“ In der Vergangenheit wurden über Jahrhunderte Unglücke und Katastrophen als Gottesstrafen gedeutet: Gewitter, Hungersnöte, Trockenheit und Überschwemmungen, Epidemien wie die Pest. Einen großen Knacks erhielt die Vorstellung, dass Gott hinter den Ereignissen in der Welt steckt, beim Erdbeben von Lissabon 1755. „Wenn Gott gütig ist“, fragten aufgeklärte Zeitgenossen, „wie kann er dann so ein Unheil zulassen, dass unterschiedslos tausende Menschen das Leben kostete?“ Die Frage hat allerdings schon Jesus gestellt. Als es beim Turmeinsturz von Shiloach viele Opfer gab, fragte Jesus: „Waren die, die Opfer des Unglücks waren, etwa schlimmere Menschen als die, die verschont geblieben sind?“ Nein, es gibt keine christliche Erklärung für Ereignisse wie die Corona-Pandemie. Es wäre der Versuch, Gott in eine Schublade zu stecken. Aber Gott passt nicht in unsere Schubladen.
Wir sollten von Gott nicht reden als wäre er Mensch. Es ist eher umgekehrt: Wir sollten von Menschen so reden, als wären sie Gott. „Gott hält nicht immer fest am Zorn“, sagt Micha. Ich frage mich: Kann Gott überhaupt zornig sein? Zorn, Wut, Ärger sind doch Affekte, die von mir Besitz ergreifen. Ich habe es allenfalls in der Hand, meinen Zorn im Zaum zu halten; dass ich mich ärgere, wütend oder zornig werde, das habe ich nicht im Griff. Wird Gott so wie ich von Emotionen überwältigt? Sind die Affekte stärker als Gott? Muss Gott versuchen, Gefühle im Zaum zu halten? Das ist die Tücke: Wenn wir von Gott reden, reden wir immer auch von uns selbst. Wir reden von unserem Ärger, unserem Zorn, unserer Wut. Wir drücken aber auch unsere Sehnsucht aus nach einer versöhnten Welt.
Also: Wir sollten von Gott nicht reden als wäre er Mensch. Es ist umgekehrt: Wir sollten vom Menschen so reden, als wäre er Gott. Das wird in der Person von Jesus deutlich: In Jesus sehen wir, wie Gott ist, wenn er Mensch ist. Wir sehen es aber auch in der Art, wie Jesus von Gott spricht: Zum Beispiel im Evangelium dieses Sonntags, wo Jesus von einem Vater erzählt, der seinen verloren geglaubten Sohn mit mit offenen Armen empfängt. In diesem Vater sehen wir, wie ein Mensch handeln würde, wäre er Gott. Im oft verschwiegenen Bruder des vorlorenen Sohns spiegeln wir uns dagegeben selbst. Er ist, wie wir Menschen nunmal sind: neidisch und nachtragend. Er hängt an Ärger und Wut fest.
Dagegen steht der Begriff der Versöhnung. Micha benutzt war das Wort nicht, aber er illustriert seine Bedeutung. Das hebräische Wort kippar hat Luther ursprünglich mit „versühnen“ übersetzt. Es bedeutet soviel wie „zudecken“, nämlich das, worüber man sich ärgert. Micha gebraucht dafür das schöne Bild von der Schuld, die im tiefsten Meer versenkt wird. Erst später bekommt Versöhnung seine zusätzliche Bedeutung im Sinne von „Frieden schließen“. Im Vater, der sich über den zurück gekehrten Sohn freut, sehen wir beides: Das Zudecken der Vergangenheit und den Friedensschluss. So können wir vom Menschen reden, als wäre er Gott.
Wir leben in einer unversöhnten Welt. Aber so, wie Micha und wie Jesus von Gott reden, leuchtet mitten in der Not die Hoffnung auf Versöhnung auf. Corona ist keine Strafe Gottes; aber wir können Corona vielleicht deuten als Weckruf zur Versöhnung.
Paulus schreibt einmal sinngemäß:
In Jesus sehen wir den Menschen als wäre er Gott.
(nach 2. Kor 5,19)
Gott versöhnt die unversöhnte Welt mit sich selbst:
Schuld, Sünde, Vergehen deckt Gott zu,
(er versenkt sie in der Tiefsee, wie Micha sagt).
Dafür hat Gott uns das Hoffnungswort „Versöhnung“ an die Hand gegeben.
Darin steckt unsere Botschaft an die Welt:
Lasst euch mit Gott versöhnen.
Haben wir als Christen zu Corona nichts zu sagen? Doch, durchaus. In einer unversöhnten Welt reden wir von unserer Hoffnung und unserer Sehnsucht auf Versöhnung. In einer unversöhnten Welt reden wir von einem Gott, der die Welt mit sich selbst versöhnt.