Neue Perspektiven

Bilanz nach 20 Jahren homilia.de

Für homilia.de plane ich eine kleine Veränderung. Das hat mit einem Stellenwechsel und damit verbundenem, veränderten Aufgabengebiet zu tun. Was ist neu? Was wird anders?

  • Ich habe die Seiten meines Pfarrstellenblogs „notiznehmen.de“ über die ersten hundert Tage (ab Juni 2020) in der Friedens-Kirchengemeinde Münster in die homilia-Rubrik „Notiznehmen“ verschoben.
  • Das Themenspektrum auf homilia.de wird künftig um ethische und seelsorgliche Aspekte erweitert. Der Grund: Am 1. August 2024 habe ich eine neue Pfarrstelle angetreten als Pfarrer im kirchlichen Dienst der Polizei. Auch wenn diese Tätigkeit unter der Überschrift „Polizeiseelsorge“ steht, wird mein Hauptaufgabenfeld die „Polizeiethik“ sein: Ich unterrichte dann Ethik an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Hiltrup und werde Teil des Teams am Zentrum für ethische Bildung und Seelsorge (ZeBuS) im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (LAFP) in Selm. Dort werde ich u.a. Fortbildungen für Polizist:innen und Polizeiseelsorger:innen anbieten.
  • Es soll auch optisch einen „Relaunch“ geben, vielleicht schon im Lauf des Monats.

Die thematische Erweiterung ist nicht ganz so abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Aspekte etwa des wissenschaftlichen Schreibens tauchen hier ja immer wieder auf. Auch Philosophie und Ethik waren immer wieder im Blick, spätestens seit ich meine Dissertationsseite hier eingepflegt hatte. Schon längere Zeit überlege ich, meine aktuelle Beschäftigung mit Phänomenologie und Ethik in Blog-Form zu verarbeiten. Das werde ich nun nicht als eigenen Themen-Blog machen, sondern unter dieser schon bestehenden Seite. Im Prinzip hängen die Erweiterungen aber schon mit dem Wort „homilia“ selbst zusammen. Das werde ich weiter unten ausführen.

Das ist in aller Kürze, was sich in Zukunft hier verändern wird. Die Gelegenheit will ich aber nutzen, auch einmal zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen.

Eine Rückschau

Homilia.de gibt es jetzt 20 Jahre. Als ich 2004 mit diesem Blog begonnen habe, hatte ich gerade das Vikariat beendet und in Soest meine erste Pfarrstelle im sog. „Entsendungsdienst“ angetreten. Mit Kreativem Schreiben hatte ich mich schon in der Schulzeit befasst. Während des Vikariats hatte ich gemerkt, dass die Methoden sich gut mit Predigtarbeit und Gottesdienstvorbereitung verbinden lassen. Zwar sah einer der Dozenten das als problematisch an, aber ich wollte diese Linie gerne weiterverfolgen.

Kurz vorher war 2002 in meiner Geburtsstadt Braunschweig das „Atelier Sprache“ gegründet worden. Es war inspiriert von der modernen, nordamerikanischen Predigtausbildung, die unter anderem David Buttrick mitgeprägt hatte und es beruhte auf Martin Nicols Konzept der Dramaturgischen Homiletik. Im Gespräch mit meiner Landeskirche über die „Fortbildung in den ersten Amtsjahren“ (FEA) habe ich den Wunsch geäußert, dort die „Meisterklasse Predigt“ zu besuchen.

Leider wollte die Landeskirche das so nicht unterstützen. Zwar hatte ich angeboten, alle Kosten selbst zu tragen, aber das war für die Landeskirche nicht der entscheidende Punkt: Ich sollte Fortbildungen der eigenen Landeskirche besuchen. Als FEA sollte es nicht anerkannt werden. Wenn ich den „Meisterkurs Predigt“ absolvieren wollte, sollte ich meinen Urlaub dafür verwenden. Als junger Familienvater kam das für mich nicht in Frage.

Während des Sondervikariats im Schulreferat kam der damalige Soester Schulreferent Volker Reh auf die Idee, mich aufgrund meines Interesses für Kreatives Schreiben mit Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrern zum „Kreativen Schreiben im Religionsunterricht“ zu beauftragen. Allmählich reifte die Idee, mich intensiver, aber autodidaktisch mit „Kreativem Schreiben und Predigtarbeit“ zu befassen.

Besonderen Einfluss auf mein homiletisches Denken hatte David Buttrick. Auf Buttrick war ich im Vikariat durch einen Aufsatz von Martin Nicol in der „Theologischen Literaturzeitung“ über die neuere, amerikanische Homiletik gestoßen. Nicol beschreibt Buttricks „Homiletic“ darin als „wissenschaftlichere“ Version der Ansätze von Fred B. Craddock und Thomas G. Long, die sich aber zum Selbststudium nicht eigne. Ich habe es trotzdem gewagt und war von Anfang an begeistert. An Buttricks Homiletik hat mich fasziniert, dass sie deutlich über das hinausging, was ich bis dahin als Homiletik wahrgenommen hatte – zumal er es mit einem phänomenologischen Ansatz verknüpfte, was mich als frisch promovierten Philosophen ebenfalls ansprach. Mit Nicols Buttrick-Interpretation v.a. in der „Dramaturgischen Homiletik“ hatte ich allerdings meine Schwierigkeiten.

So habe ich 2004 den Entschluss gefasst, meine Beschäftigung mit Homiletik und Kreativem Schreiben in einem Blog zu veröffentlichen, wie ich es bei der Arbeit an der Dissertation auch schon gemacht hatte. Die ersten Beiträge waren aber zunächst Vorstellungen kreativer Schreibmethoden, wie ich sie mit Lehrerinnen und Lehrern ausprobiert habe. Aber mein Interesse galt eigentlich der Homiletik. Hinzu kam die Beschäftigung mit Notizstrategien und dem Zettelkasten. Die mittlerweile abgeschlossene Dissertation mit Vor- und Weiterarbeiten wurde unter traditio.de gebündelt. Und da – oh Wunder – der Name „homilia.de“ noch frei war, habe ich ihn als Namen für meinen neuen Blog gewählt.

Das Wörtchen „homilia“

In einem ersten, nie verwendeten Blog-Post-Entwurf habe ich über das Wort „homilia“ nachgedacht. Die lateinische Adaption des Wortes verkürzt die ursprüngliche Bedeutung auf den Aspekt des Redens. Mir gefiel, dass das griechische ὁμιλεῖν (homilein) eine breitere Bedeutung hat und über das Reden hinausgeht. Das „Exegetische Wörterbuch zum NT“ verweist darauf, dass ὁμιλεω (homileo) bzw. ὁμιλία (homilia) zwar nur selten im NT vorkommen, aber von dieser Bedeutungsbreite gekennzeichnet sind.

Die sprachliche Wurzel homo- verweist auf Gleiches und Ähnliches, auch auf Ebenbildlichkeit und Eintracht. Homilia bezeichnet daher die Gemeinschaft, in der man lebt, und den Umgang, den man pflegt. So zitiert Paulus einmal die Redewendung „Schlechter Umgang (ὁμιλία κακός) verdirbt gute Sitten“ (1. Kor. 15,33) Und weil man mit den Menschen, mit denen man Umgang man pflegt, sich unterhält, weitet sich das Bedeutungsfeld von homileo/homilia auch in den Bereich der Sprache: der geistige Umgang miteinander im Gespräch in seinen vielfältigen Form. In der Emmausgeschichte z.B. unterhalten sich (homileo) zwei Jünger mit einem Fremden, der sich später als Jesus zeigt (Lukas 24,14f). Als Petrus mit dem römischen Hauptmann Kornelius zusammentrifft, unterhält Petrus sich mit ihm (synhomileo; Apg 10,27), obwohl es Juden aufgrund der Reinheitsgebote nicht erlaubt ist, mit Fremden Umgang zu pflegen – was Petrus explizit aufgreift, um zu betonen, dass für Gott kein Mensch rein oder unrein ist. Erst von diesem Gesprächscharakter leitet sich homilia in der latinisierten Form als „Lehrvortrag“ bzw. „Rede (vor dem Volk)“ und im Kirchenlatein schließlich als „Predigt“ ab.

Mir ist diese Bedeutungsbreite von homilia wichtig, weil es den Aspekt des Miteinanders betont. In meiner Dissertation habe ich versucht, Tradition nach einem Gesprächsmodell zu rekonstruieren und Ethik als diskursive Kulturtheorie zu deuten. Der Plan war ursprünglich, diesen Gedanken homiletisch weiterzuverfolgen. Das habe ich dann allerdings verworfen und den alten Dissertationsblog eben in die Seite traditio.de überführt. 2019 habe ich die Dissertationseite dann allerdings als eigenständige Seite aufgegeben und die Inhalte unter der neuen Rubrik „Notiznehmen“ in homilia.de eingepflegt. Ziel war auch, an der Traditions-Thematik weiterzuarbeiten und sie mit der Gesprächs- und Schreibthematik zu verbinden. Mit den jetzigen Veränderungen knüpfe ich im Prinzip daran wieder an.

In Zukunft will ich auf dieser Seite weiter über Schreibmethoden und Rhetorik nachdenken, aber eben auch über das Miteinander reden im philosophisch-theologisch-ethischen Diskurs. Ich will schauen, was die Phänomenologie dazu beitragen kann und was dies für den Spezialdiskurs „Polizeiethik“ austrägt.