Nicht erst seit Guttenberg und Koch-Mehrin wird über Plagiate diskutiert – auch bezüglich der Predigt. Auch wenn viele die Nase darüber rümpfen: Abgeschrieben haben Prediger schon immer. „Im Himmelreich gibt es kein Copyright!“, lautet die schmunzelnde Rechtfertigung.
Kein Geringer als Homiletik-Nestor Rudolf Bohren hat mit seinem Votum einst die Plagiate in der Predigt geadelt: Besser ein unbegabter Prediger schreibt eine gute Predigt ab, als dass er eine eigene Schlechte hält, lautet sein Argument.
Alexander Deeg, Praktischer Theologe an der Uni Leipzig und Mitbegründer der Dramaturgischen Homiletik, wendet sich gegen Bohren: „Predigt soll ja nicht irgendetwas Passendes über einen biblischen Text sagen und möglichst allgemeingültige Lebensweisheiten vorlegen, sondern als Ereignis lebendiger Kommunikation Wirkung entfalten“, heißt es in einem Beitrag in der evangelischen Wochenzeitung Die Kirche [Link zum Artikel].
Was vor einigen Jahrzehnten noch ein homiletisches Problem war – das Ich-Sagen auf der Kanzel – wird bei Deeg zum homiletischen Programm. Ähnlich wie Guttenbergs Getrickse seine Glaubwürdigkeit zum Einsturz brachte, ist der Prediger, der ein falsches „Ich“ in der Predigt benutzt, nicht authentisch und wird fragwürdig.
Was mir an Deegs Einwurf gefällt ist, dass nicht unrealistische Forderungen an den Prediger gestellt werden (wie es manche alte Predigtlehre macht), sondern auch das kleine, bescheidene Predigtwort zu seinem Recht kommen lässt. Muss Predigt wirklich 15-20 Minuten dauern, fragt Deeg: „Wäre es eigentlich so schlimm, wenn auch einmal nur fünf Minuten gepredigt würde – und das Gesagte dafür pointiert und konkret wäre, aus dem Leben geboren und auf das Leben der Gemeinde bezogen? Wäre es so schlimm, wenn eine Predigt einmal mehr Fragen stellen, als Antworten geben würde?“
Auf diese natürlich bloß rhetorisch gestellten Fragen gibt Deeg die erwartete Antwort: Nein! Entscheidend ist, dass in der Predigt etwas zwischen Prediger und Gemeinde geschieht. Deeg lehnt damit nicht automatisch Internetquellen für die eigene Predigtarbeit ab. Predigten im Netz können zu einer Inspirationsquelle für die eigene Predigt werden. Aber das fremde Material muss eigenen Predigt werden.
Letztlich gilt auch hier, dass Predigerinnen und Prediger sich endlich vom alten Predigt-Paradigma der akademischen Rede lösen und sich mehr den Gesprächs- und Diskussionsbeitrag zum Vorbild nehmen. Da kann man gerne jemanden zitieren, aber sagen muss man’s selbst.