Mit Kunst predigen

Kunst kann in vielfältiger Weise in der Predigt vorkommen. Man kann über ein Kunstwerk predigen oder mit Hilfe eines Kunstwerkes. Man kann mit einem Kunstwerk in Dialog treten oder gegen ein Kunstwerk anpredigen. Man kann ein Kunstwerk auslegen vor dem Hintergrund der Biographie des Künstlers, der Entstehungszeit oder eines künstlerischen Kontextes. Man kann sich schwerpunktmäßig auf das Sujet beziehen, auf Motive oder Symbole. Man kann explizit religiöse Kunst auslegen oder Kunst, die auf den ersten Blick keine religiösen Bezüge aufweist. Man kann über offensichtliche religiöse Motive eines Kunstwerks predigen oder predigend nach verborgenen religiösen Spuren suchen. Man kann ein Kunstwerk in Beziehung setzen zu einem Bibeltext, zu einem Choral, zur eigenen Person, zum Kirchenraum oder es für sich selbst stehen lassen. Noch gar nicht angesprochen ist dabei, was überhaupt unter einem “Kunstwerk” zu verstehen ist und wie es mit Kunst aussieht, die kein „Werk“ vorzuweisen hat. Kurzum: Die Umgangsweisen mit Kunst in der Predigt sind unendlich.

Klaus Raschzok unterscheidet vier Hauptformen der Verwendung von Kunst in Predigten (K. Raschzok, Mit Bilder verkündigen, in: Predigt als Leseakt, 81ff):
a) Ein Kunstwerk dient zur verbalen Illustration. Das geschieht zum Beispiel, indem mündlich auf ein Kunstwerk verwiesen wird, ohne es zu zeigen.
b) Ein Kunstwerk dient als Einstieg oder Impuls. Hier dient Kunst als Aufhänger, ist aber nicht selbst Gegenstand der Betrachtung.
c) Ein Kunstwerk dient zur visuellen Illustration. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein oder mehrere Kunstwerke gezeigt werden, weil sie geeignet sind, einen bestimmten Predigtgedanken veranschaulichen.
d) Ein Kunstwerk ist selbst Gegenstand der Betrachtung. Dabei wird das Kunstwerk etwa darauf hin betrachtet, was es selbst und eigenständig aussagt und welche Perspektive es einbringt in die Fragen des Glaubens.
Anders als Raschzok betrachte ich alle vier Verwendungsweisen als durchaus legitim, aber ich gebe Raschzok Recht, dass alle Formen der Bildbetrachtung getragen sein sollten von der Absicht, ein Kunstwerk zu seinem Recht kommen zu lassen (Punkt d).

Aus meiner pastoralen Praxis der Verwendung von Kunstwerken in Ansprache und Predigten kann ich acht kurze und knappe Hinweise darauf geben, was beim homiletischen Umgang mit Kunstwerken ratsam und was zu vermeiden ist (hier danke ich den Prädikanten im Kirchenkreis Gütersloh für die offene Diskussion der Thesen im Prädikantenkonvent):

Zunächst vier Empfehlungen:
1. Räume bei der Predigtvorbereitung der Betrachtung des Kunstwerkes genauso viel Zeit ein, wie der Betrachtung eines biblischen Textes. Dazu gehört das genaue und aufmerksame Betrachten, aber auch die Recherche über den Künstler, die Zeit der Entstehung, kunstgeschichtliche Bezüge und anderes mehr.
2. Lass dich überraschen von der Begegnung des Kunstwerkes mit dem biblischen Text. Dazu gehört, dem Kunstwerk soweit es geht unvoreingenommen zu begegnen, und nicht bloß nach Spuren des fertigen Predigtgedankens im Kunstwerk zu suchen.
3. Konzentriere dich auf einen Aspekt der Begegnung von Bibel und Kunst. Aus den vielfältigen Möglichkeiten der Predigt mit Kunstwerken  (s.o.) sollte nur eine ausgewählt und für die Predigt umgesetzt werden.
4. Schaffe deinen Zuhörern Zeit und Raum für eine eigene Begegnung mit dem Kunstwerk. Um ein extremes Gegenbeispiel zu geben: Ein Bild nur kurz zeigen, erläutern und wieder ausblenden, das lässt weder Raum noch Zeit für eigene Begegnungen. Besser wäre es z.B., das Kunstwerk schon vor der Predigt zu zeigen, vielleicht verbunden mit einer Orgelmeditation. Oder während der Predigt immer wieder Zeit zu lassen, das Bild unkommentiert zu betrachten. Für mich ist dieser Punkt der wichtigeste. Dass er erst an vierter Stelle folgt, ist der Reihenfolge geschuldet, die sich an der Predigtvorbereitung orientiert.

Vermeiden sollte man dagegen beim Umgang mit Kunstwerken in der Predigt folgendes:
5. Widerstehe der Versuchung, dein großes Wissen über ein Kunstwerk in der Predigt auszubreiten. Sicher ist es unumgänglich und wertvoll, Informationen über das Kunstwerk, den Künstler, die Umstände der Entstehung, die Besonderheit des Sujets, Stils etc. heran heranzuziehen (vgl. 1). Aber: Eine Predigt ist kein Referat und Fachvortrag über Bibel und Kunst.
6. Vermeide eine allegorisierende Auslegung. Bei der Allegorie symbolisieren die einzelnen Bildelemente jeweils etwas bestimmtes Anderes. Bei einem Kunstwerk hat aber nicht alles eine in Worten fass- und erklärbare Bedeutung. Es muss auch nicht alles erklärt werden.
7. Sei sparsam mit Beschreibungen des Kunstwerks. Man kann das durchaus wörtlich nehmen: Ein Kunstwerk beschreiben, das einem vor Augen ist, ist wie mit einem Stift auf dem Kunstwerk herumschreiben. Es gilt die alte Faustregel: Soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Ein Zuviel an Beschreibung kann die Begegnung der Hörerinnen und Hörer mit dem Kunstwerk behindern, weil der Prediger sich quasi dauernd vor das Bild stellt (vgl. 4.)
8. Benutze Kunstwerke nicht nur zur Dekoration deiner Gedanken. Wozu z.B. Bilder dienen können, kann man sich an einer Zeitschrift klar machen: Ist das Foto ein Eye-Catcher, das Aufmerksamkeit erzeugen soll? Dient es zur Dekoration und Verschönerung? Soll das Bild etwas illustrieren und verdeutlichen? Transportiert das Bild eine Botschaft oder Nachricht, die mit Worten allein nicht aussagbar ist? Alle diese Formen sind legitim, auch in der Predigt. Aber eine Predigt mit Kunstwerken sollte sich bemühen, Kunst als eigenständige Äußerung ernst zu nehmen (vgl. d).