Unter Strom

Cover von "Schreiben unter Strom"Schreiben in Sozialen Netzwerken beeinflusst die Art und den Stil des eigenen Schreibens. Die Vernetzung mit Lesern, die zu Mitschreibern werden können, eröffnet ein weites Experimentierfeld. Stephan Porombka stellt im dritten Band der DUDEN-Reihe zum Kreativen Schreiben einige der Möglichkeiten vor. Das ist zwar nicht ganz das Thema dieses Blogs – aber da ich die anderen beiden Bände schon besprochen habe (1; 2), will ich der Vollständigkeit wegen ein paar Anmerkungen zu dem Buch machen.

Den wichtigsten Hinweis nennt Porombka ganz zum Schluss: „Wer unter Strom schreibt, schließt nicht bestimmte Möglichkeiten aus. Wer unter Strom schreibt, schließt ausdrücklich alle Möglichkeiten ein und bringt sie ins Spiel, um sie immer wieder mit etwas anderem zu kombinieren und dadurch neue Impulse zu bekommen und sie gleichzeitig an andere weiterzugeben.“ (153f) Die Schreibempfehlungen zielen aufs schreibende Experimentieren. Den Untertitel des Buches sollte man also ernst nehmen.

Porombka gliedert sein Buch in drei Teile: Im Grundlagenteil geht es zunächst um die Möglichkeiten, am Computer Texte zu zerlegen und – zuweilen ganz zufällig – neu zu kombinieren. Die Technik ist zwar schon alt, erfährt in Zeiten von Internet, Copy & Paste aber neue Möglichkeiten: Bei der Flarflyrik geht es beispielsweise darum, Resultate einer Google-Suche zu einem neuen Text zu arrangieren. Ein zweiter Punkt ist die Auflösung linearer Strukturen in Hypertexten. Auch diese Technik hat es schon vor dem PC gegeben, aber erst in digitalen Hypertexten entfalten sich die ganzen Möglichkeiten, sei es durch Inner-Textliche Links, sei es durch Links ins WWW. Die dritte Grundtechnik ist die Textbegrenzung und Reduktion wie bei der SMS, bei der nur eine begrenzte Anzahl an Zeichen zur Verfügung steht, und schließlich die Vernetzung solcher Möglichkeiten durch Dienste wie Twitter.

Der zweite Teil des Buches stellt Experimente mit diesen Grundtechniken vor. Beim Schreiben und Experimentieren wird auf die neuen, technischen Möglichkeiten zurückgegriffen, das Ergebnis zielt aber am Ende auf Texte in herkömmlicher Form. So haben beispielsweise Alexander Aciman und Emmett Rensin Texte der Weltliteratur so bearbeitet, dass eine Geschichte als Folge von rund 20 Tweets erzählt wird. Im ihrem Buch „Twitterature“ dampfen sie so ein ganzes Regal an Weltliteratur auf gerade mal 146 Seiten ein. Komplexere Möglichkeiten bietet der klassische Briefroman, auf E-Mail-Korrespondenz umgebrochen: So kann man sich unter www.die-leiden-des-jungen-werther.de dazu anmelden, Werthers Briefe als einzelne E-Mails zusenden zu lassen, z.B. in den Abständen, in denen Goethes Werther seine Brief einst schrieb.

Auf der Grundlage neuer, elektronischer Kommunikation lassen sich natürlich nicht nur Klassiker bearbeiten. Der nächste Schritt ist, selbst auf dieser Basis Texte zu produzieren. Als Beispiele stellt Porombka die E-Mails von Matthias Zschoschke an Niels Höpfner vor, die sich als digitales Journal und Werkstatt-Bericht lesen lassen. Andere Autoren wie Daniel Glattauer erzählen eine Geschichte durch die E-Mail-Korrespondenz zweier Personen. Jan Kossdorff lässt in seinem Roman sogar 15 Mailschreiber miteinander kommunizieren.

Im dritten Teil von „Schreiben unter Strom“ skizziert Porombka schließlich, wie ein Schreiben aussehen kann, das nicht mehr unmittelbar auf Buchveröffentlichung zielt, sondern vorrangig als Netzliteratur entsteht. An der Grenze steht da zunächst das Schreiben im Blog. Porombka wartet da mit einer steilen These auf: „Einen Blog zu machen heißt: sich die Buchkultur abzugewöhnen.“ (88) Porombka meint das nicht kritisch. Er will damit auf die veränderten Schreibbedingungen aufmerksam machen: Das Schreiben erfolgt nicht mehr in großen Abständen, mehrfach redigiert, sondern oft von Tag zu Tag oder gar von Stunde zu Stunde. Das verlangt nach einem anderen, nämlich entspannteren Schreiben: „Verspannt oder verkrampft man beim Bloggen, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass man immer noch viel zu sehr an die alte Verlags- und Feuilletonkultur denkt. Deshalb ist der wichtigste Hinweis für angehende Blogger: Locker bleiben!“ (ebd.) Tatsächlich haben allerdings die angeführten Autoren wie Andrew Sullivan und Sven Regener ihre Blogeinträge längst wieder in Buchform veröffentlicht.

Anders ist beim Schreiben in Facebook. Jenseits der schlichten „Was ich grad mache“-Meldungen kann Facebook zu einem interessanten Experimentierfeld werden. Etwa wenn Jan Fischer zwar Beobachtungen niederschreibt, das schreibende Ich dabei aber nicht identisch sein muss mit dem Schriftsteller Jan Fischer. Die Faszination von Facebook greift aber erst, wenn durch die Kommentare neue Textebenen entstehen, für die nicht mehr ein Autor allein verantwortlich ist. Die Grenze zwischen Autor und Leser verwischt. Das gilt dann in noch radikalerer Form für Jonas Bohlken, der in „neosex“ Online-Gespräche aus einschlägigen Foren dokumentiert. Das Werk liegt auf einem USB-Stick vor. Über einen Browser lassen sich Links ins Internet Welt verfolgen. Das sicher aufwendigste Konzept, das Porombka am Ende seines Buches vorstellt, ist „transmedia storytelling“. Im transmedialen Erzählen verschränken sich Virtualität und Realität: eine Geschichte wird auf Flugblättern, über Facebook und Blog-Einträge sowie Performances an echten Orten erzählt. Ein aufwendiges Konzept, das vor allem in der Werbung zum Tragen kommt.

Jedes der dreizehn Kapitel enthält am Schluss eine Schreibaufgabe, um die vorgestellten Techniken auszuprobieren. Wie bei den beiden anderen DUDEN-Bänden wirken diese Schreibübungen aber manchmal etwas bemüht. Auch darf man – wie in den anderen Bänden der Reihe – keine ausführlichen, technischen Hinweise zur Umsetzung erwarten. Zwar gibt es Hinweise auf blogger und wordpress, aber wie ein Blog eingerichtet und dauerhaft organisiert wird interessiert Porombka nicht. Es gibt sogar technische Hinweise, die eher problematisch sind, wie etwa die Empfehlung, bei Facebook einen Fakeaccount zum Experimentieren einzurichten, was offensichtlich den Nutzungsrichtlinien bei Facebook widerspricht.

Schade ist, dass das Buch selbst keine Schnittstelle zum Internet hat. Ein begleitender Blog oder zumindest eine einzelne Seite mit Links wäre ein schöner Service für die Leser, die sich damit das Abtippen von Links wie https://www.facebook.com/media/set/?set=a.1785439154172.2104292.1185308648&i=972f9989fb ersparen könnten.

Fazit: Stephan Porombka legt mit „Schreiben unter Strom“ eine knappe Übersicht über Möglichkeiten des Schreibens im Kontext von E-Mail und sozialen Netzwerken vor. Zuviel sollte man sich davon aber nicht erwarten: Der Buch ist keine technische Anleitung für den Betrieb von Blogs oder zur Nutzung von Facebook und Twitter. Zielgruppe ist letztlich weder der Social-Media-Neuling, der eine Starthilfe braucht, noch der routinierte Blogger, der nach neuen Impulsen sucht. Porombka zielt auf Menschen, die neue Schreibmöglichkeiten ausprobieren möchten. Am Ende geht es also ums Experimentieren mit den neuen Medien und die Frage, wie sich darüber das eigene Schreiben verändert und weiter entwickelt. Wer sich darauf einlässt findet eine Reihe von Anregungen, auch wenn manches davon schon altbekannt ist. Schade ist allerdings, dass der Autor die neuen Medien nicht nutzt, um eine Schnittstelle von Buch und Netz zu schaffen.

Stephan Poromka: Schreiben unter Strom. Experimentieren mit Twitter, Blogs, Facebook & Co, 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2012.
ISBN 978-3-411-74921-8| 14,95 € | 159 S.