“Ich denke tatsächlich oft mit der Feder”, notierte Wittgenstein einmal. Er ist nicht der einzige, der den Zusammenhang von Schreiben und Denken so oder ähnlich beschreibt. In meiner eigenen Schreiberfahrung finde ich mich darin gut wieder. Ulrike Scheuermann hat diese Erfahrung als Konzept des Schreibdenkes für die Hochschuldidaktik ausgearbeitet. Sie beansprucht damit nicht, etwas völlig Neues in die Schreibdiskussion einzubringen, aber ihr Ansatz gibt gute methodische Hinweise zum Schreibprozess beim Verfassen nicht-fiktionaler Texte. Der Prozess lässt sich auch gut auf die Predigtvorbereitung übertragen.
Sprechdenken in der Predigt gilt den einen als Königsweg zur freien Predigt, während die anderen in der Methode eine Verführung zur anspruchslosen Predigt aus dem Stegreif sehen. Ulrike Scheuermanns Ansatz des Schreibdenkens könnte ein interessantes Bindeglied bilden. “Schreibdenken” ist der dritte Band der Reihe “Kompetent lehren”, die sich die Verbesserung der Hochschuldidaktik auf die Fahnen geschrieben hat. Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehrende an der Universität und will ihnen Hilfestellung dafür geben, Schreiben als Mittel des Lernens zu vermitteln. Dieser Horizont des Buches klingt zwar eng, er weitet sich aber bei der Lektüre schnell, denn die Möglichkeit der Anwendung auf sämtliche Formen reflektierenden Schreibens ist leicht zu erkennen.
Schreibdenken ist zugleich Prozess und Methode. Der Schwerpunkt liegt auf dem Prozess des Schreibens mit seinen unverzichtbaren Ausarbeitungs- und Überarbeitungsschritten. Scheuermann unterteilt den Schreibprozess in sieben Phasen:
Phase 1: Einstimmen
Phase 2: Ideen entwickeln
Phase 3: Strukturieren
Pahse 4: Rohtexten
Phase 5: Reflektieren
Pahse 6: Überarbeiten
Phase 7: Veröffentlichen
Auf der Internetseite ulrike-scheuermann.de gibt es im Downloadbereich eine grafische Darstellung dieses Prozesses, die eine gute Übersicht über den Ansatz liefert. Wichtig am Prozess des Schreibens ist: Schreiben ist ein Werkzeug des Denkens. Die schulische Schreibdidaktik krankt oft daran, dass sie zu sehr vom Produkt ausgeht und den Prozess des Schreibens vernachlässigt. Kaum jemand schreibt druckreif und oft klärt sich erst am Ende eines Aufsatzes, worauf der eigene Text eigentlich hinaus will. Bei vielen Predigern ist es nicht anders: Sie fangen vorne an und hören hinten auf. Überarbeitungsschritte scheinen überflüssig. In der Regel ist wie bei einer Klausur am Ende auch gar keine Zeit mehr dazu. Der Ansatz des Schreibdenkens geht davon aus, dass Denken und Schreiben Zeit brauchen und die Erstfassung eines Textes noch nicht veröffentlichungsfähig ist. Deshalb ist es wichtig, Schreibzeiten im Alltag zu verankern und Bedingungen dafür zu schaffen, dass ein Text allmählich Gestalt annehmen kann.
Natürlich ist Schreiben auch eine Typfrage. Ausführlich beschäftigt sich Scheuermann daher mit vier verschiedenen Schreibtypen: dem Planer, dem Drauflosschreiber, dem Versionenschreiber sowie dem Patchworkschreiber. Viele Autoren von Schreibbüchern übersehen dies und verkennen daher, dass es verschiedenen Schreibtypen auch unterschiedliche Schreibstrategien brauchen. In dieser Typologie werden sich Predigerinnen und Prediger leicht wiedererkennen und einordnen können.
Methodisch geht es Scheuermann darum, eine Vielzahl von “assoziativen, strukturierenden, reflektierenden, denk- und schreibfördernden, psychologisch reflektierenden sowie Text-Bild-integrierenden Techniken” (S. 18) für den Schreibprozess zu nutzen. Neben bekannten Methoden wie Mindmap und Cluster finden sich Varianten des Freewriting, nämlich die von Scheuermann so genannten Schreibsprints, und auch Gruppenmethoden. Das Notieren als Grundform des Schreibens wird zwar nur gestreift, kommt aber immerhin vor. Die vorgestellten Methoden mögen nicht neu und originell sein, dafür sind die bewährt und sehr effektiv. Alle Methoden werden kurz eingeführt und anhand einer Übung in der Praxis demonstriert. Scheuermanns Anspruch geht so weit, dass sie das Schreibdenken auch als Methode der Selbstorganisation begreift.
Fazit: Ulrike Scheuermann gelingt es in „Schreibdenken“, knapp und doch umfassend und praxisorientiert die Grundlagen reflektierenden Schreibens vorzustellen. Schon allein weil es wenige Schreibbücher gibt, die das Schreiben in diesem Zusammenhang beleuchten, lohnt sich die Anschaffung. Weil auch die Arbeit am Predigtmanuskript reflektierendes Schreiben ist, werden sicher auch Predigerinnen und Prediger das Buch mit Gewinn lesen.
Ulrike Scheuermann: Schreibdenken. Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln, Verlag Barbara Budrich, Opladen und Toronto 2012.
ISBN 978-3-8252-3687-8 | 9,90 € | 126 S.