Phasen im Schreibprozess


Beim Schreiben kann nicht alles gleichzeitig stattfinden, sonst besteht die Gefahr, sich zu verzetteln. Der Begriff des Verzettelns kommt aus der Weberei, wo ein Faden durch die „Zettel“ genannten Längsfäden geschossen wird. Dabei die Übersicht und den Faden zu verlieren, heißt, sich zu „verzetteln”.1 Methodisch schreiben heißt, das eigene Vorgehen beim Schreiben zu strukturieren. Die Einteilung des Schreibprozesses in Phasen kann dabei hilfreich sein, wobei jede und jeder das für sich selbst passende Prozedere herausfinden muss. Ulrike Scheuermann2 hat den Schreibprozess in sieben Phasen gegliedert, betont dabei aber: Diese Abfolge ist kein allgemeines Gesetz. Die Phasen müssen dem eigenen Schreibtyp angepasst werden. Bezogen auf das Schreiben eines Predigtmanuskripts lassen die Phasen sich wie folgt skizzieren.

Phase 1: Einstimmen

Am Anfang geht es darum, sich in die richtige Schreibstimmung zu bringen. Es ist hilfreich, einen guten Schreibort zu finden und äußere Einflüsse (Telefon, Internet) auszuschalten, damit der Fokus auf das Schreibprojekt gerichtet bleibt. Vor dem Schreibbeginn sollte bedacht werden, was Scheuermann die „Schreibstrecke” nennt : In welcher Schreibphase bin ich? Wie viel Zeit kann ich jetzt aufbringen? Dazu gehört auch, die Ziele in den Fokus rücken: Was will ich eigentlich erreichen? Wen will ich ansprechen? Hilfreiche Einstimmungsmethoden in der Predigtvorbereitung sind Gebet, Meditation bzw. Schriftmeditation oder auch Schreibspiele zur Lockerung.

Phase 2: Ideen entwickeln

In der zweiten Phase geht es darum, möglichst ungefiltert Einfälle zu sammeln. Es geht in dieser Phase um schöpferische Assoziationen. Deshalb sollten auch abseitige Einfälle notiert werden — ohne Bewertung und Auswahl. Hilfreich kann die Nutzung kreativer Schreibtechniken sein (z.B. Cluster-Methode). Auch sind vielfältige Methoden des Sammelns zu empfehlen: Notizen, Skizzen, Sprach-Memos. Wie in der späteren Reflexionsphase ist es wichtig, Zeit für Leerlauf einzuplanen, damit Ideen sich entwickeln können (Spazieren gehen). Eine Predigtkladde ist ein nützliches Werkzeug. Ein Projekt, das die Arbeit an einer einzelnen Predigt überschreitet, kann das Anlegen eines Zettelkastens sein.

Phase 3: Strukturieren

Texte brauchen Strukturen, das heißt: eine geordnete Abfolge von Gedankenschritten. Diese Strukturen helfen Leserinnen und Lesern, Hörerinnen und Hörern, dem Text zu folgen und ihn zu verstehen. Für David Buttrick ist das Structuring bei der Predigtarbeit die zentrale Aufgabe beim theologischen Durchdenken. Die Strukturierung des Textes kann an unterschiedlichen Stellen erfolgen und hängt vom Schreibtyp ab: Top-Down-Schreiber strukturieren erst, Bottom-Up- Schreiber während des Schreibens. Sinnvoll kann sein, sich zumindest eine vorläufige Grobstruktur überlegen, selbst für Bottom-Up-Schreiber, denn es ist ein Anstoß, mit Schreiben anzufangen. Hilfreiche Methoden sind Mindmaps oder Notizzettel, die neu arrangiert werden können.

Phase 4: Rohtexten

Das Rohtexten ist die zentrale Schreibphase. Hier werden erste Sätze formulieren. Ziel beim Rohtexten ist das Schreiben im Fluss! Ein Problem ist oft, dass viele von Anfang an druck- und spruchreif schreiben wollen. Dabei meldet sich aber oft der Innere Kritiker zu Wort und streut seine Bedenken ein. Man beginnt, an Formulierungen zu feilen oder nach besseren Wörtern zu suchen, und das Schreiben gerät ins Stocken. Für das Schreiben ist es daher wichtig, das Rohtexten von der Überarbeitung zu trennen. Dazu muss man herausfinden, wie man gut in einen Schreibfluss hineinkommt: Entspricht das Schreiben am PC der eigenen Denkgeschwindigkeit oder passt das eigenen Denken eher zum Schreiben mit der Hand? Manche sprechen ihre Gedanken in eine Memo-App und verschriftlichen das Diktat anschließend oder sie nutzen eine Diktiersoftware mit Spracherkennung. Ein Tipp, der bei vielen Schriftsteller:innnen begegnet, ist, am Ende einer Schreibeinheit in einer kleinen Notiz festzuhalten, wie der Text weiter gehen könnte.

Phase 5: Reflektieren

Die Reflexionsphase dient dazu, Abstand vom eigenen Text zu bekommen. Bildlich gesprochen geht es nun darum, den Text in Ruhe gären und reifen zu lassen. Bei kleinen Schreibprojekten mag eine Kaffeepause reichen. Bei größeren Projekten sollte man einen Text zumindest eine Nacht überschlafen. Hilfreich kann ein frühes Feedback durch andere sein, um Abwege zu erkennen. Dabei sollte man deutlich sagen, dass es sich um Text handelt, der noch im Entstehen ist. Die Reflexionsphase ist ein wichtiger Schritt vor der Überarbeitungsphase.

Phase 6: Überarbeiten

Die Überarbeitungsphase ist die wichtigste und doch oft übersehene Phase. Scheuermann empfiehlt, ca. 50% der Schreibzeit für die Überarbeitung einzuplanen. Ein häufiger Fehler ist, schon während des ersten Schreibens (Rohtexten) am Text zu feilen. Für die Überarbeitung sollten mehrere Überarbeitungsgänge eingeplant werden, bei denen der ganze Text durchgegangen wird.
Für die Überarbeitung empfiehlt Scheuermann zwei bis vier Schritte:

  • Gesamteindruck
  • Inhalt und Struktur
  • Satzbau, Wortwahl und Stil
  • Rechtschreibung und Zeichensetzung

Phase 7: Veröffentlichen

Veröffentlichen heißt für die Predigt: Predigen. Wer mit einem Text an die Öffentlichkeit geht, ist oft mit Ängsten und Befürchtungen konfrontiert: negative Bewertung durch andere, die Angst, etwas Falsches zu sagen oder etwas Wichtiges vergessen zu haben. Hier meldet sich von Anfang an das Ensemble der inneren Kritiker. Sorgen Sie beim Schreiben für Blockaden, können sie vor und während der Predigt verunsichern. Deshalb ist es wichtig, sich im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seinen Ängsten zu stellen: Ernste Blicken in der Gemeinde drücken nicht unbedingt Ablehnung aus. Das Kopfschütteln einer Hörerin kann viele Ursachen haben. Wie bei einer gedruckten Veröffentlichung kann es auch vor der öffentlichen Rede gut sein, das Predigtmanuskript von einer Vertrauensperson Gegenlesen zu lassen und ein Feedback einzuholen.


  1. Das beschreibt Hektor Haarkötter in seiner Untersuchung „Notizzettel“ (372). ↩︎
  2. Siehe dazu Silke Scheuermanns Buch „Schreibdenken“ (S. 39-50). Siehe zum Buch auch meinen kleine Übersicht. ↩︎