Stephan Siggs „Spirituelle Schreibwerkstatt“ hat mich im Laden gleich angesprungen – aber trotz guter Ideen ist das Buch auch eine Mogelpackung. Treffender wäre ein Titel wie „Mit Jugendlichen zur Sprache kommen. Reden und Schreiben über den Glauben.“ Aber wahrscheinlich hätte ich das Buch bei so einem Titel eher liegen gelassen. Die „Spirituelle Schreibwerkstatt“ (mit dem Untertitel „mit jungen Menschen“) ist auf jeden Fall der ansprechendere Titel.
Mogelpackung ist das Buch insofern, als von den rund 160 Seiten des Buches nur 50 Seiten (S.102-152) ausdrücklich Hintergrund und Methoden einer Schreibwerkstatt behandeln. Im ersten Drittel des Buches „Meine Texte – meine Sprache“ geht es Sigg um Texte, die für Jugendliche geeignet sind: im Gottesdienst, im Unterricht oder in Gruppenstunden. Wie findet man geeignete Texte? Wie überarbeitet man Texte, die sich an andere Zielgruppen richten, so dass Jugendliche angesprochen werden? Wie bringt man Texte für und mit Jugendlichen zu Gehör? Auch im Hauptteil „Jugendliche zum Sprechen und Schreiben aktivieren“ geht es auf 40 von 90 Seiten nicht vorrangig ums Schreiben: Neben grundsätzlichen Überlegungen zu Jugend und spiritueller Sprache geht es um Methoden, Formen und Probleme des Gesprächs über Glauben mit Jugendlichen. Das sind zweifellos wichtige Fragen, aber sie berühren nur am Rande, was im Rahmen einer Schreibwerkstatt normalerweise stattfindet.
Was Sigg dann über die Durchführung einer Spirituellen Schreibwerkstatt mit Jugendlichen schreibt ist entsprechend knapp, aber durchaus fundiert. Anknüpfend an die Schreiberfahrung von Jugendlichen mit Sozialen Medien zeigt Sigg, wie es gelingen kann, mit Jugendlichen ins Schreiben zu kommen. Es skizziert Grundvoraussetzungen und stellt einige mögliche Methoden vor. Sigg erfindet dabei das Rad nicht neu: Er nimmt bewährte Formen auf, die er zum Teil mit Blick auf die Lebenswelt von Jugendlichen verändert oder als Mini-Schreib-Projekte im Rahmen von Gottesdiensten oder bei Freizeiten aufbereitet.
Schade ist, dass die speziellen Fragen einer Schreibwerkstatt mit Jugendlichen letztlich so knapp behandelt werden. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass Schreiben mit Jugendlichen eine große Herausforderung ist, mit viel Frustrationspotential. Sigg gibt zwar ein paar Hinweise, was man als Leiter berücksichtigen sollte, aber die Tücken und Begrenzungen werden kaum angesprochen. Hier habe ich mir von einem erfahrenen, professionellen Schreibwerkstatt-Leiter mehr versprochen.
Die „Spirituelle Schreibwerkstatt mit jungen Menschen“ schlägt weiten einen Bogen von der Begegnung mit fremden Glaubenstexten über das Gespräch in Gruppen hin zum eigenen Schreiben über den Glauben. Es geht Stephan Sigg um Glaubenskommunikation, die die Sprache von Jugendlichen auf- und ernstnimmt und ihnen dazu verhelfen will, selbst aktiv ihren Glauben ins Gespräch zu bringen. Dafür bietet das Buch gute Anregungen, auch wenn der spezielle Themenkomplex „Spirituelle Schreibwerkstatt“ mir zu knapp gehalten ist. Die beigefügte CD-Rom enthält das Buch noch einmal im pdf-Format.
Stephan Sigg: Spirituelle Schreibwerkstatt mit jungen Menschen. Anleitung und Beispiele. Herder Verlag: Freiburg i.Br. 2014. 159 S., 14,99 € – ISBN 978-3-451-31211-3
[Verlags-Info]
Internetauftritt von Autor Stephan Sigg: stephansigg.com
P.S.: Als evangelischer Theologe kann ich es mir nicht verkneifen einen für das Buch an sich unbedeutenden Fehler anzustreichen: Martin Luther hat natürlich nicht die lateinische Bibelübersetzung ins Deutsche übersetzt (vgl. S. 19), sondern (bezogen auf das NT) den griechischen Ur-Text. Dieses ad fontes ist nach wie vor ein unverzichtbares, humanistisch-reformatorisches Erbe.