Meiner Vikarin Kathrin Klagges habe ich zum Abschied am 31. März ein kleines Notizbuch und diesen Text als Anleitung geschenkt. Erst wollte ich nur ein paar Sätze aufschreiben, aber plötzlich ist ein ganzer Blogartikel draus geworden.
1. Du solltest ein Notizbuch führen.
Das Notizbuch dient der Sammlung des kleinen Schreibens. Du notierst zum einen, was du nicht vergessen willst; eine schöne, alte Bezeichnung ist daher „Merkbuch“. Zum anderen kannst du aufzeichnen, was dir gerade durch den Kopf geht und es so sichtbar machen. Im Notizbuch steht alles unsystematisch zusammen: Namen, Telefonnummer, Einkäufe, Einfälle, Beobachtungen, Aussagen, Aufzeichnungen, Erinnerungen, Berechnungen, Träume … Natürlich kann man das alles auch auf einzelnen Zettel notieren, aber in einem Notizbuch sind alle Einträge in der Reihenfolge ihrer Entstehung gesammelt. Auf Dauer ist dies übersichtlicher, vor allem um Notiertes wieder zu finden. Notizbücher sind für jeden nützlich, aber unverzichtbar für Menschen, die mit dem Kopf arbeiten. Es ist eines der wichtigsten Werkzeuge der geistigen Arbeit.
2. Benutze nur jeweils ein Notizbuch.
Zwar sind auch Journale und Kladden im Grunde Notizbücher, und von ihnen kannst du zur gleichen Zeit mehrere führen, aber du solltest aktuell jeweils nur Notizbuch für dein unsystematisches Sammeln verwenden. Dazu benutzt du am besten ein kleines Buch oder Heft, nicht größer als eine Postkarte, das gut in eine Jackentasche passt. Journale sind dagegen thematisch orientierte Notizbücher, die größer sein können: private Tagebücher, Denktagebücher, Trainingstagebücher oder Lektürebücher. Kladden wiederum sind für mich funktionale Notizbücher, die groß und dick sein können: Schreibtischbücher, Haushaltsbücher, Rechnungsbücher. Das Notizbuch ist also ein kleines, allgemeines Notizbuch für alles Mögliche, und von so einem Haupt-Notizbuch solltest du immer nur eines benutzen, bis es vollgeschrieben ist. Dann kommt das nächste.
3. Du solltest dein Notizbuch immer in der Nähe haben.
Einfälle kommen oft ungeplant, wenn du unterwegs bist, duschst, spazieren gehst oder spülst … Optimal ist, Einfälle gleich zu notieren, auf wenn das nicht immer geht, etwa unter der Dusche. Aber danach sollte nicht die Suche nach dem Notizbuch beginnen, sondern du solltest wissen, wo es liegt. Bei Aufgaben, die einem zwischendurch einfallen, hat das Notieren eine entlastende Funktion. Du hast dann zunächst einmal wieder aus dem Kopf, woran du unbedingt denken musst. Diese Beispiele gehören zu dem, was Matthias Thiele das „elementare Notieren“ nennt. Außerordentlich nützlich ist, wenn am Notizbuch auch gleich ein Stift angebracht ist, damit du wirklich gleich losschreiben kannst. Eine Halterung lässt sich ganz einfach mit einem eingehefteten Gummiband machen.
4. Notiere, was dir im Augenblick wichtig erscheint und bewerte nichts.
Notizen werden nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern sie sind spontan und oft nur fragmentarisch. Meist genügt ein Stichwort, die Skizze einer Idee, ein Halbsatz. Auch längere Gedanken solltest du schnell hinschreiben, ohne lange über Formulierungen, Sinn und Unsinn oder gar sprachliche oder sonstige Richtigkeiten nachzudenken. Bei guten Einfällen ist es wie bei guten Fotos: Wer viel produziert, wird unter viel Mist und Unsinn immer wieder großartige Perlen entdecken. Walter Benjamin hat in seinen Thesen zur Technik des Schriftstellers notiert: „Lass dir keinen Gedanken inkognito passieren und führe dein Notizheft so streng wie die Behörde das Fremdenregister.“ Dabei ist es unwichtig, ob du den Gedanken schon einmal irgendwo notiert hast: Schreib ihn einfach nochmal auf. Es kann sein, dass du dadurch eine Sache auf die Spur kommst, die dich unbewusst die ganze Zeit beschäftigt.
5. Mach das Notieren zu einer Lebenshaltung.
Notiert wird oft mit einem bestimmten Zweck, zum Beispiel um eine Predigt oder einen Aufsatz vorzubereiten. Wenn du regelmäßig ein Notizbuch führst, wirst du bald merken, dass sich deine Notizen von konkreten Zwecken lösen: Du notierst, um einen Gedanken festzuhalten, auch wenn du nicht weißt, wozu der Gedanke einmal dient. Mehr und mehr wird das Notieren zum Notiz nehmen, also zu einer Form von Wahrnehmung. Matthias Thiele spricht hier von „elaboriertem Notieren“.
6. Mache Notizen nach möglichst einfachen Regeln.
Jede Notizbuchseite sollte beispielsweise einem einfachen Aufbau folgen: Es reicht eine hervorgehobene Überschrift und eine Seitenzahl, sinnvoll kann auch ein Datum sein. Ich schreibe die Überschrift oben auf die Seite und hebe sie durch einen Kasten hervor; möglich ist auch eine doppelt unterstrichene Linie oder ähnliches. Die Seitenzahl steht unten und außen. Ich benutze zum Beispiel am liebsten unlinierte Notizbücher der Firma Leuchtturm 1917 in der Größe Pocket, bei dem die Seiten schon vornummeriert sind. Das Datum schreibe ich in oder unter den Kasten der Überschrift. Enthält die Seite Aufgaben, dann zeichne ich oben in die äußere Ecke einen Kreis, in den ich einen Haken setze, wenn alles erledigt ist. Mehr braucht es eigentlich nicht. Du kannst alles natürlich auch ganz anders machen. Manche Leute benutzen Notizbücher mit vorbereiteten Bereichen, in die z.B. Stichwörter kommen. Ich markiere Stichwörter im Text, indem ich sie mit einem Leuchtfarbstift markiere. Ich nehme dazu Stabilo Greenlighter der den Textliner Dry von Faber-Castell.
7. Aufgaben solltest du so notieren, dass sie einfach zu erkennen und als „erledigt“ zu markieren sind.
Ich benutze zum Beispiel einen umkreisten Spiegelstrich für Aufgaben, die noch zu erledigen sind. Durch einen senkrechten Strich wird der Spiegelstrich schnell und einfach zum umkreisten Plus-Zeichen als Symbol für erledigte Aufgaben. Du kannst natürlich auch nur Spiegelstriche, Kreise oder Kästchen verwenden. Die Hauptsache ist: Es ist schnell zu notieren und zu erkennen. Meine Aufgabenliste führe ich allerdings zentral bei toodledo.com. Aufgaben, die ich nicht unmittelbar erledige, übertrage ich in diese digitale Aufgabenliste und markiere sie durch einen Schrägstrich als übertragen, aber noch nicht erledigt.
8. Auch im Notizbuch sagt ein Bild oft mehr als viele Worte.
Unter „Bild“ verstehe ich hier alle möglichen grafischen Zeichen: Kästchen, Kreise, Pfeile, Verbindungslinien und Symbole. Sehr nützlich ist dafür die Cluster-Methode von Gabriele L. Rico, die ich sehr oft für Notizen verwende. Aber auch für einfache Skizzen musst du nicht zeichnen können. So wenig wie es beim Notieren um schönes Formulieren geht, so wenig geht es beim Skizzieren um schöne Zeichnungen. Es soll nur ein Gedanke ansichtig, ein Zusammenhang angezeigt oder etwas Bemerkenswertes hervorgehoben werden. Im Englischen gibt es für solche Notizen sogar einen eignen Begriff: Sketchnotes. Dan Roam spricht von visuellem Denken und macht dies an einfachen Ideenskizzen auf Servietten deutlich. Servietten braucht aber nur, wer kein Notizbuch hat.
9. Nutze das kreative Potential des Zufalls.
Was im Notizbuch gesammelt und wie es verwendet wird entscheidet der Zufall, meint Michael Taussig: Es ist ein „vorläufige[s] Behältnis inspirierter Zufälligkeit“. In meinem Notizbuch stehen Einkaufslisten neben Exzerpten, Zitaten, Protokollnotizen und Predigtideen. Tatsächlich ist es rein zufällig, welche Aufzeichnungen nebeneinander notiert werden. Genau dieser Zufall kann aber wiederum produktiv genutzt werden, wenn eine Predigtidee, ein Zitat aus einem Buch und ein Gegenstand auf der Einkaufsliste plötzlich einen Zusammenhang bilden. Es ist das gleiche Phänomen, das Niklas Luhmann in der Arbeit mit seinem Zettelkasten beschrieben hat: aus zufälligen Kombinationen von Notizen entstehen neue Sinnzusammenhänge. Dieses Phänomen kannst du produktiv nutzen, indem du ganz bewusst deine Notizen durchblätterst. Noch besser ist es natürlich, die Notizen nicht im Notizbuch zu belassen, sondern in einen Zettelkasten einzupflegen.
10. Bewahre deine Notizbücher auf.
Sich überhaupt regelmäßig Notizen zu machen ist der erste Schritt in einer Notizstrategie. Umfassendere Notizstrategien musst du passend zu deinem persönlichen Arbeitsstil entwickeln. Auf jeden Fall sollte dazu aber gehören, dass du deine Notizbücher nummerierst und aufbewahrst. Du weißt nämlich nie, ob nicht ein Gedanke, den du zunächst als unwichtig verworfen hast, später zu einem Eckstein eines großen Gedankengebäudes werden kann. In alten Notizbüchern zu blättern ist genauso spannend wie Tagebucheinträge zu lesen: Vieles taucht wieder auf, was längst vergessen war. Immer wieder wirst du Überraschendes finden. Weitergehende Strategien können sein, bestimmte Notizen in einen Zettelkasten zu übertragen. Damit löst sich die Notiz aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang. Sie kann so in neue Zusammenhänge treten und neue, kreative Kräfte entwickeln. Wenn du die Seiten und deine Notizbücher nummerierst, kannst du Querverweise erstellen und auf Notizen zurückverweisen, wenn du sie in neuen Zusammenhängen verwendet hast. Ich verwende zurzeit noch das Zettelkasten-Programm von Daniel Lüdecke, das kostenlos unter zettelkasten.danielluedecke.de zu bekommen ist, bin aber gerade kurz vor dem Sprung zu connectedtext.com. [Ergänzung 30.5.2018: mittlerweise benutze ich ResophNotes als digitalen Zettelkasten und Notizbuch, sowie connectedtext als privates Wiki und Langzeitarchiv.]
Empfehlen für weitere Informationen kann ich notizbuchblog.de von Christian Mähler.
Empfehlenswerte Texte zum Thema sind (Notizbuch-Texte sind blau hervorgehoben):
Walter Benjamin: Ankleben verboten! In: Einbahnstraße, 17. Auflage, Frankfurt a.M: Suhrkamp Verlag 2001, S. 46-49.
Niklas Luhmann: Kommunikation mit Zettelkästen. Ein Erfahrungsbericht. In: Öffentliche Meinung und sozialer Wandel (hg. v. H. Baier, H. M. Kepplinger, K. Reumann), Opladen: Westdeutscher Verlag 1981, S. 222-228.
Walter Kröber: Kunst und Technik der geistigen Arbeit, Heidelberg: Quelle & Meyer 1950.
Christian Mähler: 25 Notizbuchregeln. Notizbücher einfach nutzen: ergänzt durch 10 Aufgabenregeln, neobooks Self-Publishing 2013.
Hanns-Josef Ortheil: Schreiben dicht am Leben. Notieren und Skizzieren, 1. Aufl., Mannheim: Bibliographisches Institut 2011.
Ann-Kathrin Rillox: Die Kunst ein Notizbuch zu führen: Wie du mit einem einfachen Werkzeug dein Leben organisierter, kreativer, produktiver und entspannter gestaltest, Hamburg: Kindle-Ebook, o.J.
Rico, Gabriele L.: Garantiert schreiben lernen. Sprachliche Kreativität methodisch entwickeln – ein Intensivkurs, Reinbek bei Hamburg 2004.
Dan Roam: Auf der Serviette erklärt. Probleme lösen und Ideen verkaufen mithilfe von Bildern, München: Redline-Verlag 2009.
Michael Taussig: Fieldwork Notebooks / Feldforschungsbücher. (dOCUMENTA (13), 100 Notizen – 100 Gedanken, No. 001), Ostfildern: Hatje Cantz 2011.
Matthias Thiele: Notizen. Zur Poetik, Politik und Genealogie der kleinen Prosaform ‚Aufzeichnung‘. In: Kulturen des Kleinen. Mikroformate in Literatur, Kunst und Medien, hrsg. von Sabiene Autsch, Claudia Öhlschläger und Leonie Süwolto, München: Fink 2014. S. 165-192.