Christlich Glauben heißt: Eine Antwort geben auf die Frage: Wer ist Jesus? – Für die ersten Christen galt es zu klären, inwieweit Jesus mehr ist, als ein normaler Mensch. Die klassische Antwort war, ihm bestimmte Ehrentitel zu geben, beispielsweise die Anrede und Bezeichung „Kyrios/Herr“. Damit wurde Jesus nicht zum übermenschlichen Wesen, aber zu einem Menschen, der das Normale überschreitet.
Zwei Ehrentitel sind von besonderer Bedeutung: „Christus/Messias“ (vgl. #3) und „Sohn Gottes“. Wie der Titel „Christus/Messias“ lässt sich auch „Sohn Gottes“ als Königstitel verstehen. In den Texten des Alten Testaments taucht die Redeweise in unterschiedlichen Zusammenhängen auf: Die „Söhne Gottes“ sind Teil des himmlichen Hofstaates und können Untergötter oder Engelswesen sein, während der „Sohn Gottes“ den König bezeichnet. Weil die Propheten die realen Könige für soziale und religiöse Missstände verantwortlich machten, richtete sich ihre Hoffnung auf ein künftiges Königreich, in dem ein würdiger Messias ein Reich unter der Herrschaft Gottes aufrichten wird.
Paulus kannte als gebildeter Schriftgelehrter diese Tradition und hat Jesus von Nazareth vor diesem Hintergrund als Messias und Gottesohn verstanden. Andere, insbesondere die griechisch sprechenden Heidenchristen, verstanden diesen Ehrentitel allerdings wortwörtlich. Der Mensch Jesus von Nazareth wurde dadurch zu einem Wesen von göttlicher Abstammung. Die Evangelisten versuchen dies unterschiedlich zu erklären: bei Markus wird Jesus zum Gottessohn durch Akklamation, bei Lukas und Matthäus durch einen göttlichen Zeugungsakt, bei Johannes ist Jesus als Gotteswort schon vor der Zeit Teil Gottes. Bei Paulus wird Jesus durch die Auferstehung als „Sohn Gottes“ eingesetzt (Röm 1,14). Das Konzil von Chalcedon bringt im fünften Jahrhundert die Spannung zwischen normalem Mensch und göttlichem Wesen durch die mysteriöse Formel auf den Punkt: Jesus ist „wahrer Mensch und wahrer Gott“. Christlich Glauben heißt, sich eine Lesart von „Christus“ und „Sohn Gottes“ zu eigen zu machen (vgl. #21,#33).