An Liedtexten schrauben

Was schwarz auf weiß im Liederbuch vor einem liegt, scheint erstmal wie in Stein gemeißelt. Aber die Zeiten ändern sich und Lieder, die einmal gut passten, wirken irgenwann vielleicht doch deplaziert. Es spricht deshalb einiges dafür, manchmal Texte weiter-, um- oder fortzuschreiben.

„Ja, Gott hat alle Kinder lieb“ sollte im vergangenen Jahr eine Hymne für unser Pfingst-Zeltlager werden. Das Zeltlager stand nämlich unter dem Motto „In 80 Stunden um die Welt“. Das Lied ist eingängig und recht bekannt – ich habe es als Kind schon gesungen. Als der Text von Margret Birkenfeld 1975 erstmals publiziert wurde, war ich acht Jahre alt. Ich wusste noch: Es geht darum, dass die Kinder auf den verschiedenen Kontinenten zwar sehr unterschiedlich, aber alle eingeschlossen sind in Gottes Liebe.

Beim Erstellen der Liederzettel kamen uns dann aber Zweifel: Klar, das Lied meint es gut, aber schrammt es nicht haarscharf an rassistischen Klischees entlang? Man mag es für eine übertriebene Reaktion halten, wenn im Kindergarten Kindern das Verkleiden als Indianer verboten wird, aber dass Chinesenkinder Zöpfe und spitze Hüte tragen, schwarze Kinder blitzeweiße Zähne haben und „Zigeunerkinder“ von Ort zu Ort ziehen – entspricht das auch nur entfernt Bildern und Vorstellungen, die wir in einem kirchlichen Zeltlager weitergeben wollen?

Manche neuere Liederbücher verzichten denn auch auf die Strophen und drucken nur den Refrain ab. Im beliebten Liederbuch „Lieder zwischen Himmel und Erde“ von 2008, das in unserer Gemeinde im Einsatz ist, sind aber die Strophen vollständig vorhanden. Thomas Ebinger, den offenbar ähnliche Skrupel plagten, hat in seinem Blog ein paar umgedichtete Strophen veröffentlicht, um das Lied weiter singbar zu halten. Ein paar Kommentatoren haben eigene Vorschläge beigesteuert, andere formulieren ihr Unverständnis für soviel political correctness bei einem harmlosen Kinderlied. Ich war letztes Jahr mit den dort angebotenen Strophen aber nicht so recht zufrieden und habe mich gefragt: Würde Margret Birkenfeld heute nicht auch andere Strophen dichten? Aber die Zeit drängte, der Liederzettel musste fertig werden, ich habe schnell ein paar Verse aufs Papier geworfen und das Ergebnis ebenfalls in Thomas Ebingers ebiblog als Kommentar veröffentlicht.

Die grundsätzliche Frage beschäftigt mich schon lange. Wieviele schöne, bekannte, gut singbare Choräle gibt es, bei denen es mich spätestens bei der dritten Strophe graust? Zum Teil liegt es an der Theologie der Texte, zum Teil an der Sprache, zum Teil an holprigen Versen. Manchmal passen auch einfach Liedwünsche von Trauerfamilien und Brautpaaren nicht zum Anlass. Ich habe mittlerweile eine ganze Sammlung von „Danke“-Varianten, die ich hemmungslos verwende, re-mixe und umschreibe. Es gibt schöne Choral-Text-Variationen von Gerhard Schöne und Peter Spangenberg, die nicht nur gut singbar sind, sondern mir auch theologisch angemessener erscheinen.

Für eine Reihe von Liedern habe ich mittlerweile selbst Varianten verfasst. Das fing mit kleinen Eingriffen an. So störte mich im beliebten Kindergottesdienstlied „Segne uns mit der Weite des Himmels“ an zwei Stellen das holprige Metrum, bei dem auch die Schülerinnen und Schüler nebst Eltern gerne ins Stolpern kommen. In der zweiten Strophe heißt es z.B. “ segne uns mit der Kraft der Tiere“, wo die einen „Kra-h-aft der“ und die andern „Kraft de-h-er“. Warum nicht eine Silbe einfügen? „Segne uns mit der Stärke der Tiere“. Das passt rhythmisch besser und ändert nicht den Sinn. In der dritten Strophe wiederum habe ich bei “ segne uns mit den Geschichten der Alten“ eine Silbe gestrichen, dann passt es ebenfalls: „segne uns mit Geschichten der Alten“.

Zu „Go, tell it on the mountains“ habe ich hier im Blog bereits eine deutsche Version des Weihnachtsliedes veröffentlicht. Auf deutsch bekannt ist sonst das Abendmahlslied „Komm, sag es allen weiter“ von Friedrich Walz aus dem Jahr 1964, das sich Brautleute gerne wünschen, weil sie es kennen – auch wenn gar kein Abendmahl gefeiert wird. In dem Lied habe ich die 2. und 3. Strophe neu gefasst, während Refrain und 1. Strophe bei der Walz-Fassung bleiben:

2. Wir haben sein Versprechen:
Er wird stets bei uns sein.
Das wird er niemals brechen,
es gilt jahraus, jahrein.

3. Gott tritt an unsre Seite
und reicht uns seine Hand,
dass er uns treu begleite
in das verheißne Land.

Bei Beerdigung wiederum wird gern der Reisesegen „Möge die Straße uns zusammenführen“ (von Markus Pytlik) gewünscht. Das Lied passt manchmal ganz gut, machmal gar nicht. Auch da ist das Metrum zuweilen holprig: In der zweiten Strophe zum Beispiel passt statt des originalen“ Führe die Straße, die du gehst“ metrisch besser „Führe die Straße, die du weiter wanderst“. Aber auch inhaltlich fügt das Lied sich nicht unbedingt immer in eine Trauerfeier. Für eine Trauerfeier, die sich an Psalm 91,11 anlehnte, habe ich darum eine Variante mit Engeln geschrieben (der Refrain bleibt beim Original):

1. Mögen die Engel dich auf Händen tragen.
Du wirst stets in unsren Herzen sein.
Möge dein Ziel in Gottes Armen liegen.
Gehe dort in seinen Frieden ein.

Refr.: Und bis wir uns wiedersehen,
halte Gott dich fest in seiner Hand;
und bis wir uns wiedersehen,
halte Gott dich fest in seiner Hand

2. Bis wir uns einst im Himmel wiedersehen,
mögest du in Gott geborgen sein;
Ruhe dort sanft in seinen starken Händen.
Liebe wärme dich wie Sonnenschein

In früheren Zeiten, als es noch kein Copyright gab und Texte zuweilen mündlich oder handschriftlich tradiert wurden, scheint die Bereitschaft, in Texte einzugreifen, größer gewesen zu sein, als heute – aber ganz so verhält es sich nicht. Das Evangelische Gesangbuch (EG) hat einige Texte anders abgedruckt, als das ältere Evangelische Kirchengesangbuch (EKG), und das katholische Gotteslob enthält zum Teil andere Versionen als das EG. Texte sind nicht sakrosankt und Tradition fortführen kann oft heißen, überlieferte Texte so zu verändern, dass sie weiter gesungen werden können. Manchmal verändern sich die Zeiten, so dass man irgendwann man irgendwann sogar ältere Formen wieder entdeckt, wie z.B. beim Weihnachtslied „Stille Nacht“, das im längeren Original viel herber ist als in seiner süßliche Verkürzung

Im vergangenen Jahre habe an „Ja, Gott hat alle Kinder lieb“ weiter geschraubt. Die Version, ich die ich im Kommentarbereich bei Thomas Ebinger gepostet hatte, war ja eher eine unter Zeitdruck entstandene Rohfassung. Mittlerweile sieht das Lied wieder etwas anders aus. Und sicher schraube ich bei Gelegenheit nochmal dran rum. Der Refrain ist noch von Margret Birkenfeld. Vielleicht sind die Strophen ja so ähnlich, wie die Autorin sie 2019 schreiben würde.

Refr.: Ja, Gott hat alle Kinder lieb,
jedes Kind in jedem Land.
Er kennt alle unsre Namen, alle unsre Namen,
hält uns alle, alle in der Hand.

1. Europa ist im Süden warm,
im Norden trüb und kalt.
Doch macht das nichts, wir mögen das
und sind total verknallt.

2. Bei uns in Grönland ist es kalt.
Es gibt viel Eis und Schnee.
Doch dass der Weihnachtsmann hier wohnt,
das ist nur ein Klischee.

3. In China essen wir gern Reis
und trinken grünen Tee.
Mit Stäbchen essen ist nicht schwer,
das geht auch mit Püree.

4. Australien ist ein Kontinent.
Hier lebt das Känguru.
Ich lebe gern hier, freue mich
und spiel Didgeridoo.

5. Bei uns im weiten Afrika,
da scheint die Sonne heiß.
Es gibt hier Löwen, Zebras, Gnus,
doch ich will Himbeereis.

6. Ich leb in Südamerika
im feuchten Tropenwald,
es ist sehr warm und regnet viel,
ist aber selten kalt.