Aus einer kleinen Sensation wurde ein großer Skandal: 1890 tauchte in Bevergern, einem kleinen Ort zwischen Ibbenbühren und Rheine, 50 km nördlich von Münster gelegen, ein altes Andachtsbuch auf. Der Bevergerner Gastwirt Engelbert Korte hatte um 1870 das Gasthaus Klosterhof übernommen, das einst das Stadthaus der Stiftschwestern aus dem ehemaligen Kloster Gravenhorst gewesen war. In einem Geheimfach eines Möbelstücks aus dem Bestand der Stiftsschwestern fand Korte ein altes Buch: Die Buchdeckel des 1kg schweren Bandes waren aus Silber, mit Elfenbeintafeln besetzt, der mit Silber verzierte Buchrücken trug den Titel „Leyden Christi“, Bilder und Texte waren in silberne Blätter eingeätzt. Datiert war das Prachtstück auf das Jahr 1522. Ein Student, dem der Wirt bei einem Besuch den Fund gezeigt hatte, erahnte einen großen Wert. Er brachte das Buch nach Münster, um es dort der Öffentlichkeit vorzustellen und das Buch zu verkaufen.
Da sich auf dem Buch der Schriftzug Martin Luther fand (nach anderen Quellen nur die Initialen „M.L.“), nahm man an, dass es sich bei dem Buch um ein persönliches Andachtsbuch Martin Luthers handelte. Luther soll das Buch 1525 von Kurfürst Joachim I. von Brandenburg geschenkt bekommen haben. Fachleute und Kunstfreunde aus aller Welt reisten an, um den sensationellen Fund zu bestaunen, der im Münsterschen Hof am Alten Steinweg präsentiert wurde. Interessierte Käufer boten bis zu 10.000 Mark.
Allerdings gab es bald Zweifel an der Echtheit des Buches. Die Fachleute waren sich jedoch uneinig und stritten in der Presse öffentlich über die Frage, ob es sich bei dem Buch um eine Fälschung handelt oder nicht. So zweifelte Joseph Wormstall, Lehrer am Gymnasium Paulinum, aufgrund der Beschriftung eines Stichs in dem Buch die Echtheit an. Der Schwindel flog letztlich auf, als Karl Flüthe, ehemaliger Lehrling des Münsteraner Graveurmeisters Carl Ludwig Heck, ausplauderte, dass er selbst an dem Buch mitgearbeitet hatte. Graveur Heck war ein Cousin des Gastwirts aus Bevergern und hatte sich die Geschichte mit dem Fund im Geheimfach ausgedacht. Um das Buch künstlich zu altern, sollen die beiden das Buch monatelang über einer Jauchegrube aufgehängt haben.
1891 wurde die beiden Fälscher und Betrüger zu einer Geldstrafe und neunmonatiger Haft verurteilt. Das Buch selbst verschwand in der Asservatenkammer des Provinzialvereins für Wissenschaft und Kunst, aus dem später das LWL-Museum für Kunst und Kultur hervorgegangen ist. Eine zeitlang wurde angenommen, das verschollene Buch sei in seine wertvollen Einzelteile zerlegt worden, aber 2006 fand der Bevergerner Heimatforscher Robert Eickel, der den Spuren der kleinen Kriminalgeschichte gefolgt war, das Buch im Archiv des LWL-Museums wieder. Es war dort unter „Von dem leyden Christi. Ein Sermon von der betrachtung des heyligen leidens Christi. D. M. Luther“ ordentlich inventarisiert und archiviert worden. 2008 wurde die Geschichte über das Lutherbuch von Münster als regionale Kriminalposse vom Historischen Theater Bevergern am Tatort Klosterhof auf die Bühne gebracht.