“Ich denke tatsächlich oft mit der Feder”, notierte Wittgenstein einmal. Er ist nicht der einzige, der den Zusammenhang von Schreiben und Denken so oder ähnlich beschreibt. In meiner eigenen Schreiberfahrung finde ich mich darin gut wieder. Ulrike Scheuermann hat diese Erfahrung als Konzept des Schreibdenkes für die Hochschuldidaktik ausgearbeitet. Sie beansprucht damit nicht, etwas völlig Neues in die Schreibdiskussion einzubringen, aber ihr Ansatz gibt gute methodische Hinweise zum Schreibprozess beim Verfassen nicht-fiktionaler Texte. Der Prozess lässt sich auch gut auf die Predigtvorbereitung übertragen.
„Schreibend denken“ weiterlesenIns Labyrinth der Zettel
Zettelkästen sind für viele, die schreiben, eines der wichtigsten, kreativen Werkzeuge. Eine Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach erlaubt im Jean-Paul-Jahr 2013 einen Einblick in die sonst verschlossenen Zettelwelten, denn in der Regel findet sich im Labyrinth der Zettel nur der zurecht, der es angelegt an. Wem die Reise an den Neckar zu weit ist, kann sich an einem großartig gestalteten Katalog erfreuen, der gerade erschienen ist. Neben einem 163-seitigen Textteil gibt es einen rund 220-seitigen Bildteil, der einen guten Einblick gibt in die Vielgestaltigkeit von Zettelkästen. Allein das Stöbern darin ist eine große Freude.
„Ins Labyrinth der Zettel“ weiterlesenNicht wirklich spannend
Eine „Methodenlehre der Spannung“ verspricht Herausgeber Hanns-Josef Ortheil in seinem Vorwort zu Christian Schärfs „Spannend schreiben“. Der Untertitel verrät: Im fünften Band der DUDEN-Reihe „Kreatives Schreiben“ geht es um Krimis, Mord- und Schauerromane. Charakteristisch für die ganze Buch-Reihe ist der Versuch, in die Schreibwerkstätten ausgewählter Schriftsteller zu führen, um dort Anregungen für das eigene Schreiben zu bekommen. Das hatte bislang durchaus seinen Charme, tendiert in „Spannend schreiben“ aber stark zu einem germanistischen Proseminar. Auch wenn bei Schärf einige interessante Überlegungen zu finden sind – gemessen an dem Versprechen, eine „Methodenlehre der Spannung“ vorzulegen, muss das Buch enttäuschen.
Schärf nähert sich dem Begriff der Spannung auf rezeptionsästhetische Weise: Statt zu versuchen, einen allgemeinen Begriff von Spannung vorzulegen, schlägt Schärf vor, Spannung zu verstehen als „ein Phänomen, das zwischen den Akten der Herstellung eines Textes einerseits und seiner Wahrnehmung bei Lesern andererseits liegt“ (S. 10). Das Kapitel über die „Erschaffung des Lesers“ (S.119ff) gehört daher zu den interessantesten Abschnitten des Buchs. Die Kunstfertigkeit des Krimi-Autors liegt für Schärf letztlich nicht in der Verwendung literarischer Tricks der Spannungserzeugung, sondern in der „Einbindung des Lesers in die Aufklärungsarbeit“ (S. 121). Das wichtigste Instrument ist dabei die „Aussparung“ (S. 12) und die „Zurückhaltung von Information“ (S. 121): „Was wir als ‚spannend schreiben’ bezeichnen, hängt davon ab, inwieweit es dem Autor gelingt, einen Leser zu schaffen, der seine eigenen Projektionen und Hypothesen auf die Handlung bezieht und damit eine Identifikation mit dem Verbrechen und seiner Vor- und Nachgeschichte herstellt.“ (S. 123)
Das Phänomen Spannung äußert sich darin, dass ein spannender Text die Aufmerksamkeit des Lesers bindet. Das geschieht nicht einfach so: Solche „Spannung muss … erzeugt werden“ (S. 11), und zwar indem der Stoff, aus dem eine Geschichte besteht, dramatisiert wird. Das gelingt am einfachsten dadurch, dass der Autor Informationen zurück hält. Im Englischen steht dafür der Begriff der Suspense, den Schärf nicht ganz zutreffend als „Aufschub“ übersetzt. ‚To keep somebody in suspense’ bedeutet aber eher, jemanden in Ungewissen lassen bzw. auf die Folter zu spannen – in diesem Fall: den Leser. Auch wenn Schärf sich etwas unklar ausdrückt, meint er aber genau das.
Die Kernfrage ist dann also, wie es einem Autor gelingt, seinen Leser dazu zu bringen, sich auf die Folter spannen zu lassen. Auf diese Frage sollte eine Methodenlehre der Spannung Antwort geben – und genau hier setzt die Enttäuschung über das Buch ein: Auch wenn es durchaus gute methodische Hinweise gibt, mangelt es doch an einer systematischen Entfaltung. Das liegt meines Erachtens vor allem an Schärfs Grundannahmen und der Grundkonzeption des Buches.
Zweifellos interessant sind die Hinweise zum dem, was Schärf „Antizipation der Bedrohung“ (S. 20) nennt und die Überlegungen zur „Gestaltung von Zonen der Angst“ (S. 46). Es ist konstitutiv für die Angst im Unterschied zur Furcht, dass sich die Angst auf eine mögliche Bedrohung richtet. Diese Bedrohung anzudeuten, ihre Konkretion aber zu verzögern, schafft eine spannungsvolle Atmosphäre, die schrittweise aufzubauen ist: im einem zunächst gefahrlosen Raum gibt es erste Anzeichen einer Bedrohung, dies sich erst allmählich manifestiert und sich schließlich als echte Gefahr zeigt: im Schauerroman als übermenschliche Bedrohung, im Kriminalroman als unmenschliche. Die diffuse Angst schlägt in Frucht und Grauen um. Ein wichtiges Mittel ist dabei die Darstellung der Orte und Rahmenbedingungen als „Angstzonen“. Beides kann man sich sehr gut am Beispiel eines Films wie „Alien“ deutlich machen: in dem Science-Fiction-Film ist das Alien im überwiegenden Teil des Filmes gar nicht zu sehen; zur klaustrophobischen Atmosphäre trägt vor allem die Darstellung des Raumschiffs bei. Christian Schärf führt die klassische Verwendung dieser Stilmittel an Beispielen von Edgar Allan Poe, Bram Stoker und E.T.A. Hoffmann vor.
Die Grundannahme jedoch, dass das Phänomen der Spannung „keine empirisch zu bestimmende materielle Basis aufweist“ (S. 10) führt Schärf zu einer (durchaus begründeten) Skepsis gegenüber Patentrezepten der Spannung. Schärfs These von der Erschaffung des Lesers hebt ja zu Recht hervor, dass nicht jeder Leser sich von einem Text gefangen nehmen und auf die Folter spannen lässt. Der Autor kann im Einsatz seiner Spannungsmittel scheitern. Deshalb aber zum Beispiel ein beliebtes Mittel wie cliffhanger nur begrifflich zu erwähnen (vgl. S. 119), ohne das Mittel selbst vorzustellen, ist ein Manko. Ja, der übermäßige Gebrauch der Methode, ein Kapitel auf dem Höhepunkt der Spannung abzubrechen und verzögert fortzusetzen, ist auf Dauer einfallslos und ermüdet bald. Das zeigen zum Beispiel die Romane von Dan Brown, die fast nur mit diesem Mittel arbeiten. Trotzdem haben die Bücher ein Millionenpublikum gefesselt. Wer Alwin Fills sprachwissenschaftliche Analyse „Das Prinzip Spannung“ liest, wird auf eine verwirrende Vielzahl von empirisch bestimmbaren Elementen der Spannung auf allen Ebenen der Sprache stoßen: Kein Element muss, aber jedes einzelne kann Spannung erzeugen. Für eine Methodenlehre der Spannung wäre es eigentlich notwendig, die für die Praxis des kreativen Schreibens relevantesten Aspekte darzustellen. Das kommt in Schärfs Buch zu kurz.
Auch die Grundkonzeption mündet letztlich in eine Enttäuschung. Christian Schärf bezieht spannendes Schreiben ausschließlich auf Schauer- und Kriminalgeschichten. Seine plausibel ausgeführte These ist, dass sich der moderne Kriminalroman aus der gothic novel des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Den Prozess dieser Entwicklung zeichnet er nach, indem er zunächst Grundelemente der Angstspannung in der Schauerliteratur darstellt, und dann über die Erfindung der Detektivfigur und der Rätselspannung zu zeitgenössischen Thrillern gelangt. Schärfs Analysen sind interessant zu lesen und im Detail durchaus aufschlussreich. Spannend schreiben bedeutet aber mehr als Krimis zu schreiben. Auch ein Liebesroman lebt von der Spannung der Ungewissheit, ob sich die beiden am Schluss kriegen oder nicht. Das kann spannend sein „wie ein Krimi“. Auch mein „Alien“-Beispiel zeigt: Spannung gibt es nicht nur im Krimi. Es spricht natürlich nichts dagegen, Spannungsliteratur vorwiegend auf den Kriminalroman zu beziehen und exemplarisch vorzuführen. Eine Methodenlehre des spannenden Schreibens sollte aber ansetzen bei der allgemeineren Frage, welche erzählerischen Mittel zur Spannung einer Geschichte beitragen.
Wer nun wiederum denkt, er bekäme zumindest Hinweise zur Konstruktion einer Kriminalgeschichte wird ebenfalls enttäuscht sein. Im Kapitel zum Plotting (S. 92ff) findet man gerade keine Methoden zur Herstellung eines Plots, also eine Handlungslinie, sondern nur die Entfaltung zweier spezifischer Plotstrukturen: der Reise und des Wettstreits. Die Überlegungen zum Krimi als Reise in eine labyrinthische Struktur, die der Detektiv erkunden und entwirren muss (wie im klassischen Detektivroman) und der Krimi als Wettstreit zwischen Täter und Ermittler (etwa im Genre der Serienmördergeschichten) sind kenntnisreich geschrieben und interessant zu lesen. Auf die entscheidende Frage, wie man ein kriminalistisches Rätsel und Labyrinth entwirft, in das man Detektiv und Leser dann schickt, gibt Schärf aber keine Antwort.
Da helfen auch die Schreibaufgaben nicht weiter. Sie fordern zuweilen im Stile von schulischen Klausuraufgaben zur Analyse klassischer Texte auf oder ermuntern zur Imitation eines Stils bzw. die Verfassung von Pastichen. Im Unterschied zu früheren Bänden der DUDEN-Reihe finden sich in den Schreibaufgaben aber kaum methodische Bündelungen von Schreibverfahren exemplarisch vorgestellter Autoren.
Fazit: Eine „Methodenlehre der Spannung“ ist Christian Schärfs Buch „Spannend schreiben“ also nicht. Die Ausführungen sind zwar informativ und die Analysen können überzeugen, aber es fehlen grundsätzliche Überlegungen zu dem, was Texte und Geschichten – jenseits von Krimi und Grusel – spannend macht. Andererseits bietet das Buch auch kein spezifisches Handwerkzeugs zum Entwickeln eines Krimi-Plots. Die Stärken des Buches liegen darum eher in der Reflexion auf einige Grundlagen der klassischen Kriminalliteratur, weniger in der praktischen Anregung zum kreativ-spannenden Schreiben. Obwohl die als „Schreibverführer“ beworbenen Bücher gerade das versprechen. „Spannend schreiben“ löst dieses Versprechen nicht ein.
Christian Schärf: Spannend schreiben. Krimi, Mord- und Schauergeschichten, , 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2012. ISBN 978-3-411-75436-6| 14,95 € | 157 S.
Philosophische Hexenküche
„Creative Thinking“ ist in Aufmachung, Anspruch und Umfang eng an Werders „Brainwriting & Co“ angelehnt. Hier wird dort geht es darum, Schülern und Studenten ein kleines Methodenkompendium an die Hand zu geben, um Aufgabenstellungen selbstständig bearbeiten zu können. Was bei „Brainwriting & Co“ aber gut gelingt, endet bei „Creative Thinking“ in einer methodologischen Hexenküche: Wie ein Alchemist schleicht Werder durch die Philosophiegeschichte, sammelt Sätze und bekannte Zitate, die er erbarmungslos zerstückelt und zu einem undefinierbaren Sud verkocht. Die Rezepte zum Nachkochen findet man dann in Creative Thinking. Den Stein der Weisen erzeugt man so sicher nicht.
Werder, der sich im letzten Jahrzehnt verstärkt mit praktischen Fragen des Philosophierens und der sog. philosophischen Lebenskunst befasst hat, verwechselt die methodischen Elemente des Philosophierens mit dem methodischen Spiel, das für kreatives Arbeiten unerlässlich ist. Heraus kommt dabei eine völlige Verflachung wichtiger methodischer Ansätze in der Philosophie, die entweder nichtssagend ist oder unfreiwilllig komisch. Die Methode der Wittgensteinschen Sprachanalyse beschreibt Werder beispielsweise als Dreischritt von Verwirrung, Klärung und Klarheit und gibt dann dazu die Übungsanleitung: „Beschreiben Sie zuerst Ihre Verwirrung angesichts der ersten Formulierung ihres Themas. Beschreiben Sie Ihre Erfahrung mit vielen Reformulierungsversuchen Ihres Themas. Stellen Sie fest. Ob Sie sich auf der 3. Stufe nun besser fühlen und das Problem verschwunden ist.“ (87)
Dabei sind die Übungen oft gar nicht so schlecht und an vielen Punkten sicher hilfreich für die eigene Arbeit: Würde nicht Werder durch die Verbindung mit den Namen berühmter Denker den Eindruck einer elementarisierten philosophischen Propädeutik erwecken. Hätte sich Werder darauf beschränkt, kreative Denkmethoden als Schritt-für-Schritt-Anleitungen aufzubereiten, dann hätte Creative Thinking eine gute Ergänzung zu „Brainwriting & Co“ ergeben können.
Fazit
Wer von Creative Thinking eine praktische Einführung ins philosophische Denken erwartet, sollte die Finger davon lassen: Wer „Brainwriting“ kennt, wird in methodischer Hinsicht enttäuscht sein. Wer einigermaßen mit philosophischem Handwerkszeug vertraut ist, wird sich aber zumindest über die unfreiwillige Komik der Darstellung amüsieren können. Anschaffen kann sich das Buch, wer 10 € entbehren kann und – z.B. als Lehrer – auf der Suche nach einfachen Aufgabenstellungen ist.
Werder, Lutz von: Creative Thinking – Die Ideefabrik. Die effektivsten Denkmethoden großer Philosophen für Schule, Studium und Beruf, Berlin und Milow 2003.
ISBN 3-933978-79-3 |10 € |164 Seiten
Grundmethoden – schnörkelos erklärt
Kurz und schnörkellos stellt Lutz von Werder in Brainwriting & Co Grundmethoden des kreativen Schreibens v.a. non-fiktionaler Texte vor. Jedes Kapitel ist mit einer Einführung, erläuternden Grafiken und Übungen versehen. Übersichtlicher und bündiger geht’s kaum noch. Dabei sind die Erläuterungen so präzise gefasst, dass trotz der Knappheit alles notwendige behandelt wird.
Obwohl sich das Buch laut Untertitel an Schüler und Studenten wendet, ist der Adressatenkreis größer: Neben Lehrern und Dozenten werden alle beruflich Schreibenden von den vorgestellten Methoden profitieren. Das gilt insbesondere für Prediger. Wer noch nie mit den vorgestellten Methoden gearbeitet hat, wird gut eingeführt. Wer schon einige Erfahrung hat, wird das schmale Buch als Handbuch zu schätzen wissen.
Natürlich sind die Methoden prinzipiell auch für das Schreiben fiktionaler Texte zu gebrauchen und zum Teil dafür entwickelt. Dies tritt hier aber hinter den erklärten Zweck zurück, kreative Methoden für ein Lernumfeld vorzustellen.
Die Methoden sind in zwei Gruppen aufgeteilt:
„Befreiende Schreibmethoden“ (Free- und Brainwriting, automatisches und meditatives Schreiben, Clustering, MindMapping)
und „geregelte Schreibmethoden“ (Journalschreiben, autobiografisches, rhetorisches und metaphorisches Schreiben, Modelling).
Fazit
Eine hervorragende, praxisorientierte Einführung in das kreative Schreiben non-fiktionaler Texte. Die ausgewählten Methoden sind Grundmethoden für ein kreatives Arbeiten in unterschiedlichen Zusammenhängen. Prediger/innen, die nach einer verständlich geschriebenen Einführung suchen, die schnell auf den Punkt kommt und für die alltägliche Praxis relevant ist, sei dieses Buch ausdrücklich empfohlen.
Werder, Lutz von: Brainwriting & Co. Die 11 effektivsten Methoden des kreativen Schreibens für die Schule und das Studium, Berlin 2002.
ISBN 3-928878-83-2 – 10 € | 170 S. [Amazon-Link]
Ein weites Feld
Lutz von Werders Lehrbuch ist ein umfassendes Kompendium zum kreativen Schreiben. Der Autor will mehrere Zielgruppen ansprechen: Interessenten am Kreativen Schreiben ohne jede Vorkenntnisse ebenso wie (Fern?)Studenten, Leiter von Schreibgruppen ebenso wie deren Teilnehmer. Es dürfte schwierig sein, alle diese Zielgruppen zu befriedigen. Meine Einschätzung ist: Das Lehrbuch richtet sich vorwiegend an jene, die selbst zu Methoden des kreativen Schreibens anleiten wollen, etwa im schulischen Unterricht, in Schreibkursen oder der Erwachsenenbildung. Hierfür ist es ein unentbehrliches Handbuch.
Das Lehrbuch führt in theoretische und praktische Konzeptionen ein und ist dabei so übersichtlich gestaltet, dass es als wissenschaftliche Einführung, Nachschlagewerk und Ideebörse genutzt werden kann. Wer sich schon einige Zeit mit der Praxis des Schreibens befasst und sein wissen vertiefen möchte, findet hier ausführliches Lehr- und Studienmaterial. Wer aber ganz unbedarft eine praktische Anleitung sucht, wird vermutlicht enttäuscht sein. Dafür sind die praktischen Anleitungen – auch wenn sie zahlreich sind – zu knapp und die theoretischen Ausführungen zu detailliert.
Teil I des Lehrbuches führt in die Geschichte und theoretischen Hintergründe der unterschiedlichen Konzeptionen Kreativen Schreibens ein. Dabei wird schnell deutlich, dass Werders Sympathien der „neuen deutschen Schreibbewegung“ gelten. Das führt im gesamten Lehrbuch dazu, dass ihm ein – im negativen Sinn – sozialpädagogischer, therapeutischer und psychologistischer Impetus zu eigen. Ein Schuss Pragmatismus des Creative Writing hätte dem Lehrbuch gut getan. Allerdings ist der Autor ja auch Dozent an der Berliner Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Wer sich aber von dem Jargon nicht stören lässt, wird mit einer guten Darlegung der unterschiedlichen Ansätze belohnt. Insbesondere die jeweils kurzen Darstellungen einzelner Kreativitäts- und Schreibmethoden sowie die Einführung in komplexere Schreibprozesse und -projekte sind gut und übersichtlich geraten. Sie machen einen Großteil des ersten Teils aus und allein deshalb lohnt die Anschaffung des Buches. Denn eine vergleichbare Zusammenstellung gibt es im deutschsprachigen Raum nicht.
Besonders gut gefällt mir, dass sich Werder dabei nicht ausschließlich auf Lyrik und fiktionale Prosa beschränkt, sondern auch das non-fiktionale Schreiben einbezieht. Denn gerade das scheint mir ein Manko der deutschen Schreibbewegung zu sein: Dass sie diesen Bereich eher vernachlässigt hat. Werder räumt ihm zwar keinen großen Raum ein und seine Ausführungen zum philosophischen Schreiben sind eher problematisch – aber Werder nimmt das Problemfeld in den Blick. Er macht damit deutlich, dass auch das non-fiktionale Schreiben für kreative Ansätze offen ist.
Teil II des Buches widmet sich umfassend der „Poesiepädagogik“. Hier findet der Schreiblehrer theoretische Analysen der Schreibpraxis und pragmatische Hinweise zur Anleitung von Schreibgruppen und Durchführung von Schreibseminaren. Die Darstellung ist profund und praxisorientiert. Es ist eine Stärke des Lehrbuches, dass es die pädagogischen Chancen, die in den kreativen Schreibmethoden stecken, deutlich aufzeigt. Wünschenswert wäre allerdings, wenn der zweite Teil des Lehrbuches zumindest am Rande auf den unterrichtlichen Einsatz eingehen würde. Zwar lassen sich viele der Ausführungen problemlos auf die Unterrichtspraxis übertragen, aber das Problem von Schreibhemmungen ist beispielsweise im Unterricht anders gelagert als in Gruppen von Erwachsenen, die sich zum Schreiben und zum Austausch über das Geschriebene treffen.
Fazit
Wer sich ausführlich mit Hintergründen und Methoden des Kreativen Schreibens auseinander setzen will oder Methoden des kreativen Schreibens in der eigenen, pädagogischen Arbeit einsetzen will, für den ist die Anschaffung dieses Buches beinahe Pflicht. Als Einstieg ist das Buch aber nicht zu empfehlen. Gewöhnungsbedürftig ist die zuweilen jargonhafte Sprache Werders. Aber wer sich daran nicht stört, findet ein solides Lehrbuch vor, bei dem allein die Fülle des Materials konkurrenzlos ist.
Werder, Lutz von: Lehrbuch des kreativen Schreibens, 4. Aufl., Berlin 2001.
ISBN 3-928878-05-0 | 23,50 €
Übersicht über den Aufbau des Buches:
1. Teil: Das poetische Feld
A. Das Kreative Schreiben (S. 23-70)
B. Techniken und Methoden des kreativen Schreibens (S. 71-99)
C. Szenarien des kreativen Schreibens (S. 101-289)
D. Beispieltexte des kreativen Schreibens (S. 290-308)
2. Teil: Die Praxis der Poesiepädagogik
A. Empirische Grundzüge der Poesiepädagogik (S. 311-333)
B. Theorie der Poesiepädagogik (S. 334-391)
C. Empirische und theoretische Aspekte der Poesiegruppenpädagogik (S. 392-464)
D. Anleiter und Teilnehmer des pädagogischen Feldes (S. 465-496)