Zettel nummerieren

Wer einen Zettelkasten führt, wird in der Regel die Zettel einfach durchnummerieren: 1, 2, 3, 4, … Das geht, keine Frage, unendlich weiter. Will man später einen Zettel nachträglich einfügen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, aber am Einfachsten ist sicher, den Zahlen Buchstaben anzuhängen. So hat es z.B. Niklas Luhmann gemacht: 1, 1a, 1b, 2 … etc. Später kann man noch an 1a den Zettel 1a.1 anhängen so weiter unendlich verzweigen. Der Kasten wächst nach außen wie nach innen.

Soweit, so gut. Wer seinen Zettelkasten digital führen will, findet in Daniel Lüdeckes „Zettelkasten„-Programm eine geniale, weil einfache, aber effektive Umsetzung dieses Prinzips. Der digitale Zettelkasten ist einfach zu bedienen und erlaubt bei relativ geringem Arbeitsaufwand schnell von den großen, kreativen Möglichkeiten des Zettelkastens zu profitieren. Hier werden alle Zettel nach der Reihenfolge ihres Einstellens nummeriert: 1,2,3 … Eine nachträgliche Einsortierung hinter einen bestehenden Zettel ist nicht möglich – aber letztlich auch nicht nötig, weil einerseits über die Schlagworte, andererseits über eine Folgezettelfunktion Verknüpfungen hergestellt werden können.

Jetzt kommt das Problem: Wer einen richtigen Zettelkasten mit echten Zetteln führt, kommt schnell an die Grenzen eines bloß Hinten-an-Sortierens: Die einfachen Verlinkungen funktionieren nicht. Man muss jeden Zettel von Hand herausnehmen. Da ist es oft sinnvoll, Zettel nach einem ersten Ad-Hoc-Empfinden einzusortieren: Hinten-an oder Zwischen-drin. Das kann man beim echten Zettelkasten problemlos machen, in der digitalen Umsetzung funktioniert das nicht (in einer älteren Version ging das noch). Da es kein eigenes Feld für manuelle Zettelnummern gibt, das später sortierbar ist, bleibt nur die Möglichkeit, das Feld Zettelüberschrift dafür zu verwenden. Aber ach: Die Sortierung des Feldes erfolgt alphabetisch, Zahlen werden von 0-9 sortiert. So ergibt sich die Reihenfolge 1, 10, 2, … Die Zettelordnung ist perdu.

Nach einigem Tüfteln habe ich mein System für Nummern herausgefunden. Es funktioniert nun nach folgendem Schema: 01.01.001. In Kombination mit Zahlen, etwas 01a.01a.001a lassen sich fast unendlich viele Zettel in Kästen einbringen.

Natürlich könnte man nach Deweys System zählen: 1, 1.1, 1.11, aber das ist Umständlich zu handhaben und schnell missverständlich: Der Zettel 1.11 sieht aus wie eine Unterordnung unter 1.1. Auch das System 1, 1.1, 1.1.1 ist kompliziert und wirkt hierarchisch.

Die Nummerierung, die ich jetzt anwende, scheint mir dagegen sehr flexibel: Die erste Zahlengruppe markiert den Kasten, die zweite Zahlengruppe markiert eine thematische Gruppe, die dritte Zahlengruppe einzelne Zettel. So sind zunächsteinmal 100 Kästen von (00-99), pro Kasten 100 thematische Gruppen und pro Gruppe 1000 Zettel möglich. Das ist eine ganze Menge. Will man nun einen Zettel einfügen, lässt sich einfach ein Buchstabe anhängen 01.01.001a. Auch an die Gruppen lassen sich Gruppen anhängen 01.01a.001. Das gleiche gilt für die Kästen. Damit ist der Zettel zwar nicht unendlich, aber praktisch unendlich befüllbar. Unterschiedliche reale Kästen, auch mit unterschiedlichen Formaten, lassen sich so in einem System kombinieren.

Das Grundprinzip ist, dass in der Regel ein Zettel einem bestehenden Zettel angehängt wird. Theoretisch sind zwar auch Vorsortierungen möglich, aber m.E. wenig sinnvoll.

Mit dem Umweg über den Zettelkasten von Daniel Lüdecke habe ich damit für mich ein weiteres Problem gelöst: Manche Notizen tippe ich in der Textverarbeitung und stelle den Absätzen Nummern voran. Die Sortierung der Absätze war dabei immer ein Problem, weil sie ebenfalls Alphabetisch funktionierte. Das geht nun auch nach dem gleichen System.

Die Kunst des Zettelkastens

Der Titel „Short Story. Die amerikanische Kunst, Geschichten zu schreiben“ von Jack Bickham führt in die Irre. Allerdings ist auch der Originaltitel nicht besser: „Writing the Short Story. A Hands-On Program“. Denn die praktische Anleitung erweist sich sehr sperrig: Zwar liefert das Buch ein ausführliches Schritt-für-Schritt-Programm, doch bis man ins Schreiben kommt, vergeht viel Zeit, während der sich zwar der eigene Zettelkasten füllt. Der Spaß am Schreiben kann einem aber unterwegs verloren gehen. Anders als die meisten Schreibbücher vermittelt Bickham vor allem den Ernst und die Mühen des Schreibens. Da wundert es nicht, dass Bickham unablässig zu aufmunternden Worten greift: „Verlieren Sie nicht den Mut!“ – Am Ende, so Bickhams Versprechen, zahlt sich die Mühe aus.

Bickhams Methode beruht auf dem guten, alten Zettelkasten. Da Bickham davon ausgeht, dass eine angehende SchriftstellerIn über keinen prallen Zettelkasten verfügt, besteht der erste Teil des Buches vor allem mit Aufforderungen, Karteikarten zu beschriften: 5 Karten hierzu, 10 dazu, 20 zu noch etwas anderem. Wer sich darauf einlässt, verfügt am Ende des Programms über einen ansehnlichen Grundstock für seinen neuen Zettelkasten.

Bickham zeigt, wie dieser Zettelkasten zum Einsatz kommen kann: Bei der Figurenentwicklung, der Ortsbeschreibung, der allgemeinen Recherche und dem Entwurf einer Grundstruktur für eine Geschichte (Plotting). Auch hierbei weicht Bickham von vielen anderen Kreativitätsbüchern ab: Erst wenn eine solide Vorarbeit und das Gründgerüst der Geschichte steht, sollte man mit dem Schreiben beginnen, lautet im Kern sein schriftstellerisches Credo. Die am Anfang mit Mühe erstellten Karteikarten helfen am Ende, eine Geschichte detailliert zu konzipieren und auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Beim Schreiben selber hilft dies, den roten Faden im Auge zu behalten.

Dabei ist es am Ende unwichtig, ob man eine Short Story oder einen Roman schreibt. Das ist letztlich auch der Grund, warum der Titel irreführend ist: Es geht dem Autor nicht um eine praktische Einführung in die Kunst der amerikanischen Short Story, sondern um einen pragmatischen Weg zum Schreiben, der immer wieder deutlich macht, dass Schreiben Arbeit ist. Aber eine lernbare Arbeit.

Das Buch ist kein Buch für Anfänger. Es ist vielmehr ein Buch für jene Menschen, die an ihren bisherigen Schreiberfahrungen gescheitert sind. Ihnen zeigt Bickham einen gangbaren, aber steinigen Weg zur ersten längeren Geschichte. Dass Bickham dennoch eine Reihe von Grundfragen der Figurenentwicklung, des Plottings etc. anspricht, gehört zu den Schwächen des Buches: Für Anfänger sind die Hinweise zu oberflächlich, die Beispiele zu wenig anschaulich; wer hingegen mit den Grundbegriffen schon vertraut ist, liest darüber schnell hinweg. Mit der Konzentration auf eine Lesergruppe und einer pointierteren Darstellung der Karteikartenmethode hätte das Buch deutlich gewonnen.

Diese Beurteilung wirkt sich auch auf die Einschätzung aus, dass Predigerinnen und Prediger nur begrenzt von einer Lektüre profitieren werden: Wer nicht mit einem Zettelkasten arbeitet und eigentlich auch gar nicht weiß, was das ist und wozu er nützt, bekommt seine Einsatzmöglichkeiten am Beispiel fiktionaler Geschichten vorgeführt; es wird nicht schwer fallen, die Methode auf die homiletische Praxis zu übertragen. Wer den Zettelkasten kennt und damit arbeitet – selbst in seinen rudimentärsten Formen – wird nur dann und wann einen inspirierenden Hinweis finden.

Fazit

Bickhams Buch ist eine praktische Anleitung zur Entwicklung und zum Gebrauch des Zettelkastens als schriftstellerische Methode. Eine spezielle Einführung ins Schreiben amerikanischer Short Stories ist es weniger. Hilfreich dürfte das Buch besonders für jene sein, die über das impulsive Schreiben nicht hinauskommen und nach einer systematischen Schreibmethode suchen. Für PredigerInnen ist das Buch zumindest als Anleitung für den Gebrauch eines Zettelkastens interessant.

Bickham, Jack M.: Short Story. Die amerikanische Kunst, Geschichten zu erzählen, Frankfurt a.M. 2002. ISBN 3-86150-462-6 (nur bei zweitausendeins) | € 12,75 / 221 Seiten