„Aller Anfang ist schwer“ oder „Anfangen ist leicht“ – Sprichwörter transportieren oft sehr gegensätzliche Erfahrungen. In der Tat: Den einen fällt es leicht, etwas Neues anzufangen, nur haben sie Schwierigkeiten, dabei zu bleiben. Andere warten auf einen entscheidenden Impuls um anzufangen und schieben den Start vor sich her. Diese Erfahrungen machen auch Menschen, die schreiben. Die einen haben die Schublade voller vielversprechender Anfänge, die anderen den Kopf voller Ideen, aber das Blatt bleibt leer.
Hanns-Josef Ortheil berichtet in einem weiteren Band der DUDEN-Reihe „Kreatives Schreiben“ wieder von Besuchen in verschiedenen Schreib-Werkstätten und -Laboren. Schwerpunkt des Bandes ist dieses Mal das Anfangen mit dem Schreiben. Dabei geht es nicht um die kunstvolle Romananfänge, sondern darum, überhaupt erst einmal ins Schreiben zu kommen:
„Indem man ‚mit dem Schreiben‘ irgendwo, in noch vorläufigem, harmlosen Gelände ‚anfängt‘, arbeitet man den Schreibsperren entgegen. Man fängt einfach an – und dann sieht man weiter.“ (S. 143)
Am Anfang steht der Blick in die Schreibwerkstatt selbst: der Tisch, der Raum, die Schreibgeräte, das Papier, die Notiz- und Skizzenbücher. Sind erstmal die Voraussetzungen geschaffen, kann es mit ersten Fingerübungen losgehen: Man kann Texte ab- und umschreiben oder sich von der aktuellen Lektüre Impulse geben lassen. Die ersten Schreibversuche mögen erstmal nur Zeichnungen und Kritzeleien, post-artige Notizen wie bei Facebook und Twitter oder Beschreibungen sein von dem, was vor Augen liegt. Weitergehend ist das systematische Sammeln und Ordnen von eigenen Notizen und fremden Fundstücken, die in Kartons, Zettelkästen oder Alben aufbewahrt werden:
- Listen von Wörtern und Einfällen
- Zettel, die einem zufliegen
- Zeitungsauschnitte, die das eigene Interesse wecken
Für solche Schreibanfänge braucht es nicht viel. Sie lassen sich nebenbei erledigen, während man seinen normalen Alltagsgeschäften nachgeht. Aufwändiger ist es, wenn man beginnt, umfangreichere Beobachtungen zu notieren. So hat etwa Georges Perec sich in ein Café gesetzt und einen Monat lang alles festgehalten, was er beobachtet hat. Andere Projekte sind das Anlegen von nüchternen Chroniken, das Festhalten von Alltagsszenen, ein Tagebuch führen oder Reflexionen zu notieren zu Details des eigenen Alltags. Neben diesen an Zeitläufen orientierten Notizen kann man sich auch von Räumen zum Schreiben anregen lassen, etwa indem man (noch einmal wie Georges Perec) die eigene Lebenswelt schreibend erkundet: das Schlafzimmer, den Flur, die Wohnung. Und von dort aus weiter vordringt in das Haus, die Straße, die Stadt. Indem man Dialoge festhält in der Straßenbahn oder beim Metzger.
Mit der Zeit entstehen Material- und Erinnerungsspeicher, die „das eigene Erleben zurückbringen und erhalten“ (101). Bei den so entstehenden Texten geht es weniger darum, publikationsreife, literarische Werke zu produzieren. Ortheil vergleicht dieses Schreiben eher mit den Fingerübungen eines Pianisten, der dadurch seine Technik verfeinert und Spieldetails verbessert.
„Macht man sich all das richtig klar, so ergeben sich daraus wichtige Konsequenzen für all jene, die ihr eigenes Schreiben entwickeln und verbessern wollen. Empfinden sie diesen Wunsch als wichtig und nehmen sie ihn ernst, so sollten sie zunächst nicht nur an mögliche ‚Werke‘ denken, sondern an den langen Weg der vielen Übungen und Proben, die zu diesen Werken führen.“ (13)
Fazit: Wie die anderen Bücher der DUDEN-Reihe ist auch dieser Band wieder anregend, auch wenn ich nach wie vor mit den Schreibübungen selbst, die sich am Ende jedes Kapitels finden, wenig anfangen kann. Sie wirken bemüht, machen aber immerhin noch einmal bündelnd deutlich, wo der schreibpraktische Schwerpunkt des jeweiligen Kapitels liegt.
Für Predigerinnen und Prediger mag einerseits interessant sein, wie aus den täglichen Notizen allmählich ein persönlicher Material- und Erinnerungsspeicher wachsen kann, der für die spätere Predigtarbeit Impulse liefern kann. Zu oft wird übersehen, wie unverzichtbar die täglichen Fingerübungen des absichtslosen Schreibens und Sammelns für eine kreative Predigtpraxis sind. Zum anderen kann das Buch Predigerinnen und Prediger dazu anregen, Schreiben zu entdecken als ein Instrument zur Erkundung des eigenen Alltags und der gemeinsamen Lebenswelt. Was mich selbst und was die Menschen um mich herum tatsächlich beschäftigt, das verrät oft erst ein Blick in die Chroniken und Fundstücke des Alltags, in denen immer wiederkehrende Aspekte erst allmählich als zentrale Themen der Gegenwart hervortreten.
Ortheil, Hanns-Josef: Mit dem Schreiben anfangen. Fingerübungen des kreativen Schreibens, Berlin: Dudenverlag, 2017 – ISBN 978-3-411-74904-1 – 158 Seiten – 14,95 €
Vgl. auch: