Schreiben und Lesen stehen in einem engen Zusammenhang: “Man muss abwechselnd beides tun und das eine mit Hilfe des anderen zügeln”, schreibt Foucault im Verweis auf Seneca. Auch Oliver Ruf bezieht in seiner Einführung in “Kreatives Schreiben” Lesen und Schreiben aufeinander. Im engeren Sinn versteht Ruf unter Kreativem Schreiben das “angeleitete[ ] und reflektierend begleitete[ ] Erlernen[ ] von Formen und Techniken literarischen Schreibens” (239). Aber die Frage nach dem Schreibenlernen ist letztlich nicht zu lösen vom Lesenlernen (vgl. 242).
Die Kernfrage, die sich durch die Einführung zieht, ist daher die nach der Lehr- und Lernbarkeit des Schreibens und Lesens. Rufs These ist, dass die eigene Schreibfähigkeit sich an, durch und mit der Lektüre entwickelt, und zwar sowohl der Lektüre eines allgemeinen, hochkulturell-literarischen, als auch der Lektüre eines eigenen Kanons (vgl. 193) Ruf skizziert dabei ein Programm von sechs Schritten, das sich auch zum Selbststudium eignen soll: Es führt von der Auseinandersetzung mit einer literarischen Vorlage hin zum eigenen freien Schreiben (194ff). Dadurch soll die literarische Wahrnehmungsfähigkeit geschult und eine ästhetische Haltung eingeübt werden, die schreibend mit dem umgeht, was andere Geschrieben haben.
Hier überschreitet das Konzept des Kreativen Schreibens das enge Verständnis des Erlernens von Formen und Techniken literarischen Schreibens und wird zu einem weiten Feld an Begriffen, Themen und Theorien, das sich konzeptionell nicht mehr festlegen lässt. Ruf versucht daher, Kreatives Schreiben in einem weiten Sinn im Zusammenhang einer “Kreativen Schreib-Szene” zu rekonstruieren. In diesem weiten Sinn geht es beim Kreativen Schreiben um die von Autor zu Autor “veränderliche Konstellation des Schreibens” (Stingelin) und den darin zu entdeckenden, jeweils speziellen Einsatz von Sprache, (Schreib-)Instrumenten und Gesten (vgl. 244).
Oliver Ruf, Dozent an der Fakultät Digitale Medien der Hochschule Furtwangen legt mit dem utb-Band “Kreatives Schreiben” eine wissenschaftliche Einführung für Studierende verschiedener Disziplinen vor: unter anderem nennt Ruf die Bereiche Kulturjournalismus, Kommunikations- und Textdesign, Marketing und PR, Schule und Hochschule. Das Buch will zur akademischen Reflexion anleiten, gibt Hinweise auf Möglichkeiten des Erarbeitens und macht Vorschläge, welche Lektüren in Seminaren und Lehrveranstaltungen sinnvoll sein können. Damit wird schon deutlich: “Kreatives Schreiben” ist kein weiterer Titel auf dem Markt der Ratgeberliteratur, sondern will Geschichte und Theorie, Didaktik und Methodik des Creative Writing zusammenhängend darstellen.
Rufs Argumentation hat dabei immer auch die Literaturwissenschaft als möglichen Dialogpartner im Blick. Seit den Anfängen des Creative Writing schauen die akademischen Sprach- und Literaturwissenschaften von oben auf das Kreative Schreiben herab. Oliver Ruf versucht, den wissenschaftlichen Rang seiner Disziplin aufzuzeigen. Er plädiert dafür, einerseits eine Schreib-Wissenschaft zu etablieren, die sich mit “schriftlichen Konstitutionsprozessen von Kultur” (S. 182ff) befasst, andererseits eigenständige Creative Writing Studies zu entwickeln, die auch die produktionsästhetischen Aspekte von Literatur stärker erforschen soll.
Auf rund 300 Seiten gelingt es Ruf, umfassend in das Kreative Schreiben einzuführen. Dem Anspruch, Lücken in der deutschsprachigen Literatur zu schließen, wird er dabei durchaus gerecht, denn neben den zahlreichen Schreibratgebern lagen dazu bislang nur Texte wie von Lutz von Werder mit ihrer eingeschränkten Perspektive vor, oder die auf schulische Zwecke gemünzten Einführungen. Jetzt steht erstmals ein Werk zur Verfügung, das anschaulich und knapp den wissenschaftlichen Status quo in deutschsprachiger Perspektive festhält. Für theologische Fragestellungen interessant dürfte die enge Verbindung von Schreiben und Lesen sein.
Was mir an dem Buch nicht gefällt, sind die Marginalien auf den ansonsten erfreulich breiten Außenstegen. Da ich mir bei der Lektüre gerne selbst Stichwörter zum Inhalt am Rand notiere, finde ich Marginalien grundsätzlich hilfreich: Neben den Überschriften dienen sie dazu, den Text sichtbar zu strukturieren. In diesem Fall erschließt sich mir allerdings die Logik der gewählten Stichwörter in vielen Fällen nicht. Sie erscheinen mir sehr kontingent und ich kann mir kaum vorstellen, dass sie vom Autor selbst stammen. Ein Beispiel: Auf einer Seite werden drei didaktische Prinzipien zum Schreiben genannt. Sinnvoll für mich wäre ein Eintrag „Didaktische Prinzipien zum Schreiben“ oder die drei Prinzipen selbst („Schreibe 1. interaktiv, 2. multimedial, 3. reflekiert“). Die Marginalie im Buch nennt nur den zweiten Punkt: „Schreibe multimedial“ (vgl. S. 166), oder das klar wäre warum. Aber dieser Wermutstropfen lässt sich ertragen.
Insgesamt ist Rufs Einführung in das Kreative Schreiben für alle zu empfehlen, sie sich für Geschichte und Theorie des Kreativen Schreibens interessieren und sich mit Fragen der Lehr- und Lernbarkeit des Schreibens als einer “essentielle[n] kulturelle[n] Handlung” (15) befassen wollen. Die übersichtliche Struktur macht das Buch darüber hinaus zu einem nützlichen Nachschlagewerk.
Ruf, Oliver: Kreatives Schreiben: eine Einführung. Stuttgart Tübingen : UTB A. Francke Verlag, 2016 — ISBN 978-3-8252-3664-9 – 22,99€ [Amazon-Link] [buchhandel.de]
Web-Seite des Autors: schreibaesthetik.de