Dankeschön und Amen

Was verbindet Stand-up-Comedy und Poetry-Slam mit der Predigt? Beim Stand-up-Comedy und Poetry-Slam treten meistens mehrerer Künstlerinnen und Künstler nacheinander auf. Sie präsentieren einen kurze Beitrag und treten dann ab und ein neuer Beitrag wird anmoderiert. Mir ist dabei aufgefallen, wie schwer es bei Redebeiträgen (im Unterschied zu Musikstücken) offenbar ist, einen Beitrag so beenden, dass man unmittelbar merkt: Das war jetzt der Schluss. Das Problem, eine Ende zu finden, das nach Ende klingt, verbindet offensichtlich Stand-up-Comedy und Poetry-Slam mit Predigt und Preacher Slam.

Das erste Mal bewusst geworden ist mir dieses Phänomen bei Auftritten noch recht unbekannter Comedians. Sie beendeten den Auftritt, schon bevor der Applaus einsetzte, mit einem „Dankeschön“. Wer besonders aufgeregt ist oder sicher sein will, dass auch kleine Witzchen bemerkt werden, sagt sogar permanent nach jeder Pointe „Dankeschön“, worauf das Publikum höflich applaudiert.

Nachdem mir das einmal aufgefallen war, habe ich auch bei anderen Sendungen mit bekannten und schon professionelleren Comedians darauf geachtet: Wie beenden Sie ihren Auftritt? Überraschenderweise ist es dort oft gar nicht anders. Sarah Bosetti, die ich sehr schätze, trägt ihre Gedichte auf der Bühne vor und beendet ihre Texte oft mit „Vielen Dank“. Der Dank ist so dabei zuweilen so eng ans Ende getackert, als wäre das „Dankeschön“ noch Teil des Textes.

Ich habe keine repräsentative Untersuchung gemacht, aber es scheint eine Konvention diesbezüglich zu geben, mit einigen Variationen. „Das war’s von mir. Mein Name ist …“, wollen sich einige, die sich noch keinen Namen gemacht haben, in die Erinnerung einschreiben. „Vielen, vielen Dank“, äußern sich die überschwänglichen, „Danke“ die Wortkargen. Aber es fehlt ein Schlussakkord. Und weil der Text selbst keinen Abschluss bietet, flüchtet sich viele in diese Konvention wie ein Powerpoint-Vortragender in das obligatorische „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“.

Der Fluchtweg der Predigt ist der Kanzelsegen. Zusammen mit dem Kanzelgruß rahmt er das Predigtgeschehen. Sinn des Kanzelgrußes war ursprünglich, dass ein Prediger, der vorher als Liturg vor die Gemeinde getreten war, diese bei seinem ersten Auftreten grüßt. Daraus hat sich eine Art kleiner „Predigtliturgie“ entwickelt, die in meiner Kindheit noch so endete, dass nach der Predigt eine Liedstrophe gesungen wurde, an die sich die Abkündigungen anschlossen. Die Abkündigungen endeten dann mit dem Kanzelsegen. Im aktuellen Gottesdienstbuch sind, wenn auch fakultativ, Kanzelgruß und Kanzelsegen in den „predigt-liturgischen“ Ablauf eingetragen. Damit ist der Fluchtweg deutlich markiert.

Und tatsächlich wirkt der Kanzelsegen oft wie das „Dankeschön“ von Sarah Bosetti. Es scheint Teil der Predigt selbst zu sein. Wer in der Facebook-Gruppe „Predigtkultur“ Predigtentwürfe liest, wird immer wieder auf Manuskripte stoßen, die mit Kanzelgruß beginnen und Kanzelsegen enden. In formaler Hinsicht beginnt und endet damit jede Predigt gleich. In der Rhetorik heißt es oft: „Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt.“ Wenn diese These stimmt, würde das bedeuten: Das Anfangssignal ist „Das kennst du alles schon!“, der Schluss betont: „Es gab auch nicht viel Neues!“ Natürlich kann man theologisch sagen: Der Kanzelsegen entlastet Predigerinnen und Prediger davon, die ganze Verantwortung für das Predigtgeschehen tragen zu müssen. Rhetorisch gesprochen entlastet der Kanzelsegen aber auch davon, sich einen Schluss überlegen zu müssen, der das Gesagte auf den Punkt bringt und der vielleicht nachklingt bleibt. Statt auch nur eine Sekunde Zeit zu geben, einen Schlusssatz wirken zu lassen, folgt oft unmittelbar der Kanzelsegen wie ein „Dankeschön“. Hängen bleibt das Signal: Es ist vollbracht.

Meines Erachtens braucht es den Kanzelsegen nicht, jedenfalls nicht, um das Ende der Predigt zu markieren. Zwar ist mir der Kanzelsegen immer noch lieber als ein Kanzelgebet, das in Gebetssprache die Imperative der Predigt noch einmal in einen „Lassiv“ fasst. Aber es gibt ja auch gute Alternativen. Manche lassen die Predigt schlicht mit einem „Amen“ ausklingen wie ein „Ende“ als Einleitung eines Filmabspanns. David Buttrick beschließt eine Predigt in einer Video-Aufnahme (bei Minute 43:58) mit einem „Amen“, nachdem er nach seinem Schlusssatz gut 4 Sekunden verstreichen ließ und seine Körpersprache deutlich signalisierte: Das war der Schluss.

Vielleicht aber braucht es nicht einmal das „Amen“. Bei einem Auftritt von Sarah Bosetti tritt sie stumm einen Schritt zurück aus dem Scheinwerferlicht und nickt kurz. Das fand ich sehr elegant. Der letzte Satz klang noch nach, als der Applaus einsetzte. Die Kanzel steht zwar selten im Scheinwerferlicht, doch so ähnlich sollte es meines Erachtens auch bei der Predigt sein, auch wenn es in der Regel keinen Applaus gibt. In manchen Gemeinde gibt es nach der Predigt ein Instrumentalstück. Hier kann der Schluss ebenfalls nachklingen, ohne dass er vom Kanzelsegen übertönt wird. Neulich war mein letzter Satz in der Predigt eine Frage. Die Organistin war davon so überrascht, dass sie nicht wusste, ob sie ihr Instrumentalstück beginnen soll oder nicht. So blieb für einen Augenblick eine irritierende Stille, die die Frage quasi mehrfach unterstrich. Auf die Gemeinde wirkte es wie verabredet, und im zweiten Gottesdienst haben wir tatsächlich nach der Predigt bewusst eine kleine Pause gelassen. Es braucht kein „Danke schön!“, kein Amen, keinen Kanzelsegen. Das Ende kann auch Schweigen sein.