iPredigtuhr

EieruhrKeine Frage: Predigten können ganz schön lang(weilig) sein. Das hat man schon in der Reformationszeit erkannt und die immer länger werdenden Predigten mit Predigtsanduhren zu begrenzen versucht. Pfr.em Thomas Ter-Nedden hat davon eine schöne Foto-Sammlung unter zuerich-reformiert.ch ins Netz gestellt.
Die Predigtdauer konnte damals durchaus eine Stunde sein. Orientiert am klassischen Rhetorik-Schema von Einleitung, Durchführung, Anwendung und Schluss gab es Predigtuhren mit bis zu vier Gläsern, jeweils mit einer Durchlaufzeit von 15 min.
Mir ist so eine Predigtuhr erstmals im Elsass begegnet – in einer alten Kirche als Museumsstück. Geschichte und Funktionsweise solcher Uhren hat Dorothee Reimann auf der Seite der Deutschen Stiftung Denkmalschutz beschrieben.

Heute sind die Predigtzeiten in der Regel (zum Glück) deutlich kürzer. Am Anfang meiner Predigtpraxis habe ich ausformulierte Predigten am Schreibtisch so lange vorgetragen und gekürzt, bis eine Predigtlänge von 12min erreicht war – in der Kirche war ich dann in der Regel 2-3min länger. Mit zunehmender Sicherheit und dem Zutrauen, auch mit Stichworten und Mindmaps zu predigen, wurden die Predigten lebendiger, die Sätze kürzer und die Kommunikation mit den Hörerinnen und Hörern besser – aber im Eifer des Gefechts auch manche Predigt länger. Also habe ich begonnen, meine Taschen- oder Armbanduhr auf die Kanzel zu legen – mit mäßigem Erfolg, weil man entweder dauernd überlegen muss: Wann habe ich angefangen, wo bin ich jetzt, wann sollte ich aufhören? Die Erfahrung war, dass ich mit der Zeit kaum noch auf die Uhr geschaut habe.
Der nächste Versuch war eine Stoppuhr, was deutlich besser ging, aber wegen großer Nachteile bald wieder aufgegeben wurde: Zum einen war es recht auffällig, zu Beginn der Predigt eine Stoppuhr zu starten. Zum anderen habe ich die Stoppuhr oft zuhause vergessen. Schnell bin ich dann doch wieder bei der Uhr gelandet, die ich sowieso dabei hatte.

iPod mit StoppuhrfunktionNatürlich achtet man mit der Zeit zunehmend auf Signale der Predigthörerinnen und -hörer, wie Husten, Räuspern, Knarren der Bänke: Die Aufmerksamkeit ist langsam weg, ich sollte zum Ende kommen. Sensibilität in dieser Beziehung ist gut und wichtig, objektive Zeitkontrolle als Ergänzung aber besser. Ein echter Quantensprung war da die Entdeckung der Stoppuhr auf dem iPod. Die Zeit lässt sich wunderbar ablesen. Die Bedienung ist denkbar einfach und unauffällig. Man muss vor dem Start nur dran denken, die automatische Abschaltung der Beleuchtung zu deaktivieren. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn auch das Problem bestand, dass ich des öfteren den iPod zuhause vergessen habe.

Das vorläufige Endstadium der Selbstversuche ist das iPhone. Auch hier gibt es eine Stoppuhr (bei der ebenfalls die automatische Ausschaltung des Displays deaktiviert werden sollte). Diese Lösung bringt das iPhone bereits mit. Vorteil: Man hat es meistens sowieso dabei. Nachteil: Es ist deutlich größer als ein iPod.

iPhone-App "Discourse"Richtig professionell wird es dann mit der App „Discourse“ (App-Store-Link). Der „Redezeit-Manager“ ist schlicht und ohne große Einstellmöglichkeiten, aber er erfüllt wunderbar seine Aufgabe. Zunächst wird die zur Verfügung stehende Redezeit (grün) eingegeben (und optional noch eine Warnzeit (gelb) und eine Alarmzeit (rot). Die Startübersicht zeigt die Aufteilung nach Minuten und nach der aktuellen Uhrzeit an. Nach dem Klick auf Start wird die Uhrzeit sowie die verbleibende Restzeit angezeigt.
Der Farbcode zeigt an, wann man den „grünen Bereich“ verlässt: „Gelb“ sagt in meinem Beispiel: „nach gut vier Minuten“, „rot“ bedeutet „Achtung“ In zwei Minuten sollte Schluss sein!“. Zum Ende der Redezeit erscheint eine Stopphand, die Zeit läuft aber weiter, und zeigt, wieviel man überschritten hat.

Berührt man während der Rede das Display, erscheint ein Warnhinweis, ob man eine Pause einlegen möchte. Man muss mit dies mit „Ja“ bestätigen. Mit dem Klick auf „continue“ läuft die Uhr anschließend weiter. Das funktioniert am Schreibtisch ganz gut, aber für die Redepraxis wäre es hilfreich, wenn der Pause-Dialog etwas länger angezeigt würde und das Bestätigungsfeld größer wäre: Im Eifer der echten Rede tippt man schnell daneben und kommt bei mehren Versuchen aus dem Konzept. Optimal wären dafür zwei große, farbige Tasten im unteren Displaybereich. Ob man die Unterbrechungsfunktion für die Predigt braucht, sei dahingestellt, aber wer sich erstmal an den Rede-Manager gewöhnt hat, wird ihn möglicherweise auch in anderen Bereichen einsetzten: bei Vorträgen in Gemeindegruppen oder beim Konfirmandenunterricht.

Der Bildschirm-Wechsel im Laufe der Anwendung: Die Redezeit lässt sich unterbrechen. Die Farben helfen, sich zeitlich zu orientieren.

Tagebuch-Hack

In Bud Caddell’s Blog „What consumes me“ findet sich die kleine Idee eines Moleskine-Hacks: Ein Tagebuch-Eintrag enthält drei Bereiche: eine Liste der Dinge, die man am Tag getan hat, persönliche Gedanken und ein Glück-o-Meter. Vor allem die abgetrennte Ereignisliste finde ich eine gute Idee. Oft möchte ich einfach nur in einer Notiz festhalten, was war. Das unterbricht aber oft den Gedankenfluß – oder passt einfach nicht dazu.

Predigt der Auferstehung

Hier sind ein paar Zitate von Buttrick aus „The mystery and the passion“ versammelt: http://www.inwardoutward.org/author/david-buttrick – allerdings nichts homiletisches, sieht man von dem einen Satz ab: „Wenn wir heutzutage die Realität der Auferstehung predigen, müssen wir anfangen, auf eine skandalöse Weise ehrlich über die Kirche zu reden.“ Sie begegne uns nämlich in der Regel nicht „Leib Christi“, sondern in Form einer Organisation, die oft eher an eine Karikatur des Christentums (Kierkegaard) erinnere. Wir müssten unsere Predigt beginnen mit dem klarsichtigen Zugeständnis, dass die christlichen Gemeinschaften korrumpiert seien – und genau an diesem Zugeständnis könne die Predigt der Auferstehung ansetzten.

Was sind „moves“?

Ein Kernbegriff in Buttricks Homiletik sind „moves“. Die deutsche Interpretation des Begriffs irritiert mich allerdings. Martin Nicol versteht die moves als „die kleineren bewegten Einheiten einer Predigt“ (Einander ins Bild setzen, S. 108), die „den Sequenzen im Film (movie) vergleichbar sind“. Wenn ich „moves“ lese, lese ich etwas anderes.
Buttrick versteht „moves“ als Gegenbegriff zu „points“: Sprache ist lebendig und beweglich. Wenn ein Prediger „Punkte“ abhandelt, verliert seine Rede an Schwung und Beweglichkeit: Der Prediger steht distanziert außerhalb des Geschehens, und bringt aus dieser Distanz durchaus vernünftige und objektiv richtige, aber gerade dadurch reiflich steife, ewige Wahrheiten zur Sprache. Moves nutzen die Beweglichkeit der Sprache und lassen die Sprache so lebendig werden.
Um das zu verstehen, muss man nicht die „Filmsprache“ bemühen. Es reicht, sich zu vergegenwärtigen, dass wir sprechend handeln. Wittgenstein sprach davon, unsere sprachlichen Handlungen als Züge in einem Spiel zu verstehen. Auf English ist hier von „moves“ die Rede. Mir scheint das der sinnvollere Hintergrund, vor dem Buttricks „moves“ zu verstehen sind. Er selbst verweist im Literaturanhang auf die Sprachphilosophie und die Sprachpragmatik von Wittgenstein, Austin und Farb, nicht auf die Filmtheorie.
Damit ist der Zusammenhang mit dem Film nicht widerlegt: Man kann moves durchaus als Szenen eines Filmes verstehen. Grundlegender scheint mir aber, die Predigt als sprachliche Handlung zu verstehen, die aus einzelnen sprachlichen Zügen gebildet wird.
[siehe auch den Post vom 6.3.11 „Moves und Points“]

Buttricks Homiletic

Ich nehme einmal mehr David Buttricks Homiletik zur Hand und stelle mal wieder erstaunt fest: Das Schlechteste, was es über dieses Buch zu sagen gibt, ist: Es liegt immer noch nicht auf deutsch vor. Das ist eigentlich erstaunlich, weil es mittlerweile immerhin über 20 Jahre alt ist – und in mancherlei Hinsicht zu dem Besten gehört, was im Bereich der Homiletik in dieser Zeit veröffentlicht wurde. Wer „David Buttrick“ ergoogelt, wird kaum Seiten auf Deutsch finden. Wer nach den beiden Kernbegriffe „Moves and Structures“ sucht, landet schnell bei Martin Nicol und der dramaturgischen Homiletik – soweit ich sehe der einzige deutschsprachige Ansatz, der sich ernsthaft mit Buttrick auseinander setzt. Als ich das Buch vor fünf oder sechs Jahren das erste Mal gelesen habe, hat es mir die Perspektive für eine ganz andere Homiletik eröffnet: eine Homiletik, die jenseits von der deutschen Aufsatz- und Vortragshomiletik auf Techniken der Inszenierung setzt. Ich will mir das Buch in den nächsten Wochen nochmal vornknöpfen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich es am liebsten selbst übersetzen, denn ohne deutsche Version wird es wahrscheinlich auch 25 Jahre nach Ersterscheinen (das wird nächstes Jahr sein) den meisten deutschen Predigern unbekannt sein.

P.S.: Ich stelle grad fest, dass es nicht mal in der englischen Wikipedia einen Eintrag zu Buttrick gibt. Bei homileticsonline.com gibt es zumindest ein Interview.

Die Moral von der Geschicht

Jede Erzählung, so behauptet Benjamin in Der Erzähler, führt „offen oder versteckt, ihren Nutzen mit sich“ (388), und zwar in Gestalt einer Moral, einer Anweisung, eines Sprichworts oder einer Lebensregel. Der Erzähler ist „ein Mann, der dem Hörer Rat weiß“ (388). Der veraltete Stil Benjamins, der einem fast nostalgische Schwingungen beschert, lenkt schnell darüber hinweg, dass seine Analyse harsch ist: „Rat, in den Stoff gelebten Lebens eingewebt, ist Weisheit. Die Kunst des Erzählens neigt ihrem Ende zu, weil die epische Seite der Wahrheit, die Weisheit, ausstirbt.“ (388) – Ich bin mir nicht sicher, in wie weit ich dem zustimmen kann.

Zum einen ist der Punkt interesssant, dass Weisheit als „epische Seite der Wahrheit“ bestimmt wird. Heute gilt gemeinhin gerade die knappe Meldung als Wahrheit, und gerade nicht die epische Breite. Aber auch wenn es wahr ist, ist es nicht unbedingt weise: Die Evangelien sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Weisheit gerade in der Erzählung seine eigentliche Form findet.

Auf der anderen Seite hat mittlerweile z.B. die Filmindustrie es wunderbar verstanden, die „epische Seite der Wahrheit“ auszubreiten und im Plot zu verdichten. Heute wird mehr Moral im Kino verkündet als von der Kanzel. Und es gelingt gerade durch moderne Formen des Erzählens, wie der Film. Vielleicht wäre Benjamin ganz platt, wenn er sehen würde, wie platt heute erzählerische Weisheit sein kann.

Erzähler als Handwerker

Walter Benjamin denkt am Werk Nikolai Lesskows entlang über den Erzähler nach (in Illuminationen). Es gibt, so Benjamins These, immer weniger Menschen, die noch erzählen können: Die Kunst des Erzählens geht zu Ende. Damit geht eine wichtige Fähigkeit verloren, nämlich die, Erfahrungen auszutauschen. Ursache dafür ist, daß die Erfahrung an Bedeutung verloren hat. Wichtig hierfür die Erfahrung des (1.) Weltkriegs, die zum verstummen führte: „nicht reicher – ärmer an mitteilbarer Erfahrung“ (386) kamen die Soldaten aus dem Krieg.

Grundlage der Erzählung ist die von Mund zu Mund weitergegebene Erfahrung. Die Erzähler lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, die Reisenden, die aus der Ferne berichten, und die Daheimgebliebenen, die Geschichten und Überlieferungen ihrer Umgebung kennen. Personifiziert sind die Gruppen in Seeleuten einerseits, im Ackerbauern andererseits. Zusammen kommen beide Gruppen im Handwerker, den wandernden Burschen und den seßhaften Meistern, die früher selber wanderten. „Wenn Bauern und Seeleute Altmeister des Erzählens gewesen sind, so war der Handwerksstand seine hohe Schule. In ihm verband sich die Kunde von der Ferne, wie der Vielgewanderte sie nach Hause bringt, mit der Kunde aus der Vergangenheit, wie sie am liebsten dem Seßhaften sich anvertraut.“ (387)