Sybille Knauss‘ „Schule des Erzählens“ ist – wie der Untertitel zu Recht verspricht – ein Leitfaden. Kein Handbuch und kein Schreibkurs. Man wird viele gute und nützliche Hinweise für die eigene Schreib- und Erzählpraxis finden, aber nur wenige methodische Hinweise. Aber das ist auch gar nicht Aufgabe und Anspruch des Buches. Denn als Leitfaden will es zunächst einmal nur in die auf den ersten Blick unübersichtliche Welt des erzählenden Schreibens einführen. Mythen und Erzählperspektive, Kunst der Beschreibung und das Problem realistischer Schreibvorbilder, die Entwicklung von Charakteren und Dialogtechnik, sowie das Plotten und Entspinnen eines Handlungsfadens sind die Kernpunkte der vier Kapitel und vier Exkurse.
Das schmale Taschenbuch (174 S.) ist eine der besten Einführungen in die Kunst des Erzählens, die es gibt. Oder besser: Die es gab. Denn leider, leider ist das Buch zur Zeit vergriffen. Anders als viele Bücher über das Schreiben ist diese Schule des Erzählens selbst wunderbar geschrieben – humorvoll, schlicht und kenntnisreich. Dabei gelingt es Sibylle Knauss nicht nur, Spaß am Erzählen zu wecken. Mit leichter Hand stellt sie am Beispiel bekannter Geschichten deren erzählerischen Kern heraus – und schärft so den Blick zu für das, was beim Erzählen geschieht.
Der Begriff der Erzählung ist weit gefasst: „Erzählen bedeutet eine bestimmte Sichtweise auf das Leben.“ (S. 7). Es ist nicht nur eine Frage des schreibenden Erzählens. Knauss nimmt sämtliche Formen zeitgenössischen Erzählens in den Blick und ihr Ansatz lässt sich leicht auf alles übertragen, was mit der erzählerischen Sicht auf das Leben zu tun hat: Literatur, Theater, Film, Musik und letztlich auch Predigt.
Predigt? Ja tatsächlich. Knauss gelingt es nicht nur, religiöse Erzählstrukturen in Bibel und Populärkultur anschaulich werden zu lassen. In beeindruckender Weise (weil von leichter Hand vorgeführt) verdeutlicht sie besser als mancher Prediger, was gute Predigt sein könnte. Etwa durch den ersten Exkurs über das Verhältnis von Autor und Text: Ich habe noch kein theologisches Buch gelesen, das die Frage von Rechtfertigung und Selbstrechtfertigung so klar auf den Punkt bringt.
Fazit
Wer das Buch gelesen hat, wird sich wirklich eingeführt wissen in die Welt des Schreibens. Selbst jene, die sich schon länger mit der Thematik befassen, werden das Buch mit Gewinn lesen. Wie es bei einer guten Einführung ist, wird man das Buch von Zeit zu Zeit wieder zur Hand nehmen. Zum Beispiel um sich neu für den erzählerischen Blick auf die Welt inspirieren zu lassen. Knauss Schule des Erzählens gehört unbedingt in die Hausbibliothek.
Knauss, Sibylle: Schule des Erzählens. Ein Leitfaden, Frankfurt
a.M. 1995. ISBN 3-596-12885-4 |DM 16,90
(Neuauflage im Autorenhaus-Verlag: 14,80€ ISBN 3866710119)