Cartoonale Homiletik

Eine Predigt-Mindmap„Schreib doch mal eine cartoonale Homiletik, über die allmähliche Formulierung der Gedanken beim Zeichnen“, hat Silke vorgeschlagen. Eine schöne Idee. Hätte ich doch mehr Zeit. Das Bild oben zeigt einen Predigtentwurf zu Hiob 14,1-6 – mal gestaltet mit Aquarellfarben, inspiriert von den Überlegungen von Susanne Haun.

Quelle: Redline Verlag http://www.m-vg.de

Wenn es eine cartoonale Homiletik gäbe, sähe sie wahrscheintlich ein bisschen so aus wie Dan Roams „Auf der Serviette erklärt“ (Redline Verlag, München 2009). Das Buch hat zwar weder was mit Homiletik noch mit Cartoons zu tun, aber es demonstriert sehr schön, wie visuelles Denken funktioniert. Es zielt dabei auf grafisches Gestalten bei Vorträgen ab, aber die Grundprinzipien lassen sich auch für die Predigtvorbereitung nutzen.

Dan Roams Grundprinzip ist, das „innere Sehvermögen zu nutzen, …, um Ideen zu entdecken, die sonst unsichtbar sind“ (S.14). Es geht dabei nicht um einen künstlerischen Anspruch, sondern um das Nutzen der Kraft von Bildern, um Ideen so zu entwickeln, dass sie auch anderen schnell und einfach einleuchten.

Ich fand das Buch sehr inspirierend nicht nur für die Predigtvorbereitung, sondern auch für den Einsatz von zeichnendem Erklären und Erläutern im Konfirmandenunterricht und der Erwachsenenbildung. Mittlerweile ist zu dem Buch auch ein Übungsbuch erschienen.

Anfangen muss man selbst

Boris Maggionis Sachbuch „Romane schreiben für Anfänger und Fortgeschrittene“ hält in zweifacher Weise nicht, was der Titel verspricht: Es ist kein Buch für Fortgeschrittene und sagt nur begrenzt etwas über das Schreiben von Romanen. Wer einen Kindle besitzt und sich für als Neuling für das Schreiben von Geschichten interessiert findet hier aber eine günstige Einführung.

„Anfangen muss man selbst“ weiterlesen

Nicht wirklich spannend

Buchcover

Eine „Methodenlehre der Spannung“ verspricht Herausgeber Hanns-Josef Ortheil in seinem Vorwort zu Christian Schärfs „Spannend schreiben“. Der Untertitel verrät: Im fünften Band der DUDEN-Reihe „Kreatives Schreiben“ geht es um Krimis, Mord- und Schauerromane. Charakteristisch für die ganze Buch-Reihe ist der Versuch, in die Schreibwerkstätten ausgewählter Schriftsteller zu führen, um dort Anregungen für das eigene Schreiben zu bekommen. Das hatte bislang durchaus seinen Charme, tendiert in „Spannend schreiben“ aber stark zu einem germanistischen Proseminar. Auch wenn bei Schärf einige interessante Überlegungen zu finden sind – gemessen an dem Versprechen, eine „Methodenlehre der Spannung“ vorzulegen, muss das Buch enttäuschen.

Schärf nähert sich dem Begriff der Spannung auf rezeptionsästhetische Weise: Statt zu versuchen, einen allgemeinen Begriff von Spannung vorzulegen, schlägt Schärf vor, Spannung zu verstehen als „ein Phänomen, das zwischen den Akten der Herstellung eines Textes einerseits und seiner Wahrnehmung bei Lesern andererseits liegt“ (S. 10). Das Kapitel über die „Erschaffung des Lesers“ (S.119ff) gehört daher zu den interessantesten Abschnitten des Buchs. Die Kunstfertigkeit des Krimi-Autors liegt für Schärf letztlich nicht in der Verwendung literarischer Tricks der Spannungserzeugung, sondern in der „Einbindung des Lesers in die Aufklärungsarbeit“ (S. 121). Das wichtigste Instrument ist dabei die „Aussparung“ (S. 12) und die „Zurückhaltung von Information“ (S. 121): „Was wir als ‚spannend schreiben’ bezeichnen, hängt davon ab, inwieweit es dem Autor gelingt, einen Leser zu schaffen, der seine eigenen Projektionen und Hypothesen auf die Handlung bezieht und damit eine Identifikation mit dem Verbrechen und seiner Vor- und Nachgeschichte herstellt.“ (S. 123)

Das Phänomen Spannung äußert sich darin, dass ein spannender Text die Aufmerksamkeit des Lesers bindet. Das geschieht nicht einfach so: Solche „Spannung muss … erzeugt werden“ (S. 11), und zwar indem der Stoff, aus dem eine Geschichte besteht, dramatisiert wird. Das gelingt am einfachsten dadurch, dass der Autor Informationen zurück hält. Im Englischen steht dafür der Begriff der Suspense, den Schärf nicht ganz zutreffend als „Aufschub“ übersetzt.  ‚To keep somebody in suspense’  bedeutet aber eher, jemanden in Ungewissen lassen bzw. auf die Folter zu spannen – in diesem Fall: den Leser. Auch wenn Schärf sich etwas unklar ausdrückt, meint er aber genau das.

Die Kernfrage ist dann also, wie es einem Autor gelingt, seinen Leser dazu zu bringen, sich auf die Folter spannen zu lassen. Auf diese Frage sollte eine Methodenlehre der Spannung Antwort geben – und genau hier setzt die Enttäuschung über das Buch ein: Auch wenn es durchaus gute methodische Hinweise gibt, mangelt es doch an einer systematischen Entfaltung. Das liegt meines Erachtens vor allem an Schärfs Grundannahmen und der  Grundkonzeption des Buches.

Zweifellos interessant sind die Hinweise zum dem, was Schärf „Antizipation der Bedrohung“ (S. 20) nennt und die Überlegungen zur „Gestaltung von Zonen der Angst“ (S. 46). Es ist konstitutiv für die Angst im Unterschied zur Furcht, dass sich die Angst auf eine mögliche Bedrohung richtet. Diese Bedrohung anzudeuten, ihre Konkretion aber zu verzögern, schafft eine spannungsvolle Atmosphäre, die schrittweise aufzubauen ist: im einem zunächst gefahrlosen Raum gibt es erste Anzeichen einer Bedrohung, dies sich erst allmählich manifestiert und sich schließlich als echte Gefahr zeigt: im Schauerroman als übermenschliche Bedrohung, im Kriminalroman als unmenschliche. Die diffuse Angst schlägt in Frucht und Grauen um. Ein wichtiges Mittel ist dabei die Darstellung der Orte und Rahmenbedingungen als „Angstzonen“. Beides kann man sich sehr gut am Beispiel eines Films wie „Alien“ deutlich machen: in dem Science-Fiction-Film ist das Alien im überwiegenden Teil des Filmes gar nicht zu sehen; zur klaustrophobischen Atmosphäre trägt vor allem die Darstellung des Raumschiffs bei. Christian Schärf führt die klassische Verwendung dieser Stilmittel an Beispielen von Edgar Allan Poe, Bram Stoker und E.T.A. Hoffmann vor.

Die Grundannahme jedoch, dass das Phänomen der Spannung „keine empirisch zu bestimmende materielle Basis aufweist“ (S. 10) führt Schärf zu einer (durchaus begründeten) Skepsis gegenüber Patentrezepten der Spannung. Schärfs These von der Erschaffung des Lesers hebt ja zu Recht hervor, dass nicht jeder Leser sich von einem Text gefangen nehmen und auf die Folter spannen lässt. Der Autor kann im Einsatz seiner Spannungsmittel scheitern. Deshalb aber zum Beispiel ein beliebtes Mittel wie cliffhanger  nur begrifflich zu erwähnen (vgl. S. 119), ohne das Mittel selbst vorzustellen, ist ein Manko. Ja, der übermäßige Gebrauch der Methode, ein Kapitel auf dem Höhepunkt der Spannung abzubrechen und verzögert fortzusetzen, ist auf Dauer einfallslos und ermüdet bald. Das zeigen zum Beispiel die Romane von Dan Brown, die fast nur mit diesem Mittel arbeiten. Trotzdem haben die Bücher ein Millionenpublikum gefesselt. Wer Alwin Fills sprachwissenschaftliche Analyse „Das Prinzip Spannung“ liest, wird auf eine verwirrende Vielzahl von empirisch bestimmbaren Elementen der Spannung auf allen Ebenen der Sprache stoßen: Kein Element muss, aber jedes einzelne kann Spannung erzeugen. Für eine Methodenlehre der Spannung wäre es eigentlich notwendig, die für die Praxis des kreativen Schreibens relevantesten Aspekte darzustellen. Das kommt in Schärfs Buch zu kurz.

Auch die Grundkonzeption mündet letztlich in eine Enttäuschung. Christian Schärf bezieht spannendes Schreiben ausschließlich auf Schauer- und Kriminalgeschichten. Seine plausibel ausgeführte These ist, dass sich der moderne Kriminalroman aus der  gothic novel des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Den Prozess dieser Entwicklung zeichnet er nach, indem er zunächst Grundelemente der Angstspannung in der Schauerliteratur darstellt, und dann über die Erfindung der Detektivfigur und der Rätselspannung zu zeitgenössischen Thrillern gelangt. Schärfs Analysen sind interessant zu lesen und im Detail durchaus aufschlussreich. Spannend schreiben bedeutet aber mehr als Krimis zu schreiben. Auch ein Liebesroman lebt von der Spannung der Ungewissheit, ob sich die beiden am Schluss kriegen oder nicht. Das kann spannend sein „wie ein Krimi“. Auch mein „Alien“-Beispiel zeigt: Spannung gibt es nicht nur im Krimi. Es spricht natürlich nichts dagegen, Spannungsliteratur vorwiegend auf den Kriminalroman zu beziehen und exemplarisch vorzuführen. Eine Methodenlehre des spannenden Schreibens sollte aber ansetzen bei der allgemeineren Frage, welche erzählerischen Mittel zur Spannung einer Geschichte beitragen.

Wer nun wiederum denkt, er bekäme zumindest Hinweise zur Konstruktion einer Kriminalgeschichte wird ebenfalls enttäuscht sein. Im Kapitel zum Plotting (S. 92ff) findet man gerade keine Methoden zur Herstellung eines Plots, also eine Handlungslinie, sondern nur die Entfaltung zweier spezifischer Plotstrukturen: der Reise und des Wettstreits. Die Überlegungen zum Krimi als Reise in eine labyrinthische Struktur, die der Detektiv erkunden und entwirren muss (wie im klassischen Detektivroman) und der Krimi als Wettstreit zwischen Täter und Ermittler (etwa im Genre der Serienmördergeschichten) sind kenntnisreich geschrieben und interessant zu lesen. Auf die entscheidende Frage, wie man ein kriminalistisches Rätsel und Labyrinth entwirft, in das man Detektiv und Leser dann schickt, gibt Schärf aber keine Antwort.

Da helfen auch die Schreibaufgaben nicht weiter. Sie fordern zuweilen im Stile von schulischen Klausuraufgaben zur Analyse klassischer Texte auf oder ermuntern zur Imitation eines Stils bzw. die Verfassung von Pastichen. Im Unterschied zu früheren Bänden der DUDEN-Reihe finden sich in den Schreibaufgaben aber kaum methodische Bündelungen von Schreibverfahren exemplarisch vorgestellter Autoren.

Fazit: Eine „Methodenlehre der Spannung“ ist Christian Schärfs Buch „Spannend schreiben“ also nicht. Die Ausführungen sind zwar informativ und die Analysen können überzeugen, aber es fehlen grundsätzliche Überlegungen zu dem, was Texte und Geschichten – jenseits von Krimi und Grusel – spannend macht.  Andererseits bietet das Buch auch kein spezifisches Handwerkzeugs zum Entwickeln eines Krimi-Plots. Die Stärken des Buches liegen darum eher in der Reflexion auf einige Grundlagen der klassischen Kriminalliteratur, weniger in der praktischen Anregung zum kreativ-spannenden Schreiben. Obwohl die als „Schreibverführer“ beworbenen Bücher gerade das versprechen. „Spannend schreiben“ löst dieses Versprechen nicht ein.

Christian Schärf: Spannend schreiben. Krimi, Mord- und Schauergeschichten, , 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2012. ISBN 978-3-411-75436-6| 14,95 € | 157 S.

Etwas zu einfach

„So wie ihr wollt, dass euch Gottes Wort verkündigt wird, so verkündigt es auch!“, formuliert Christian Lehmann seinen homiletischen Imperativ (S. 145). Für Lehmann heißt das auf den Punkt gebracht: liebevoll, praktisch und kreativ zu predigen. Sein Buch „Einfach von Gott reden“ enthält dazu neben grundsätzlichen, theologischen Erwägungen zur Predigt und Überlegungen zur Predigtpraxis eine Reihe von Übungen mit Lösungsvorschlägen, auf die aus dem Hauptteil heraus verwiesen wird. Heraus kommt am Ende ein praxisorientiertes Arbeitsbuch zur Predigt, das allerdings nur mit Einschränkung zu empfehlen ist.

„Einfach von Gott reden“ ist durch einen pietistischen Jargon geprägt, dessen altertümelnder Sprachstil zuweilen fragen lässt, ob das Buch vielleicht die Neuausgabe einer älteren Auflage ist. Tatsächlich ist das Arbeitsbuch aber 2012 erstmals erschienen. Der Autor Christian Lehmann stammt ursprünglich aus dem Siegerland, war bis 2010 Studienassistent am Tübinger Albrecht-Bengel-Haus und hat vor kurzem seine erste Pfarrstelle in der Württembergischen Landeskirche angetreten. Seit 2011 ist er zudem Schriftleiter von „Zuversicht und Stärke“, einer Predigthilfe aus der pietistischen „Christusbewegung Lebendige Gemeinde“. Auch wenn Lehmann vor der Predigt in der „Sprache Kanaans“ warnt (S. 65f): Sein Predigtbuch ist davon selbst davon nicht frei. Wer nicht in diesem Jargon zu Hause ist, kann leicht darüber stolpern.

Lehmanns Ansatz ist zunächst einmal sympathisch: Gegen langweilige und blutleere Predigten ist es ihm wichtig „die biblische Botschaft frisch und mutig, klug und klar, lebensrelevant und alltagstauglich weiterzugeben“ (S. 11). Dabei geht er „von der einfachen Grundidee aus, dass die Bibel als Gottes Wort uns nicht nur lehrt, was wir weiterzusagen haben, sondern auch, wie wir das am besten tun“ (ebd.). Deshalb gilt Lehmann auch die Bibel als erstes, kreatives Hilfsmittel (vgl. S. 170f): „Unsere Aufgabe als Verkündiger besteht darin, mit dem Bibeltext zu sprechen, nicht über ihn.“ (S. 65)

Liebevoll predigen heißt für Lehmann, einfach (S. 101ff), verständlich (116ff) und anschaulich (S. 123ff) zu reden. Maßstab sind dabei die Hörerinnen und Hörer. Sie sollen Glauben nicht nur intellektuell verstehen, sondern vor allem praktisch und konkret erfahren – jenseits aller Gesetzlichkeit, die im Tun des Glaubens immer nur ein „Du sollst …“ sieht. Dem stellt Lehmann „Wie-Fragen“ des Glaubens gegenüber: „Wie sind wir gute Eltern, …besiege ich meine Angst, … liebe ich meinen Nachbarn …?“ (vgl. S. 161). Wenn Predigt auf solche konkreten Fragen praktische Antwort gibt, erfüllt sie ihre wichtige Aufgabe, Menschen von heute zu sagen, wie christlicher Glaube praktisch aussieht. Dabei stützt sich Lehmann auf eine Theologie der Vollmacht (S. 44ff), die es ihm ermöglicht, trotz der These, dass alles aktuelle, menschliche Reden von Gott begrenzt ist, dennoch davon auszugehen, dass ein verlässliches und wirkmächtiges Reden von Gott in der Predigt möglich ist.

Lehmanns Anspruch ist ein praktisch orientiertes Buch vorzulegen, kein Lehrbuch der Predigt. Von daher überrascht es allerdings, dass die konkreten Arbeitsschritte der Predigterstellung vage und zum Teil bloß idealistisch bleiben. So gilt für Lehmann die unbestreitbar richtige Faustregel „je mehr Zeit, desto besser“. Was das aber im Pfarralltag bedeutet, lässt Lehmann offen. Er watscht die Pfarrer ab, die offen zugeben, oft unter Zeitdruck vorbereiten zu müssen und präsentiert idealisierend zwei evangelikale Star-Prediger, die nach eigenen Angaben zwei bis vier (!) ganze Tage der Predigtvorbereitung widmen (vgl. S. 38). Jenseits von der Frage, ob das überhaupt realistisch ist, stellt sich zumindest für den Pfarrberuf die Frage, ob so ein Ziel tatsächlich ideal ist.

Die konkrete Predigtvorbereitung geschieht bei Lehmann im Dreischritt von Hören, Ringen und Prüfen. Dazu gibt Lehmann dem Leser zwar eine Reihe von Reflexionsfragen zur Predigtarbeit an die Hand, aber als wirkliches Modell der Predigtvorbereitung bleibt vieles zu unkonkret. Im praktischen Hauptteil gibt es vereinzelte Überlegungen zu Predigtsprache und -aufbau, ein systematisches Modell lässt sich aber nicht erkennen. Lehmann verharrt ganz in der alten Punkte-Predigt und nimmt zum Beispiel Impulse der New Homiletik schlicht nicht zur Kenntnis. Dabei könnte auch die pietistische Predigt durchaus von neuen, homiletischen Ideen profitieren.

Problematisch ist aber vor allem das hermeneutische Textmodell, das dem Ansatz zugrunde liegt. Diese Problematik kommt in Lehmanns Interpretation des homiletischen Dreiecks (S. 94f) besonders gut zum Ausdruck. Zunächst fällt auf, dass in Lehmanns Dreieck „Prediger“ und „Hörer“ nicht mit „Bibeltext“ in Verbindung gesetzt, sondern durch die Schreibweise „Gott/Bibeltext“ Gott und Bibeltext quasi gleichsetzt werden. Expressis verbis: „Wer nicht die ganze Heilige Schrift als Wort des lebendigen Gottes anerkennen will, der bestreitet letztlich ihre ganze Gültigkeit und Autorität.“ (S. 140). Verkündigung ist vor diesem Hintergrund immer nur aktualisierende Rede der einmaligen und grundsätzlichen Rede Gottes im biblischen Text. Das ist vor dem pietistischen Hintergrund Lehmanns nachvollziehbar, dürfte aber zuweilen die Geduld historisch-kritisch geschulter Predigerinnen und Prediger strapazieren. Aber die sind wahrscheinlich auch nicht Zielgruppe von „Einfach von Gott reden“.

Schwieriger ist aber ein zweites Problem, das in Lehmanns Interpretation des homiletischen Dreiecks sichtbar wird: Lehmann reflektiert nur mangelhaft die Rolle des Predigers im Predigtgeschehen. Der Prediger steht nach Lehmann vor der Herausforderung „die Hörenden in der konkreten Situation mit Gottes Wort in Verbindung“ zu bringen (S. 96). Es ist positiv zu würdigen, wie sehr Lehmann die Rolle der Hörerinnen und Hörer im Predigtgeschehen wahrnimmt. Trotzdem fällt auf, dass das Kapitel über die Hörer (S. 94ff) vor allem ein Kapitel über den „liebevollen“ Umgang des Predigers mit den Hörern ist. Ich meine das nicht ironisch: Lehmann grenzt sich ausdrücklich von einem pietistisch-evangelikalen Predigtstil ab, der die Hörerinnen „senkrecht von oben“ mit dem Gotteswort konfrontiert. Aber er sieht die Aufgabe des Predigers darin, den Menschen dieses Gotteswort zu bringen und zu sagen. Ausdrücklich versteht Lehmann den Prediger als „Worttransporter“ (S. 65), der „den alten Inhalt der Bibel in der Sprache von heute weiterzusagen“ hat (ebd.). Der komplexen Situation des Predigtgeschehens wird das aber nicht gerecht.

Im Predigtgeschehen stehen Prediger, Hörer und Bibeltext in wechselseitigen Beziehungen zueinander. Das sieht Lehmann in Ansätzen zwar durchaus, zieht daraus aber nicht die Konsequenz, auch nach den spannungsvollen Wechselwirkungen zu fragen. Trotz allem Bemühen um eine Hörerorientierung bleiben darum die kreativen Potentiale letztlich ungenutzt. So wird die Spannung von biblischer und heutiger Sprache zwar als „Verkündigungsenergie“ (S. 66) erkannt, aber sofort kritisch der geistlichen Prüfung überantwortet, statt in ihr zunächst einmal eine innovative, kreative Kraft zu sehen. Die Überlegungen zum kreativen Predigen erschöpfen sich so lediglich in der Suche nach Alternativen zum „Frontalmonolog“ als Standardform. Als Lösungsmöglichkeiten werden z.B. Lied-, Bild-, Symbol- und Dialogpredigt, Anspiele und Bibliolog, interaktive Elemente und Fragen der Predigtinszenierung angerissen (S. 165ff). Das ist alles anderes als neu. Selbst die gerade für eine biblisch orientierte Predigtlehre interessante Frage nach einer narrativen Predigt wird nur angedeutet und die Antwort erschöpft sich in der Feststellung: „Unsere Verkündigung darf ruhig ‚narrativer’, erzählfreudiger werden.“ (S. 91) Zur Frage der freien Predigt verhält sich Lehmann zurückhaltend, rät allerdings zur Verschriftlichung der Predigt und empfiehlt, nicht spontan vom vorbereiteten Manuskript abzuweichen (vgl. S. 98f; S. 40). In Lehmanns Worttransport-Modell fällt also die Beschreibung des Spannungsfeldes zwischen Prediger, Hörer und Bibeltext weit hinter die aktuellen, homiletischen Diskussionen zurück und auch die Potentiale für eine tatsächlich kreative Predigpraxis bleiben letztlich ungenutzt.

Fazit: „Einfach von Gott reden“ ist kein Lehr-, sondern ein Arbeitsbuch mit pietistischem Hintergrund. Wem das Umfeld sprachlich und theologisch nahe ist, wird in Lehmanns Buch zwar nicht viel Neues erfahren, aber sicherlich Anstöße und Anregungen bekommen, die eigene Predigtpraxis zu bedenken. Da das Buch wenig homiletisches und exegetisches Wissen voraussetzt, kann es sich auch gut für Prädikantinnen und Prädikanten eignen, die an ihrer Predigtpraxis arbeiten möchten; für sie dürften vor allem die praktischen Übungen interessant sein. Homiletisch erreicht das Buch allerdings nicht den aktuellen Diskussionsstand und wer Impulse für eine kreative Predigtvorbereitung und alternative Predigtformen sucht, wird schnell enttäuscht sein.

Christian Lehmann: Einfach von Gott reden. Liebevoll, praktisch und kreativ predigen. SCM R. Brockhaus, Witten, 2012. ISBN 978-3-417-26469-2| 13,95 € | 238 S.

Unterwegs Schreiben

Wenn einer eine Reise tut, hat er nicht nur was zu erzählen, er kann auch davon schreiben. Schreiben und Reisen bilden oft eine Symbiose: „Kaum eine andere kulturelle Praxis hat so viel zur Ausbildung des Schreibens beigetragen wie das Reisen.“ (S. 9) Mit dieser These leitet Hanns-Josef Ortheil den mittlerweile vierten Band der DUDEN-Reihe zum Kreativen Schreiben ein. Noch immer gehört das Schreiben von Postkarten für viele als Ritual zum Urlaub. Ergänzt wird das private Schreiben aus der Ferne mittlerweile durch das öffentliche Schreiben in Blogs und über Facebook. Ortheil nimmt diese Bandbreite mit in den Blick. Dabei wiederholen sich notgedrungen die Grundelemente des Schreibens, wie sie bereits in den vorliegenden Büchern der Reihe dargestellt wurden. Inspirierend kann die Lektüre trotzdem sein.

Die von Ortheil herausgegebene DUDEN-Reihe zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen Blick in die Schreibwerkstatt von Schriftstellern wirft. Dieses Prinzip setzt sich auch in „Schreiben auf Reisen“ fort. Jedem Kaptitel sind am Schluss wieder Schreibaufgaben beigefügt, die den Schreibansatz komprimiert darstellen und konkrete Schreibimpulse geben. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Schreibmöglichkeiten exemplarisch vorgeführt werden. Es bleibt aber auch bei den Nachteilen, dass die methodischen Hinweise zuweilen gekünstelt wirken. Auch fehlen wichtige Schreibansätze oder Schriftsteller, in diesem Fall zum Beispiel die literarische Form der fiktionalen Reise wie in „Gullivers Reisen“ oder „Utopia“ oder auch Felicitas Hoppe, die als wichtige, zeitgenössische Reiseschriftstellerin gilt (wie überhaupt mit Eva Corino nur eine einzige Frau vertreten ist).

Ortheil gliedert sein Buch in fünf Teile. Er beginnt mit Vorübungen, die das ‚kleine Reisen’ literarisch umsetzen: den Spaziergang (Franz Hohler, Jean-Jacques Rousseau, Nik Cohn), die Flanerie (u.a. David Wagner), die Wanderung (Matsuo Bashô, Joseph Roth) und die „Reise um mein Zimmer“ (Xavier de Maistre). Schon hier deutet sich an, was im zweiten Abschnitt gewiss wird: Schreiben auf Reisen ist ein besonderer Schreibkontext, der zurück greift auf die bekannten Formen des Tagebuchs (Franz Kafka, Cees Nooteboom, Albert Camus) und der verschiedenen Arten von Notizbüchern, sei es frei geführt (Ryszard Kapuściński) oder thematisch gebunden (Jean-Paul Sartre, Eva Corino, Alexandre Dumas u.a.). Daher gibt es viele explizite Querverweise auf die anderen Bücher der Reihe.

Im dritten Teil verschiebt sich der Focus vom privaten Schreiben hin zum Schreiben für andere. Dabei werden die Möglichkeiten aufgezeigt, die üblichen Formen von Reisepost wie die Postkarte (Jurek Becker) oder den Reisebrief (Guiseppe Tomasi di Lampedusa) als literarische Ausdrucksweisen zu verstehen. Auch die moderne Konkurrenz eines solchen Schreibens für andere in Form von SMS, Mail und Blog, sowie das Schreiben über Twitter und Facebook wird angesprochen. Obwohl diese Formen des Schreibens in modernen Kommunikationsmedien ein großes Potential bieten, fallen die beiden entsprechenden Kapitel inhaltlich doch sehr gegenüber dem Rest des Buches ab. Insbesondere die Form des Reiseblogs hätte hier mehr Beachtung verdient. Leider verzichtet Ortheil bei diesem Kapitel sogar auf Schreibaufgaben und verweist nur summarisch auf Porombkas „Schreiben unter Strom“.

Die stärkten Kapitel des Buches finden sich in den beiden Schlussteilen: Im vierten Teil stellt Ortheil Reiseprojekte vor, bei denen sich Reisen und Schreiben eng verzahnen, und das Schreiben nicht nur eine Begleiterscheinung des Reisens ist: Beim Ethnologischen Schreiben (Bernardino de Sahagún; Roland Barthes) geht es um die schreibende Erkundung von fremden wie nahen Lebenswelten. „Reisen auf den Spuren eines anderen“ (Alain de Botton) zeigt dagegen auf, wie spannend reflektiertes Nachreisen der Wege berühmter Personen sein kann. Am Beispiel einer Parisreise Max Brods und Franz Kafkas wird das Schreibprojekt eines „Reisens (und Schreibens) zu zweit“ vorgeführt, während die vorgestellte Künstlerreise (wie sie die Zeitschrift Kunstforum in einer Ausgabe einmal dokumentierte) die Grenze von Schreiben und darstellender Kunst überschreitet. Der fünfte Teil stellt schließlich Formen der Ausarbeitung von Reisenotizen zum Reisebericht (Georg Forster), zur Reiseerzählung (Ernest Hemingway) und zum Reiseroman (Joseph von Eichendorff; Jack Kerouac) vor.

„Schreiben auf Reisen“ kann zwar durchaus interessant und inspirierend sein, kann aber genauso enttäuschen, denn im Vergleich mit „Schreiben dicht am Leben“, „Schreiben Tag für Tag“ und „ Schreiben unter Strom“ gibt es nur wenig Neues. Die in den ersten drei Bänden vorgelegten Einblicke in Techniken des Notierens, des Tagebuchs und des Schreibens mit neuen Medien werden hier bloß mit dem Focus auf das Setting der Reise noch einmal durchbuchstabiert. Wer das möchte, findet gute Anstöße zum Schreiben. Ansonsten wirkt der vierte Band der DUDEN-Reihe mit seinen zahlreichen Rückverweisen wie ein thematisch fokussierter Nachtrag. Leser, die die ersten Bände nicht kennen, und sich nur für das Thema des Schreibens unterwegs interessieren, werden möglicherweise enttäuscht sein darüber, dass einige Punkte nur angerissen werden mit dem Verweis, weitergehendes in den anderen Bänden zu finden.

Sparsam sind auch wieder die methodischen Hinweise. In einer kurzen Nachbetrachtung stellt Ortheil die Vorzüge eines Spiralnotizbuchs vor, dessen Seiten – nur einseitig beschrieben – sich einfach entnehmen und neu arrangieren lassen, beispielsweise in einem großformatigen Skizzenheft. Schon in Ortheils „Schreiben dich am Leben“ fehlte eine ausgearbeitete Methodik, die zeigt, wie aus Notizen umfangreichere Werke werden können. „Schreiben auf Reisen“ hätte dies exemplarisch nachholen können. Dass „Schreiben auf Reisen“ dennoch durchaus gelungen ist, liegt deshalb erneut an dem Ansatz, einen Blick in die Schreibwerkstätten von Schriftstellern zu werfen. Das Gewicht liegt dabei auf den Betrachtungen elementarer Schreibformen in Notizbuch, Tagebuch und Journal.

Fazit: Hanns-Josef Ortheil fügt mit „Schreiben auf Reisen“ der DUDEN-Reihe zum Kreativen Schreiben einen thematischen Band zum Skizzieren und Notieren bei. Der Gesamteindruck ist ambivalent: Im Vergleich mit den früheren Bänden erfährt man nicht viel Neues, sieht aber beispielhaft vorgeführt, wie Schriftsteller unterwegs Eindrücke und Gedanken festgehalten und später in größeren Projekten weiter verarbeitet haben. Schade ist, dass das Schreiben von unterwegs in modernen Medien recht oberflächlich behandelt wird. Das gilt umso mehr, als viele Reisende gerade im Internet ihre Eindrücke veröffentlichen und mehr Hinweise erwarten dürften als bloß den andauernden Verweis auf Porombkas „Schreiben unter Strom“. Wer sowieso schon ständig notiert, wird dies auch beim Reisen tun, und muss dazu nicht erst durch Ortheils Buch angeregt werden; er oder sie kann aber bei den Vorstellungen umfangreicherer Schreibprojekte durchaus gute Anregungen finden. Tatsächlich sind die Kapitel zu Reise-Schreibprojekten und zum Schreiben nach der Reise der eigentliche Gewinn des Buches. Auf den Punkt gebracht: Eigentlich genügt es, die letzten 50 Seiten des Buches zu lesen; die ersten 100 Seiten sind im Prinzip nur Wiederholung.

Hanns-Josef Ortheil: Schreiben auf Reisen. Wanderungen, kleine Fluchten und große Fahrten – Aufzeichnungen von unterwegs, 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2012. ISBN 978-3-411-75371-0| 14,95 € | 158 S.

Unter Strom

Cover von "Schreiben unter Strom"Schreiben in Sozialen Netzwerken beeinflusst die Art und den Stil des eigenen Schreibens. Die Vernetzung mit Lesern, die zu Mitschreibern werden können, eröffnet ein weites Experimentierfeld. Stephan Porombka stellt im dritten Band der DUDEN-Reihe zum Kreativen Schreiben einige der Möglichkeiten vor. Das ist zwar nicht ganz das Thema dieses Blogs – aber da ich die anderen beiden Bände schon besprochen habe (1; 2), will ich der Vollständigkeit wegen ein paar Anmerkungen zu dem Buch machen.

Den wichtigsten Hinweis nennt Porombka ganz zum Schluss: „Wer unter Strom schreibt, schließt nicht bestimmte Möglichkeiten aus. Wer unter Strom schreibt, schließt ausdrücklich alle Möglichkeiten ein und bringt sie ins Spiel, um sie immer wieder mit etwas anderem zu kombinieren und dadurch neue Impulse zu bekommen und sie gleichzeitig an andere weiterzugeben.“ (153f) Die Schreibempfehlungen zielen aufs schreibende Experimentieren. Den Untertitel des Buches sollte man also ernst nehmen.

Porombka gliedert sein Buch in drei Teile: Im Grundlagenteil geht es zunächst um die Möglichkeiten, am Computer Texte zu zerlegen und – zuweilen ganz zufällig – neu zu kombinieren. Die Technik ist zwar schon alt, erfährt in Zeiten von Internet, Copy & Paste aber neue Möglichkeiten: Bei der Flarflyrik geht es beispielsweise darum, Resultate einer Google-Suche zu einem neuen Text zu arrangieren. Ein zweiter Punkt ist die Auflösung linearer Strukturen in Hypertexten. Auch diese Technik hat es schon vor dem PC gegeben, aber erst in digitalen Hypertexten entfalten sich die ganzen Möglichkeiten, sei es durch Inner-Textliche Links, sei es durch Links ins WWW. Die dritte Grundtechnik ist die Textbegrenzung und Reduktion wie bei der SMS, bei der nur eine begrenzte Anzahl an Zeichen zur Verfügung steht, und schließlich die Vernetzung solcher Möglichkeiten durch Dienste wie Twitter.

Der zweite Teil des Buches stellt Experimente mit diesen Grundtechniken vor. Beim Schreiben und Experimentieren wird auf die neuen, technischen Möglichkeiten zurückgegriffen, das Ergebnis zielt aber am Ende auf Texte in herkömmlicher Form. So haben beispielsweise Alexander Aciman und Emmett Rensin Texte der Weltliteratur so bearbeitet, dass eine Geschichte als Folge von rund 20 Tweets erzählt wird. Im ihrem Buch „Twitterature“ dampfen sie so ein ganzes Regal an Weltliteratur auf gerade mal 146 Seiten ein. Komplexere Möglichkeiten bietet der klassische Briefroman, auf E-Mail-Korrespondenz umgebrochen: So kann man sich unter www.die-leiden-des-jungen-werther.de dazu anmelden, Werthers Briefe als einzelne E-Mails zusenden zu lassen, z.B. in den Abständen, in denen Goethes Werther seine Brief einst schrieb.

Auf der Grundlage neuer, elektronischer Kommunikation lassen sich natürlich nicht nur Klassiker bearbeiten. Der nächste Schritt ist, selbst auf dieser Basis Texte zu produzieren. Als Beispiele stellt Porombka die E-Mails von Matthias Zschoschke an Niels Höpfner vor, die sich als digitales Journal und Werkstatt-Bericht lesen lassen. Andere Autoren wie Daniel Glattauer erzählen eine Geschichte durch die E-Mail-Korrespondenz zweier Personen. Jan Kossdorff lässt in seinem Roman sogar 15 Mailschreiber miteinander kommunizieren.

Im dritten Teil von „Schreiben unter Strom“ skizziert Porombka schließlich, wie ein Schreiben aussehen kann, das nicht mehr unmittelbar auf Buchveröffentlichung zielt, sondern vorrangig als Netzliteratur entsteht. An der Grenze steht da zunächst das Schreiben im Blog. Porombka wartet da mit einer steilen These auf: „Einen Blog zu machen heißt: sich die Buchkultur abzugewöhnen.“ (88) Porombka meint das nicht kritisch. Er will damit auf die veränderten Schreibbedingungen aufmerksam machen: Das Schreiben erfolgt nicht mehr in großen Abständen, mehrfach redigiert, sondern oft von Tag zu Tag oder gar von Stunde zu Stunde. Das verlangt nach einem anderen, nämlich entspannteren Schreiben: „Verspannt oder verkrampft man beim Bloggen, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass man immer noch viel zu sehr an die alte Verlags- und Feuilletonkultur denkt. Deshalb ist der wichtigste Hinweis für angehende Blogger: Locker bleiben!“ (ebd.) Tatsächlich haben allerdings die angeführten Autoren wie Andrew Sullivan und Sven Regener ihre Blogeinträge längst wieder in Buchform veröffentlicht.

Anders ist beim Schreiben in Facebook. Jenseits der schlichten „Was ich grad mache“-Meldungen kann Facebook zu einem interessanten Experimentierfeld werden. Etwa wenn Jan Fischer zwar Beobachtungen niederschreibt, das schreibende Ich dabei aber nicht identisch sein muss mit dem Schriftsteller Jan Fischer. Die Faszination von Facebook greift aber erst, wenn durch die Kommentare neue Textebenen entstehen, für die nicht mehr ein Autor allein verantwortlich ist. Die Grenze zwischen Autor und Leser verwischt. Das gilt dann in noch radikalerer Form für Jonas Bohlken, der in „neosex“ Online-Gespräche aus einschlägigen Foren dokumentiert. Das Werk liegt auf einem USB-Stick vor. Über einen Browser lassen sich Links ins Internet Welt verfolgen. Das sicher aufwendigste Konzept, das Porombka am Ende seines Buches vorstellt, ist „transmedia storytelling“. Im transmedialen Erzählen verschränken sich Virtualität und Realität: eine Geschichte wird auf Flugblättern, über Facebook und Blog-Einträge sowie Performances an echten Orten erzählt. Ein aufwendiges Konzept, das vor allem in der Werbung zum Tragen kommt.

Jedes der dreizehn Kapitel enthält am Schluss eine Schreibaufgabe, um die vorgestellten Techniken auszuprobieren. Wie bei den beiden anderen DUDEN-Bänden wirken diese Schreibübungen aber manchmal etwas bemüht. Auch darf man – wie in den anderen Bänden der Reihe – keine ausführlichen, technischen Hinweise zur Umsetzung erwarten. Zwar gibt es Hinweise auf blogger und wordpress, aber wie ein Blog eingerichtet und dauerhaft organisiert wird interessiert Porombka nicht. Es gibt sogar technische Hinweise, die eher problematisch sind, wie etwa die Empfehlung, bei Facebook einen Fakeaccount zum Experimentieren einzurichten, was offensichtlich den Nutzungsrichtlinien bei Facebook widerspricht.

Schade ist, dass das Buch selbst keine Schnittstelle zum Internet hat. Ein begleitender Blog oder zumindest eine einzelne Seite mit Links wäre ein schöner Service für die Leser, die sich damit das Abtippen von Links wie https://www.facebook.com/media/set/?set=a.1785439154172.2104292.1185308648&i=972f9989fb ersparen könnten.

Fazit: Stephan Porombka legt mit „Schreiben unter Strom“ eine knappe Übersicht über Möglichkeiten des Schreibens im Kontext von E-Mail und sozialen Netzwerken vor. Zuviel sollte man sich davon aber nicht erwarten: Der Buch ist keine technische Anleitung für den Betrieb von Blogs oder zur Nutzung von Facebook und Twitter. Zielgruppe ist letztlich weder der Social-Media-Neuling, der eine Starthilfe braucht, noch der routinierte Blogger, der nach neuen Impulsen sucht. Porombka zielt auf Menschen, die neue Schreibmöglichkeiten ausprobieren möchten. Am Ende geht es also ums Experimentieren mit den neuen Medien und die Frage, wie sich darüber das eigene Schreiben verändert und weiter entwickelt. Wer sich darauf einlässt findet eine Reihe von Anregungen, auch wenn manches davon schon altbekannt ist. Schade ist allerdings, dass der Autor die neuen Medien nicht nutzt, um eine Schnittstelle von Buch und Netz zu schaffen.

Stephan Poromka: Schreiben unter Strom. Experimentieren mit Twitter, Blogs, Facebook & Co, 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2012.
ISBN 978-3-411-74921-8| 14,95 € | 159 S.

Täglich Schreiben

Tagebuch schreiben scheint einfach und voraussetzungslos: eine Kladde und ein Stift genügen, um mit täglichen Aufzeichnungen aus dem eigenen Leben zu beginnen. Probleme scheint es allenfalls damit zu geben, wirklich regelmäßig zu schreiben. Aber stimmt dieser Eindruck? Wie schon in Ortheils „Schreiben dicht am Leben“ stellt Christian Schärf im zweiten Band der Duden-Reihe „Kreatives Schreiben“ an konkreten Beispielen Möglichkeiten des Tagebuchschreibens vor. „Täglich Schreiben“ weiterlesen

Nicht ganz präsent

Deeg u.a. CoverKaum etwas ist schlimmer als eine vorgelesene Predigt. Wie wohltuend ist es da, wenn jemand frei predigen kann: das wirkt lebendig, dialogisch und hörerzugewand. Aber hat die freie Predigt tatsächlich nur Vorteile? Diese Frage stellen Alexander Deeg, Michael Meyer-Blanck und Christian Stäblein in ihrem Buch „Präsent predigen“. Ihre „Streitschrift wider die Ideologisierung der ‚freien’ Kanzelrede“ will eine Alternative aufzeigen zwischen vorgelesenem Manuskript und der manuskriptlosen, freien Predigt. Mit einer gemeinsamen Thesenreihe und drei Aufsätzen plädieren sie für eine Orientierung der Predigtpraxis am Begriff der homiletischen Präsenz. Aber leider verzetteln sie sich unnötigerweise dabei, eine Gegenposition aufzubauen, die so niemand vertritt, gegen die sie aber dennoch anargumentieren. Schade eigentlich, denn der Ansatz ist gar nicht so schlecht.

Predigt neu entstehen lassen

Deeg, Meyer-Blanck und Stäblein haben ein Hauptanliegen: Sie wollen zeigen, dass die schriftliche Arbeit an einem Manuskript ein unverzichtbares Element der Predigtvorbereitung ist. Sie betonen dabei: Das ausgearbeitete „Manuskript ist noch nicht die Predigt selbst“ (S. 13f). Zur Predigt wird das Manuskript erst durch den Predigtvortrag – durch die Aufführung und Inszenierung des Textes. Das schließt für die Autoren das Vorlesen des Manuskripts aus: Die Predigt muss auf der Kanzel neu entstehen – im Zusammenspiel von Schrift, Gemeinde und Prediger (S. 10f). Das klassische Memorieren bietet keine Alternative: Die Konzentration auf ein auswendig gelerntes Manuskript behindere den Prediger, präsent zu sein und in Kontakt mit den Zuhörern zu kommen (93f). Es braucht also eine Alternative zum bloßen Vorlesen und Auswendiglernen der Predigt.

Eine Alternative wäre der mehr oder minder freie Vortrag der Predigt. Aber was soll das heißen? Bereits Horst Hirschler hatte Ende der 80er Jahre vorgeschlagen, der Prediger möge zwar mit einem Manuskript auf die Kanzel gehen, er solle dort aber jeden Satz neu formulieren. Für Meyer-Blanck (S. 34) und Stäblein (S. 102) wäre das ein gangbarer Weg. Praxisorientierte Predigtbücher wie „Frei predigen“ von Arndt Elmar Schnepper und „Kein Blatt vor’m Mund“ von Volker A. Lehnert gehen noch einen Schritt weiter: Sie fordern dazu auf, sich gleich ganz ohne Manuskript auf die Kanzel zu wagen. Die moderne Vikarsausbildung ermutigt ebenfalls dazu. Das aber geht den Autoren zu weit: Präsentes Predigen braucht ihrer Meinung nach auch beim Predigtvortrag das Manuskript. Erst damit sei der Prediger wirklich in der Lage frei zu predigen.

Abgrenzung vom Sprechdenken

Das Kernproblem ist letzten Endes, wie Predigt auf der Kanzel entsteht. Der neuere Ansatz der freien Predigt greift dazu auf das so genannte „Sprechdenken“ zurück: Der Prediger durchdenkt laut sprechend den Predigtgang noch einmal. Der gesprochene Satz ist das Ergebnis dieses Neu-Durchdenkens und ist weder vorgelesen noch auswendig gelernt. Da dieser Ansatz zu dem Vorhaben der Autoren ähnelt, die Predigt beim Sprechen im Zusammenspiel von Schrift, Gemeinde und Prediger neu entstehen zu lassen, ist damit der Gegner ausgemacht: Es sind die Protagonisten des Sprechdenkens in der freien Predigt.

Im Sprechdenken, so ein erster Einwand, würden „Aufgabe und Form der Predigt [allzu schnell] zusammenfallen“ (S. 11): „Was eine Predigt ist und wie man sie macht, diese Schritte fallen hier zu früh und zu schnell unter dem Stichwort ‚freie Rede‘ zusammen“ (S. 12) – was auch immer das bedeuten mag. Es fehlt ein Argument. Man könnte genauso gut auch umgekehrt behaupten: Die Stärke der freien Predigt sei, dass Aufgabe und Form zusammen fallen. Damit wäre genauso viel und genauso wenig ausgesagt.

Ein zweiter Einwand bezieht sich darauf, die Form des Sprechdenkens eigne sicher methodisch eher für 5-8minütige Predigten wie in der katholischen Messe, nicht aber für „eine texthermeutische Predigt von 15-20 Minuten Dauer, wie sie von evangelischen Gottesdienstbesuchern erwartet wird“ (S. 12). Abgesehen davon, dass ein Beleg für die Behauptung der methodischen Unzulänglichkeit fehlt: Dass evangelische Gottesdienstbesucher a) eine texthermeutische Predigt erwarten, die b) 15-20 Minuten dauert, halte ich für eine ziemlich professoral-pastorale Perspektive. Auch wenn Stäblein die Fähigkeit zur freien Rede „für den pastoralen Alltag [als] unabdingbar“ ansieht (S. 104), möchte er dies doch nur für Andachten, Grußworte und Besuche gelten lassen, nicht für die Predigt. Die Argumentation zeigt eher, wie weit entfernt die akademische Theologie von der gemeindlichen Praxis entfernt ist.

Überzeugender erscheint da zunächst die Argumentation Meyer-Blancks (S. 50ff), der gegen die Anführung von Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ einwendet, Kleists Ansatz sei vorwiegend der eigenen Gedankenklärung geschuldet. Dass Kleists Ansatz nicht auf die öffentliche Rede ziele, wie Meyer-Blanck nahelegt, stimmt aber nicht: Kleist schreibt sogar, dass manche große Rede aus dem unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum entstanden ist. Meyer-Blancks Fazit, Kleists Methode eigne „sich für die Predigtvorbereitung, nicht für die Predigt selbst“ (52) stimmt daher nur begrenzt: Mit anderen über die geplante Predigt zu reden kann eine gute und wichtige Hilfe sein – hier stimmt Meyer-Blancks Hinweis – aber Kleist lässt sich sehr wohl auch für die Konzeption des Sprechdenkens als Zeuge aufrufen.

Die Einwände gegen das Sprechdenken sind letztlich nicht so stark, dass sich der Ansatz nicht als Methode eignen würde, die Predigt auf der Kanzel neu entstehen zu lassen. Zwar beklagen die Autoren zu Recht, dass eine wissenschaftliche Reflexion der freien Predigt in der gegenwärtigen Homiletik fehlt (S. 11). Die Schlussfolgerung, dass die Manuskriptorientierung in sämtlichen homiletischen Ansätzen aber die Einsicht widerspiegele, die freie Predigt entspreche eben nicht der Komplexität des Predigtgeschehens (S. 12f), ist allerdings reichlich gewagt. Deshalb versuchen die Autoren, grundsätzliche Probleme der freien Rede heraus zu arbeiten.

Gegen die freie Rede

Die Autoren drehen das Verständnis von freier Rede um: die freie Rede sei nur scheinbar frei, weil sie eine „im eigenen Gerede gefangene[..] Praxis“ (S. 9) sei, „ein unvorbereitetes und damit unfreies Herumreden“ (S. 10). Mit diesem immer wieder auftauchenden, argumentativen Zug beginnt allerdings die Verzettelung der Argumentation: Die Autoren sammeln verstreute Argumente gegen die freie Rede, verlieren dabei aber immer wieder aus dem Auge, von welcher Form freier Rede sie sprechen. Letztlich wird der Popanz einer Predigt aus dem Steggreif als Gegner aufgebaut, ungeachtet der Tatsache, dass erwähnte Gegenpositionen wie die von Schnepper und Lehnert einer solchen Praxis gerade nicht das Wort reden.

Statt den Weg zu gehen, überzeugend dazulegen wie Predigen in der „Dialektik von freiem, aktualisierendem Vortrag und präziser, bindender Vor- und Manuskriptarbeit geschieht“ (S. 11), verheddern sich die Autoren in dem Vorhaben, eine Streitschrift gegen die Ideologisierung der freien Predigt vorzulegen. Unter „Ideologie der freien Predigt“ verstehen sie die Ansicht: „nur die freie Predigt kann gute Predigt sein“ (S. 12). Abgesehen davon, dass auch diese These eine Popanzthese ist, wird der Begriff der „Ideologie“ hier falsch gebraucht. Das zeigt schon der Ausdruck „falsche Ideologisierung“ (S. 9): Ideologie ist grundsätzlich ein kritischer Begriff und Ideologisierung immer falsch. Alexander Deeg setzt „idealistisch“ und „ideologisch“ nahezu gleich (S. 60) und geht vom romantischen Idealismus ungebremst zur Ideologie des Nationalsozialismus über – ein zumindest gewagtes Manöver, das die Hochschätzung der freien Rede unter Ideologieverdacht stellen soll. Lassen wir den argumentativen Ausrutscher einmal dahingestellt, ist offenbar etwas ganz anderes gemeint: Die Autoren kritisieren nicht die Ideologisierung, sondern eine falsche Idealisierung der freien Rede.

Die Argumente sind allerdings recht dürftig. Möglicherweise wird die Analyse und Kritik an der freien Rede deshalb auch nicht systematisch vorgetragen, sondern sehr verteilt: So wird kritisiert, die freie Predigt sei unterkomplex sowie „handwerklich mäßig[…]“ (S. 9) und verfehle rhetorische Grundstandards (S. 19). Auch in exegetischer Hinsicht werden Mängel unterstellt, weil der Predigttext nicht angemessen gewürdigt würde: der Text werde, so der Einwand, zum Sprungbrett für eigene Assoziationen, der Gedankengang zerfasere, die Botschaft gerate in Gefahr zu verflachen (S. 14f). Zudem liefere die freie Rede die Predigt „ungefiltert“ der Person des Predigers aus: Die Person des Predigers dränge sich in den Vordergrund, sei verfangen in eigener Lebensgeschichte (S. 17) und seinem Habitus (S. 70), abhängig von seiner Überzeugungskraft, seiner Glaubwürdigkeit, seinem Humor und Charme (S. 73).

Einige Argumente klingen bemüht bis sogar (unfreiwillig) komisch – das sind insbesondere die Argumente, die auf die größte Stärke des freien Redens verweisen: den direkten Bezug zum Hörer. So hält etwa Meyer-Blanck „die undeutliche Artikulation“ (S. 32) für das größte Problem der freien Rede, weil sie es vor allem Nicht-Muttersprachlern schwierig mache, der Rede zu folgen. Die Autoren machen zugleich eine doppelte Missachtung der Hörer aus: Die erste Missachtung steckt im unterstellten Mangel an Komplexität, die eine „geistige und geistliche Unterforderung“ sei (S. 9). Die zweite Missachtung basiert darauf, dass der freie Prediger „sich vor allem auf seine persönliche Autorität verlässt“ und damit die Autorität der Gemeinschaft missachte (S. 10).

Auch Deegs Argument, die freie Rede stünde vor dem Problem einer „massiven Bevormundung der Hörenden“ (S. 74) wirkt bemüht und die Argumentationsgang ist in sich widersprüchlich: Die Hörerinnen und Hörer, so Deeg, würden mittels einer „bedrängenden, letztlich autoritären Rhetorik […] in ihrer Aufmerksamkeit gefesselt“ (S. 16). Hier wird das abschweifende Betrachten des welken Blumenschmucks oder Überlegungen zur Renovierungsbedürftigkeit des Fußbodens beim Hören einer langweiligen Predigt zur Tugend der Freiheit des Hörers umgedeutet, nicht zuhören zu müssen. Deeg greift sogar zu einem argumentativen Trick: Empirische Untersuchungen zur Predigtrezeption, die zeigen, wie selektiv Hörer hören, werden bei Deeg zu Belegen dafür „dass Predigthörende die eigene Freiheit im Predigtvollzug zu schätzen wissen“ (76). Das ist eine zumindest gewagte Interpretation der Rezeptionsästhetik. Schließlich fordert auch Deeg, die Predigt brauche eine Gestaltung, „die fasziniert“ (S.77): „Ein Redner muss die Zuhörer gewinnen wollen, sonst sollte er das Reden belassen.“ (S. 9)

Faulheit und Zeitmangel als Motive für die freie Predigt

Sicherlich: Die vorgebrachten Argumente können Probleme der freien Rede sein – sie sind aber fast vollständig auch auf die Manuskriptrede übertragbar. Das gilt selbst für eines der Hauptargumente gegen die Praxis der freien Rede: Die Autoren unterstellen den Pfarrerinnen und Pfarrern, dass Faulheit, und nicht theologische und homiletische Gründe das „Hauptmotiv“ (S. 13) für das freie Predigen sei. Schon Luther habe Predigten aus Zeitmangel nicht wörtlich ausgearbeitet (S. 23). In der Konzeption der freien Predigt werde der „bedauerliche Zeitmangel“ der Pfarrerschaft aber „theologisch überhöht (S. 13) und zu einem „Mäntelchen der Faulheit“ (S. 10). Insbesondere die Homilie kann für Meyer-Blanck zu einer gefährlichen „Verführung zur Faulheit“ (47) werden, weil der routinierte Prediger unvorbereitet und frei am Bibeltext entlang reden kann. Aber auch Modelle wie das lernpsychologische Schema machen es dem Prediger „sehr leicht aus dem Stegreif“ zu reden (47f).

Die schwächere Lesart des Arguments legt ihren Schwerpunkt nicht auf Faulheit, sondern auf den Zeitmangel: So rechnet Stäblein aufgrund empirischer Studien vor, dass im Pfarralltag weniger als drei Stunden Vorbereitungszeit für die Predigt übrig blieben (S. 116). Zugleich gesteht Stäblein – wenn auch nur in einer Fußnote – zu, „dass die ernsthaften Techniken zur Vorbereitung einer freien Predigt nicht weniger, sondern mehr Zeit benötigen als die manuskriptgebundene Predigt“ (S. 116). Tatsächlich könnte man Zeitmangel auch als Argument gegen die schnell herunter geschriebene und mangels merkbarer Struktur vorgelesene Predigt anführen – wenn man nicht sogar auf die aus dem Internet herunter geladene Predigt verweisen will. Die Argumente gegen die freie Rede sind sicherlich deshalb so schwach, weil die Autoren eigentlich gegen etwas anderes zielen: die schlecht vorbereitete Rede aus dem Steggreif. Dass diese in der Praxis durchaus vorkommen mag, will ich nicht bestreiten: Das Phänomen gibt es, mit all den angeführten Problemen. Aber: Der Missbrauch eines guten Konzepts widerlegt nicht das Konzept selbst (S. 10), wie die Autoren selbst am Anfang ihrer Thesenreihe feststellen. Erforderlich wäre daher, systematische Gründe für die Unangemessenheit der freien Rede als Methode der Predigt vorzulegen. Das gelingt den Autoren aber nicht.

Gute Ansätze

Die Autoren wollen eine Debatte über Sinn und Unsinn der freien Rede anstoßen – was zu begrüßen ist: Die Diskrepanz zwischen universitärer Homiletik und gemeindlicher Predigtpraxis bedarf einer Neuorientierung des theoretischen Instrumentariums. Dass Meyer-Blanck, Deeg und Stäblein mit ihrem Vorgehen scheitern, spricht nicht gegen die Notwendigkeit, die frei gehaltene Predigt homiletisch zu reflektieren. Schade ist nur, dass sich die Autoren so in der Polemik gegen die vermeintliche Ideologie der freien Rede verzetteln, dass die guten und bedenkenswerten Ansätze in den Hintergrund treten. Ich sehe drei wichtige Ansatzpunkte:

Erstens: Predigtarbeit braucht Zeit. Das ist nicht neu, aber es gilt, die aktuellen Bedingungen der Predigtarbeit in der Homiletik mit zu reflektieren. Was bedeutet es für die Predigt, wenn Pfarrerinnen und Pfarrer oft nicht mehr als drei Stunden für die Predigtvorbereitung aufwenden können? Stäblein sieht im Schreiben eine Möglichkeit, ganz bewusst aus der Vielgestalt der mündlichen Alltagskommunikation auszusteigen und sich dadurch in „Selbstdisziplin und Hingabe“ (S.11) zu üben. Auch wenn man von der Engführung auf die schreibende Vorbereitung absieht: Predigtvorbereitung setzt ein funktionierendes System von Zeit- und Selbstmanagement voraus. Das geht letztlich über die Predigtvorbereitung im engeren Sinne hinaus: So haben bereits Heribert Arens und seine Mitautoren in „Kreativität und Predigtarbeit“ Anfang der 1980er Jahre von einer „offensiven Predigtarbeit“ geredet, die eingebettet ist in eine kreative Lebenshaltung und nicht nur von der Hand in den Mund lebt, das heißt: nicht immer nur die nächste Predigt im Blick hat. Ansonsten droht, was Stäblein „Auspredigen“ nennt: „eine verengte, auf die ermüdende Reproduktion des immer Gleichen eingefahrene, für das schöpferische Moment kaum noch offene Wahrnehmung der [Predigt-]Aufgabe“ (S. 111).

Zweitens: Schreiben ist eine unverzichtbare Methode der Predigtarbeit. Man muss es ja nicht gleich mit Meyer-Blanck übertreiben und behaupten „Predigerinnen und Prediger sind Dichter“ (S. 22). Das stellt einen zu hohen sprachlichen Anspruch an die Predigt, vor dem nicht nur die freie Predigt kapitulieren muss. Aber in der Predigtarbeit auf „Poesie, Sprachkunst und Zeichenbildung“ zu setzen (S. 10), das gelingt schreibend besser. Deeg ist hier etwas nüchterner, wenn er in Predigern zwar „manchmal auch Sprachkünstler“ (87) sieht, aber in erster Linie sind Prediger Spracharbeiter und Kunsthandwerker der Sprache – wie Journalisten und Schriftsteller. In der bisherigen Homiletik und Predigerausbildung ist dieser Aspekt deutlich zu kurz gekommen. Predigen lernen heißt darum immer auch: Schreiben lernen – und zwar zu allererst als Handwerk – und manchmal sogar als Kunst.

Drittens. Die schreibende Predigtvorbereitung bietet ein starkes methodisches Instrument: die Möglichkeit der Überarbeitung. Dieses Grundelement der Schreibarbeit wird von der Autoren zwar nicht so genannt, aber wenn Deeg von der „Chance der Distanzierung“ schreibt (S. 78ff), ist genau dies gemeint. In einem kleinen Exkurs zeigt Deeg, dass schon in der antiken Rhetorik Schreiben eine wichtige Technik der Redevorbereitung war, die zwei Vorteile mit sich brachte: Wer schreibt, verlangsamt den Sprachfluss und ermöglicht die Suche nach dem besten Ausdruck. Und wer schreibt, kann kritisch auf das Geschriebene schauen und es korrigieren. Überarbeitung meint letztlich beides. Wer auf das Schreiben prinzipiell verzichtet, bringt sich um eine der stärksten Techniken der Textproduktion (vgl. S. 80).

Fazit

Meyer-Blanck, Deeg und Stäblein legen ein Buch mit guten und bedenkenswerten Ansätzen vor: den Zeitaufwand der Predigtvorbereitung im Pfarralltag zu bedenken, die Stärken des Schreibens herauszuarbeiten und großen Chancen zu sehen, die die Technik der Überarbeitung eines Manuskriptes für den Predigtvortrag bringt, das sind Punkte, die zu diskutieren sind. Leider haben sie nur am Rande etwas mit der Konzeption präsenten Predigens zu tun. Die Autoren verlieren sich zu sehr in Scheingefechten mit Ansätzen einer freien Rede, die es so nicht gibt. Statt mit einer Streitschrift gegen eine vermeintliche Ideologisierung der freien Predigt wären die Autoren mit einem Plädoyer für das Schreiben als unverzichtbarem Element der Predigtvorbereitung und der Orientierung an homiletischer Präsenz besser gefahren. So bleibt das Konzept des präsenten Predigens eigentümlich blass und auch die zentrale These, dass gerade die solide Manuskriptarbeit eine große Freiheit beim Predigtvortrag ermögliche, wird nicht ausgearbeitet. Am Ende wünscht man sich, die Autoren hätten selbst von der Möglichkeit, ihr Manuskript gründlich zu überarbeiten, mehr Gebrauch gemacht.

Deeg, Alexander, Michael Meyer-Blanck, und Christian Stäblein: Präsent predigen. Eine Streitschrift wider die Ideologisierung der „freien“ Kanzelrede. 1. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011. ISBN 9783525620014 | 17,95 € | 118 S. [Amazon-Link]

Tägliche Notizen

Ortheil-Cover: Schreiben dicht am lebenNotizbücher sind hip. Aber was schreibt man rein? Hanns-Josef Ortheil will mit seinem Buch „Schreiben dicht am Leben“ Hilfestellung geben. Keine Ratgeberliteratur sei die kleine Duden-Reihe zum Kreativen Schreiben, für die Ortheil zuständig ist, sondern ein „Meisterkurs“ (Verlagswerbung), der „sich an den Werkstätten der großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller orientiert“ (S. 17). Entsprechend stellt das Buch kein Methodenkompendium dar, sondern zeigt, wie verschiedene Autoren ihre täglichen Notizen gemacht haben. „Schreibaufgaben“ vertiefen die einzelnen Kapitel durch Hinweise für eigene Notizversuche.

Dass sich die Reihe nicht nur auf Schreiben mit Stift und Papier beschränkt, sondern den Ansprüchen heutigen Schreibens gerecht werden will, zeigt sich daran, dass neben Ortheils Buch über Notizen und Skizzen auch ein Band über Journale und Tagebücher (Christian Schärf) sowie über Elektric Writing in Blogs und sozialen Netzwerken (Stephan Porombka) erschienen ist. Zum freilich handschriftlichen Ausprobieren gibt es zudem ein Notizbuch in der gleichen Aufmachung. Hier konzentriere ich mich auf Ortheils Buch.

Hanns-Josef Ortheil ist selbst manischer Notierer. In Interviews, aber auch in dem Band „Wie Romane entstehen“ (2008) hat er seinen Notiz-Zwang immer wieder reflektiert und mit der Kindheitserfahrung des Nicht-Redens sowie der Angst vor dem Verstummen in Verbindung gebracht. Die Notiz ist daher für Ortheil mehr als nur ein flüchtiges ins Unreine schreiben: Notieren ist „das ideale Stimulans der geistigen Kapazitäten und damit das literarische Koffein par excellence“ (S. 145). Eingebettet in größere Projekte gilt es, sich das tägliche Notieren anzugewöhnen: „Schon kurzfristige Unterbrechungen machen sich – wie bei einem Musiker, der einen kurzen Zeitraum nicht mehr an seinem Instrument geübt hat – sofort bemerkbar. Das Schreiben wird ungelenkt, langsam und hat wenig Frische. Das tägliche Notieren aber hält den Sprachfluss in Bewegung.“ (S. 148).

Nur am Rande interessierten Ortheil dabei technische Details. So wird von Robert Gernhardt berichtet, dass er seine „fast täglichen Aufzeichnungen in Blankoschulhefte der Firma ‚Brunnen’ im Format DIN A5“ (S. 130) vornahm und dabei gelbe Kugelschreiber der Marke BIC verwendete. Walter Benjamin verwendete dagegen Briefpapier etwa im A4-Format, das er in Mitte faltete und dann die Seiten 1 und 3 mit Füllfederhalter und Bleistift beschrieb (S. 116f), während Peter Handke Notizbücher „nie größer als DIN A6“ (S. 109) gebrauchte, die in die Jackentasche passen, so dass sie man sie auch unterwegs gebrauchen kann. Es geht Ortheil weniger um die technischen Aspekte des Notierens, als um die Notate selbst.

In neunzehn Kapiteln, die jeweils einen Autor und seine Weise des Notierens vorstellen, führt Ortheil durch ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Diese neunzehn Weisen des Notierens sind noch einmal in vier Gruppen zusammengefasst.

Als „elementares Notieren“ stellt Ortheil Notizformen vor, die Beobachtungen möglichst direkt und ungefiltert festhalten. Ortheil findet solche Formen

1. bei Georges Perec, der seine Umgebung aus verschiedenen Perspektiven knapp registriert,
2. in der FAZ-Rubrik „Webcam“, die wie eine Webcam eine Alltagsbeobachtung aus einer Perspektive festhält,
3. bei Peter K. Wehli, der Situationen notiert wie fotografische Schnappschüsse,
4. bei Émile Zola, der wie ein Journalist Informationen sammelt und bis ins Detail recherchiert,
5. bei Rolf-Dieter Brinkmann, der seine Gedanken zu unterwegs Beobachtetem als inneren Monolog festhält.

Formen „bildlichen Notierens“ sieht Ortheil

6. bei Theophrast, der Charaktere durch besondere, prägende Kennzeichen porträtiert,
7. bei Gerard Manley Hopkins, der Eindrücke seiner Wanderungen wie ein Landschaftszeichner festhält,
8. bei Tokutomi Roka, der Beobachtungen in seiner Umwelt mit wenigen Federstrichen skizziert,
9. bei Francis Ponge, der Beobachtungen an unscheinbaren Alltagsdingen präzise registriert,
10. bei Akutagawa Ryunosuke, der eine Geschichte in drehbuchartigen Beschreibungen fixiert.

Die dritte Gruppe bündelt das Notieren von Emotionen und Passionen, stellvertretend zu finden

11. bei Sei Shonagon (der einzigen Frau im Buch), die ihre Vorlieben und Passionen z.B. in Listen sammelt,
12. bei Roland Barthes, der in der Trauer seine Erinnerungen an seine Mutter auf Zetteln festhält,
13. bei Fernando Pessoa, der innere Monologe einer erfundenen Figur in Form von Notizen formuliert,
14. bei Elias Canetti, der in seinen „Aufzeichnungen“ genannten Notizen Gedanken konzentriert und zuspitzt,
15. bei Peter Handke, der seine täglichen, poetischen Konzentrationen erfasst.

Zu Formen des „klassischen Notierens“ findet Ortheil ideale Beispiele

16. bei Walter Benjamin, der in klassischer Gelehrtenmanier notierte und exzerpierte,
17. bei Georg Christoph Lichtenberg, der seine Gedanken sammelte wie in kaufmännischen „Sudelbüchern“,
18. bei Robert Gernhardt, der Lichtenbergs Methode aufnahm und zur Feldforschung in fremder Umgebung gebrauchte,
19. bei Paul Valéry, der Morgens früh um Fünf begann, seine Gedankenkreise und Denkwege zu notieren.

Der Ansatz, jeweils einen Autor und seine Art, Notizen zu machen, ist natürlich nicht unproblematisch. Zum einen fällt so natürlich auf, dass weitere berühmte Notizbuchschreiber wie Bruce Chatwin oder Ludwig Hohl nicht einmal erwähnt werden. Das liegt sicherlich daran, dass sie unter eine der neunzehn Ansätze fallen, aber hier wäre es interessant zu lesen, wie Ortheil typologisiert. Letztlich muss man aber zugestehen, dass so ein schmales Büchlein weder Vollständigkeit erreichen kann, noch überhaupt anstreben wird.

Der zweite Einwand ist darum gewichtiger: Auch wenn das Inhaltsverzeichnis klar gegliedert ist und die Systematik über die den Rahmen gebenden Schreibprojekte durchaus funktioniert, fehlt doch ein wenig der methodische Aufbau, wie er in manchen Titeln der von Ortheil etwas despektierlich bezeichneten „Ratgeberliteratur“ zu finden ist. (Eine Bemerkung am Rande: Warum die ersten beiden Gruppierungen „Textprojekte und Schreibaufgaben“ heißen, die letzten beiden aber „Texte und Schreibaufgaben“ leuchtet nicht ein). Ich muss gestehen: Ich hatte erwartet, dass gerade jemand wie Ortheil, mehr Einblick gibt, wie er mit den Notizen weiter umgeht. In „Wie Romane entstehen“ hat Ortheil beispielsweise auf zwei Seiten (S. 40f) ein ganzes Notiz-System skizziert, über das man gerne mehr erfahren möchte. „Schreiben dicht am Leben“ hätte dazu sicher Raum gegeben.

Die Schreibaufgaben, mit denen jedes Kapitel endet, sind im Prinzip methodische Bündelungen des jeweiligen Ansatzes und helfen, den beschriebenen Notizstil zu imitieren. Es sind keine kurzen Übungen, sondern kleine Schreibprojekte über einen längeren Zeitraum. Wer sie alle umsetzen wollte, dürfe damit mehr als einige Monate beschäftigt sein, insbesondere, wenn man die Regel zu Lichtenberg umsetzen will: „Datieren Sie Ihre Aufzeichnungen nicht. Beginnen Sie einfach mit einem Heft A und nummerieren Sie dann ihre Aufzeichnungen durch. Verwechseln Sie das Sudelbuch nicht mit einem Tagebuch. Notieren Sie also nicht ihre Befindlichkeiten, sondern Details, Zusammenhänge und Geschichten, die Ihnen von außen zugetragen wurden oder auf die Sie während Ihrer Lektüren gestoßen sind. Führen Sie Ihre Aufzeichnungen bis zu Ihrem Tod.“ (S. 128f) Das entbehrt zumindest nicht eines feinen Humors.

Mir persönlich hat der Abschnitt IV über das klassische Notieren am besten gefallen, weil er meinen überwiegenden „Schreibprojekten“, nämlichen theologisch-philosophischen Arbeiten und Predigten, am nächsten kommt. Allerdings ist es eher so, dass ich den Abschnitt zum Lesen empfehlen kann – viele neue Hinweise habe ich nicht bekommen. Hier waren es eher kleine Hinweise und Entdeckungen in anderen Kapiteln, die inspirierend sind.

Fazit: Ob es die im Vorwort erwähnte Zielgruppe von Menschen tatsächlich gibt, die ein Notizbuch hat, aber nicht weiß, wozu, sei einmal dahingestellt. Trotzdem ist das Buch zu empfehlen: Zum einen Notizbuchnutzern, die ihre eigene Praxis weiter entfalten, entwickeln, ausbauen möchten, zum anderen allen, die schreiben, aber bislang kein Notizbuch verwenden – denn sie finden hier überzeugend dargelegt, dass das Notieren und Skizzieren eine unverzichtbare Grundform des Schreibens ist. Technisch-pragmatische Hinweise zum Führen eines Notizbuchs gibt es nicht. Insbesondere Predigerinnen und Prediger finden hier aber dennoch einige Anregungen dazu, Beobachtungen, Einfälle, Illustrationen für den einen eventuellen, späteren Gebrauch zu sammeln und täglich an der eigenen Sprache zu arbeiten.
Hanns-Josef Ortheil: Schreiben dicht am Leben. Notieren und Skizzieren, 1. Aufl. Bibliographisches Institut, Mannheim, 2011.
ISBN 3411749113 | 14,95 € | 159 S. [Amazon-Link]

Tipps zum Notizbuch

25 Tipps zum Gebrauch von Notizbüchern hat Christian Mähler vom notizbuchblog  in einem kleinen, kostenlosen eBook zusammen gefasst. Das Buch steht im Blog zum Download bereit [Link zum direkten Download: http://bit.ly/nbbebook].
Mähler nennt seine Tipps „Regeln“ – das klingt für meinen Geschmack zwar ein bisschen zu sehr nach „Norm“ und „Vorschrift“, ist aber in jedem Fall lesenwert, selbst wenn man nicht jede Regel umsetzen mag. Immerhin fasst das Bändchen 15 Jahre Erfahrung im Umgang mit Notizbüchern zusammen.
Seine Erfahrungen hatte Mähler schon in seinem Blog – übrigens unter der Rubrik „Tipps“! – veröffentlicht. Sie stehen dort auch weiter zur Verfügung – glücklicherweise, denn im eBook fehlen leider die Fotos, die manche Ideen  schneller nachvollziehbar machen.
Eine inspirierende Lektüre.