Homiletik als Wahrnehmungslehre

Notizen zu Hans-Günter Heimbrocks Predigtverständnis

Von David Buttricks Homiletik hieß es, es sei ein phänomenologischer Ansatz. Tatsächlich lassen sich bei Buttrick viele phänomenologische Bezüge ausmachen. Ähnlich gilt von Hans-Günter Heimbrock, der sich in seiner „phänomenologisch inspirierten“ Homiletik auf den Aspekt der Wahrnehmung konzentriert. Dazu ein paar Lektürenotizen.

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Coole Moves

Buttricks Verständnis von Moves

Vor ein paar Jahren waren Fidget Spinner bei Kindern sehr beliebt: ein Spielzeugkreisel, bei dem sich eine Art Flügelanordnung um ein Kugellager in der Mitte dreht. Vergeblich haben ein paar Konfirmanden versucht, mir ein paar „coole Moves“ beizubringen: Unterschiedliche Handgriffe von variabler Komplexität, die sich bei den Könnern zu faszinierenden Fingerchoreografien kombinieren lassen. Eine ähnliche Funktion erfüllen „Moves“ auch in anderen Bereichen: Es sind kleine Bewegungseinheiten, die sich beim Tanzen, Surfen oder Skateboarden zu komplexen Bewegungsabläufen kombinieren lassen und bei Zuschauern ein Staunen auslösen. Coole Moves eben.

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Das Geschenk der Tradition

Was autorisiert das eigene Reden in der Predigt?, fragt David Buttrick. Oft dient die Bezugnahme auf Bibel und Tradition zur Autorisierung von dogmatischen Aussagen und moralischen Forderungen. Buttrick stellt das in Frage: Christliches Leben und damit auch die Predigt ist möglich ohne einen Begriff von Autorität, selbst wenn man der Bibel und Tradition eine normative Kraft zugesteht.

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Wortspiele

Preacher-Slams scheinen gerade der „heiße Scheiß“ (Christian Binder) der Homiletik zu sein. Holger Pyka, Pfarrer in Wuppertal und selbst als Preacher-Slammer unterwegs hat nun ein Buch dazu herausgebracht: „Spiel mit dem Wort. Kreatives Schreiben für Predigt und Preacher-Slam“. Auf rund 170 Seiten skizziert Pyka knapp und pointiert, wie Preacher-Slam und Kreatives Schreiben die Predigtpraxis bereichern kann. „Wortspiele“ weiterlesen

Rhetorik des Zauderns

„Eine kleine Rhetorik“ nennt Dietrich Sagert sein Buch „Vom Hörensagen“, ein „Spielbuch“, wie er sagt, kein abgeschlossenes Werk. Und tatsächlich hat das Buch etwas verspieltes, aber es ist nicht das selbstvergessene Spiel eines Kindes, sondern eher ein selbstgefälliges Spielen mit kleinen Denkfiguren, Beobachtungen, Wörtern. Dieser Versuch einer homiletischen Avantgarde kann einem auf die Nerven gehen: der manierierte Schreibstil, das Hin und Herschieben postmoderner „Wortstellwände“ (vgl. 115), die ablenken wollen von den notierten Trivialitäten, das Sammelsurium an Zitaten, die mehr illustrieren als zeigen. Trotzdem ist Sagerts Buch gar nicht so schlecht, wie es auf den ersten Blick wirkt. „Rhetorik des Zauderns“ weiterlesen

Predigten komponieren

Schreiben führt in der Predigtvorbereitung zwar nicht zwingend zu guten Predigten, kann aber helfen, “theologische und lebenspraktische Themen intellektuell zu durchdringen, sowie … sich Glaubensinhalte und Traditionsfragmente anzueignen. Predigtschreiben kann dazu beitragen, dass Pfarrpersonen in ihrer seelischen, geistigen und geistlichen Existenz wachsen.“ (S. 372) Zu diesem Ergebnis kommt Annette Müller in ihrer Dissertation “Predigt schreiben”. Sie hat dafür empirisch untersucht, was eigentlich geschieht, wenn Predigerinnen und Prediger ihr Predigtmanuskript erstellen. Damit kommt dem Schreiben in der Predigtvorbereitung eine wichtige Funktion zu: Es wird “eingesetzt, um kreativ und verantwortlich Theologie zu treiben“ (S. 394). „Predigten komponieren“ weiterlesen

Zwischen Kultur und Glauben

Das Wittenberger Zentrum für evangelische Predigtkultur hat einen dritten Band mit Ergebnissen aus seiner Arbeit vorgelegt: „Übergänge. Predigt zwischen Kultur und Glauben“. Leider hat das Buch, trotz des interessanten Themas, homiletisch nicht viel lesenswertes zu bieten.

Heraus sticht Kerstin Wimmers Beitrag zur „Poetik des Dialogs“, eine reflektierte Meditation über das Verhältnis von Gesagtem und Ungesagtem, Bekanntem und Fremdem in dem Predigt. Die Arbeit an der Predigt besteht für Wimmer nicht nur darin, die richtigen Worte zu finden und möglichst alles zu sagen, was zu sagen ist, sondern auch sich in der „Kunst der Enthaltung“ zu üben. Der Prediger „muss auch überlegen, was man er nicht sagen möchte“, auch wenn er durchaus wünschen kann, die Zuhörer mögen zwischen den Zeilen heraushören, was nicht gesagt wurde. Ein zweiter Gedankengang reflektiert die Spannung von Bekanntem und Unbekanntem. Diese Spannung aufzuspüren ist für Wimmer ein hermeneutisches Prinzip für den Prozess der Predigtvorbereitung. Zwar ist alles nur angerissen, aber dennoch klar und inspirierend zu lesen.

Wimmer hebt sich wohltuend von anderen Beiträgen ab, wie den wieder einmal recht geschwätzigen Texten des Herausgebers Dietrich Sagert. Auch die Beiträge von Dirk Pilz zu Charles Taylor und Aleida Assmann enttäuschen. Gerade sein Aufsatz zu Taylors Verständnis von Glaube und Kultur in der modernen Gesellschaft hätte thematisch ein Hauptartikel des Bandes werden können. Leider verliert sich Pilz im Dickicht des eigenen Unverständnisses und liefert dazu noch ein schlecht geschriebenes (Rede?-)Manuskript ab.

„Übergänge. Predigt zwischen Kultur und Glauben“ setzt keine besonderen Impulse. Andererseits ist es mit 14,80€ erschwinglich. Vielleicht sollte man den Band eher als Zeitschrift im Buchformat verstehen, mit qualitativ höchst unterschiedlichen Beiträgen. Wer reinschauen mag, sollte einen Blick werfen auf Alexander Deegs Bericht über die gegenwärtige Homiletik im Kontext der Societas Homiletica, sowie auf Daniel Weidners „Bibel als Literatur“.

Kathrin Oxen und Dietrich Sagert (Hg.): Übergänge. Predigt zwischen Kultur und Glauben, Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2013. 314 S. – ISBN 3374033296 – 14,80 €